E-Book, Deutsch, 420 Seiten
Axel / Dobrovolny-Mühlenbach / Jacob Tanz im Zwielicht
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-8652-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erzählungen
E-Book, Deutsch, 420 Seiten
ISBN: 978-3-7562-8652-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein cleveres Diebinnenduo wird bei seinen Raubzügen begleitet. Wie weit gehen die beiden Frauen? Werden sie am Ende überführt oder gelingt es ihnen sich aus der Affäre zu ziehen? Onkel Willibalds exotische Geschenke kommen zur Sprache. In einer kurzen Erzählung geht es um Rumba und eine Tanzgruppe. Lassen Sie sich berichten, wie man nachts ein Telegramm aufgibt. Von einem fernen, unbekannten Vater, der in Westdeutschland lebt, kann man erfahren. Der Sohn selbst wohnt in der DDR. Ein Tagebuch aus der Schweiz erzählt über Lebenswege und die Erfahrungen der Coronazeit im Jahr 2021, aber auch Bergwanderungen und musikalische Auftritte. Sichtbar werden die psychologischen Bruchlinien zwischen Geimpften und Ungeimpften. Am Ende findet man sich auf einer Demonstration gegen die schweizerischen Maßnahmen wieder. Der Leser ist gefordert sich dem zu stellen, mit seinem Weltbild abzugleichen. Welche Konflikte zwischen Lehrern entstehen können, die Flüchtlinge in deutscher Sprache unterrichten, wird aufgezeigt. Ein literarischer Spaziergang durch die Mark Brandenburg und Fontanes Leben ist zu finden.
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Hans Sonntag Der ferne, unbekannte Vater
Hallo, lieber Vater, lange haben wir uns nicht mehr gesehen, aber jetzt endlich haben wir Zeit, viel Zeit, um miteinander in aller Ruhe zu sprechen! Vor allem möchte ich gern von dir erfahren, wo die Wurzeln deiner elterlichen Familie zu finden sind, in Schlesien, in Breslau oder in einer anderen östlichen Gegend? Ich weiß absolut nichts über meine Urgroßeltern, welchen Beruf sie ausübten, wo sie lebten und arbeiteten, welcher Gesellschaftsklasse sie angehörten und ebenso über meine Großeltern, also über deine Eltern, weiß ich nur ganz wenig. Sie hatten eine Lederfirma, ein Ledergeschäft oder was auch immer in Breslau und besaßen eine schöne Wohnung am Sonnenplatz, in der du dein Zuhause hattest. Mit meinem vierjährigen Sohn Stephan, deinem Enkelkind, suchte ich 1971 nach diesem Haus in Wroclaw, aber das gesamte Wohnhausareal um den Sonnenplatz war gar nicht mehr vorhanden. Es gab nur unbebaute Flächen, keine Bäume, keine Bänke, nur eine bedrückende Leere, ich fand keinerlei Anhaltspunkte von deinem einstigen Lebensumfeld. Der Krieg hatte alles ausradiert, aber deine Eltern wurden noch rechtzeitig evakuiert, bevor die Stadt zur „Festung“ erklärt wurde? Sie landeten per Zug in der Nähe der holländischen Grenze? Warst du bei Ihnen, hast du ihnen behilflich sein können, denn viele Dinge konnten sie wohl sicherlich nicht mitnehmen, oder? Meine Frau Ursula hat deine Mutter 1969 oder 1970 noch kennengelernt, als sie wegen einer zeitlich begrenzten Invalidität, für kurze Zeit zu euch in den Westen reisen durfte. Aber dein Vater, Richard, lebte schon nicht mehr. Ich durfte natürlich nicht mit meiner jungen, invaliden Ehefrau in dem Westen reisen. Eigentlich unmenschliche Verhältnisse, in denen wir lebten, oder? Also, machen wir es uns in der paradiesischen Himmelswolke über dem vereinten freiheitlich-demokratischen Deutschland gemütlich und sprechen über Menschen, von denen ich fast nichts weiß. Meine Mutter erzählte mir höchstens in zehn Sätzen etwas über deinen generösen und charmanten Vater, der sehr von ihrem