David | Mädchenauge | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 464 Seiten

David Mädchenauge

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 464 Seiten

ISBN: 978-3-552-06215-3
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Mitten in der Innenstadt von Wien wird eine junge Frau vor ihrer Haustür überfallen und grausam ermordet. Und sie bleibt nicht das einzige Opfer. Jeden zweiten Samstag schlägt der Täter auf dieselbe brutale Art zu, verwertbare Hinweise hinterlässt er keine. Wie sollen Major Belonoz, der grantige Chef der Mordkommission, und sein Team diesen wahnsinnigen Serienmörder finden? Belonoz ist wenig erfreut, als man ihm in dieser schwierigen Situation ausgerechnet die unerfahrene Staatsanwältin Lily Horn zur Seite stellt. Doch nicht nur er unterschätzt die toughe junge Frau gewaltig. Ein spannender Krimi aus Österreich mit einem schrägen Ermittler-Duo.
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Samstag, 12. Juni
1
Das Wissen, zweimal ungestört gemordet zu haben, bestärkte ihn in seinem Glauben, ein Auserwählter zu sein. Zuversicht, Selbstvertrauen und Hass erfüllten ihn. Mitten im dicht verbauten Häusermeer von Wien lebte ein Mensch, der ganz anders empfand als seine Nachbarn. Aufrecht stand er an diesem Abend in seinem hell erleuchteten Schlafzimmer. Durch die herabgelassenen Rollbalken waren die Fenster nach außen abgedichtet. Vor einem großen Spiegel posierend und komplett in Schwarz gekleidet, unterzog er sein Kostüm einer letzten Kontrolle. Der von der hohen Decke hängende Luster spendete reichlich Licht. Und damit seiner Aufmerksamkeit wirklich nichts entging, war der scharfe Strahl einer Stehlampe zusätzlich auf ihn gerichtet. Es ist gerecht, jene zur Verantwortung zu ziehen, die gesündigt haben. Er war sich selbst der beste Freund. Bei sich musste er das Spiel der Masken und der permanenten Verstellung nicht mitmachen, dem er sonst unterworfen war. Zur Gerechtigkeit gehört die Strafe. Durch sie wird die verletzte Ordnung wieder geheilt. Was er sah, gefiel ihm. Jacke, Hose und Stiefel waren aus schwarzem, matt glänzendem Leder gefertigt, das seiner Erscheinung die angemessene Härte verlieh. Ich fälle das gerechte Urteil und vollstrecke es. Er stülpte den schwarzen Helm über seinen Kopf und schob das getönte Visier nach unten. Die Verführung durch die Schlange bewirkte die erste Sünde. Ihretwegen mussten Adam und Eva den Garten Eden verlassen. Aus dem Futteral zog er liebevoll das stählern schimmernde Militärmesser und strich mit der Fingerkuppe vorsichtig über dessen Klinge. Zum Schlechten zu verführen ist schlimmer als lediglich Böses zu tun. Verführung ist die Methode des gefallenen Engels. Man muss sie bekämpfen und auslöschen. Die Waffe war gewählt, die Mission stand fest. In dieser Welt oblag es ihm, Richter und Vollstrecker zu sein. Davon war er überzeugt. Er verstaute das Messer im Futteral, steckte es zusammen mit dem Klebeband in eine Jackentasche und löschte die Lichter. Mit dem Gefühl aufkeimender Vorfreude stürmte er die geschwungene Treppe hinab. Als er ins Freie trat, umfing ihn die paradiesische Wärme des Sommerabends. Er atmete tief ein und fühlte, wie die Erregung in ihm wuchs. In Gedanken flog er seinem Ziel entgegen. Er konnte es kaum noch erwarten. * Wild und unberechenbar strömte die Donau einst durch Wien. Bis man sie zähmte und in ein auf dem Reißbrett gezogenes Flussbett zwängte. Als schämte man sich für diesen Akt der Domestizierung, verbannte man den Fluss in den Norden von Wien. Breit und belanglos ließ man die Donau dort vor sich hin fließen. Weder prunkvolle Uferpromenaden noch