Tenharim / Fischermann | Der letzte Herr des Waldes | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 222 Seiten

Tenharim / Fischermann Der letzte Herr des Waldes

Ein Indianerkrieger aus dem Amazonas erzählt vom Kampf gegen die Zerstörung seiner Heimat und von den Geistern des Urwalds

E-Book, Deutsch, 222 Seiten

ISBN: 978-3-406-72154-0
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der junge Krieger Madarejúwa Tenharim ist einer der letzten Herren des Amazonaswaldes. Sein traditionsreiches Volk umfasste einmal mehr als 10000 Menschen, ist aber auf knapp 1000 geschrumpft. 2013 ist ihm der ZEIT-Journalist Thomas Fischermann zum ersten Mal auf einer Expedition begegnet. Seither ist Fischermann mehrfach pro Jahr in die Gegend gereist, wurde als erster Weißer zu heiligen Stätten des Volkes geführt, hat am Leben der Tenharim teilgenommen und hunderte Stunden Interviews geführt und aufgezeichnet – mit Madarejúwa selbst, den Häuptlingen, Heilern und den Stammesältesten. „Der letzte Herr des Waldes“ ist aus der Ich-Perspektive des Protagonisten Madarejúwa erzählt – aufgeschrieben von Thomas Fischermann. Es geht in den Erzählungen des jungen Kriegers auf die Jagd nach Wildschweinen und Affen, in den Kampf mit Jaguaren und Anakondas, an mystische Stätten zu Ritualen und Festen. Fischermanns abenteuerliche Expeditionen mit Tenharim machen begreifbar, was der Wald für den jungen Mann und sein Volk bedeutet: Wenn die Natur stirbt, dann sterben auch sie. Aus dem Wald beziehen sie ihre Nahrung, ihre Naturheilmittel, ihre Identität und Spiritualität. Aus erster Hand erfahren wir von einem uralten Verständnis der Balance zwischen Mensch und Natur.
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Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Titel;3
3;Zum Buch;222
4;Über die Autoren;222
5;Impressum;4
6;Widmung;5
7;Inhalt;7
8;1. Ich bin Madarejúwa;9
9;2. Reise an den Ursprung der Welt;13
10;3. Nhandyvuhua – Der Weg in die Kastanienhaine;21
11;4. Anhag?a – Der Wald ist voller Seelen;33
12;5. Transamazônica – Straße der Weißen;37
13;6. Ka’gwyrapora – Das Schwein, das eine Schlange war;51
14;7. Nhandegwyra – Unser Land;69
15;8. Yporokweruhua – Die Überschwemmung der Welt;87
16;9. Kwaitava – Der Weg der Schamanen;93
17;10. Mbaira – Der Mann mit der Maske;105
18;11. Yvaga’nga – Menschen, die im Himmel leben;107
19;12. Avujipava – Sie waren Kannibalen;125
20;13. Ami – Die Alte und ihr Wundergarten;141
21;14. Yvyapora – Die Dinge der Erde;145
22;15. Mbotava – Ein Fest für alle Menschen;159
23;16. Über dieses Buch;167
24;Dank;181
25;Anhang;185
25.1;Anmerkungen;187
25.2;Verwendete Literatur;201
25.3;Weiterführende Links;205
26;Tafelteil;206


