Fónyad | Was noch kommt | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

Fónyad Was noch kommt


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-9505435-6-8
Verlag: Elster & Salis Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

ISBN: 978-3-9505435-6-8
Verlag: Elster & Salis Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gábor Fónyad hat nach seinem letzten Roman 'Als Jesus in die Puszta kam' mit seinem satirischen Blick auf Machtmissbrauch und Verschwörungsglaube nun ein ganz anderes Thema aufgegriffen, das jedoch nicht weniger Relevanz und Gesprächswert hat: In seinem neuen Buch 'Was noch kommt' liefert er uns einen humorvollen Blick auf die Zeit der Midlife-Crisis und beschreibt gleichzeitig die verzweifelte Suche nach Identität eines modernen Mannes, der aus alten Rollenklischees ausbrechen will. Fónyad schafft es, aus der Sicht eines Mannes, ohne in den üblichen Jargon der Geschlechterkampfparolen einzusteigen, die Rollenverteilung in heterosexuellen Beziehungen zu hinterfragen, ohne Patentrezepte und lauwarme Antworten zu liefern.

Gábor Fónyad, 1983 in Wien geboren, lebt und arbeitet in Niederösterreich. Er wuchs zweisprachig in einer aus Ungarn stammenden Musiker- und Theologenfamilie auf. Seine Begeisterung für alles, was mit Sprache zu tun hat, schlug sich in seinen Studien der Germanistik und Finno-Ugristik nieder und zeigt sich bei seiner Unterrichtstätigkeit an einem Gymnasium in Niederösterreich sowie an der Universität Wien. 2015 erschien sein erster Roman »Zuerst der Tee«, mit dem er 2017 beim Internationalen Buchfestival in Budapest als Österreichischer First Novellist vertreten war. Es folgte 2021 bei Elster & Salis Wien 'Als Jesus in die Puszta kam'.
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NOCH 12 TAGE


„Immer du mit deinem England, das haben wir jetzt davon“, fuhr mich Sarah an, während wir versuchten, so schnell wie möglich zusammenzupacken und die Flucht Richtung Parkplatz zu ergreifen. „Wegen dir sind jetzt alle klatschnass. Schau dir nur die Kinder an! Das ist also deine Vorstellung von einem Familienurlaub am Strand?“ Mona und Stefan sagten nichts, sondern stopften die Handtücher, Kleidungsstücke und das Spielzeug wahllos in die Taschen, ohne darauf zu achten, was wem gehörte, aber ihr Schweigen ließ wenig Zweifel daran, dass sie auf Sarahs Seite standen. Der dreijährige Sohn der beiden hielt sich an Monas Strandrock fest und suchte Schutz zwischen ihren Beinen, wodurch er sie immer wieder zum Straucheln brachte.

„Außer dir wollte niemand herkommen“, setzte Sarah fort.

„Also den Kindern hat es doch ganz gut gefallen“, wandte ich ein.

„Wieso weint dann Jakob so kläglich?“

„Wenn wir jetzt in Jesolo bei vierzig Grad im Schatten wären, würde er auch weinen. Er hasst Hitze. Außerdem weint er, weil er noch bleiben will und weil er es nicht mag, wenn wir uns streiten. Er ist eben sensibel.“

„Hast du ihn gewickelt?“, fragte Sarah, immer noch angriffslustig.

„Wann denn? Jetzt ist es auch schon egal. Wir ziehen ihn im Auto um.“

Jakob saß in einer Pfütze, die sich innerhalb kürzester Zeit in einer Mulde im Sand gebildet hatte, und klammerte sich an seine Schaufel. Seine Windel sog sich immer mehr mit Wasser voll. Die Schwimmwindeln waren uns ausgegangen und wir hatten vergessen, neue zu kaufen. Jakob war gerade einmal zwei Jahre alt.

„Aber ich will noch ein Eis, ich will noch ein Eis! Du hast versprochen, dass ich noch ein Eis bekomme!“, mischte sich Emma, unsere fünfjährige Tochter, ein.

„Siehst du hier irgendwo ein Eisgeschäft?“, entgegnete Sarah. „Frag Papa, ob es in England überhaupt Eis gibt.“

„Jetzt fahr die Kleine doch nicht so an …“

Das war einmal zu oft „Eis“ gesagt. Theo, Monas und Stefans Sohn, erkannte das Stichwort für seinen Einsatz und stimmte in Emmas Parole ein. „Ich will ein Eis! Aber jetzt sofort und gleich!“ Das konnte er mit seinen drei Jahren bereits einwandfrei sagen.

„Theo, das geht jetzt nicht“, sagte Mona und nahm ihn an der Hand.

