E-Book, Deutsch, 119 Seiten
Hancken Gerechtigkeitskompetenzen in der Sozialen Arbeit
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8463-6137-5
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 119 Seiten
ISBN: 978-3-8463-6137-5
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prof. Dr. Sabrina Amanda Hancken, Diplom-Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin, M. A. Soziale Arbeit, Sozialtherapeutin, ist Professorin für Sozialarbeitswissenschaften an der Hochschule Merseburg.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1 Einleitung 7
2 Grundlagen der Sozialen Arbeit – eine Einführung 11
3 Menschenrechte, Gerechtigkeit, Soziale Arbeit und Sozialstaat 17
3.1 Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit 17
3.1.1 Menschenrechte 18
3.1.2 Menschenrechtsverletzungen durch Machtstrukturen 22
3.1.3 Soziale Gerechtigkeit 26
3.2 Aktivierender Sozialstaat und Soziale Arbeit 28
3.2.1 Soziale (Un-)Gleichheit und (Un-)Gerechtigkeit 31
3.2.2 Vom Welfare zum Workfare: Wer entscheidet über (Un-)Gerechtigkeit? 35
3.3 Aktivierende Maßnahmen für vulnerable Zielgruppen 37
3.3.1 Jugendsozialarbeit – Förderung von schwer zu erreichenden
jungen Menschen (U25) nach § 16h SGB II 38
3.3.2 Wohnungslosenhilfe – berufliche Eingliederung nach§ 45 SGB III 39
3.4 Auf den Punkt gebracht 41
4 Soziale Gerechtigkeit als Leitmotiv der Sozialen Arbeit 43
4.1 Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit 43
4.2 Theoretische Grundlegungen der Sozialen Arbeit 46
4.2.1 Rawls’ Gerechtigkeitstheorie 46
4.2.2 Sens und Nussbaums Capability Approach 48
4.2.3 Thiersch: Soziale Arbeit als Repräsentantin sozialer Gerechtigkeit 50
4.2.4 Staub-Bernasconi: Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession 53
4.2.5 Röh: Soziale Arbeit, Gerechtigkeit und das gute Leben 58
4.3 Zusammenfassende Betrachtung 60
5 Gerechtigkeitskompetenzen als Fundament der Sozialen Arbeit 63
5.1 Aneignung von Gerechtigkeitskompetenzen 64
5.1.1 Fallvignette Sascha: geschlossener Heimbereich 66
5.1.2 Fallvignette Bianca: ambulant betreutes Wohnen 71
5.2 Einflussgrößen auf die sozialarbeiterischen Gerechtigkeitskompetenzen 74
5.2.1 Demokratieverständnis und Soziale Arbeit 75
5.2.2 Menschenbild im aktivierenden Staat 77
5.2.3 Helfende Arbeitsbeziehungen demokratisch gestalten 80
5.2.4 Zum Umgang mit Macht in der Arbeitsbeziehung 85
5.2.5 Abhängigkeitsverhältnisse 88
5.3 Gerechtigkeitskompetenz durch Reflexivität fördern 91
6 Sozialen Ungleichheiten begegnen – partizipative Praxis gestalten 95
6.1 Aktuelle, durch die Pandemie bedingte Ungleichheitsentwicklungen in der Sozialen Arbeit 96
6.2 Spezialisierung als Antwort auf spezifische Ungleichheiten 98
6.2.1 Gesundheitsbezogene Soziale Arbeit 99
6.2.2 Bildungsbezogene Soziale Arbeit 100
6.2.3 Interkulturelle Soziale Arbeit 102
6.3 Partizipation von Adressat*innen der Sozialen Arbeit 104
6.3.1 Jugendliche mit Fluchthintergrund im Hilfesystem 105
6.3.2 Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung 107
6.3.3 Menschen im höheren Alter 109
7 Perspektiven der (Teilhabe-)Gerechtigkeit in der Sozialen Arbeit 113
Literatur 115
2 Grundlagen der Sozialen Arbeit – eine Einführung
Bevor wir zu den gegenwärtigen unterschiedlichen Einflussgrößen auf die Praxis der Sozialen Arbeit kommen, ist es zunächst von Bedeutung, sich mit den Grundlagen und den Besonderheiten der Sozialen Arbeit zu beschäftigen. Dies hilft dabei, ein Verständnis für den Gerechtigkeitsgedanken, der die Soziale Arbeit seit ihren Anfängen durchzieht, zu entwickeln.