natürlichen, offenen und herzlichen Wesen angetan war. Sie war aber damals offenbar noch nicht mit dir verheiratet, als sie nach Breslau reiste, um sich deinen Eltern vorzustellen. Sie war eine schlanke, bildschöne junge Frau, war an Literatur und Musik sehr interessiert und arbeitete als zahnärztliche Helferin in einer Zahnarztpraxis in Meißen. Ihre Sachen nähte sie meistens selbst auf der Nähmaschine ihrer Mutter, meiner späteren Großmutter Charlotte. Richard, dein Vater, hatte offenbar nichts dagegen, dass du sie heiraten wolltest. Und wie reagierte deine Mutter auf diese junge Frau, die damals schon ein uneheliches Kind von zwei Jahren hatte, gezeugt von einem bereits verheirateten Mann? Wie oft war sie eigentlich bei euch in Breslau? Sie erzählte mir nur, dass dein Vater rechtzeitig einen Platz im Zug von Breslau nach Dresden besetzte, obwohl ihr beide noch gar nicht auf dem Bahnhof gewesen seid. Vielleicht war sie damals schon schwanger mit mir von dir? Er hatte vermutlich Bedenken, dass sie vielleicht keinen Sitzplatz finden könnte? Ich habe immer gehofft, dass ich dich im Jenseits finden würde und zwar nicht im Fegefeuer und nicht in der Hölle, sondern im Himmelsparadies der Engel und so ist es nun auch gekommen, wobei ich etwas älter wurde als du geworden bist, obwohl ich stets meinte, dass ich niemals so alt wie du werden würde. Als du von der Welt gehen musstest, war ich nicht bei dir und du hast auch nicht darum gebeten, mich noch einmal zu sehen. Als meine Mutter, also deine erste Ehefrau, mit 51 Jahren verstarb, war ich auch nicht bei ihr, dafür aber mein Halbbruder als Arzt, der sie noch selbst operiert hatte, aber ohne Erfolg. Hast du eigentlich in Breslau das Abitur abgelegt? Hast du eine Berufslehre absolviert oder hast du irgendwo studiert, denn du hast dich später als Ingenieur in deinen Briefen benannt? Wann wurdest du zur Wehrmacht eingezogen und wieso wurdest du in Meißen an einer militärischen Dolmetscherschule ausgebildet? Hattest du die Sprachen Russisch, Englisch und Französisch belegt? Später erfuhr ich durch Kartengrüße von dir, dass du sehr oft in Frankreich warst. Deine bunten Karten kamen immer korrekt in Meißen an, also wussten doch gewisse Leute, dass ich einen Vater hatte, der in Westdeutschland lebt und eine Lederfirma besitzt, denn du hast auch aus der Türkei geschrieben, als du dort Leder ankauftest. Aber was hast du während des Krieges gemacht, warst du als Dolmetscher eingesetzt, warst du an der Front im Einsatz? Ich weiß, dass du in sowjetischer Gefangenschaft warst und das sogar ziemlich lange, aber wann und wo bist du in Gefangenschaft geraten? Ich habe nur erfahren, dass du eine Antifaschule in der Sowjetunion besuchtest und dass du später in die Sowjetische Besatzungszone entlassen wurdest. Sicherlich hast du die russische Sprache beherrscht. Aber nie hast du darüber mit mir gesprochen, denn ich habe auch ganz gut Russisch gesprochen, selbst noch an der Uni in Leipzig, aber später habe ich mich intensiv mit der polnischen Sprache beschäftigt, denn mich nervte es, dass ich keine Schreibmaschine mit kyrillischen Buchstaben besaß, das heißt man musste alles per Hand schreiben. Polnisch konnte ich auf der Schreibmaschine schreiben, nur die „Besonderheiten“ musste ich per Hand einsetzen. Dass wir in Meißen auch die englische Sprache in der Volkshochschule lernten, hat dich eigentlich wenig interessiert, aber wir hatten Freunde in England, die uns auch in Meißen besuchten und da war es sehr gut, dass wir uns sprachlich verständigen konnten. Aber