E-Book, Deutsch, Band 2, 160 Seiten
Carroll Alice im Wunderland
3. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8438-0723-4
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neue Übersetzung von Nadine Erler
E-Book, Deutsch, Band 2, 160 Seiten
Reihe: Neue Klassiker der Weltliteratur
ISBN: 978-3-8438-0723-4
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Charles Lutwidge Dodgson alias Lewis Carroll (1832-1898) zählt zu den bekanntesten Schriftstellern des viktorianischen Zeitalters. Mit »Alice´s Adventures in Wonderland« und »Througt the Looking-Glass, and What Alice Found There« schuf er Weltliteratur. Der Sohn eine Pfarrers studierte Mathematik, Theologie und Klassische Literatur in Oxford (Christ Church) und war dort nach dem Studium als Tutor für Mathematik angestellt. Die Idee zu den Alice-Geschichten kam ihm während eines Ausflugs an der Themse mit der kleinen Alice Pleasance Liddell und ihren Geschwistern. Neben den Alice-Geschichten zählen Gedichte, mathematische Schriften und Rätselbücher sowie der Roman »Sylvie and Bruno« zu Carrolls Werk. Er starb im Januar 1898 an den Folgen einer Lungenentzündung.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1: Im Kaninchenbau | Kapitel 2: Das Tränenmeer | Kapitel 3: Ein Fraktions-Rennen und eine lange Erzählung | Kapitel 4: Das Kaninchen schickt den kleinen Bill | Kapitel 5: Der Rat einer Raupe | Kapitel 6: Schwein und Pfeffer | Kapitel 7: Eine verrückte Teegesellschaft | Kapitel 8: Der Krocketplatz der Königin | Kapitel 9: Die Geschichte der Ersatzschildkröte | Kapitel 10: Die Hummer Quadrille | Kapitel 11: Wer hat die Törtchen gestohlen | Kapitel 12: Alices Aussage
KAPITEL 1:
IM KANINCHENBAU
Alice hatte es satt, neben ihrer Schwester auf der Bank zu sitzen und nichts zu tun zu haben. Ein oder zwei Mal hatte sie einen verstohlenen Blick in das Buch geworfen, das ihre Schwester las, aber es waren keine Bilder und auch keine Worte darin. Und wozu braucht man ein Buch, dachte Alice, ohne Bilder oder Worte? Sie überlegte (so gut sie konnte, denn die Hitze des Tages machte sie sehr schläfrig und denkfaul), ob es sich lohnte, für das Flechten einer Gänseblümchenkette aufzustehen und die Blumen zu pflücken, als plötzlich ein weißes Kaninchen mit roten Augen an ihr vorbei rannte.
Das war eigentlich nichts Besonderes, und Alice fand es auch gar nicht so abwegig, das Kaninchen zu sich selbst sagen zu hören: »O je! O je! Ich bin spät dran!« (Als sie später darüber nachdachte, kam ihr in den Sinn, dass sie sich darüber hätte wundern müssen, aber zu dem Zeitpunkt erschien ihr alles ganz natürlich), doch als das Kaninchen tatsächlich eine Uhr aus seiner Westentasche nahm, einen Blick darauf warf und dann weiter eilte, sprang Alice auf die Füße, denn ihr schoss durch den Kopf, dass sie nie zuvor ein Kaninchen mit einer Westentasche oder einer Uhr gesehen hatte. Sie brannte vor Neugier und rannte ihm querfeldein hinterher. Glücklicherweise sah sie gerade noch, wie es in dem großen Loch eines Kaninchenbaus unter der Hecke verschwand.
Im nächsten Augenblick folgte Alice ihm, ohne einen Gedanken daran, wie in aller Welt sie wieder hinaus kommen sollte.
Der Kaninchenbau verlief zunächst wie ein Tunnel und dann ging es plötzlich bergab, so plötzlich, dass Alice nicht rechtzeitig stehen bleiben konnte und in die Tiefe stürzte.
