Behnke / Decker / Grotz | Reform des Bundestagswahlsystems | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 206 Seiten

Behnke / Decker / Grotz Reform des Bundestagswahlsystems

Bewertungskriterien und Reformoptionen

E-Book, Deutsch, 206 Seiten

ISBN: 978-3-86793-831-0
Verlag: Verlag Bertelsmann Stiftung
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Die Bundestagswahl 2017 hat gezeigt: Das Wahlsystem für den Deutschen Bundestag bedarf dringend einer erneuten Reform. Das im Jahr 2013 zuletzt reformierte Bundestagswahlgesetz gilt als zu kompliziert und intransparent, ist nur noch für Experten verständlich und kann zu unkontrollierten Vergrößerungen des Deutschen Bundestages führen. Bei der Bundestagswahl 2017 ist die Zahl der Abgeordneten von 598 auf 709 angestiegen – eine unnötige Vergrößerung des Parlaments, die durch eine rechtzeitige Reform des Wahlrechts vermeidbar gewesen wäre. Aber wie könnte eine nachhaltige Reform des Wahlsystems aussehen? Welchen Kriterien müsste es genügen und welche Reformoptionen stehen zur Verfügung? Auf diese Fragen gibt die vorliegende Publikation "Reform des Bundestagswahlsystems" Antworten und diskutiert konkrete Vorschläge für eine nachhaltige Wahlsystemreform.
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II.Kriterien und Ansatzpunkte einer nachhaltigen Wahlsystemreform
Florian Grotz »Nicht einmal eine Handvoll Abgeordneter des Deutschen Bundestages ist in der Lage, unfallfrei die Mandatsberechnung zu erklären« (Sturm 2015). Diese pointierte Äußerung von Bundestagspräsident Lammert veranschaulicht die Überkomplexität des aktuellen Wahlsystems und verweist zugleich auf offensichtlichen Reformbedarf. Doch auch die Diskussion über entsprechende Reformalternativen hat inzwischen einen Komplexitätsgrad erreicht, der nicht nur die Normalbürger, sondern auch die meisten Volksvertreter zu überfordern scheint. Vor diesem Hintergrund liegt eine vermeintlich einfache Lösung nahe: das geltende Wahlrecht radikal zu vereinfachen und bspw. ein reines Verhältniswahlsystem mit Parteilisten einzuführen, wie es bei der Wahl der deutschen Europaabgeordneten zur Anwendung kommt (Grotz und Weber 2016). Dagegen würde sich jedoch massiver Widerstand formieren – und das zu Recht. Denn die personalisierte Verhältniswahl mit Sperrklausel hat sich hierzulande grundsätzlich bewährt. Diese Ansicht teilen nicht nur die meisten Wahlrechtsexperten im In- und Ausland (Nohlen 2014: 394 ff.), sondern auch weite Teile der deutschen Politik und Öffentlichkeit. Wie in Kapitel I deutlich wurde, sind es nur ganz bestimmte Wirkmechanismen des Bundestagswahlsystems, die als problematisch gelten. Die meisten anderen Effekte, die dieses System kontinuierlich hervorgebracht hat, möchte man offenbar nicht missen. Nur so ist zu erklären, dass im gesamten Reformprozess seit 2008 nennenswerte Alternativen in Richtung Mehrheitswahl, aber auch andere Formen der Verhältniswahl so gut wie keine Rolle gespielt haben (Grotz 2012). Stattdessen herrschte schon früh ein breiter Konsens unter den Bundestagsparteien, dass die vom Bundesverfassungsgericht monierten Probleme durch einen »minimalinvasiven« Eingriff in das bestehende Wahlgesetz beseitigt werden sollten (Lübbert, Arndt und Pukelsheim 2011: 427). Unsere Untersuchung knüpft insofern daran an, als sie nur Reformoptionen in den Blick nimmt, die die Grundstruktur der personalisierten Verhältniswahl unberührt lassen (Kapitel I). Alles andere würde weder auf politische Akzeptanz stoßen noch der jahrzehntelangen Erfolgsgeschichte der personalisierten Verhältniswahl Rechnung tragen. Allerdings vermeiden wir es im Folgenden, von einem minimalinvasiven Eingriff zu sprechen, da dies kein hinreichender Qualitätsmaßstab für eine erfolgreiche Reform ist. »Minimalinvasiv« charakterisiert lediglich die Vorgehensweise bzw. den Umfang einer Wahlrechtsänderung, nicht jedoch ihre inhaltliche Substanz. Die Reform des Bundeswahlgesetzes von 2013 war zwar minimalinvasiv, doch deswegen noch nicht gelungen. Auch in der bisherigen Reformdiskussion wurden zahlreiche Vorschläge unterbreitet, die sowohl minimalinvasiv zu sein scheinen als auch jeweils für sich überzeugend wirken. Aber welcher dieser Vorschläge wäre die beste Alternative zum aktuellen Bundestagswahlrecht – und in welchen Hinsichten? Diese Frage steht im Zentrum der vorliegenden Studie. Bevor jedoch konkrete Alternativen auf ihre Stärken und Schwächen geprüft werden können, muss geklärt werden, worin das genaue Ziel einer erfolgreichen Reform bestehen kann und soll. Aus unserer Sicht ist eine erneute Reform des Bundestagswahlsystems dann erfolgreich, wenn sie zwei Qualitätsmerkmale aufweist. Zum einen sollte die gefundene Lösung die Defizite des aktuellen Wahlsystems beseitigen, ohne andere normativ erwünschte Auswirkungen zu beeinträchtigen oder neue Funktionsprobleme zu erzeugen. Zum anderen sollte sie sowohl für die politischen Parteien als auch für die Wählerschaft akzeptabel sein. Wenn beides der Fall ist, gäbe es auf absehbare Zeit weder inhaltliche noch politische Gründe, die Reformdebatte fortzusetzen oder gar eine erneute Reforminitiative zu starten. So käme »das deutsche Wahlrecht, zumindest was seinen Kern, das Sitzzuteilungsverfahren, anbelangt, [wirklich] zur Ruhe« (Strohmeier 2013a: 160). Eine solche Lösung muss nicht unbedingt die beste sein, die man sich theoretisch vorstellen kann. Unter den gegebenen Umständen wäre sie gleichwohl die bestmögliche Option, da sie dem Wahlrecht zum Deutschen Bundestag wieder substanzielle Stabilität und damit größere Legitimität verleihen würde. Diese übergeordnete Zielsetzung bezeichnen wir als nachhaltige Wahlsystemreform. Eine nachhaltige Änderung des Bundestagswahlsystems ist alles andere als einfach, wie der bisherige Reformverlauf zeigt. Gleichwohl scheint sie noch immer möglich. