E-Book, Deutsch, 0 Seiten
Coney Neptuns Hexenkessel
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-641-15079-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
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ISBN: 978-3-641-15079-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Planet namens Sturm ist fast ganz von einem Ozean bedeckt. Nur einige winzige Inseln ragen aus dem Meer, heftige Orkane fegen über das Wasser, Vulkane speien Lava und Schwefel. Tyg Brood ist auf der Flucht, obwohl er kein Verbrechen begangen hat: Sein Klonbruder Francis ist wegen Mordes verurteilt worden, und nach den Gesetzen ist der geklonte Bruder ebenfalls schuldig. Tyg bleibt nur, Francis‘ Unschuld zu beweisen, bevor er selbst gefasst wird. Doch auf Sturm hat er keine Hilfe zu erwarten. Die Tadda – amphibische Humanoide – hassen die Menschen, weil sie von einem Menschen ausgebeutet werden: König Kaiman, der mit seinem riesigen Frachtschiff die Kelp-Wälder der Wasserwelt abbaut. Auf Kaimans Schiff kam Francis ums Leben. Tyg wagt sich an Bord, doch es scheint niemand an der Aufklärung des Mordes interessiert zu sein. Überall stößt er auf Schweigen und Ablehnung. Tygs Wettlauf gegen die Zeit wird immer aussichtsloser, und seine Verfolger sind ihm dicht auf den Fersen …
Michael Coney wurde 1932 in Birmingham geboren und besuchte die King Edward's School. Er wurde zunächst Buchhalter, übte dann eine Reihe unterschiedlicher Berufe aus: Unter anderem betrieb er ein Pub in Devon, später leitete er ein Hotel auf der Karibikinsel Antigua. Anfang der Siebzigerjahre siedelte er mit seiner Familie nach Kanada über und wurde Feuerwächter der Columbia Forestry Commission. Seit 1966 schrieb er Science Fiction, mit seinen grandiosen Schilderungen außerirdischer Welten wurde er schnell zu einem der zentralen Autoren der Siebziger und Achtziger. Die beiden „Pallahaxi“-Romane gelten als seine bedeutendsten Werke. Michael Coney starb 2005 an Krebs.
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2. Kapitel
Als das Gefühl zurückkehrte, wurde es von Schmerzen begleitet. Ich drehte mich hin und her und versuchte, starken Fingern zu entgehen, die irgendetwas mit meinem verletzten Arm anstellten. Ich schlug die Augen auf und sah dicht über mir das Profil eines Gesichts. Ein trübes Auge lag tief in der Höhlung über der fleischigen Wange. Die Nase war flach, und die Kieferkonturen deuteten darauf hin, dass der Betreffende zu viel Nahrung zu sich nahm. Unter dem Kiefer – und ich schluckte, als bei dem Anblick jähe Übelkeit in mir emporstieg – haftete das Gewebe einer fransigen Membran. Faltig und runzlig war sie, von dicken Adersträngen durchzogen; sie reichte über die breiten Schultern und stank nach verwesendem Fisch.
In gutem Stelingua fragte das Wesen: »Wie fühlen Sie sich?«
Ich versuchte mich aufzurichten. »Lausig.«
»Nehmen Sie es nicht zu tragisch.« Jetzt entdeckte ich auch die Quelle eines anderen Geruchs, der mir bereits unangenehm aufgefallen war. Das Geschöpf griff nach einer Schüssel mit grünem Schleim und hielt sie mir unter die Nase. »Essen Sie das. Danach fühlen Sie sich besser. Ich setze mich in der Zwischenzeit mit dem Hospital in Verbindung. Ihr verletzter Arm muss richtig behandelt werden.« Es hielt auf die Tür zu.
