Fantino | Je näher ihm, desto vortrefflicher | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 42, 334 Seiten

Reihe: Transformationen der AntikeISSN

Fantino Je näher ihm, desto vortrefflicher

Eine Studie zur Übersetzungssprache und -konzeption von Johann Heinrich Voß anhand seiner frühen Werke

E-Book, Deutsch, Band 42, 334 Seiten

Reihe: Transformationen der AntikeISSN

ISBN: 978-3-11-047388-9
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Die Jugendübersetzungen antiker Lyrik von J. H. Voß entstanden im Wechselspiel mit seiner frühen dichterischen Produktion, waren aber ansatzweise bereits dem normativen Antike-Ideal verschrieben, welches Voß’wirkungsmächtigen Homer-Übersetzungsarbeiten zugrunde lag. Die vorliegende Studie untersucht die Genese des Voß’schen Übersetzungswerkes und beleuchtet ihre Verknüpfung mit den literaturgeschichtlichen Konstellationen im ausgehenden 18. Jh.
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Einleitung
Homer ist, wie in der Erfindung, die den Übersezer nichts angeht, so in der Darstellung das höchste Ideal, bis auf die feinsten Grazien des Ausdrucks, der Wortfolge, des Periodenbaus, des Klangs und der Bewegung. Je näher ihm, desto vortreflicher. Ihn übertreffen zu wollen, ist die Frechheit des gefallenen Engels, es zu wähnen, seine Verfinsterung. (Johann Heinrich Voß an Johann Wilhelm Ludwig Gleim; Eutin, den 5. Jan. 1787) „Je näher ihm, desto vortreflicher“: so Johann Heinrich Voß1 in einem Brief aus dem Jahr 1787. Voß, der als sprachmächtiger Homer-Übersetzer in die Literaturgeschichte eingegangen ist, hält hierbei den Kern seiner Übersetzungspoetik in prägnanter Knappheit fest. Diesem kurzen Abschnitt ist die sprachmimetische Absicht abzulesen, welche – wie die maßgebende Habilitationsschrift von Günter Häntzschel (1977) dargelegt hat2 – bereits die Odüßee 1781 (so die Originalschreibweise) prägte, aber erst in dem gesamten Homer (1793) und in den weiteren überarbeiteten Auflagen (nach 1793 noch 1802, 1806, 1814, 1821) von Voß konsequent verfolgt wurde. Zugleich wird lapidar deutlich, welches Antike-Verständnis seine Übersetzungskonzeption beeinflusste: Die homerischen Epen galten Voß als „höchste[s] Ideal“, als überzeitlicher Kanon; der verehrende, gar emphatische Zugang zu Homer stellt den Leitfaden der übersetzerischen Transformation dar. Solch ein normatives Verständnis von antiker Literatur steht zwar im Widerspruch zu der hermeneutisch-historischen Methodenbildung, welche die altphilologische Diskussion zur Wende ins 19. Jahrhundert neu begründete, umreißt aber umso markanter die theoretische Ausrichtung Voß', der sich sonst nur selten zum Problem des Übersetzens und zu seinen eigenen Übersetzungsprinzipien äußerte. Voß' eigene Übersetzungspraxis untermauert aber das in der Formulierung „je näher, desto vortreflicher“ angelegte Gebot einer bedingungslosen Anlehnung an den grammatischen, lexikalischen, stilistischen und metrischen Duktus der Originalvorlage.3 Mit dieser sprachmimetischen Übersetzungsmethode verwirrte Voß zunächst die zeitgenössische Öffentlichkeit, welche seine klassizistisch geformte Übersetzungssprache als „griechenzendes Deutsch“4, so Wielands berühmte Formulierung, wahrnahm. Die befremdeten Reaktionen hielten Voß aber nicht davon ab, kontinuierlich an seiner Übersetzungssprache weiter zu feilen. Denn Voß' Übersetzungsmethodik war nicht nur sprachschöpferischen