E-Book, Deutsch, 378 Seiten
Hold Von Monstern und Königinnen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8190-5940-7
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Hydeas Lied
E-Book, Deutsch, 378 Seiten
ISBN: 978-3-8190-5940-7
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Madeleine Hold, die am besten auf den Namen Maddy hört, erzählt schon immer gern eigene Geschichten oder versinkt in denen anderer. Ob Bücher, Filme, Serien, Games, Comics oder Theater - für sie gibt es nichts Schöneres, als all die Leben zu leben und all die Welten zu bereisen, die einem durch die Fantasie offenstehen. Da ist es wenig verwunderlich, dass sie nicht nur schreibt, sondern auch beruflich in der Buchbranche gelandet ist. Wenn sie sich ausnahmsweise mal nicht mit Büchern umgibt, entdeckt sie neue Orte in der realen Welt (Inspiration sammeln!) oder tanzt in ihrer Wohnung zum zehnten Mal in Folge zu demselben Song.
Autoren/Hrsg.
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Hunderte Schaulustige hatten sich auf dem Platz hinter dem Palast versammelt. Unter der eben erst aufgegangenen Sonne, die einen weiteren heißen Sommertag im Königreich Kree ankündigte, drängten sich adelige Männer und Frauen um das Geschehen. Jeder wollte
eine gute Sicht auf den Holzpfahl bekommen, der zwischen übereinander-gestapelten Strohballen emporragte. Auf die Person, die daran festgebunden war.
Für den gerade neun Jahre alt gewordenen Prinzen Alesander war es ein Leichtes, sich zwischen den ungeduldig Wartenden hindurchzuschlängeln. Sein großer Bruder Darian tat sich damit deutlich schwerer. Bei dem Versuch, mit Alesander mitzuhalten, stieß er hier mit jemandes Bein zusammen und trat dort versehentlich auf jemandes Rock. Natürlich wagte es niemand, sich zu beschweren oder auch nur zu hinterfragen, was zwei Kinder bei einer öffentlichen Hinrichtung zu suchen hatten. Als Enkel König Torrands von Kree konnten sie tun und lassen, was immer sie wollten. Zumindest solange sie weder ihre Eltern noch das Kindermädchen dabei erwischten.
Doch ohnehin hatte hier kaum jemand Augen für die Jungen. Der Platz, auf dem sonst flaniert, unter Sonnenschirmen gegessen und höfliche Konversa-tion betrieben wurde, hatte sich vollkommen verwandelt. Hitzige Gespräche übertönten jedes andere Geräusch, Schweißgeruch und Unsicherheit lagen in der Luft. Ein solcher Nervenkitzel, und das ausgerechnet in ihrem Zuhause, war den Prinzen ganz und gar fremd.
Hinter Alesander zwängte sich Darian gerade zwischen zwei Damen hindurch, als er selbst endlich die erste Reihe erreichte und erschrocken keuchte.
»Darian, schau! Sie ist es!« Der Husten, der den jüngeren Prinzen immer
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nach dem Rennen überkam, mischte sich in seine ungläubige Stimme. »Es … ist Gwynn.«
Da stand sie, das grauschwarze Haar offen und ungekämmt, nichts als ein Leinenhemd am Körper. Ihre Hände waren hinter ihrem Rücken an den Holzpfahl gefesselt, und auch um ihren mager gewordenen Bauch schlang sich ein Seil. Beides kam Alesander unnötig vor, denn Gwynn rührte sich nicht. Mit leerem Blick und still wie eine Puppe erwartete sie ihr Ende.
Darian, der jetzt neben ihm auftauchte, schwieg. Ihr vertrautes Gesicht so starr und ausdruckslos zu sehen, musste ihm die Sprache verschlagen haben.
Auf Alesander wirkte all das ebenso unwirklich. Wie ein Schauspiel oder ein schauriger Traum. Was sollte die ältere Adelige, die eine Freundin seiner Mutter und dadurch schon immer ein fester Bestandteil seines Lebens war, schon verbrochen haben? Sosehr sein Verstand auch versuchte, das Bild zusammenzusetzen, er konnte sich nicht vorstellen, womit ein guter Mensch wie Gwynn den Tod verdient hatte.