»Nein!« Angesichts meiner Heftigkeit drehte sich das Wesen erstaunt um. Rasch fügte ich hinzu: »Ich habe keine Zeit – und Sie wissen ja sicher, wie das mit Krankenhäusern so ist. Lassen Sie mich hier einige Stunden lang ausruhen. Dann gehe ich wieder.«
Es musterte mich skeptisch. »Ich habe mich um Ihren Kopf gekümmert – Sie hatten dort eine tiefe Schnittwunde. Aber was den Arm angeht, konnte ich Ihnen nur mit einem Verband helfen. Er könnte gebrochen sein. Was ist überhaupt geschehen? Sind Sie auch einer der Fährenpassagiere?«
»Nein. Nein, ich traf vor einigen Tagen ein …« Ich erzählte ihm eine erfundene Geschichte, nach der ich während des Aufenthaltes in einem nahegelegenen System einen Job an Bord des Fabrikschiffes Vorsehung angenommen hätte. »Ich bin Taucher«, sagte ich und zeigte ihm das entsprechende Implantat. »Und wie ich hörte, ist die Vorsehung das Mutterschiff einer Flotte, die sich mit dem industriellen Abbau von Kelp, also Seetang, befasst.« Ich erläuterte, was bei meiner Ankunft angeblich schiefgelaufen sei und wieso ich den verabredeten Termin in Sturmstadt nicht hatte einhalten können, wodurch ich mich verirrt hätte. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich war, als ich Ihr Licht sah. Ich bin im Dunkeln in eine tiefe Schlucht gestürzt.«
Während ich sprach, betrachtete ich das Innere der Wohnhöhle. Sie war zum Teil natürlichen Ursprungs, und man hatte sie nur erweitert und die Wände hier und dort begradigt. An einigen Stellen wies der Fels noch Spuren der Bearbeitung mit Hilfe von Werkzeugen auf. Beleuchtet wurde die Kammer nur von einer einzelnen Glühbirne, die in der Mitte von der Decke hing. In einem beständigen Rhythmus wechselte die Leuchtstärke, und nach einer Weile stellte ich fest, dass er dem Auf- und Abschwellen eines dumpfen, aus dem Boden ertönenden Dröhnens entsprach. In der einen Ecke des Raumes stand ein gusseiserner Herd, auf dem ein Topf mit grünem Schleim brodelte. Ich nahm einen versuchsweisen Schluck davon und stellte fest, dass die zähflüssige Masse genießbar war und einen bitteren Beigeschmack hatte, der an Spinat erinnerte. Ich blickte mich erneut um und sah dabei einen zweiten Ausgang: einen niedrigen Tunnel, der in die Finsternis führte. Möbel gab es kaum: einen aus Holzlatten zusammengenagelten Tisch, einen Stuhl, das Bett, in dem ich lag, und einen zweiten, kleineren Tisch, auf dem ich einige Bücher erblickte. Die Vorstellung, dass dieser Eingeborene lesen konnte, erschien mir irgendwie absurd.
Ich spürte die Aura einer gewissen Feindseligkeit. »Ich kann meinen verletzten Arm an Bord der Vorsehung behandeln lassen«, sagte ich. »Dort gibt es bestimmt sowohl eine Krankenabteilung als auch einen Arzt.«
Die trüben Augen des Wesens blickten kühl. »Ihr Name?«
»Oates. Winthrop Oates.«
Seine Lippen formulierten still die fremden Silben, so als suche es nach dem Geschmack von Gift. »Ich bin Captain Bald.« Den Namen artikulierte das Geschöpf in seiner Sprache, und begleitet wurde der Klang von diversen Klacklauten. »Sie möchten also auf die Vorsehung?«
»Ja.«
»Das Unterseeboot der Schiffsmannschaft brach gestern auf. Es wird einige Tage dauern, bis es zurückkehrt. Und Sie haben es eilig.« Offenbar erwies sich mein Gesichtsausdruck diesem Geschöpf gegenüber als sehr mitteilsam.
Ich nickte.
»Wie viel wollen Sie zahlen?«
Ich griff in die Tasche, konnte die Börse aber nicht finden. Das Wesen reichte sie mir. »Ich bin kein Dieb. Aber ich nehme meine Vorteile wahr, Mr. Oates.«
»Reicht das?« Ich gab ihm ungefähr sechshundert.
Er nahm die Scheine. Er wollte gerade noch mehr fordern, als ein weiterer Alien eintrat und sagte: »Tikki n'abbat g hnuk da – nga?« Die Laute klangen seltsam vertraut, und ich wusste, dass es sich um eine Frage handelte. Captain Bald antwortete, und es schloss sich ein hitziges Gespräch an, bei dem es um mich ging. Einige Male deutete Captain Bald in meine Richtung und hielt seinem Besucher das Geld unter die Nase. Schließlich kam es zu einer Übereinkunft.
Sie würden mich mitnehmen. Man hätte fast meinen können, ich sei der fremden Sprache mächtig. Ich war zweifelsfrei in der Lage, die allgemeine Bedeutung zu verstehen. Der Besucher ging wieder.