2. Reise an den Ursprung der Welt
2013 begegnete ich den Tenharim zum ersten Mal. Ich war damals in einem Rechercheteam aus zwei Journalisten, einem Fotografen und einem Waldführer im Amazonasgebiet unterwegs und suchte nach den Spuren eines Krieges. Das ZEIT Magazin hatte uns gebeten, über Zusammenstöße zwischen Holzfällerbanden und Amazonasvölkern zu berichten,[1] weil diese seit vier, fünf Jahren erneut eskalieren. Auch die Abholzung des tropischen Regenwaldes hat in dieser Zeit wieder stark zugenommen, nachdem es zu Beginn des Jahrtausends vorübergehend ein paar Erfolge für den Umweltschutz gab.[2] Diese beiden Phänomene hängen zusammen. Viele indigene Völker[3] bangen heute um ihr Überleben, weil sie den Holzfällern im Wege stehen. Wir hatten damals noch nicht viel Erfahrung mit solchen Reportagen. Unser gemieteter VW-Gol, eine sparsame brasilianische Kleinfassung des deutschen Golfs ohne den Buchstaben «f» am Ende, erwies sich rasch als ungeeignet: Mit den riesigen Distanzen am Amazonas ist nicht zu spaßen. Ein Ort, der auf der Karte ganz nah aussieht, kann in Wirklichkeit eine Tagesreise entfernt liegen, und so holperten wir Stunden um Stunden schlecht gefedert auf schlammigen Lehmtrassen durch den Wald. Wir fluchten über die kollabierende Klimaanlage und wichen Straßenlöchern aus, in denen unser Fahrzeug komplett hätte verschwinden können. Nachts blieben wir in Motels für Lastwagenfahrer oder in unseren mitgebrachten Hängematten, die wir in Hütten und unter Bäumen aufknüpften. Der Kofferraum war vollgepackt mit Proviant, Toilettenpapier und Moskitospray. Die langen Fahrten hatten auch einen Vorteil, denn sie machten uns eines klar: Es stimmt, was wir zuvor auf Satellitenfotos gesehen haben. Der Wald ist auf dem Rückzug. Man kann heute stundenlang durch das Amazonasgebiet fahren, wo früher noch Urwald stand, und durch die Wagenfenster nichts als Weiden und Sojapflanzungen sehen, bis an den Horizont. Zusammenhängende Waldstücke findet man am Amazonas vor allem noch in den Indianergebieten – dort, wo indigene Völker ihre Heimat verteidigen.[4] Auch sie kann man auf den Satellitenfotos gut erkennen, als dunkle Flecken aus dichten Baumkronen, durchschlängelt von Flüssen. Ringsherum zeigen die Aufnahmen die Karos landwirtschaftlicher Betriebe auf entwaldeten Flächen. Brasilien gilt als der größte Waldvernichter der Welt. In den vergangenen fünfundvierzig Jahren wurde dort ein Fünftel der Amazonasbäume umgesägt, was einer kahlgerodeten Fläche so groß wie zweimal Deutschland entspricht. Ein weiteres Fünftel ist ausgedünnt und schwer beschädigt. Im Augenblick liegen die Steigerungsraten bei der Abholzung pro Jahr mal bei 20, 40, 50 Prozent.[5] Als wir 2013 unsere Reportage vorbereiteten, erklärten uns Klimaschützer, dass das Amazonasgebiet der größte Wasserspeicher des Planeten und ein gigantischer Vernichter von Treibhausgasen sei, doch neuerdings funktioniere der Wald nicht mehr richtig. Die grüne Lunge der Welt gerate außer Atem. Anderswo auf dem Planeten seien deshalb nun Überschwemmungs- und Dürrekatastrophen zu erwarten. Unser Rechercheteam war damals schon eine gute Woche im südlichen Amazonasgebiet unterwegs, als uns eine Nachricht aufschreckte. Im Radio hieß es, dass ein Indianervolk namens Tenharim erneut damit begonnen habe, brasilianische Siedler zu ermorden. Mitten durch das Stammesgebiet der Tenharim führt die Transamazônica, eine Fernstraße aus Lehm, die in den siebziger Jahren 4223 Kilometer weit von West nach Ost durch den brasilianischen Regenwald gebaut wurde – und genau dort wurden nun offenbar drei Männer, zwei Weiße und ein Schwarzer aus den umliegenden Siedlungen, in ihrem Auto erschossen. Die Polizei fand ihre Leichen später verscharrt auf dem Stammesgebiet der Tenharim. Sie steckte fünf Krieger des Volkes ins Gefängnis. Die Ereignisse waren für unsere Reportage interessant, denn die Gegend rings um das Stammesgebiet der Tenharim gilt als Abholzungs-Hotspot. Die Transamazônica ist einer der wichtigsten Transportwege für legal und illegal geschlagenes Holz. Wir fuhren hin – einen Tag und eine Nacht lang –, um das wehrhafte Volk zu besuchen. Doch als wir ankamen, war alles abgesperrt. Soldaten sicherten die Straße, Hubschrauber kreisten in der Luft. Die brasilianische Regierung wollte beide Seiten voreinander schützen, denn in den Nächten zuvor waren Lynchmobs weißer Siedler vor die Dörfer der Tenharim gezogen, hatten Hütten und sogar den Außenposten der staatlichen Indianerschutzbehörde in Brand gesteckt. Im ersten Anlauf hielten die Sicherheitskräfte auch uns Journalisten