du hast niemals über diese Dolmetscherschule in Meißen gesprochen, warum nicht? Du hast mich während eines Fronturlaubs zwischen Weihnachten und Neujahr 1943 in Meißen oder aber in Breslau gezeugt. Du machtest dieser jungen Frau, mitten im Krieg, ein weiteres Kind, weshalb hast du nicht verhütet? Wie sollte eine junge Frau mit zwei Kindern von zwei verschiedenen Männern im Krieg existieren können? War das nicht verantwortungslos von dir? Wolltest du absichtlich ein Kind zeugen, sollte etwas von dir bleiben, falls du im Krieg sterben würdest? Wie hast du Abschied genommen von deiner jungen Frau? Hast du dir einmal überlegt, was mit deiner Frau und ihren zwei kleinen Kindern passieren könnte, wenn du im Krieg gefallen wärst? War dir das egal oder hattest du Gewissensbisse? Gab es mich schon im Uterus deiner Frau? Wusstest du davon? Ich weiß nichts von den damaligen konkreten Verhältnissen, in denen ihr lebtet. Nach Ende des Krieges warst du verschwunden von der Bildfläche, dein Name erschien weder in den Listen der Gefallenen in der Sowjetunion noch in den Verzeichnissen der Vermissten. Irgendwann sagtest du mir, dass du von meiner Existenz gewusst hättest, aber von wem, wodurch und wann? So blieben eben meine Fragen unbeantwortet. Als du aus der Gefangenschaft zurückgekommen bist, standest du vor der Tatsache, dass deine Ehefrau mit einem Jugendfreund zusammenlebte. Sie sollte selbst entscheiden, mit welchem Mann sie ihr Leben fortsetzen wollte. Sie entschied sich für den Jugendfreund und du warst plötzlich allein. Die Wohnung in der Fleischergasse 6 in Meißen lief im Adressverzeichnis bis 1950 unter deinem Namen und als Beruf wurde Lederhändler angegeben. Aber hast du je in dieser Wohnung gelebt? Die Möbel stammten von dir, denn sie existierten bereits in zwei anderen Wohnungen, in der du mit deiner Frau zuvor gelebt hast. Irgendwann verschwandest du aus unserem Leben, keiner wusste, wo du bist und was du arbeitest. Eure Ehe wurde geschieden und du lerntest in der Lausitz eine andere Frau kennen, die schon zweimal verheiratet gewesen war und eine Tochter und einen Sohn hatte. Beide Kinder habe ich erst 1988 bzw. 2006 als Erwachsene zum ersten Mal gesehen. Die Familienverhältnisse waren höchst kompliziert und undurchschaubar und somit tabu für Fragen. Wir erlebten dich zu deinem 70., 71., 72. und 73. Geburtstag im Westen, aber wir haben nie über die Vergangenheit gesprochen, auch wenn wir nur zu zweit waren beim Rauchen im Vorgarten. Als meine Mutter 1974 verstarb hast du uns Geld für einen Grabstein überwiesen, aber du hast nie gefragt, wie und woran sie gestorben ist. Obwohl ich nach dem Abitur einen Beruf als Industrieschneider erlernte und alle Sachen für meine Familie selbst nähte, unter anderem auch eine Lederhose für unseren Sohn, hast du mich nie gefragt, ob ich Lust hätte, bei dir in der Firma mitarbeiten zu wollen. Und ich habe dich auch diesbezüglich nie danach gefragt, denn wir hatten das Gefühl, dass wir eigentlich nicht wirklich Teil eurer gegenwärtigen Familie sein können, auch wenn du uns zum Geburtstag und zu Weihnachten herrliche Geschenke sandest. Auch wenn viele Briefe geschrieben wurden, blieb eine unerklärliche Distanz zwischen uns bestehen. Etliche Male haben wir uns in Ostberlin getroffen, aber persönlich näher sind wir uns auch nicht gekommen. Du hattest damals einen „verschlossenen“ Charakter, zu dem mir der Schlüssel fehlte. Sicherlich hattest du mit deiner Familie Probleme zu lösen, von denen ich überhaupt keine Ahnung hatte. Dein Sohn Rainer, mein...