Soziale Arbeit ist die Profession, die aus der Verbindung von Sozialarbeit und Sozialpädagogik hervorgegangen ist. Wurde ursprünglich davon ausgegangen, dass die Sozialarbeit Ersatz für schwindende familiäre Sicherungsleistungen bietet, fühlte sich die Sozialpädagogik für die Kompensation fehlender familiärer Erziehungsleistungen zuständig. Heute ist eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Bezeichnungen kaum noch möglich, sodass das Berufsfeld immer häufiger unter dem Begriff Soziale Arbeit zusammengefasst wird. Dabei ist die moderne professionelle Soziale Arbeit eng mit der Entwicklung der Sozialpolitik, wenngleich aus einer anderen Tradition stammend, verbandelt. Nach Hamburger (2003, S. 151) verdanke die Soziale Arbeit ihre Eigenständigkeit dem Umstand, dass „Recht und Geld als sozialpolitische Leistungen lebensweltliche Zusammenhänge nicht sichern“ können. Mennicke, Schroer und Böhnisch (Böhnisch 2002, S. 199–200) unterstreichen dieses, indem aus ihrer Sicht die moderne professionelle Soziale Arbeit auch erst mit der Entwicklung der Sozialpolitik als „historisch unterschiedlich gewordene aber gleichermaßen gesellschaftlich institutionalisierte Reaktionen auf typisch psychosoziale Bewältigungsprobleme in der Folge gesellschaftlich bedingter Desintegration“ entstanden ist. So verwundert es nicht, dass sich die Soziale Arbeit seit jeher auf die menschlichen Bedürfnisse konzentriert. Grundpfeiler sozialarbeiterischen Handelns bilden die Menschenrechte und die Orientierung an sozialen Gerechtigkeitsverhältnissen. Dieses spiegelt sich auch in der weitverbreiteten Definition von Sozialer Arbeit wider, die sich auf den Seiten des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit und Heilberufe (DBSH 2017) findet:
„Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein. Diese Definition kann auf nationaler und/oder regionaler Ebene weiter ausgeführt werden.“
Soziale Arbeit lässt sich in Praxis (Profession Soziale Arbeit) und Wissenschaft (Disziplin Soziale Arbeit, Sozialarbeitswissenschaft) unterscheiden. Dabei generiert die Praxis Sozialer Arbeit genauso neue Wissens- und Handlungsbestände wie auch in der Disziplin professionell gehandelt wird.
Auf der Suche nach dem Gegenstand der Sozialen Arbeit sind unterschiedlichste Theorien entstanden. Zu den Klassikern gehören u. a. Soziale Arbeit als reflexive Profession von Bernd Dewe und Hans-Uwe Otto, lebensweltorientierte Soziale Arbeit von Hans Thiersch sowie Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession von Silvia Staub-Bernasconi. Weitestgehend besteht Einigkeit in der Wissensgemeinschaft darüber, dass der Gegenstand der Sozialen Arbeit die Bearbeitung von gesellschaftlich und professionell als relevant angesehenen Problemlagen ist.
Weiterhin lassen sich unabhängig vom Handlungsfeld unterschiedliche Strukturmerkmale ausfindig machen:
– Hilfe und Kontrolle,
– Handeln in bürokratischen Abläufen,
– zwei Interventionsebenen,
– interdisziplinäre Kooperation.
Die beiden Begriffe Hilfe und Kontrolle, besser bekannt unter der Bezeichnung des „Doppelten Mandates“ der Sozialen Arbeit, bringen zum Ausdruck, dass Soziale Arbeit einen doppelten Auftrag zu erfüllen hat: Zum einen orientiert sie sich an den Bedürfnissen und Wünschen ihrer Adressat*innen, zum anderen handelt sie aber auch im Auftrag des Staates bzw. der Gesellschaft. Dass es zwischen diesen beiden Polen immer wieder zu Spannungen kommen kann, verwundert nicht. Daneben findet sozialarbeiterisches Handeln stets in bürokratischen Abläufen statt. So gehören beispielsweise das Dokumentieren, das Erstellen von Entwicklungsberichten sowie die Teilnahme an Entwicklungsgesprächen heute selbstverständlich zum Berufsalltag von Sozialarbeiter*innen und verdeutlichen damit auch die Abhängigkeit von der öffentlichen Hand. Damit spiegeln sich auch die zwei Interventionsebenen wider, die sich auf die individuelle und die politische/strukturelle Ebene mit dem Ziel, die soziale Umwelt mitzugestalten, beziehen. Entsprechend findet Soziale Arbeit nicht nur im direkten Kontakt mit den Adressat*innen statt, sondern hat sogleich auch immer eine politische Komponente.
