E-Book, Deutsch, 567 Seiten
Doyle Micah Clarke
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-0815-6
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 567 Seiten
ISBN: 978-3-8496-0815-6
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Micah Clarke' ist ein historischer Bildungsroman aus dem 17. Jahrhundert und erzählt die Geschichte eines romantischen und naiven Jungen, der während seiner Suche nach Abenteuern in den Einfluß eines erfahrenen Glücksritters gerät.
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Der Mann mit den gesenkten Augenlidern.
Mein Vater und meine Mutter saßen in ihren hochlehnigen Stühlen einander gegenüber zu beiden Seiten des leeren Kamins, als wir ankamen; er rauchte seine mit Orinokotabak gestopfte Abendpfeife, sie arbeitete an einer Stickerei. Sowie ich die Thür geöffnet hatte, eilte der Mann, den ich mitgebracht, mir schnellfüßig ins Zimmer voraus, verbeugte sich vor den beiden Alten, fing an, leichtfließende Entschuldigungen wegen der späten Stunde seines Besuches vorzubringen, und erläuterte die Art und Weise, in welcher wir ihn aufgelesen hatten. Ich konnte ein Lächeln nicht verbeißen, als ich das grenzenlose Erstaunen in meiner Mutter Gesicht bei seinem Anblick gewahr wurde. Der Verlust seiner hohen Reiterstiefel brachte ein Paar schier endloser spindeldürrer Beine zum Vorschein, die im lächerlichsten Kontrast zu den sackartigen, niederländischen Kniehosen standen, welche darüber sich aufbauschten. Seine Jacke war aus grobem, dunkelfarbigem Wollenrips mit flachen, vergoldeten Messingknöpfen besetzt; darunter kam eine weißliche, mit Silberband eingefaßte Weste aus gemustertem Atlas hervor. Um den Halsausschnitt seines Kollers lag nach holländischer Mode ein weiß herabfallender Kragen. Daraus schoß sein langer, sehniger Hals hervor, auf dem der runde, von kurzen Haarborsten bedeckte Kopf balancierte wie der Kohlkopf auf der Stange, nach dem wir an Jahrmarkttagen zu werfen pflegten. In diesem Aufzuge stand er mit den Augen blinzelnd da, denn der helle Schein der Kerzen blendete ihn nach der Finsternis draußen, und schnatterte seine Entschuldigungen her, die er mit so vielen Kratzfüßen und Verbeugungen begleitete, als wäre er Sir Peter Witling in der Komödie. Ich wollte ihm eben ins Zimmer folgen, als Ruben mich am Ärmel zurückhielt.
"Höre, Micah, ich komme nicht mit dir hinein," sagte er, "wer weiß, was die Geschichte noch für schlimme Folgen haben kann. Mein Vater räsonniert ja wohl auch beim Bierkrug, aber trotzdem ist er ein treuer Anhänger der Kirche und schwört blindlings zu den Tories. Ich will lieber davon bleiben."
"Du hast recht," entgegnete ich. "Du brauchst dich gar nicht in die Sache zu mischen. Laß dir nichts über das, was du gehört und gesehn hast, entschlüpfen."
"Bin stumm wie ein Fisch," sagte er, drückte mir die Hand und verschwand im Dunkel.
Als ich in das Wohnzimmer trat, fand ich, daß meine Mutter bereits in die Küche geeilt war, wo das Knistern der Holzscheite uns verriet, daß sie Feuer anmachte. Decimus Saxon saß auf der Kante der eisenbeschlagenen Eichentruhe neben meinem Vater und beobachtete ihn scharf mit seinen kleinen, glitzernden Augen, während der Alte die Hornbrille aufsetzte und die Siegel des Päckchens brach, das sein seltsamer Gast ihm soeben überreicht hatte.
Ich sah, daß mein Vater leise pfeifend die Luft durch die Zähne zog, als er einen Blick auf die Unterschrift des langen, eingeschriebenen Briefes warf. Danach saß er eine ganze Weile bewegungslos da und starrte auf die Schrift. Endlich fing er an zu lesen – langsam und sorgfältig. Als er zu Ende war, wandte er das Blatt und las das Schreiben noch einmal. Augenscheinlich enthielt der Brief keine unwillkommene Botschaft, denn als er aufblickte, funkelten seine Augen vor Freude, und mehr als einmal lachte er während des Lesens laut auf. Schließlich fragte er Saxon, wie der Brief in seine Hände gekommen sei, und ob er den Inhalt kenne?
"Ei nun, was den ersten Punkt betritt," sagte der Bote, "so wurde er mir von niemand Geringerem als Dicky Rumbold selbst eingehändigt, in Gegenwart von Personen, die ich nicht nennen darf. Was den Inhalt angeht, so muß Euer eigner Verstand Euch sagen, daß ich schwerlich meinen Hals an eine Botschaft wagen würde, ohne zu wissen, was es für eine ist. Ich bin kein Küken in meinem Beruf, Herr. Kartelle, pronunciamentos, Ausforderungen, Parlamentarflaggen, Waffenstillstandsvorschläge – sind alle durch meine Hände gegangen und sind nie schief gegangen."
"Wirklich!" warf mein Vater dazwischen. "Ihr selbst gehört zu den Gläubigen?"
"Ich getröste mich der Hoffnung, daß ich einer von denen bin, die auf dem schmalen Dornenpfade wandeln," gab Saxon in näselndem Tone, wie er den extremen Puritanern eigen war, zur Antwort.