davon ab, das Gebiet der Tenharim zu betreten, doch Leute von der Indianerschutzbehörde organisierten später ein heimliches Treffen mit Anführern des Volkes. Die Situation war angespannt. Die Tenharim bestritten die Morde, und sie sprachen eine Einladung aus: Ich solle sie besuchen kommen, in ein paar Monaten, wenn die Lage sich wieder beruhigt habe. Dann könne ich die Wahrheit über ihr Volk erfahren, über ihre jahrtausendealte Kultur und ihren bitteren Kampf gegen weiße Siedler. Am Ende bin ich immer wieder hingefahren. Die Lokalpresse im südlichen Amazonas und die nationalen brasilianischen Medien berichteten, wenn überhaupt, aus feindlicher Perspektive über die «mörderischen» Tenharim. Ich dachte mir: Wenn ich schon ihrer Geschichte auf den Grund gehen wollte, dann richtig. Ich wurde zum Frequent Flyer auf der Strecke zwischen Rio de Janeiro und der Amazonasmetropole Porto Velho. Ich lernte aus vergangenen Fehlern und mietete dicke Trucks mit Vierradantrieb und bruchfesten Achsen. Wochenlange Recherchetrips und ganze Urlaube verbrachte ich bei den Tenharim, später habe ich die Expeditionen für dieses Buch durchgeführt. Ich wollte verstehen, was die Tenharim in diese verzweifelte Auseinandersetzung trieb, und sehen, ob sie dabei überleben können. Bei einer dieser ersten Reisen lernte ich Madarejúwa kennen, den jungen Krieger, der auf diesen Seiten seine Geschichte erzählt. Er war damals neunzehn Jahre alt, und im Gegensatz zu einigen anderen Mitgliedern seines Volkes sprach er nicht viel. Sein Großvater und der Häuptling legten aber vertrauensvoll und mit großer Selbstverständlichkeit unsere Exkursionen in die Verantwortung des jungen Mannes, und dieser plante sie mit großer Ruhe und Ernsthaftigkeit: zu Wasserfällen, in alte Dörfer und in jene Gegenden des Waldes, die die Tenharim als den Ursprung ihrer Welt ansehen. Mit tiefer Loyalität sprach er über seine Kultur und sein Volk. Unter den Tenharim galt er als ein Ausnahmetalent, als ein Meisterschütze, der schon im Alter von acht Jahren in den Stand eines Kriegers erhoben wurde. Er war ein Heranwachsender mit guten Aussichten, ein «Meister der Kultur» zu werden, der sich auf die traditionelle Pflanzenkunde genauso versteht wie auf die Konstruktion tödlicher Pfeile aus Bambus, Arafedern und Curaregift. Man darf seine Jugend nicht aus den Augen verlieren: Madarejúwa ist weder ein mächtiger Mann in seinem Volk noch ein weiser alter Schamane. Während unserer Gespräche erinnerte er mich häufig daran, dass ihm noch die Erfahrung fehle, um mir bestimmte Antworten geben zu können. Da solle ich bitte die Häuptlinge und die Alten fragen – und das haben wir, in der Regel gemeinsam, gemacht. Diesem Buch liegen also viele hundert Stunden Gespräche mit Madarejúwa zugrunde, aber auch mit seinen Häuptlingen und den alten Meistern der Kultur. Häufig haben wir einfach im Schein des Feuers an irgendeiner Lichtung gesessen und in einer großen Gruppe von Männern über den Wald und seine Geister gesprochen. Wir haben Madarejúwas Großvater Kikí auf seiner Holzveranda besucht und im Kreis der Großfamilie den alten Geschichten gelauscht. Kikí ist einer der angesehensten Männer bei den Tenharim. Madarejúwa begreift ihn als seinen wichtigsten Lehrer. Die Tenharim bewahren das Wissen über den Umgang mit der Natur großteils in solchen Geschichten auf. Zu ihren Mythen und Erzählungen gehört zum Beispiel die yporokweruhua (Seite 87): die große Überschwemmung des Waldes. Von allen Geschichten gibt es unterschiedliche Erzählversionen in deutlich variablen Längen, und die ausführlicheren von ihnen enthalten lange Listen von Pflanzen, Orten und landwirtschaftlichen Methoden. Beim Erzählen und beim Zuhören wird das alte Wissen aufgefrischt. Viele Geschichten der Tenharim versinnbildlichen auf sehr direkte Weise ökologische Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten. Andere erinnern an frühere Missgeschicke des Menschen im Umgang mit der Natur. Für die...


Madarejúwa Tenharim, geb. 1996, ist ein Krieger vom Clan der Mutum und vom Volk der Tenharim. Er wurde ungewöhnlich früh von den Häuptlingen als begabter Bogenschütze entdeckt und erhielt schon mit acht Jahren die Erlaubnis, auf große Tiere wie Tapire und Wildschweine zu schießen.Thomas Fischermann berichtet seit 2013 für die ZEIT aus Südamerika. Zuvor war der studierte Ökonom, Sozial- und Politikwissenschaftler in London und New York sowie Koordinator der internationalen Wirtschaftsberichterstattung. Fischermann erhielt u. a. den Deutschen Journalistenpreis.


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