Die interdisziplinäre Kooperation zeigt sich sowohl in der Vernetzung mit den an einem Fall beteiligten Akteur*innen als auch in Zusammenschlüssen in unterschiedlichen Settings, wie es beispielsweise im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften, Qualitätszirkeln und Verbünden der Fall ist. Die nachfolgende Grafik verdeutlicht nochmals die prägenden Strukturelemente der Sozialen Arbeit, zwischen denen sie sich bewegt und die sie mitgestaltet.
Abb. 1: Strukturelemente der Sozialen Arbeit
Aufgabe 1:
Nachdem Sie nun einige wesentliche Aspekte über die Soziale Arbeit erfahren haben, beantworten Sie sich bitte folgende Frage: Wie gestaltet sich Ihrer Meinung nach das Aufgabenspektrum der Sozialen Arbeit?
Zu den Aufgaben von Sozialarbeiter*innen gehören Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung problembelasteter und krisenhafter Lebenslagen. Sie findet somit Lösungen für gesellschaftlich verursachte Probleme, wie Wohnen, Arbeit, Gesundheit, die im Rahmen gesellschaftlicher Sozialpolitik dazu beitragen, die Chancengleichheit benachteiligter und ausgegrenzter sozialer Gruppen in der Gesellschaft zu erhöhen.
Sozialarbeiter*innen können je nach Fall und Situation auf unterschiedliche Methoden zurückgreifen.
Abb. 2: Arbeitsformen und Methoden
Zunächst kann zwischen den Arbeitsformen Einzelfallhilfe, soziale Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit unterschieden werden. Hierbei handelt es sich um das klassische „Dreigestirn“ der Sozialen Arbeit, dem wiederum bestimmte Methoden, wie Beratung oder Mediation, zugeordnet werden können:
– Die Einzelfallhilfe orientiert sich vor allem an den Besonderheiten und Bedürfnissen des einzelnen Falls und unterstützt, fördert, begleitet und befähigt Kinder, Jugendliche und Erwachsene in herausfordernden Lebenssituationen.
– Bei der sozialen Gruppenarbeit handelt es sich um eine Arbeitsform der Sozialen Arbeit, die dem einzelnen Gruppenmitglied durch „sinnvolles“ Gruppenerleben hilft, die soziale Funktionsfähigkeit zu verbessern und Problemen des öffentlichen Lebens besser gewachsen zu sein (vgl. Konopka 1971). Diese Methode erkennt die sozialen Kräfte, die in einer Gruppe entstehen, und versucht diese Kräfte im Interesse der Veränderung der Adressat*innen zu nutzen. Dazu gehört zunächst, dass die Gruppe nicht Selbstzweck, sondern zugleich Ort und Medium des „Miteinanders“ ist, in deren Zentrum das Wachstum, die Bildung und die Eingliederung des jeweiligen Gruppenmitglieds stehen.
– Die Gemeinwesenarbeit bezeichnet hingegen einen Prozess, in dessen Verlauf ein Gemeinwesen seine Bedürfnisse und Ziele feststellt, sie ordnet oder in eine Rangfolge bringt. Dabei geht es um die Entwicklung von Vertrauen und den Willen, etwas dafür zu tun, dass innere und äußere Quellen mobilisiert werden, um die Bedürfnisse zu befriedigen. Die Gemeinwesenarbeit wird also in dieser Richtung aktiv und fördert dadurch die Haltung von Kooperation und Zusammenarbeit und ihr tätiges Praktizieren (vgl. Ross 1968).
Genauso vielfältig, wie sich der Einsatz von Arbeitsformen und Methoden gestaltet, um in der Praxis multifaktorielle und systemübergreifende soziale Probleme zu lösen, sind auch die verschiedenen Arbeitsfelder. Sie verdeutlichen einmal mehr die Komplexität der Tätigkeiten für die Sozialarbeitende zuständig sein können. Dabei können die Arbeitsfelder nach Zielgruppen, Auftraggeber*innen/Rechtsgrundlagen und Arbeitsfeldtypen unterschieden werden. Nachfolgend ein exemplarischer Überblick über sozialarbeiterische Handlungsfelder, der sich an Arbeitsfeldtypen orientiert.
Abb. 3: Arbeitsfelder
Aufgabe 2:
Denken Sie einmal an Ihre letzten Praxiserfahrungen zurück. In welchem Handlungsfeld waren Sie aktiv? Welche Berührungspunkte hatten Sie mit dem Thema...