spektakuläre Brücken waren ihr vergönnt, bloß Zweckarchitektur wurde geduldet. Doch schien man einen letzten Rest der alten Herrlichkeit bewahren zu wollen und schuf den Donaukanal, der beinahe mitten durch Wien verlaufen durfte. Nie wurde er, wie die Seine in Paris oder die Moldau in Prag, elementarer Bestandteil der urbanen Landschaft. Der Donaukanal verkam zur bloßen Schneise, zum langweiligen Störenfried, den man zur Strafe dafür, dass er an üppigere Zeiten gemahnte, zwischen graue Betonwände pferchte. Zusätzlich eskortierte man den Fluss mit mehrspurigen Durchzugsstraßen, um trotzige Flanierversuche abzuwürgen. Erst spätere Generationen entdeckten den Freiraum, den der Kanal bot. Anfangs rückten sie mit ihren Skateboards an, später, inzwischen älter geworden, mit Hunden oder Kindern. Die Gastronomen folgten, eröffneten Lokale und inszenierten im Sommer eine mediterrane Strandatmosphäre an beiden Ufern. Die Gegend gewann eine Verspieltheit zurück, die man ihr einst mit allen Mitteln hatte austreiben wollen. In diesem Jahr, das bald im Zeichen der Frauenmorde stehen sollte, hatten die Wiener eine nicht enden wollende Periode heftiger Unwetter und eisiger Temperaturen durchleiden müssen. Erst vor vier Wochen war die Hitze über die Stadt gekommen, seitdem konnte wieder unter freiem Himmel gegessen, getrunken und geflirtet werden. Was nun auch eifrig getan wurde, so als gelte es, die verlorene Zeit aufzuholen. Unmittelbar am Kanal, nahe der alten Urania-Sternwarte, war eine großzügig dimensionierte Bar errichtet worden. Es gab eigens importierten Meeressand, auf dem elegante Liegestühle und italienische Sonnenschirme gruppiert waren. Jung, schön und zahlungskräftig sollten die Gäste sein, die sich hier niederließen. Den ihnen angemessenen Soundtrack lieferten DJs bis spät in die Nacht, wenn die Lichter der Stadt milder wurden und die Sterne am Himmel zu erkennen waren. Gegen dreiundzwanzig Uhr trafen dort vier Frauen und fünf Männer ein, alle um die zwanzig. Betont leger gekleidet, die Herkunft aus braven Bürgerhäusern konnten die Studenten dennoch nicht verleugnen. Übermütig diskutierten und lachten sie, tranken Bier, Wein oder Cocktails. Ihre Gesichter waren hübsch und glatt, Mimik und Gestik von sorgloser Unbeschwertheit geprägt. Private oder berufliche Kränkungen hatten sie noch nicht gedemütigt. Eine halbe Stunde nach Mitternacht erhob sich ein Mädchen aus der Runde. Sie habe einen langen Tag vor sich, verkündete Magdalena Karner und schnitt eine missmutige Grimasse. »Übermorgen habe ich die große Prüfung, genau genommen schon morgen«, sagte sie, während sie sich nach ihrer Handtasche bückte. »Ich muss wirklich bis zum letzten Moment lernen, sonst wird es heikel.« »Das heißt aber jetzt nicht, dass du uns schon verlassen willst, Lena?«, fragte einer der jungen Männer mit provokantem Unterton und nahm einen Schluck aus seinem Rotweinglas. »Leider schon«, gab Magdalena zu und lachte kurz auf, als wäre sie bei einer peinlichen Lüge ertappt worden. Sofort hagelte es Proteste. Die Freunde spielten Empörung und versuchten, sie zum Bleiben zu überreden: »Das ist echt schade, Lena … Nur eine halbe Stunde noch, darauf kommt’s garantiert nicht an … Am Tag vor der Prüfung soll man gar nicht mehr lernen, sondern nur chillen … Sicher bist du ohnehin schon perfekt vorbereitet …« Es half natürlich nichts, aber das wussten die Freunde. Magdalena ließ sich niemals zu etwas bewegen, von dem sie nicht vollkommen überzeugt war. Eine minutenlange Abschiedszeremonie wurde zelebriert, es wurde umarmt und geküsst. Magdalena stakste durch den Sand davon. Hinter sich hörte sie die Stimmen