»Es ist eine Eruptionswarnung erfolgt«, sagte Captain Bald. »Ich bringe Sie nach Zyg, aber nicht weiter.«
»Zyg?«
»Eine rund dreihundert Kilometer von hier entfernte Insel. Kaiman hat dort einen Stützpunkt, den er ›Institut für Anthropoide Forschungen‹ nennt.« Zum ersten Mal lächelte er. Es wirkte nicht sonderlich freundlich und war eher nur ein Verzerren des Gesichts. »Das Unterseeboot der Mannschaft steuert Zyg des Öfteren an.«
»Wie lange dauert die Reise?«
»Zwei Tage, vielleicht etwas länger.«
»Zwei Tage! Und zum Teufel auch: Wie viele Stunden hat ein Sturmtag?«
Wieder das schiefe Lächeln. »Wenn Sie sich schon seit einigen Tagen auf diesem Planeten befinden, sollten Sie das eigentlich wissen. Aber andererseits: Ich schätze, in der unterirdischen Sturmstadt haben Tag und Nacht wohl keine Bedeutung. Nun, ein Tag auf dieser Welt hat achtundzwanzig Standardstunden.«
Zwei Tage, vielleicht auch länger … Bis dahin konnte die Polizei meine neue Identität in Erfahrung gebracht haben und mich wieder suchen. Selbst wenn sie derzeit annahm, ich sei bei dem Absturz der Fähre ebenfalls ums Leben gekommen: Bestimmt fragte sie sich, was aus einem gewissen Winthrop Oates geworden war. Meine einzige Hoffnung bestand in dem Ausmaß der Katastrophe, das die Bürokratie für einige Tage beschäftigen mochte. Wenn ich mit dieser Vermutung richtig lag, konnte ich die Vorsehung rechtzeitig erreichen. Und wenn ich mich erstmal an Bord des Schiffes und unter der Obhut der Macht Kaimans befand, ergab sich möglicherweise eine Atempause für mich, die ich für Nachforschungen nutzen konnte.
»In Ordnung«, erwiderte ich. »Also nach Zyg.«
Als Captain Bald das Geld einsteckte, sah ich an seiner Hand etwas aufglitzern, und es fiel mir nicht leicht, meine Verblüffung zu verbergen.
Die Tür öffnete sich. Drei weitere Eingeborene traten ein und grüßten Captain Bald, der daraufhin aufstand. »Hier entlang«, sagte er. Ich folgte den drei Neuankömmlingen, und Captain Bald bildete den Abschluss. Meine Nackenhaare richteten sich auf, als ich mich duckte, um nicht an die niedrige Decke zu stoßen. Die anderen waren in der Überzahl. Und ein Gefühl der Furcht bildete sich in mir, als ich durch den dunklen Tunnel wanderte, in dem es nach verfaulendem Fisch stank, umgeben von Aliens, die weitaus kräftiger waren als ich. Das dumpfe Dröhnen wurde lauter, und ich empfand das unangenehme Prickeln von einigen leichten klaustrophobischen Anfällen. Die Eingeborenen marschierten schweigend und nackt durch die Finsternis. Captain Bald berührte mich kurz am Rücken, und ich zuckte zusammen. Ich traute ihm nicht. Ich war erschrocken angesichts der Bedeutung dessen, was ich eben im Licht der Wohnhöhle gesehen hatte.
Am dritten Finger der linken Hand trug Captain Bald einen goldenen Ring.
Und ich war fast sicher, dass es Francis' Ring war – jener goldene Siegelring, den ich ihm im letzten Jahr zum Jubiläum geschenkt hatte …
»Das ist das Boot? Und damit wollen wir dreihundert Kilometer weit segeln?«
Captain Bald verübelte mir meine Skepsis. »Tadda-Schiffe befuhren die Meere von Sturm schon lange bevor die Erdbewohner hierher kamen, Oates. Was bei Ihnen Drake, Cook und Da Gama waren, hießen bei uns Quästor, Wiederläut, Mr. Loch und Von Seltsam. Mein Schiff Sturmtaucher ist nach den Merkmalen der Sucher, Welle und Lied konstruiert, den Booten, mit denen Von Seltsam seine historische Reise um die Welt vollbrachte.« Wenn seine Stimme dabei ein wenig pathetisch geklungen hatte, so war sich Captain Bald dessen nicht bewusst. Ich war beeindruckt von seinem Vergleich in Hinblick auf die Seefahrtsgeschichte der Erde.
Aber die Sturmtaucher war das eigenartigste Schiff, das ich jemals gesehen hatte. In der Länge maß es rund zwölf und in der Breite knapp vier Meter, und es sah aus wie ein großer und halb im Wasser versunkener Holzklotz. Unter der Oberfläche konnte ich undeutlich dünne Auswüchse erkennen. Sie...