Entweder war der Schacht sehr tief oder sie fiel sehr langsam, denn sie hatte während des Falls reichlich Zeit, sich umzusehen und sich zu fragen, was als nächstes passieren würde. Anfangs versuchte sie, zu erkennen, was auf sie zukam, aber es war zu dunkel, um etwas zu sehen. Dann sah sie sich die Mauern des Schachtes an und merkte, dass dort Schränke und Bücherregale standen, hier und da sah sie Landkarten und Bilder, die an Haken hingen. Im freien Fall nahm sie aus einem der Regale ein Glas, auf dem »Orangenmarmelade« stand, aber zu ihrer großen Enttäuschung war es leer. Sie ließ das Glas nicht fallen, weil sie fürchtete, jemanden damit zu erschlagen, und schaffte es, es in einen der Schränke zu stellen, während sie weiter in die Tiefe sank.
Also, dachte Alice, nach so einem Sturz wird es mir nichts mehr ausmachen, eine Treppe hinunter zu fallen! Wie mutig mich zu Hause alle finden werden! Ich werde kein Wort mehr darüber verlieren, nicht einmal, wenn ich vom Dach fallen sollte! (Das stimmte höchstwahrscheinlich.)
Abwärts, abwärts, abwärts. Hatte dieser freie Fall denn nie ein Ende?
»Ich frage mich, wie viele Meilen ich schon zurückgelegt habe?«, sagte sie laut. »Ich muss mich dem Mittelpunkt der Erde nähern. Mal sehen – das wären viertausend Meilen nach unten, glaube ich«, (Alice hatte darüber nämlich einiges im Unterricht gelernt, und obwohl dies keine gute Gelegenheit war, ihr Wissen zur Schau zu stellen, weil sie ja keine Zuhörer hatte, war es doch eine gute Übung, es aufzusagen), »ja, das ist ungefähr die richtige Entfernung – aber dann frage ich mich, bei welchem Breitengrad oder Längengrad ich angekommen bin?« (Alice hatte keine Ahnung, was Breitengrade oder Längengrade waren, aber sie fand, dass die Worte beeindruckend klangen.)
Jetzt fing sie wieder an. »Ich frage mich, ob ich wohl durch die Erde hindurch falle! Es wird lustig sein, bei den Leuten heraus zu kommen, die mit dem Kopf nach unten gehen! Die Antipathien, glaube ich –« (diesmal war sie recht froh, dass niemand zuhörte, denn das Wort klang ganz und gar nicht richtig), »aber ich muss sie fragen, wie das Land heißt. ›Bitte, Ma’am, ist das hier Neuseeland oder Australien?‹« (Und sie versuchte, bei diesen Worten einen Knicks zu machen – stell Dir vor, einen Knicks zu machen, während du dich im freien Fall durch die Lüfte befindest! Glaubst Du, Dir würde das gelingen?) »Und sie werden mich für ein unwissendes kleines Mädchen halten, weil ich danach frage! Nein, es ist besser, nicht zu fragen – vielleicht sehe ich es irgendwo geschrieben!«
Abwärts, abwärts, abwärts. Es gab nichts zu tun, also begann Alice bald wieder zu reden.
»Dinah wird mich heute Abend sehr vermissen, glaube ich!« (Dinah war die Katze.) »Ich hoffe, dass sie daran denken, ihr zur Teezeit ihr Schüsselchen Milch zu geben. Dinah, meine Liebe! Ich wünschte, du wärst bei mir hier unten! Es sind keine Mäuse in der Luft, fürchte ich, aber vielleicht fängst du eine Fledermaus, und das ist fast so gut wie eine Maus, nicht wahr?« Und hier wurde Alice langsam sehr schläfrig. Sie sprach weiter verträumt vor sich hin: »Fressen Katzen Fledermäuse? Fressen Katzen Fledermäuse?« und manchmal: »Fressen Fledermäuse Katzen?« Da sie keine der beiden Fragen beantworten konnte, spielte es keine große Rolle, wie sie sie stellte. Sie fühlte, wie sie langsam einschlief, und hatte gerade begonnen zu träumen, dass sie Hand in Hand mit Dinah ging und sehr ernst sagte: »Nun, Dinah, sag mir die Wahrheit: Hast du jemals eine Fledermaus gefressen?«, als sie plötzlich – plumps! – auf einem Haufen aus Zweigen und trockenen Blättern landete und der Sturz vorbei war.