jener, die diesen Samstagabend weiter genießen konnten. Für einen kurzen Augenblick bedauerte sie den frühen Abschied. Sie dachte an die verliebten Paare, die sie gesehen hatte. Und daran, wie allein sie sich gefühlt hatte, obwohl sie in Gesellschaft gewesen war. Wie immer in solchen Situationen versuchte Magdalena, sich auf die Realität zu konzentrieren. Auf das Machbare. Ihr Medizinstudium wollte sie zielstrebig absolvieren. So wie sie es geplant und den Eltern versprochen hatte. Ihre Ziele umfassten ein erfolgreiches Studium, eine erfolgreiche Karriere, ein erfolgreiches Leben. Erfolgreich war das magische Wort. Es schien ihr von einem Zustand größtmöglicher Erfüllung zu künden, der jedoch erst verdient werden musste. Durch Arbeit und Fleiß. Diese moralische Komponente gefiel ihr. Die Vorstellung, einem Menschen könnte das Glück in den Schoß fallen, verachtete sie. Alles im Leben müsse angestrebt und unter Mühen erworben werden, gegen jegliche Widerstände. Davon war Magdalena überzeugt. Ausschließlich das auf diese Art Erreichte hielt sie für wertvoll. Um den Grund für ihre Haltung zu erkennen, hätte sie in die eigene Vergangenheit zurückkehren müssen. Bis zum schmerzlichsten, dunkelsten Punkt, der ihr Vertrauen in die Mitmenschen und eine von guten Geistern bestimmte Welt unrettbar ruiniert hatte. Magdalena kletterte die enge Treppe hinauf und nahm den direkten Weg entlang der vielbefahrenen Straße oberhalb des Donaukanals. Einer jener für Wien typischen leichten Winde wehte durch ihre lockigen braunen Haare und ließ ihr blaues Sommerkleid flattern. Autos brausten an ihr vorbei, und sie erschrak, als plötzlich wild gehupt wurde und hämmernde Beats vorbeidröhnten. Der Lärm stammte von einer weißen Stretchlimousine, aus deren Dachfenster zwei dünne, blonde Mädchen hingen. Zu lauter und billiger Musik warben sie mit rudernden Armen für einen neu eröffneten Strip-Club. Kein Grund zur Beunruhigung. Alles entsprach jenem Idealbild des fröhlichen, harmlosen und sicheren Wien, wie es seit Wochen von der Vizebürgermeisterin Marina Lohner propagiert wurde. Keine Gauner, Diebe oder Vandalen waren hier unterwegs, sondern durch die Nacht Wandernde, die dem nächsten Lokal oder der nächsten Party entgegenstrebten. Eine Viertelstunde später querte Magdalena eine hektische Kreuzung. Wenige Schritte später erreichte sie den plump proportionierten Betonkoloss mit den vielen Balkonen, der von schamlosen Architekten in eine Lücke zwischen raffiniert geschmückte Altbauten geklotzt worden war. Wo der erste Bezirk abrupt endete und den Durchzugsstraßen Platz machte, hatten Magdalenas Eltern eine Garconniere für sie gemietet, als sie von Salzburg nach Wien übersiedelte. Anfangs bloß als Provisorium gedacht, hatte sich diese Lösung bald als ideal erwiesen. Einen Umzug in eine Wohngemeinschaft mit Studienkollegen hatte die pflichtbewusste Tochter deshalb nie ernsthaft erwogen. Sie besaß ihre eigene kleine Welt in der fremden Großstadt. ...


David, Christian
Christian David, geboren in Wien, promovierte nach dem Studium in Mailand und Wien über Klaus Kinski (2006 erschien Kinski. Die Biographie). Er arbeitete für Film, Fernsehen und Theater sowie als Journalist. Mädchenauge ist sein erster Roman. Sonnenbraut (2015) ist der zweite Teil seiner Krimiserie rund um Major Belonoz und Lily Horn.

Christian David, geboren in Wien, promovierte nach dem Studium in Mailand und Wien über Klaus Kinski (2006 erschien Kinski. Die Biographie). Er arbeitete für Film, Fernsehen und Theater sowie als Journalist. Mädchenauge ist sein erster Roman.


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