Absichten verpflichtet, sondern auch einer kulturpädagogischen Zielsetzung, welche er bedingungslos verfolgte. Die Forderung nach einer radikalen Originalnähe diente in Voß' Perspektive zur einprägenden Vermittlung der ethischen Werte – der „unsterbliche[n] Wahrheiten“5 – der Antike und war somit ein Zeichen seines idealisierenden Zugangs zu den homerischen Epen. Auch das metrische Nachahmungspostulat ist vor dem Hintergrund eines solchen erzieherischen Programms zu sehen. Das als überzeitlich aufgefasste Homer-Ideal sollte nämlich durch das Leitbild der nachgebildeten Hexameter erreicht werden, die jeglicher zeitlichen Veränderung enthoben sind und im Rahmen einer abgewogenen Deklamation auf die des Griechischen unkundigen Leser einwirken können; daraus entstand die „Übersetzung fürs Ohr“6, die dem Weimarer Kreis bei Voß' Besuch im Jahre 1794 imponiert hatte.7 In der vorliegenden Studie sollen die literaturtheoretischen und -geschichtlichen Hintergründe beleuchtet werden, vor welchen sich Voß' kulturpädagogisches Übersetzungsideal entfalten konnte. Zunächst ausgehend vom Homer-Übersetzungsprojekt, welches 1793 in der Veröffentlichung einer Gesamtübersetzung kulminierte, wird der Blick rückwärts auf die bisher weitgehend unerforschten Jugendübersetzungen Horazischer und Pindarischer Lyrik gelenkt, die von Voß während seiner Studienzeit in Göttingen (1772–1775) verfasst wurden. Göttingen war zu der Zeit eine Werkstatt altphilologischer Studien, man denke hierbei insbesondere an Christian Gottlob Heynes Wirken. An seinen Seminaren nahm Voß teil, engagierte sich aber vor allem außerhalb des akademischen Rahmens als Mitglied der Dichtergruppe, die in der Literaturgeschichte als Göttinger Hain bekannt ist. Neben den Gedichten, die die Jünglinge vor allem in dem Musenalmanach von Heinrich Christian Boie veröffentlichten, sind zwei handschriftliche Dokumente erhalten, die die Tätigkeit der jungen Dichter dokumentieren: Das Bundesbuch (ed. Kahl),8 ein gemeinsam erarbeitetes Register mit der Aufzeichnung der für würdig gehaltenen Gedichte der Jünglinge, und die Gedichtsammlung Für Klopstock9 (die Texte, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, stammen hauptsächlich aus diesen handschriftlichen Sammlungen). Ausgangspunkt der Untersuchung stellt die These dar, dass Voß' Tätigkeit als Mitglied des Göttinger Hains weit über den dichterischen, bekanntlich im Zeichen der Klopstock-Poetik stehenden Eifer hinausging und ansatzweise bereits dem künftigen, normativen Antike-Ideal verschrieben war. Um dies nachzuweisen, ist die Arbeit in zwei Teile geteilt, von denen der erste die literaturgeschichtlichen und übersetzungstheoretischen Grundlagen darlegt, auf welche sich die Untersuchung der Voßischen Jugendübersetzungen im zweiten Teil stützen wird. Ein kurzer Überblick soll nun die Struktur der Arbeit aufzeigen. In einer einleitenden Sektion wird die Entstehungsgeschichte des Übersetzungswerkes Voß' diachronisch skizziert. Einer Besprechung der übersetzungstheoretischen Ansätze, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts – also vor dem Erscheinen der Voßischen Homer-Übersetzung – herauskristallisiert haben (Teil 1, Kap. 1.1), folgt die Darstellung des Umbruches, den die Odüßee 1781 und ihre Umarbeitung 1793 in der deutschen Übersetzungskultur einleiteten (Teil 1, Kap. 1.2–3). Daran schließen einige Bemerkungen zur pädagogischen