Alice war unversehrt und sprang sofort wieder auf die Füße. Sie blickte auf, aber über ihr war es stockdunkel. Vor ihr lag wieder ein langer Gang und das Weiße Kaninchen war immer noch in Sichtweite, als es den Gang hinunter rannte. Es war keine Zeit zu verlieren. Alice sauste davon wie der Wind und kam gerade noch rechtzeitig, um das Kaninchen, das gerade um eine Kurve bog, sagen zu hören: »Oh, meine Ohren und mein Schnurrbart, es wird spät!« Sie war ihm dicht auf den Fersen, aber als sie um die Kurve bog, war das Kaninchen nicht mehr zu sehen. Sie fand sich in einer langen niedrigen Halle wieder, die von einer Reihe Lampen beleuchtet wurde, die von der Decke herabhingen.
Rund um die Halle befanden sich Türen, aber alle waren abgeschlossen. Nachdem Alice links und rechts an der Wand entlang gegangen war und an allen Türen gerüttelt hatte, schlug sie bekümmert den Mittelweg ein und fragte sich, wie sie wieder hinaus kommen sollte.
Plötzlich stieß sie auf einen kleinen dreibeinigen Tisch aus solidem Glas. Nichts lag darauf außer einem winzigen goldenen Schlüssel und Alices erster Gedanke war, dass er zu einer der Türen der Halle gehörte. Aber ach! Entweder waren die Schlüssellöcher zu groß oder der Schlüssel zu klein – jedenfalls konnte sie keine Tür damit aufschließen. Beim zweiten Versuch jedoch entdeckte sie einen niedrigen Vorhang, den sie zuvor nicht bemerkt hatte, und dahinter befand sich eine kleine Tür, nur etwa fünfzehn Zoll hoch. Sie probierte den kleinen goldenen Schlüssel aus und zu ihrer großen Freude passte er!
Alice öffnete die Tür und stellte fest, dass sie zu einem winzigen Gang führte, der nicht viel größer war als ein Rattenloch. Sie kniete nieder und sah durch den Gang den schönsten Garten, den man sich vorstellen kann. Sie wünschte sich sehnlichst, aus der dunklen Halle hinaus zu kommen und zwischen den bunten Blumenbeeten und kühlen Springbrunnen spazieren zu gehen, aber sie bekam nicht einmal ihren Kopf durch die Tür. Und selbst wenn mein Kopf hindurch passen würde, dachte die arme Alice, würde mir das nichts nützen ohne meine Schultern. Oh, ich wünschte, ich könnte schrumpfen wie ein Teleskop! Ich glaube, ich könnte es, wenn ich nur wüsste, wie man anfängt! Denn in letzter Zeit war so viel Seltsames passiert, dass Alice nur noch sehr wenige Dinge für unmöglich hielt.
Es schien ihr sinnlos, bei der kleinen Tür zu warten, also ging sie zurück zum Tisch und hoffte halbwegs, einen weiteren Schlüssel darauf zu finden oder wenigstens ein Buch mit einer »Schrumpfen wie ein Teleskop«-Anleitung. Diesmal fand sie eine kleine Flasche auf dem Tisch (»Die war vorher noch nicht da«, sagte Alice). Am Flaschenhals klebte ein Schild mit der Aufschrift »TRINK MICH« in schönen großen Druckbuchstaben.
Man konnte leicht sagen »Trink mich«, aber die kluge kleine Alice hatte nicht vor, etwas zu überstürzen. »Nein, ich sehe erst nach«, sagte sie, »ob ›Gift‹ darauf steht oder nicht«, denn sie hatte einige nette kleine Geschichten über Kinder gelesen, die sich verbrannt hatten oder von wilden Tieren gefressen worden waren und andere schreckliche Dinge erlebt hatten – und das alles nur, weil sie nicht an die einfachen Regeln gedacht hatten, die sie von ihren Freunden gelernt hatten – zum Beispiel, dass man sich an...




