E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Grieser Verborgener Ruhm
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-903083-89-9
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Österreichs heimliche Genies
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-903083-89-9
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dietmar Grieser lebt seit 1957 in Wien und ist seit 1973 als Buchautor erfolgreich. Seine Bestseller wurden in mehrere Sprachen übersetzt, etliche auch fürs Fernsehen verfilmt. Zu seinen Auszeichnungen zählen u.a. der Eichendorff-Literaturpreis, der Donauland-Sachbuchpreis, der Buchpreis der Wiener Wirtschaft, der tschechische Kulturpreis 'Artis Bohemiae Amicis', das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst sowie das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Zuletzt bei Amalthea erschienen: 'Die böhmische Großmutter' (6. Aufl. 2015), 'Es ist nie zu spät' (3. Aufl. 2010), 'Das zweite Ich' (2. Aufl. 2011), 'Das gibts nur in Wien' (2. Aufl. 2012), 'Landpartie' (2013), 'Wege, die man nicht vergisst' (2015), 'Geliebtes Geschöpf' (2. Aufl. 2016) und 'Schön ist die Welt' (2017).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Für Elise
Für Elise« – wer kennt sie nicht, Beethovens Klavierminiatur in a-Moll? Nur aus übergroßem Respekt vor dem Meister scheuen wir davor zurück, das häßliche Wort »Gassenhauer« in den Mund zu nehmen. Freuen wir uns statt dessen, daß das 1810 entstandene »Albumblatt«, das die Musikfeinspitze geringschätzig der Gattung »Bagatelle« zurechnen, auch den blutigen Anfänger in die Lage versetzt, sich an Beethoven zu versuchen. In Heumanns »Kunterbunter Spielkiste beliebter klassischer Melodien in leichter bis leichtester Fassung« steht es neben dem »Wiegenlied« von Johannes Brahms und Robert Schumanns »Träumerei«. Was seinen festen Platz im Kinderzimmer hat, kommt für den Konzertprofi höchstens als Zugabe in Betracht, obwohl auch er, unterdrückt er nur seine Vorbehalte gegen alles allzu Populäre und Abgespielte, aus dem 3-Minuten-Opus manches an Virtuosität herausholen könnte. Immerhin – Brendel und Buchbinder, Kempff und Ashkenazy waren sich nicht zu gut dafür, »Für Elise« sogar auf Schallplatte und/oder CD einzuspielen.
Eine andere Frage, die sich freilich weder der AnfängerDreikäsehoch noch der Meisterpianist zu stellen pflegt, ist die Frage nach der Identität der Widmungsträgerin: Wer sie eigentlich, diese Elise? Hat es sie tatsächlich gegeben?
Ja, hat es. Nur hieß sie nicht Elise. Sondern Therese. Als man 1867, vierzig Jahre nach Beethovens Tod, daranging, das Stück zum Druck zu befördern und somit für die Öffentlichkeit freizugeben, ereignete sich ein folgenschwerer Fehler: Beim Entziffern der kaum leserlichen Handschrift des Meisters deutete man den Namenszug, der in Wahrheit »Therese« heißen sollte, leichtfertig als »Elise«, und dabei ist es – überhaupt, nachdem das Originalmanuskript in Verlust geraten war – geblieben. Dabei hätte man sich nur die Mühe zu machen brauchen, die Entstehungsgeschichte des vielgeliebten, vielgeschmähten Werkchens aufzuhellen.
Bald zehn Jahre ist es her, daß sich Beethovens Gehörschwäche zum erstenmal bemerkbar gemacht hat. Nun, Ende Oktober 1808, kommt auch noch hinzu, daß sich bei dem knapp Achtunddreißigjährigen eine gewisse Wien-Müdigkeit einstellt: Der König von Westfalen, Napoleons jüngster Bruder Jérôme Bonaparte, hat die Absicht geäußert, Beethoven als Kapellmeister an seinen Hof zu berufen. Ein Sendbote trifft in Wien ein, der ihn mit dem Offert eines Gehalts von 600 Golddukaten nach Kassel locken soll.
Die durchwegs habsburgtreuen Wiener Mäzene schrecken auf, als sie erfahren müssen, ihr Schützling habe ernstlich vor, auf das Angebot aus dem Norden einzugehen: Es muß also gehandelt werden – und zwar rasch. Tatsächlich gelingt es Erzherzog Rudolph sowie den Fürsten Lobkowitz und Kinsky, den Wankelmütigen von dem fatalen Schritt abzuhalten und weiterhin an seine Wahlheimat zu binden. Am 1. März 1809 wird der entsprechende Vertrag unterzeichnet: Er sieht – »auf Lebenslänge« – die Zahlung einer Jahresrente von 4000 Gulden vor; Beethoven spekuliert außerdem auf Stellung und Titel eines kaiserlichen Kapellmeisters.
Unter den Freunden, die sich sogleich ans Werk machen, für Beethovens Verbleib in Wien die nötigen Konzepte zu erstellen, tun sich in erster Linie Gräfin Anna Marie Erdödy, die ihn gegenwärtig im Pasqualati-Haus auf der Mölkerbastei beherbergt, der Cellist Nikolaus von Zmeskall und ganz besonders Ignaz Freiherr von Gleichenstein hervor, letzterer übrigens unter ausdrücklichem Hinweis auf Beethovens »Patriotismus für sein zweites Vaterland«.