Stefan hängte sich so viele Taschen um, wie ihm nur möglich war, und stapfte los in Richtung Auto. Ich hätte mich gerne ebenfalls aus der Verantwortung gezogen, aber Sarah überreichte mir Jakob, auf dem überall Sand klebte und der nun losschrie, weil er unbedingt zu seiner Mama wollte, der kleine Verräter. Als ich ihn fester an mich drückte und ihm gut zuredete, presste ich das Wasser – ich redete mir ein, dass es nur Wasser war – aus seiner Windel auf mein neues Sex-Pistols-Shirt, das ich noch gestern in London gekauft hatte und von dem Sarah meinte, dass ich zu alt dafür sei. Die Windel war viel zu locker zugemacht. Sarah hatte ihn als Letzte gewickelt, sie machte das immer so.

Als wir wenig später zurück in unserem Ferienhaus in Amberley waren, westlich von Brighton, und alle wieder trockene Kleidung anhatten, war der Zwischenfall am Strand, der zum abrupten Abbruch unseres Tagesausflugs geführt hatte, vergessen. Nur Emma und Theo starteten noch einige Versuche und forderten ihr Eis ein, aber nachdem Sarah ihnen eine Packung Schokoladenkekse überlassen hatte, waren sie damit fürs Erste zufriedengestellt. Ich war zwar grundsätzlich dagegen, Kinder mit Süßigkeiten zu bestechen, aber in diesem Augenblick war ich froh über den wiederhergestellten Frieden. Sarah war auch wieder versöhnt, sie mochte das Ferienhaus, das immerhin ich ausgesucht und gebucht hatte, der Stil und die Einrichtung entsprachen genau ihrem Geschmack, und jetzt machte sie es sich mit einer Decke und einem Bildband über Gartengestaltung auf der Couch im Wohnbereich bequem. Außerdem waren es Bio-Dinkel-Kekse, sagte ich mir. Mir war es wichtig, dass Emma und Jakob nicht zu viel naschten, was Sarah für pedantisch und verkrampft hielt, sie war der Ansicht, es führe in der Pubertät erst recht zu einer Fresssucht, wenn es jetzt so tabuisiert werde. Insgeheim ahnte ich, dass sie Recht hatte, denn während ich meine Kinder mit allen Mitteln daran zu hindern trachtete, dass sie Süßigkeiten zu sich nahmen, stahl ich selbst heimlich Schokolade aus dem Vorrat, den Sarah, gegen meinen Willen, bei uns zu Hause in dem Fach oberhalb des Kühlschranks angelegt hatte. Zu Weihnachten aß ich mitunter schon vor der Bescherung die Schokoschirmchen vom Baum. Wenn Sarah mich dabei erwischte, erklärte ich, das gehöre eben zu den wenigen Vorteilen des Erwachsenenlebens, das schließlich nicht nur aus Schlafmangel, Geldverdienen und Wäscheaufhängen bestehen könne.

„Meinetwegen. Dann sollen sie eben vor dem Abendessen naschen“, gab ich nachträglich meine Zustimmung, als die Kekspackung bereits bis auf einige Brösel geleert war. Das war mir immer noch lieber, als sie am Tablet Videos schauen zu lassen, wie es Stefan vorgeschlagen hatte.

Aber kannten wir wirklich kein anderes Erziehungsmittel, als sie mit Belohnungen so zu manipulieren, dass sie sich unserem Wunsch entsprechend verhielten? Mit befreundeten Eltern erörterten wir immer wieder die Frage, ob es denn vertretbar sei, Kinder zu bestechen oder ihnen zu drohen, zum Beispiel damit, dass das Christkind keine Geschenke bringen oder dass man das neue Fahrrad weiterschenken würde, wenn sie sich nicht benahmen. Dabei war ich ja keineswegs unschuldig, denn auch ich erkaufte mir regelmäßig eine halbe Stunde Zeit, die ich, wenn auch mit einem schlechten Gewissen, zum Kaffeetrinken oder Lesen nutzte, allerdings hatte ich eine andere Währung: Die Kinder durften in der Zwischenzeit das Wohnzimmer auf den Kopf stellen, die Couch als Trampolin nutzen, das Papier aus dem Drucker zum Malen verwenden und die schönen Porzellantassen von Sarahs Oma als Puppengeschirr verwenden, unter der einen Bedingung, dass sie nicht zu laut schrien und Meinungsverschiedenheiten unter sich lösten, möglichst ohne körperliche Gewalt anzuwenden. Einmal ließ ich sogar Jakob, der damals vielleicht zehn Monate alt war, mein Puzzle zerstören, an dem ich die letzten acht Wochen gearbeitet hatte und das ich am Abend zuvor in Sicherheit zu bringen vergessen hatte. Erst als er ein Puzzlestück in seinem Mund zu einer breiigen Substanz aufgeweicht hatte, die er nun hinunterzuschlingen sich anschickte, griff ich ein und ihm in den Rachen, woraufhin er erst recht zu würgen und zu krächzen begann, um schließlich, als ich das Puzzlestück, oder was davon übrig war, in der Hand hielt, loszubrüllen, sodass Sarah hereingestürmt kam, mir Jakob entriss und mich anfuhr, ob das meine Art sei, auf unsere Kinder aufzupassen. Emma wollte auch mitreden und umtanzte uns johlend: „Du bist schuld! Du bist schuld!“