Der Richter – ein großer, bärtiger Mann – trat vor, und die Menge verstummte schlagartig, drängte enger zusammen. Dabei rempelte jemand Alesander von hinten an, und er geriet ins Straucheln. Doch sein Bruder schnappte rechtzeitig nach seiner Hand und zog ihn näher zu sich heran. So dicht an Darians Seite wusste der junge Prinz nicht mehr, wessen Herzschlag es war, der ihm laut in den Ohren pulsierte.
»Im Namen unseres Königs, der Stimme des Volkes von Kree, und im Namen der Götter, die über die Unschuldigen wachen und sie vor allem Unheil bewahren«, erhob der Richter seine Stimme, sodass er bis in die letzten Reihen zu hören sein musste, »führe ich heute dieses Monster seiner gerechten Strafe zu.«
Bei dem Wort Monster wandte er sich voller Abscheu Gwynn zu, die noch immer keinerlei Regung zeigte. Als wäre sie bereits tot.
Gebrochen. So würde sich Alesander Jahre später an sie zurückerinnern.
Nun jedoch beschäftigte ihn der Schmerz einer anderen Person. Wie von selbst wanderte sein Blick zu dem Balkon, von dem aus der Rest seiner Familie das Spektakel verfolgte. Neben seinen Großeltern und seinem Vater, die alle-samt starre Mienen aufgesetzt hatten, stand seine Mutter. Oder eine Frau, die wie seine Mutter aussah. Denn weder ihre in sich zusammengesunkene Körperhaltung noch der Horror in ihrem Gesicht passten zu ihr. Niemals
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zuvor hatte er sie so gesehen. So unendlich hilflos.
Er fürchtete nicht, dass sie ihn in der Menschenmasse ausmachen könnte, denn ihre Aufmerksamkeit galt allein dem Scheiterhaufen.
»Hexerei ist nicht nur ein Verbrechen!«, rief der Richter nun, und Alesander konzentrierte sich wieder auf das Geschehen vor ihm. »Sie ist widernatürlich und somit eine Verhöhnung unserer gelobten Götter.«
Der Prinz fragte sich, wie etwas, das in der Welt existierte, widernatürlich sein konnte. Dass Hexen bösartig waren, bezweifelte er jedoch nicht. Noch nie hatte er Geschichten über gute Hexen gehört. Genau deshalb wollte dieser Moment für Alesander auch keinen Sinn ergeben. Warum bezichtigte sein Großvater ausgerechnet Gwynn der Hexerei? Er hatte immer geglaubt, die beiden stünden sich nahe. Weshalb schaute seine Mutter bloß zu, statt die Hinrichtung ihrer Freundin zu verhindern? Das musste bedeuten, dass sie den Anschuldigungen glaubte. Doch wieso kam ihm dann all das so furchtbar falsch vor? Wollte denn niemand eingreifen, und wo war überhaupt –?
»Möge der heutige Tag all den anderen Ungeheuern da draußen eine unmissverständliche Warnung sein«, fuhr der Richter inbrünstig fort. »Wir durchschauen die finsteren Machenschaften der Sündigen und wissen, uns gegen sie zu verteidigen.«
Im nächsten Augenblick teilte sich die Menge, um jemanden durchzulassen, der dem Mann eine lodernde Fackel überreichte. Ein schwacher Wind ließ die Flamme bedrohlich auf und ab tanzen. Als der Richter sie an das Stroh senkte, hielt Alesander den Atem an. Es ging so schnell. An der Stelle, an der das Feuer auf den Scheiterhaufen übersprang, breitete sich ein Glühen aus. Wenig später schossen dort Flammen in die Höhe. Rauchend und knisternd fraßen sie sich in alle Richtungen durch die Strohballen, bis Gwynn inmitten weißer Rauchschwaden stand.
Endlich regte sie sich. Nur ganz leicht, weshalb es hinter den Jungen wahr-scheinlich kaum jemand bemerkte. Sie hob das Kinn, sodass sie zum Balkon aufsehen konnte. Durch den Rauch war der Ausdruck in ihren Augen nicht zu erkennen, doch ihr Blick galt eindeutig jemandem dort oben.
