E-Book, Deutsch, Band 1, 263 Seiten
Reihe: Die Cameron Saga
Graham Der Lord und die ungezähmte Schöne: Die Cameron-Saga - Band 1
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96148-836-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 263 Seiten
Reihe: Die Cameron Saga
ISBN: 978-3-96148-836-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Heather Graham wurde 1953 geboren. Die New-York-Times-Bestseller-Autorin hat über zweihundert Romane und Novellen verfasst, die in über dreißig Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Heather Graham lebt mit ihrer Familie in Florida. Von Heather Graham erscheinen bei dotbooks: »In den Händen des Highlanders« »Fieber der Leidenschaft« »Der Lord und die Rebellin« »Die Leidenschaft des Earls« »Das Begehren des Ritters« »Die Gefangene des Freibeuters« »Das Erbe der Liebenden« Die Highland-Kiss-Saga: »In den Armen des Schotten« »Der Highlander und die schöne Feindin« »Gefangen von einem Highlander« »Die Braut des Viscounts« Die Wild-Passion-Saga: »Der Ungezähmte und die Schöne« »Der Laird und die Schöne« »Der Krieger und die Schöne« Die Cameron-Saga: »Der Lord und die ungezähmte Schöne« »Die Geliebte des Freibeuters« Unter dem Autorennamen Shannon Drake veröffentlicht sie bei dotbooks außerdem: »Blutrote Nacht« »Bei Anbruch der Dunkelheit« »Verlockende Finsternis« »Das Reich der Schatten« »Der Kuss der Dunkelheit«
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Kapitel 1
Im Gasthof an der Kreuzung, England Winter, im Jahr des Herrn 1621 Unter der Regierung Seiner Königlichen Majestät, König James I.
Kreischend tobte der eisige Wind und drohte, die Deckenbalken der winzigen Dachkammer zu zerreißen. Jassy preßte die geballten Hände an die Brust und spürte die Kälte nicht, während sie die zerbrechliche Schönheit betrachtete, die vor ihr im Bett lag, unter fadenscheinigen Decken. Dann schaute sie sich unglücklich in dem schäbigen Schlafzimmer um, das nur schwach vom Kerzenschein erhellt wurde. Ihr Blick streifte die alte Truhe, die nur wenige Habseligkeiten enthielt. Tränen brannten in ihren Augen.
Einen solchen Tod darf sie nicht finden, gelobte sie sich. Ich werde betteln, Geld leihen oder stehlen, aber – Gott helfe mir – so lasse ich sie nicht sterben.
Der alte Tamsyn starrte sie an, als hätte er ihre Gedanken erraten. Traurig schüttelte er den Kopf. Die Hoffnung, Linnet Dupré könnte noch gerettet werden, hatte er längst aufgegeben. »Chinin, Mädchen. Chinin würde ihre Leiden ein wenig lindern. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Jassy wischte ungeduldig die Tränen weg, die über ihre Wangen rollten. Er mußte sich irren. Wer war er denn schon? Ein heruntergekommener Trunkenbold, der im Gasthof an der Kreuzung mühsam sein Dasein fristete. Er behauptete, vor langer Zeit habe er in Oxford Medizin studiert. Doch das mochte eine Lüge sein – eine Lüge wie die Träume, die er für sie gesponnen hatte, von einer besseren Zukunft, fernen Ländern, exotischen Reisen und smaragdgrünen Meeren.
Aber ihre Mutter lag im Sterben, und Jassy hatte keine Zeit für Träume. »Chinin?«
»Chinin«, wiederholte Tamsyn. »Genauso gut könnten Sie sich den Mond wünschen. Selbst geringe Mengen kosten ein Vermögen.«
Verzweifelt biß sie sich auf die Unterlippe. Alles war teuer, denn ihre Mutter verdiente im Gasthaus pro Jahr nur eine Goldmünze und einen Stoffballen. Ihr selbst wurde gar nichts bezahlt. Sie arbeitete als Küchenlehrling, und man würde ihre Bemühungen erst nach einer fünfjährigen Ausbildung entlohnen. »Wenn ich Master John bitte ...«, flüsterte sie.
»Das sollten Sie sich sparen, Mädchen«, warnte Tamsyn. »Er wird Ihnen nichts geben.«
Sie mußte ihm beipflichten. Die Gäste saßen vor üppig gefüllten Tellern, tranken Ale und Wein, aus Frankreich importiert. Oft gab er großzügig Getränkerunden aus. Um so weniger vergönnte er seinen Angestellten.