Ausrichtung des Voßischen Übersetzungskonzeptes an (Teil 1, Kap. 1.4). Die aus diesen Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse sollen als rückwirkende Kontrastfolie die Analyse der Voßischen Jugendübersetzungen begleiten. Im Hinblick auf verwendete Begrifflichkeiten sei vorweggenommen, dass ich im Rahmen dieser Arbeit zu Voß' Jugendwerk die Übersetzungen zähle, die in der Zeit vor 1781 – dem Erscheinungsjahr der Odüßee – verfasst wurden, zum Alterswerk diejenigen, die nach 1793 erschienen, also nach der Veröffentlichung des gesamten Homer. Dazwischen liegt eine Übergangsphase, in der Voß an der Übersetzung von Vergils Georgica (1789 erschienen) arbeitete: Die Beschäftigung mit Vergils Hexametern führte ihn zur strengeren Beachtung antiker Hexameterregeln und beeinflusste zugleich eingehend die Überarbeitung der Odüßee. Nach der Veröffentlichung von Homers Werken im Jahr 1793 wurde das Nachahmungspostulat von Voß zwar immer strenger angewandt, erlebte aber keine gravierende Akzentverschiebung mehr. All diese Erkenntnisse (und somit auch meine diachronische Unterscheidung) gehen auf die Studien von Alfred Kelletat (1949)10 und vor allem Günter Häntzschel (1977)11 zurück. Ich bin ebenfalls den Untersuchungen von Helmut J. Schneider, Marion Marquardt, Olav Krämer, Adrian Hummel und Axel E. Walter12 stark verpflichtet, welche ergänzend zu Kelletat und Häntzschel gezeigt haben, dass die von Voß in seiner Homer-Übersetzung geleistete Spracharbeit mit kulturpädagogischen Absichten einherging. Abgerundet wird der erste Teil durch eine kursorische Darlegung der theoretischen Ansätze, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegen. Ausgehend von einigen Überlegungen zu den Anwendungsmöglichkeiten der modernen Übersetzungsforschung (Teil 1, Kap. 2.1) soll gezeigt werden, dass eine transformationsorientierte Übersetzungsanalyse – gemäß dem Konzept der Transformation13 des Berliner Sonderforschungsbereich 644 „Transformationen der Antike“ – am geeignetsten ist, um dem Wechselspiel zwischen Modifikation und Aneignung Rechnung zu tragen, welches jegliches Übersetzungsverfahren prägt (Teil 1, Kap. 2.2). Daraufhin wird die spezifische Ausrichtung der übersetzungsanalytischen Methode, die ich auf Voß' Jugendübersetzungen anwende, vor dem Hintergrund einer transformationsorientierten Übersetzungskonzeption erläutert (Teil 1, Kap. 2.3).14 In diesem Zusammenhang finden translatologische Begrifflichkeiten wie Darstellung, Äquivalenz und translation shift ebenfalls Berücksichtigung. Diese Kapitel spiegeln meine Arbeit am Projekt „Übersetzung der Antike“ des genannten Sonderforschungsbereiches 644 wider. Obwohl die gesamte Konzeption und einzelne Teile der vorliegenden Dissertationsschrift bereits vor dieser Zeit vorlagen, prägten die in Berlin gewonnenen Erkenntnisse ihre endgültige Niederschrift und werden daher im Rahmen eines eigenen Arbeitsteils dargestellt. Im zweiten Teil der Arbeit stehen Voß' Übersetzungsproben aus der Göttinger Zeit im Vordergrund. Zunächst wird die dichterische Tätigkeit des Göttinger Hains literaturgeschichtlich verortet. Das Spezifikum dieses dichterischen Freundeskreises, dem unter anderem Ludwig Christoph Heinrich Hölty, Johann Martin Miller, die Geschwister...


Enrica Fantino, University of Leipzig, Germany.

Enrica Fantino
, University of Leipzig, Germany.


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