"Ein Pfad, auf dem kein Priester uns führen kann," fuhr mein Vater fort.
"Wo der Mensch nichts ist und der Herr alles," versetzte Saxon.
"Jawohl, jawohl!" rief mein Vater. "Micah, führe diesen würdigen Mann auf mein Zimmer, gib ihm trockene Wäsche, meinen zweitbesten Anzug von Utrechter Sammet, bis sein eignes Zeug trocken ist. Auch meine Stiefel werden ihm wohl willkommen sein – meine Reitstiefel von ungegerbtem Leder. Ein Hut mit Silberborten hängt oben im Schranke. Sorge dafür, daß ihm nichts abgeht, was das Haus bieten kann. Das Abendbrot wird fertig sein, wenn er den Anzug gewechselt hat. Ich bitte Euch, guter Meister Saxon, geht gleich, damit ihr Euch nicht erkältet."
"Eins haben wir aber noch versäumt," sagte unser Gast, erhob sich feierlich vom Sitz und faltete die langen, nervigen Hände. "Laßt uns nicht länger zögern, dem Allmächtigen unsern Dank darzubringen für seine mannigfachen Segnungen und für seine Barmherzigkeit, daß er mich und meine Briefe aus der Tiefe des Meeres gerissen hat, wie dereinst Jonas von der Tücke der Bösen errettet ward, die ihn über Bord warfen; und wer weiß, ob sie nicht auch ein Geschütz auf ihn abfeuerten, obgleich die heilige Schrift uns davon nichts mitteilt. Meine Freunde, lasset uns beten."
Hierauf sprach er ein langes Dankgebet in den höchsten Fisteltönen, das er mit einer Bitte um Gnade und Erleuchtung für das Haus und seine Bewohner schloß. Nach einem wohltönenden Amen ließ er sich endlich bereit finden, mir zu folgen, während meine Mutter, die hereingeschlüpft war und seinen Worten andächtig gelauscht hatte, wieder hinauseilte, um ihm einen Becher voll grünen Uskebah, einen Gewürzbranntwein mit zehn Tropfen von Daffy's Elixier, zurecht zu machen. Das war ihr vornehmstes Rezept gegen die Wirkungen des Naßwerdens. Es gab kein Ereignis im Leben von der Taufe bis zur Hochzeit, für das sich nicht eine angemessene Speise und ein eigner Trank in meiner Mutter Wörterbuch gefunden hätte, und keine Unpäßlichkeit, für die sie nicht in ihren wohlgefüllten Schränken irgend ein angenehmes Heilmittel gehabt hätte.
Meister Decimus Saxon in meines Vaters schwarzsammetnem Anzug und ungegerbten Reitstiefeln sah allerdings anders aus, als der wassertriefende, mit Schmutz bedeckte Flüchtling, der sich wie ein Aal in unser Fischerboot geschlenkert hatte. Er schien mit seiner Kleidung auch seine Manieren gewechselt zu haben, denn er benahm sich bei Tisch gegen meine Mutter förmlich galant, was ihn besser kleidete, als die kurzangebundene, hochfahrende Weise, die er im Boot gegen uns angenommen hatte. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er, wenn er jetzt zurückhaltender war, einen guten Grund dafür, denn er richtete eine solche Verheerung unter den Speisen an, daß ihm daneben zum Sprechen wenig Zeit blieb. Nachdem er von der kalten Rinderkeule zu einer Kapaunenpastete übergegangen, darauf noch einen zweipfündigen Barsch gesetzt und das alles mit einem großen Kruge Bier heruntergespült hatte, blickte er uns der Reihe nach lächelnd an und teilte uns mit, daß seine fleischlichen Bedürfnisse für jetzt befriedigt seien.
"Ich habe es mir zur Regel gemacht," fügte er hinzu, "der weisen Vorschrift zu folgen, die einem Manne rät, dann von Tische aufzustehen, wenn er bequem noch einmal soviel essen könnte, als er eben zu sich genommen hat."
"Ich ersehe aus Euren Reden, Herr Saxon, daß ihr selbst den Kriegsdienst gründlich kennen gelernt habt," bemerkte mein Vater, als der Tisch abgeräumt und meine Mutter schlafen gegangen war.
"Ich bin ein alter Fechtbruder," entgegnete unser Gast und schob seine Pfeife zusammen, "ein magerer alter Hund von der Rasse Packan. Dieser Leib trägt unterschiedliche Malzeichen von Hieb- und Stoßwunden, die ich zumeist im Dienste des protestantischen Glaubens empfangen habe, darunter freilich auch einige für die allgemeine Sache der Christenheit in den Türkenkriegen. Mein Blut, Meister Clarke, ist über die ganze Karte von Europa verspritzt. Allerdings muß ich gestehen, daß auch etwas davon nicht für die gemeine Wohlfahrt, sondern zum Schutz meiner eignen Ehre vergossen worden ist, im Duello oder Holmgang, wie es unter den Völkern des Nordens heißt. Es gehört sich, daß ein Kavaliero Fortunas, der mehr oder weniger immer fremd im fremden Lande, in dergleichen Dingen etwas skrupulös ist, da er gleichsam als Vertreter seines Vaterlandes dasteht, dessen guter Name ihm teurer sein muß als der eigne."
"Eure Waffe war bei solchen Gelegenheiten das Schwert, nicht wahr?" fragte mein Vater und rückte unruhig auf seinem Sitze hin und her,...




