Arx Nehmt mich bitte mit. Eine Weltreise per Anhalter
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-312-00677-9
Verlag: Nagel & Kimche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Nagel & Kimche
ISBN: 978-3-312-00677-9
Verlag: Nagel & Kimche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine verblüffende Wiederentdeckung: Zu Beginn der 50er Jahre unternahm eine junge Frau eine Weltreise, allein und ohne Geld in der Tasche. Von Wien aus schafft sie es über Indien, Burma und Japan bis in die USA. Unterwegs entgeht sie nur knapp der Aufnahme in Prinz Abduls Harem, fällt in Japan mit der Papiertür aus dem Haus und wird von Besucherscharen am Taj Mahal überrannt, weil sie nachts noch weißer leuchtet als das Grabmal. Im Amerika der Nachkriegszeit wird ihr Mut als Sensation gefeiert. Katharina von Arx' Bericht liest sich so modern und frisch, als wäre es eine Anleitung für heutige Globetrotter – und er zeigt, wie sie das Abenteuer bestand: vor allem, indem sie über sich selbst lachen konnte.
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Zweites Kapitel
Am Anfang war die Straßenbahn. Ich stieg ein und sagte «Auf Wiedersehen» zu dem Knaben, der mir mein Säcklein getragen hatte. Man schaute sich noch nach, dann drehte jeder den Kopf, und dann drehte jeder den Kopf noch einmal, um zu sehen, ob der andere auch wieder schaute, und dann fuhr die Straßenbahn um die Ecke.
Der Schaffner fragte: «Wo woens denn hin mitn Tropnhut?» – «Bisserl über die Endstation hinaus.» – «Do tät ich a glei mitfoan.» Es fuhr sonst niemand an die Endstation an einem gewöhnlichen Dienstagmorgen im Juni.
Bei einer Tankstelle wartete ich eine Weile, bis jemand käme, der mich mitnähme. Ich hatte etwas säuerliche Gedanken, während jener Weile. Eigentlich hätte ich die eingebrockte Suppe lieber stehenlassen, aber man muss schon für eine Weile verschwinden, nachdem man abschiedgefeiert worden war.
«Wo woens denn hin, Engerl?», fragte der Tankwart. – «Nach Bombay.» – «Bis Pompe woens foan, jo des is jo ganz in Italien, do woens ganz allän hinfoan. Schad, dass i ned glei an Urlaub hab, do tät ich a glei mitfoan, des wär a Hetz.»
Es kam nun einer, der Benzin tankte, der nahm mich mit bis Graz. In Graz stieg ich um und fuhr noch ein kleines Stück weiter in die Steiermark. Die Steiermark lag zwar nicht ganz an meinem Weg, aber ich hatte dort noch Geschäftliches zu erledigen. Ich hatte den Auftrag, in der Steiermark ein Schlossbadezimmer auszumalen, nicht flach, sondern durchbrochen, das war eben das Peinliche an dem Geschäft. Der Schlossherr wünschte etwas Fröhliches in seinem Badezimmer, das heißt etwas Weibliches. Aber wo es eine Hausfrau gibt, da gibt es eine zweite Ansicht, und die zählt oft mehr. Die Schlossdame war mehr für Pflanzliches. Ich dankte Gott, denn ich bin in der Regel auch mehr für Pflanzliches.
So malte ich dann in das Badezimmer das Meer und was darin wächst und kreucht und fleucht. Man kann sich gar nicht vorstellen, was ich in jenem Badezimmer durchgestanden habe. Der Grundriss war ein Vieleck, aber kein geometrisches. Ungefähr acht Wände und ein asymmetrisches Deckengewölbe waren zu bemalen. Jede Wand stammte aus einem anderen Jahrhundert, deshalb wurde das Grün nicht an jeder Wand gleich. Aber in meiner Kasse ging etwas ein, das gegen Ende des Monats aus meiner Kasse in eine Schiffskasse einzugehen hatte.
Zum Abschied bekam ich zwei nützliche Briefe, von denen einer an den Aga Khan adressiert war. Diesen Brief konnte ich nie verwerten, weil der Aga Khan immer gerade nicht da war, wo ich war. Ich bekam außerdem ein Messer zum Abschied, worauf stand: «Nicht traurig sein.»