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist, dass die in der Diskussion befindlichen Reformoptionen anhand eines einheitlichen Kriterienkatalogs vergleichend evaluiert werden. Auf dieser Basis könnte dann eine fundierte politische Entscheidung über ein nachhaltiges Wahlsystem getroffen werden. Dieses Kapitel erläutert die konzeptionell-theoretischen Grundlagen für eine solche vergleichende Evaluation. Der folgende Abschnitt zeigt zunächst auf, welche allgemeinen Kriterien für die Bewertung von Wahlsystemen existieren und was zu beachten ist, wenn sie auf konkrete Reformkontexte angewendet werden (1.). Daraufhin wird ein Kriterienkatalog für den bundesdeutschen Kontext vorgestellt, der zur systematischen Beurteilung unterschiedlicher Reformvorschläge herangezogen werden kann (2.). Abschließend wird gezeigt, an welchen institutionellen Stellschrauben eine Änderung des aktuellen Wahlsystems ansetzen könnte (3.). Dieser Abschnitt leitet zugleich über zur Darstellung der ausgewählten Reformoptionen in den nachfolgenden Kapiteln. 1. Die Bewertung von Wahlsystemen: allgemeine Kriterien und ihre Anwendung
Die Frage, welche Funktionen ein Wahlsystem in der repräsentativen Demokratie erfüllen soll, wird seit Langem kontrovers diskutiert. Dazu gibt es zwei normative Grundpositionen. Verfechter der Mehrheitswahl sind in der Regel der Ansicht, dass ein Wahlsystem die Konzentration des parlamentarischen Parteiensystems befördern und so zur Bildung von Einparteienregierungen oder zumindest kleinen Mehrheitskoalitionen führen soll, was wiederum die Effizienz und die Effektivität des demokratischen Regierungssystems steigert. Befürworter der Verhältniswahl argumentieren dagegen, dass ein Wahlsystem insofern gerechte Ergebnisse hervorbringen soll, als es die Stimmenanteile der einzelnen politischen Gruppierungen möglichst proportional in Mandatsanteile überführt, damit die gesellschaftliche Vielfalt gleichsam spiegelbildlich im Parlament abgebildet wird. Bei Wahlsystemreformen in etablierten Demokratien geht es jedoch meist nicht um die normative Grundentscheidung Mehrheitsoder Verhältniswahl, sondern um eine spezifische Verbesserung des bestehenden Systems (Renwick 2010 und 2011). Solche gezielten Reformen werden dadurch möglich, dass Wahlsysteme sehr differenziert gestaltet werden können. Theoretisch kann man jedem Wahlsystemelement eine bestimmte Wirkung zuweisen, die wiederum durch die Verknüpfung mit anderen Elementen verstärkt oder konterkariert werden kann. So lassen sich auch komplexere Wahlsysteme konstruieren, die mehrere Funktionsanforderungen zugleich erfüllen können und sollen. Vor diesem Hintergrund hat Dieter Nohlen (2014: 185 ff.) fünf allgemeine Kriterien identifiziert, die in der internationalen Debatte zur Bewertung von Wahlsystemen herangezogen werden: (1) Repräsentation. Gemeint ist damit zum einen eine faire Repräsentation im Sinne des Verhältniswahlprinzips, d. h. ein Wahlsystem sollte das Wählervotum unverfälscht wiedergeben, indem es die Stimmenanteile für die Parteien bzw. Kandidaten möglichst proportional in Mandatsanteile überführt. Zum anderen sollte es auch eine angemessene Vertretung relevanter gesellschaftlicher Gruppen befördern (z. B. parlamentarische Repräsentation von Frauen oder ethnischen Minderheiten). (2) Konzentration. Dieses Kriterium basiert auf dem zentralen Argument der Mehrheitswahlbefürworter. Ein Wahlsystem soll demnach zu einem konzentrierten parlamentarischen Parteiensystem führen und so idealerweise zur Bildung einer mehrheitsfähigen Einparteienregierung beitragen, was wiederum – so die theoretische Erwartung – eine effiziente und effektive Politikgestaltung ermöglicht. (3) Partizipation. Hier geht es nicht um politische Beteiligung an sich, sondern um die Möglichkeiten des Wählers, seinen Willen differenziert zum Ausdruck zu bringen. Konkret ist bspw. gemeint, dass die Bürger nicht nur über die parteipolitische Ausrichtung des Parlaments entscheiden, indem sie zwischen starren Listen auswählen, sondern auch die personelle Zusammensetzung der Abgeordneten beeinflussen können, indem sie ihre Präferenzen für bestimmte Kandidaten in Wahlkreisen und/oder innerhalb von Parteilisten zum Ausdruck bringen. Dies sollte zu einer engeren Bindung zwischen...


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