Um uns Diskussionen zu ersparen, die zu nichts führten, beschlossen wir kurzerhand, Spaghetti zu Abend zu essen. Einmal Spaghetti mit Tomatensauce für Emma und Jakob und einmal Spaghetti ohne Tomatensauce für Theo, der, sobald das Wort „Abendessen“ gefallen war, skandierte: „Enghetti ohne mit Rot! Enghetti ohne mit Rot!“. Die Pommes Frites ließen wir diesmal aus und hofften, dass uns Emma daraus nicht einen Strick drehen würde, indem sie ihrerseits ihr Recht einforderte: „Ich will Spaghetti mit Pommes! Ich will Spaghetti mit Pommes! Ihr seid so, so, so gemeine Eltern!“ Doch so weit kam es Gott sei Dank nicht. Außerdem würden wir Pommes Frites in den nächsten zwei Wochen ohnehin noch oft genug essen, wir waren schließlich in England, das nicht nur die Heimat der Sex Pistols war, sondern auch die von Fish and Chips, was man leicht in Chips ohne Fisch umwandeln konnte.

Während Sarah die Tomatensauce zubereitete, deckten Mona und ich den Tisch. Stefan saß auf der Couch und gab vor, auf die Kinder aufzupassen, was jedoch überflüssig war, da sie sich gerade selbst beschäftigten, indem sie Bildbände aus den unteren Regalen der Reihe nach herauszogen und durchblätterten. Wir wollten vor dem Schlafengehen jede Art von Eskalation vermeiden, auch wenn das hieß, dass wir gewisse Kompromisse eingehen mussten, wie etwa jenen rund um die Spaghetti.

Am Tag zuvor nämlich hatten wir, während eines ersten Rundgangs durch das beschauliche Amberley, nicht nur einen kleinen Spielplatz entdeckt, sondern auch ein Pub. Durch dessen Anblick inspiriert, fassten wir einen Entschluss: Abends würden zwei von uns Erwachsenen miteinander ausgehen, während die anderen beiden im Haus blieben und die hoffentlich schlafenden Kinder bewachten. Den Anfang sollten Sarah und Mona machen, und zwar gleich heute. Diesen Heimaturlaub von der Front der Elternschaft wollten wir, sofern der Pilotversuch glückte, die folgenden Abende wiederholen, in jeweils anderer Besetzung.

Es war unsere erste Flugreise als Familie. Bis jetzt hatten Sarah und ich uns mit den Kindern über österreichische Seen und einen Kurzurlaub in Kroatien nicht hinausgewagt. England war dann tatsächlich meine Idee gewesen. Als Student hatte ich ein Jahr der Freiheit in Brighton verbracht, das erfüllt war von Leben, Lesen und nicht zuletzt Lieben, und seitdem hegte ich den Wunsch, eines Tages an diesen Ort zurückzukehren. Dass ich in meiner nunmehrigen Rolle als bald vierzigjähriger Vater von zwei kleinen Kindern hier nicht das finden würde, was mich als Zweiundzwanzigjährigen berauscht und beflügelt hatte, war mir durchaus bewusst. Aber dennoch hoffte ich, zumindest ein bisschen etwas von dem damaligen Lebensgefühl tanken zu können – von...


Fónyad, Gábor
Gábor Fónyad, 1983 in Wien geboren, wuchs zweisprachig in einer aus Ungarn stammenden Musiker- und Theologenfamilie auf. Seine Begeisterung für alles, was mit Sprache zu tun hat,
schlug sich in seinen Studien der Germanistik und Finno-Ugristik nieder und zeigt sich
bei seiner Unterrichtstätigkeit an einem Gymnasium in Niederösterreich sowie an
der Universität Wien. 2015 erschien sein erster Roman „Zuerst der Tee“, mit dem er 2017 beim Internationalen Buchfestival in Budapest als Österreichischer First Novellist vertreten war. Es folgte
2021 bei Elster & Salis Wien „Als Jesus in die Puszta kam“.



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