Trotz seines Geizes und seiner Grausamkeit waren die Duprés hiergeblieben. Nur in diesem Gasthaus, wo sie eine Dachkammer teilten und Jassy ihrer schwachen, anfälligen Mutter fast die ganze Arbeit abnahm, konnten sie ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Als die Kranke leise stöhnte, eilte Jassy zu ihr, kniete nieder und umfaßte eine der dünnen, kraftlosen Hände. Linnet war ihr schon immer unwirklich erschienen, wie eine Märchenfee. Auch jetzt, wo der Tod seine knochigen Finger nach ihr ausstreckte, zeigte sich ihre makellose Schönheit. Nein, nicht der Tod, schwor sie sich. Lieber wollte sie am Galgen enden, ehe sie ihre Mutter in dieser erbärmlichen Umgebung sterben sah. Die zauberhafte Linnet – nicht geschaffen für ein Leben im häßlichen Elend ...
Sie öffnete die Augen, die im Fieber glänzten, in einem dunklen Violett, das einen wunderbaren Kontrast zum goldenen Haar und der elfenbeinweißen Haut bildete. Nicht die Jahre hatten das Gesicht, ein vollkommen ebenmäßiges Oval, altern lassen, sondern die Sorgen, die endlosen Kämpfe.
»Mama!« Liebevoll drückte Jassy die schmale Hand. »Ich bin bei dir!«
Und dann stieg panische Angst in ihr auf, denn Linnet erkannte sie nicht. Sie war in die Vergangenheit zurückgekehrt, sprach mit einer Person, die nicht mehr existierte. »Sind Sie das, Malden? Sagen Sie Sheffield, der Vorhang darf noch nicht aufgehen. Ich fühle mich schlecht und muß erst Kräfte sammeln. Diesem Mädchen fehlt es am nötigen Talent, um die Rolle der Lady Macbeth zu spielen.«
Neue Tränen hingen an Jassys Wimpern, tiefer Schmerz krampfte ihr das Herz zusammen. Nur zu deutlich erkannte sie, wie Linnet ihre Beziehung zur Realität verlor, um in früheren Zeiten zu leben, an einem viel schöneren Ort. Ihr Leben war nicht immer so armselig verlaufen. Als unumstrittene Königin hatte sie die Londoner Theaterszene beherrscht, in Paris, Rom und in der übrigen christlichen Welt Triumphe gefeiert, umschwärmt von Herzögen und Grafen, von Luxus umgeben.
Jassy war in Glanz und Reichtum aufgewachsen.
Ihre Mutter hatte mehrere Dienstboten beschäftigt und immer gut behandelt. Remington war für Haus und Hof verantwortlich gewesen, die alte Mary für die Küche. Sally Frampton aus dem nahen Waverly hatte ihre Herrin in kostbaren Essenzen gebadet und ihr das Haar nach der neuesten Mode frisiert. Bruder Anthony unterrichtete Jassy in Französisch und Latein, Miß Nellie gab ihr Tanzstunden, und Herr Hofinger aus Deutschland brachte ihr alles bei, was er über die Welt und deren Geschichte wußte. Er berichtete vom großen Entdecker Columbus, von der Neuen Welt und den Kolonien, von den Amerikanern und Indianern; von den Spaniern und der großen Niederlage der Armada, von den Engländern, die auf dem Meer immer noch mit den Spaniern kämpften und Land in Übersee beanspruchten. Und er erzählte auch von vornehmen Häusern und Schlössern in England. In ihren Träumen wurde sie von einem Ritter in goldener Rüstung erobert und residierte mit ihm auf einer herrlichen Burg. In solchen Träumen sah die Mutter niemals erschöpft und überfordert aus. Lächelnd, in Samt und Seide, saß sie in einem eleganten Salon und goß sich Tee aus einer Silberkanne ein.
Doch diese Träume gehörten zu einer anderen Zeit. Plötzlich hatte Linnet keine Bühnenangebote mehr bekommen. An ihrer finanziellen Lage war sie nie interessiert und deshalb völlig unvorbereitet auf die harten Schicksalsschläge gewesen. Bestürzt erfuhr sie, daß sie nicht einmal genug Geld besaß, um in ein kleines Haus zu ziehen, daß ihr wegen der hohen Schulden sogar das Gefängnis drohte. Wunderbarerweise erwies sich ein geheimnisvoller Gönner als Retter in höchster Not.