Dann kam der erste Tag, an dem ich wieder am Straßenrand stand und auf Beförderung wartete. Der erste Wagen, der mich mitnahm, hatte viel Rost an sich, ich glaube, er war vom Abschleppdienst. Mit dem fuhr ich fünf Kilometer weit, dann bog er von der Hauptstraße ab, und ich ging zu Fuß weiter. Ich trug mein Säcklein, einen Tropenhelm und ein Ukulele. Das Ukulele ist ein Ding, das Töne von sich gibt, wenn man daran zupft. Auf meinem Wege nach Bombay kam ich durch ein österreichisches Dorf. Einmal stellte ich mein Säcklein ab und wartete mitten im Dorf, aber gegenüber im Bürgerhäuschen wurde es hinter den Tüllvorhängen bald lebendig, so ging ich wieder weiter. An einem Waldrand setzte ich das Warten fort. Ein Auto kam und nahm mich mit bis vor das Haus in Kärnten, das ich suchte. So, einfach in Hosen und wie dem Menschen am wohlsten ist, klopfte ich an das Haus in Kärnten. Ich hätte die Tochter des Hauses sehen wollen, die war aber nicht da. Nur ihr Vater war da und sein Bruder, und ein Professor und dann noch einer, und viele, viele Diener. Ich war beinahe schüchtern vor lauter Herren, aber man muss seine Schüchternheit im Zügel halten können, wenn man reisen will. Weil es Abend war, wurde ich eingeladen zu einem Dach über dem Kopf.
Beim Nachtessen war ich dann nicht mehr einfach in Hosen. Ich saß auf einem Stuhl, dessen Lehne weit über mich hinausragte. Hinter mir stand ein Diener in weißen Handschuhen, der mir beim Benehmen zuschaute.
Am nächsten Tag zog ich in aller Frühe weiter, begleitet bis zur Hauptstraße von brauchbaren Wünschen und von allen jenen Herren. Ein kolossaler Benzincamion hielt an. Der Chauffeur erklärte, dass er nur mich mitnehmen könne und nicht alle diese Männer. «Die kommen von selber weiter», antwortete ich und stieg hinauf. Seine Durchlaucht lachte sehr und filmte diesen Aufstieg.
In der Führerkabine klebten an jedem freien Platz fröhliche Bilder, aber keine pflanzlichen. Am Wörther See bat ich den Chauffeur anzuhalten, weil ich schnell Schilfrohr für Zeichenfedern schneiden wollte. Der Chauffeur schenkte mir daraufhin einen Bleistift, damit ich Arme nicht selber Bleistifte fabrizieren müsse.
Später fuhr ich in einem Topolino, in dem schon vier Italiener saßen. Das Dach wurde geöffnet, um mehr Platz zu schaffen. Ich konnte kaum atmen vor lauter Platzmangel, dafür musste ich Ukulele zupfen. Jeder sang und stampfte mit auf seine Art. Der am Steuerrad hupte im Takt mit und stampfte auf das Gaspedal, so dass wir ruckweise, aber immerhin im Takt vorwärtskamen. Der neben mir stampfte mir auf die Füße, aber ich merkte es nicht in der Hitze des Gesanges – erst nachher beim Aussteigen. Lustig war es auf jeden Fall. An der großen Kreuzung hatte ich alle Mühe, den vier Buben klarzumachen, dass ich nach Genua und nicht nach Mailand fahren wolle. Zum Abschied bekam ich ein Salamibrot.
In Italien war es ein Leichtes. Einmal hielten zwei Autos auf einmal an. Ich stieg dann dort ein, wo es mir besser gefiel, und nicht dort, wo ich schneller weiterkommen konnte. Ich hatte ja Zeit.
Ich kam an jenem Abend bis Padua, wo ich wieder einmal ein Haus zu suchen hatte. Das Haus lag weit draußen auf dem Land, und es war leider kein Haus, sondern ein Palast, das hatte ich vorher nicht gewusst.