Alesander folgte ihm und stellte fest, dass sich sein Großvater abgewandt hatte. Seine Großmutter und auch sein Vater ließen sich noch immer keine Gefühle anmerken. Was seine Mutter betraf: Ihr Gesichtsausdruck hatte sich verändert, wirkte entschlossener als eben noch. Sie erwiderte Gwynns Blick
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und … nickte. Ein Nicken, dessen Bedeutung wohl nur diejenige kannte, für die es bestimmt war. Eine Weile würde Alesander noch daran zurückdenken, bevor die Erinnerung mit der Zeit verblasste. Aber hier und jetzt bereitete ihm das, was er beobachtete, eine Gänsehaut.
Gwynn, die Vertraute seiner Familie, die Hexe, lächelte. Gleich darauf erreichten die Flammen ihre Füße, und ihr Mund verzog sich zu dem schreck-lichsten Laut, den er jemals gehört hatte. Schrill und unmenschlich. Klang so ein sterbendes Monster? Der Schrei bohrte sich in seinen Schädel, lähmte ihn. Selbst wenn er versucht hätte, wegzusehen, wäre es ihm unmöglich gewesen. Darum ertrug er jede entsetzliche Sekunde.
Das Feuer drängte von unten empor und machte keinen Halt, als es die Hexe erreichte. Es verschluckte sie einfach wie ein Kaminfeuer einen einzelnen Zweig. Nur dass sie nicht sofort starb. Ihr Körper, schwarz wie ein Schatten hinter dem Flammenwall, wand sich unkontrolliert, stieß weiterhin Schreie aus. Bis das Geräusch plötzlich erstickte und mit ihm das Feuer. Zurück blieben nur Rauch, der irritierend nach gebratenem Fleisch roch, und Gwynns verkohlte Überreste, die nichts mehr mit der sanften Frau gemein hatten.
Alesander starrte sie an. Sein Verstand arbeitete, doch konnte nicht mit den Bildern mithalten, die sich ihm boten. Ringsherum setzten Stimmen ein, dann Jubel. Jemand würgte laut.
Er schaute sich um und stellte fest, dass es Darian war. Sein Bruder stand gekrümmt und mit dem Rücken zum Scheiterhaufen neben ihm und übergab sich.
So ein Schwächling, dachte Alesander überlegen und unterdrückte den Husten, der ihm durch den Rauch in der Lunge kitzelte.
Der Tod gehörte zum Leben dazu. Das hatte selbst der zwei Jahre jüngere Prinz schon begriffen. Nun verstand er außerdem, dass es gefährlich sein konnte, jemandem zu vertrauen. Hinter jedem freundlichen Lächeln konnte sich in Wahrheit etwas Böses verbergen. Wie es aussah, zählte Verrat also ebenfalls zu den Unvermeidbarkeiten in einer ungerechten Welt.
Die Kerze war vollständig heruntergebrannt und hatte Alesander der Dunkel-heit überlassen. Er musste beim Lesen eingeschlafen sein. Noch benommen von der alten Erinnerung, die ihn im Traum heimgesucht hatte, blinzelte er
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gegen das Dunkel an. Vor das kaputte Fenster war ein Tuch gespannt, aber durch das zweite daneben fiel genug Mondlicht, um ihm die Schemen seiner Umgebung zu offenbaren: das breite Himmelbett, den Schrank und den Spiegel, diverse Truhen und mehrere kleine Tische – an einem davon saß er, vor ihm ein aufgeschlagenes Buch.
Richtig. Ich kam her.
Nicht zum ersten Mal seit ihrem Verschwinden hatte er ihre Räume aufgesucht. Hier, wo ihre Kleider und Habseligkeiten ordentlich bereitlagen und wo noch überall ihr Duft in der Luft hing, schien es, als käme sie jeden Augenblick zur Tür herein. Inzwischen hatte er verinnerlicht, dass sie nie die echte Prinzessin Ophenia aus Balezan gewesen war, und er fand sogar, dass ihr wahrer Name besser zu ihr passte. Dennoch...