Gleichenstein, fast so etwas wie sein Sekretär, macht sich dem Meister schon seit Jahren nützlich, indem er ihn im Umgang mit den Verlegern berät, ihm die Geschäftskorrespondenz aufsetzt und überhaupt jede erdenkliche Gefälligkeit erweist. Der »liederliche Baron«, wie Beethoven ihn scherzweise nennt, sei zwar »kein Kenner von Musik, aber doch ein Freund alles Schönen und Guten«. Da ist es kein Wunder, daß er, dem selber so wenig Glück beschieden ist im Anknüpfen dauerhafter Beziehungen zum anderen Geschlecht, Freund Gleichenstein auch als Postillon d’amour einspannt. »Nun kannst Du mir helfen eine Frau suchen, wenn Du eine schöne findest, die vielleicht meinen Harmonien zuweilen einen Seufzer schenkt«, schreibt er ihm am 12. März 1809 nach Freiburg, wo sich Gleichenstein momentan aufhält, um auf seinen dortigen Besitzungen nach dem Rechten zu sehen.
Der acht Jahre Jüngere, ein ebenso lebhafter wie charmanter Mann, ist seit kurzem mit Nanette von Malfatti verlobt, einer der beiden Töchter des Gutsherrn Jakob Friedrich von Malfatti, der den Sommer über samt Familie auf seinen Besitzungen in Walkersdorf bei Krems residiert und nur die Wintermonate in Wien verbringt.
Mit den Malfattis, die ursprünglich in der Toskana beheimatet sind, pflegt auch Beethoven Umgang: Dr. Johann Malfatti, der jüngere Bruder des Genannten, ein hochangesehener Mediziner, der später unter anderem Erzherzogin Beatrix von Este und Erzherzog Carl zu seinen Patienten zählen, den kränkelnden Herzog von Reichstadt betreuen, die Wiener Medizinische Gesellschaft gründen, als Autor eines »Entwurfs einer Pathogenie« hervortreten und während des Wiener Kongresses eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielen wird, ist seit 1808 auch Beethovens Leibarzt.
Ob es diese Verbindung ist oder aber Baron Gleichensteins bevorstehende Vermählung mit Nanette, was Beethoven auch privat den Zutritt zu den Malfattis eröffnet – gleichviel: Der Neununddreißigjährige macht zu Beginn des Jahres 1810 die Bekanntschaft von Nanettes Schwester Therese, erteilt der Talentierten wohl auch gelegentlich Klavierunterricht, und vor allem: Er verliebt sich in die 21 Jahre Jüngere. Von der Hofschauspielerin Antonie Adamberger als »eines der schönsten Mädchen von Wien« beschrieben, ist Therese ein kluges Persönchen von feurigem Temperament, eine brünette Erscheinung mit dunklen Augen und dunklem Teint, dem Charakter nach freilich auch »ein wenig flüchtig, alles im Leben leicht behandelnd«.
Als Gleichenstein im April 1810 ein Treffen mit seiner Braut Nanette, deren Schwester Therese und dem in letztere frisch verliebten Beethoven arrangiert, gibt dieser in einem Dankbillett an den Freund nicht nur seiner Vorfreude auf das gemeinsame Mahl im Praterlokal »Zum Wilden Mann« Ausdruck, sondern fügt ausdrücklich hinzu: »Dafür muß ich mich auch erst noch harnischen.« Beethoven, normalerweise sein Äußeres vernachlässigend, wirft sich also in Schale.
Noch ist es freilich nur die Musik, die den Meister mit seiner jugendlichen Schülerin verbindet: Die von ihr selbst begonnene Kopie des Mignon-Liedes wird von Beethoven vervollständigt und mit dem Begleittext versehen: »Die Verschönerungen der Fräulein Therese in diesem Lied hat der Autor gewagt, an das Tageslicht zu befördern.« Auch, daß er ihr eine eigene Komposition widmet (ebenjenes Klavierstück »Für Therese«, das später irrtümlich einer »Elise« zugeordnet werden wird), ist noch keineswegs als direkte Liebeserklärung anzusehen: »Albumblätter« wie dieses sind in jenen Tagen gang und gäbe. Der insgeheim Angebeteten offen seine Gefühle zu bekunden, fehlt es Beethoven an Mut. Da muß – wie so oft schon – wieder einmal Freund Gleichenstein einspringen.
Gänzlich untätig bleibt der Meister dennoch nicht: Beethoven erneuert seine Garderobe, schickt Gleichenstein einen ansehnlichen Geldbetrag, damit er ihm »Leinwand oder Bengalen für Hemden und wenigstens ein halbes Dutzend Halstücher« kaufe, bestellt bei einem der besten Schneider Wiens mehrere Anzüge, borgt sich von Freund Zmeskall, weil »der meinige gebrochen« ist, dessen Wandspiegel aus und schreibt seinem Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler nach Koblenz, er möge »die Reise nach Bonn machen«, um ihm, »was nur immer für Unkosten dabei sind«, den Taufschein zu beschaffen. Mit einem Wort: Beethoven trifft – wohl zum erstenmal in seinem Leben – Hochzeitsvorbereitungen.
Die Familie Malfatti ist unterdessen – wie alljährlich um diese Zeit – von ihrem Wiener Winterquartier wieder aufs Land hinaus gezogen; Briefe nach Walkersdorf sind also nun die einzige Verbindung zu der Angebeteten. Ende Mai 1810 schreibt er ihr aus Wien:
»Ich lebe sehr einsam und still. Obschon hier oder da mich Lichter aufwecken möchten, so ist doch eine unausfüllbare Lücke, seit Sie alle fort von hier sind, in mir entstanden, worüber selbst meine Kunst, die mir sonst so getreu ist, noch keinen Triumph hat erhalten können.«
Umso heftiger seine Hoffnung, Therese bald nachreisen und ihr im Kreise der Ihren seine Aufwartung machen zu können: »Wie froh bin ich, einmal in Gebüschen,...