Linnet kannte ihn, was sie ihrer erst neunjährigen Tochter allerdings verschwieg. Aber mit zehn verstand Jassy das Dienstbotengeschwätz. Die Leute munkelten, der Herzog von Somerfield habe Mrs. Dupré endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Sie starrten Jassy an, und der kleine George, ein Sohn der Köchin, erzählte ihr schließlich, sie sei ›illegitim‹ geboren. Alle meinten, der Herzog, mit dem ihre Mutter einmal ›liiert‹ gewesen war, hätte sie schon längst aus ihrer Not erlösen müssen.
Solche Gerüchte versetzten Jassy zunächst in eine wundervolle Traumwelt. Sie malte sich aus, ihr Vater wäre ein hübscher, großer, reicher Mann. Eines Tages würde sie sein Haus betreten und ihn mit ihrer Schönheit entzücken. Er würde sie inniger lieben als seine ehelichen Kinder und sie dem goldenen Ritter vorstellen, ihrem künftigen Gemahl ...
Doch es kam ganz anders. Eines Morgens sprang Linnet vom Frühstückstisch in der kleinen Küche auf, stieß einen Schrei aus und brach ohnmächtig zusammen.
Jassy eilte ihr zu Hilfe, ebenso wie Mary, die erschrocken fragte, was diesen seltsamen Anfall verursacht haben könnte. Im Gegensatz zu der Dienerin konnte Jassy lesen, und so griff sie nach der Zeitung, die auf dem Tisch lag. Hastig überflog sie die aufgeschlagene Seite und erfuhr, der Herzog sei wenig ruhmreich bei einem ungesetzlichen Duell getötet worden.
Jetzt gab es niemanden mehr, der die Miete für das kleine Haus bezahlte. Ein Dienstbote nach dem anderen verließ die Duprés. Letzten Endes mußten sie ihr Heim aufgeben, die restlichen Goldmünzen gingen bald zur Neige. Vergeblich bemühte sich Linnet um ein neues Engagement an einem Londoner Theater. Die rachsüchtige Herzogin sorgte dafür, daß der einst so bewunderten Schauspielerin alle Türen verschlossen blieben.
Wie Jassy sehr schnell erkannte, mußten sie eine andere Verdienstquelle suchen. Auch Linnet sah ein, daß sie sich nur mit körperlicher Arbeit über Wasser halten konnten. Auf jeden, der seine Schulden nicht beglich, wartete das Gefängnis Newgate. Da es ihr an den nötigen Fähigkeiten mangelte, um einer besser bezahlten Tätigkeit nachzugehen, landete sie als Küchenhilfe im Gasthof an der Kreuzung. Aber auch für diese Stelle war ihr schöner, zarter Körper völlig ungeeignet.
Master John hatte sie nur aufgenommen, weil die damals zwölfjährige Jassy kerngesund gewesen war und kräftig genug, um den Vierzehn-Stunden-Tag zu überstehen, der ihre Mutter überforderte.
Als Linnet wieder zu sprechen begann, wurde ihre Tochter in die Gegenwart zurückgeholt. »Sagen Sie ihnen, der Vorhang darf noch nicht aufgehen ...« Dann schien der fiebrig glänzende Schleier von den Augen zu verschwinden. Sie runzelte die Stirn, Tränen rannen über ihre Wangen. »Jassy – Jassy, Jasmine ... Er hat dich so genannt, denn er liebte den Duft von Jasmin. Schon als Baby warst du so schön wie eine Blüte – und so süß. Oh, was für wunderbare Zukunftsträume ich hatte ... Er liebte uns – ja, er liebte uns wirklich. Du hättest eine Lady werden müssen, beschützt und verwöhnt. Aber – deine armen Hände ... O Jassy, was habe ich dir angetan! Dich hier zurückzulassen, an diesem gräßlichen Ort ...«
»Nein, Mutter, nein! Es geht mir gut, und auch du wirst dich bald wieder besser fühlen.« Mühelos kam die Lüge über Jassys Lippen. »Sobald du gesund bist, ziehen wir hier aus. Meine Halbschwester hat mir geschrieben, eine Tochter des Herzogs. Wir sollen auf einem seiner Landgüter leben. Ihre – ihre Mutter ist gestorben, und nun möchte sie...