Im Mondlicht stand ich vor dem Palast, blickte schaudernd durch die Kristalltüre in die Flut von Licht und Schönheit und überlegte, ob ich nicht lieber nebenan in den Agaven verschwinden solle, um dort den Sonnenaufgang unbemerkt zu erwarten. Da aber trat jemand in knallroter Livree und weißen Handschuhen heraus. Der Mensch stand in seiner Uniform da wie eine Kerze im Halter. Jetzt konnte ich nicht mehr anders. Ich übergab meinen Brief. Mir wurde etwas warm beim Erwarten der Dame. Man muss die italienischen Herrschaften kennen, um sich meine Wärme vorzustellen.
Die Dame sah so aus, wie sie es ihrem Namen schuldig ist. Sie hätte eigentlich recht menschlich ausgesehen, wenn ich nicht vor ihr gestanden wäre, mit Sack und Pack und in Hosen – man denke …
«So, und wie sind Sie denn hergekommen?» Ich stotterte irgendetwas, natürlich nicht die Wahrheit, sondern etwas vom Cousin, der weiterfahren musste. Vielleicht wurde ich rot dabei, denn sie fragte nicht weiter.
Ich bin erstaunt, wie einfältig ich an jenem Abend war. In der peinlichen Situation blieb uns beiden, die wir einander gegenüberstanden, nichts anderes übrig, als uns gegenseitig zu dulden. Am gleichen Abend folgte dann noch ein allseitiges Auftauen. Jedenfalls wurde ich zu einem weiteren Überfall auf meinem Rückweg eingeladen. Sie hat nämlich selber Kinder, die zu überfallen pflegen.
Früh am anderen Morgen brachte mich der Hofchauffeur zum Stadt- und Straßenrand. An jenem Tag stieg ich einige Male um. Einmal fuhr ich mit einem riechenden Fischtransport, mit dem ich gar nicht hatte fahren wollen, der aber, einer Intuition folgend, angehalten hatte. Der Fischtransporteur gab mir zwei rohe Fische mit auf den Weg, mich grauste ein wenig, später habe ich die Fische in einen Bach geworfen, sie schwammen aber nicht weiter, wahrscheinlich waren sie schon tot.
Die Poebene war heiß und staubig und kein Genuss für mich, schon gar nicht, weil ich dort mit jemand fuhr, der mich im Fahren oft in eigenartiger Weise anschaute. Jener Mensch litt an Kleiderüberfluss. Er war Damenkleiderfabrikant. Gerne hätte er mich an seinem Überfluss zehren lassen, das heißt, wenn ich mit ihm nach Mailand gefahren wäre. Aber ich wollte wirklich nicht nach Mailand fahren, schon gar nicht mit dem.
Ich fuhr durch einen Ort, wo es fast kühl war und wo es unpassenderweise hohe schattige Bäume gibt – mitten in der Poebene. Es ist dort überhaupt alles verkehrt, der Ort ist eben ein Kurort. Die reichen Mädchen tragen ausgefranste Hosen mit großen roten Flicken, und die armen Mädchen sind ordentlich angezogen.
Es war schon dunkel, als ich in das letzte Auto stieg. In jenem recht alten Vehikel saßen drei Schullehrer, die sangen ihre überschäumende Lebensfreude in die Welt, auf dass alle Mitbenützer der Straße mitgenießen sollten. Sie waren alle in Hemdsärmeln und Hosenträgern. Den Kragen hatten sie der Hitze wegen abgenommen und die Hemdknöpfe geöffnet, damit die Stimme herauskommen kann. Dem am stärksten Bestimmten diente ein langer Bart als Resonanz. Ich musste natürlich auch mitsingen und spielen, von meinem Instrument hörte man allerdings nichts, trotzdem sprang eine Saite. Von diesen drei Schulmeistern wurde ich in väterlicher Weise auf einen Abweg, ich will sagen ab vom Weg geführt zu einem Kollegen, wo ich übernachten sollte. Der Professor, bei dem ich für eine Nacht wohnte, unterrichtet Deutsch. Ich musste also Deutsch mit ihm sprechen. Sein Thema war Goethe. So gut es ging, schwärmte ich bis Mitternacht mit. Die Frau Professor verstand uns nicht, aber sie hörte uns aufmerksam zu und strahlte immer, wenn ihr Mann die schwierigen fremden Laute von sich gab. Die Frau Professor gab mir einen Apfel und einen Panettone mit auf mein letztes Stück Europa. – Der Letzte, der mich mitnahm, war ein Flugzeugfabrikant. Das Blickfeld jenes...




