Kautenburger | Plötzlich Sommer | Sonstiges | 978-3-9814752-5-8 | www.sack.de

Sonstiges, Deutsch

Kautenburger

Plötzlich Sommer


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-9814752-5-8
Verlag: Acatos

Sonstiges, Deutsch

ISBN: 978-3-9814752-5-8
Verlag: Acatos


Der Protagonist Jean Degrange erzählt einer Journalistin, die für ihr Magazin über Schicksale berichtet, seine Lebensgeschichte. In Frankreich aufgewachsen, früh seiner Wurzeln durch die Ehescheidung der Eltern beraubt, schlägt er sich im für ihn fremden Deutschland durch. Er studiert Grafik-Design und macht sich selbstständig. Beruflich erfolgreich, avanciert er zu einem unausstehlichen Vorgesetzten und echten Workaholic.
Durch mehrere Schicksalsschläge verliert Degrange fast alle Menschen, die ihm ans Herz gewachsen sind, auch mit der Liebe hat er kein Glück und so kommt er emotional an die Grenzen des Erträglichen. Dem trostlosen Alltag entflieht Degrange durch seine Leidenschaft, den Motorsport. Im Laufe der Interviews mit der Journalistin erfährt er, dass diese privat in die Falle eines Betrügers geraten ist. Degrange versucht ihr zu helfen und gerät in turbulente Ermittlungen. Die Begegnung mit einem sonderbaren Unbekannten gibt ihm weitere Rätsel auf und verändert sein ganzes Leben. Auf dem Hintergrund seiner traumatischen Lebenserfahrungen entwickelt sich ein temporeicher Krimi.

Das Leben schreibt die schönsten und spannendsten Geschichten. Dies ist keine Autobiografie, doch viele Ereignisse in diesem Roman sind tatsächlich so passiert. Der Autor verknüpft viele Situationen, die er selbst erlebt hat, oder die unmittelbar in seinem Umfeld geschehen sind, mit fiktiven Szenarien zu einer atemraubenden Geschichte mit Weisheit und Tiefgang, die den Leser fesselt.

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Plötzlich Sommer - Leseprobe Ich beschloss erst einmal ein paar Tage darüber vergehen zu lassen, bevor ich ihr vielleicht ein paar Zeilen zurück schrieb. Auch wenn diese Nachricht keine Freudensprünge auslöste, irgendwie war ich erleichtert. Zugleich vermisste ich Christin umso mehr. Die unabänderliche Tatsache traf mich immer wieder erneut, wie ein Faustschlag in die Magengrube. Wie könnte ich je wieder lachen, wie könnte ich je wieder unbelastet einen schönen Tag verbringen, mit all diesem Schmerz, der sich tief in meine Seele eingrub? Ich versuchte die Gedanken zu stoppen. Ich schaltete den Computer aus, streifte mir eine Jacke über und setzte mich ans Steuer. Ohne Ziel lenkte ich den Wagen über Landstraßen in Gegenden, die ich nicht wirklich kannte. Ich beobachtete Menschen in ihren Autos oder an der Straße. Teils waren sie fröhlich und teilweise erschienen sie leer oder enttäuscht. Sie wirkten unglücklich, lethargisch, in sich selbst gefan gen. Allein mit Sehnsüchten, allein mit Schmerzen. Als es dunkel wurde, kehrte ich um. Es war mir gelungen, meine Gedanken ein wenig zu verdrängen. Den Rest der Woche war ich gefordert. Es lief jedoch rund, auch wenn hier und da sich kleine Strohfeuer entfachten. Wir waren alle routi niert genug sie zu löschen. In den nachfolgenden Wochen erkundigte ich mich auch immer wieder einmal bei Clarissa über den Verlauf der Dinge, bezogen auf Gerd. Sie erzählte mir, sie hätten sich ausgesprochen und es lief wieder sehr gut. Obwohl ich ernste Zweifel hatte, freute ich mich für sie. Tief in mir spürte ich jedoch, wie eine leise kleine Hoffnung zerbrach. Eine Hoffnung, die sich schon über Jahre so gehalten hatte. Ich liebte Christin, keine Frage. Meine Gefühle waren aufrichtig und ich vermisste sie.

Doch Clarissa schien, ohne dass ich es von meinem Verstand her wollte, ebenso eine große Rolle zu spielen. Ich formulierte diese Gefühle jedoch nicht in einem einzigen Gedanken. Ich gestand es mir nie ein, dass ich sie liebte. Es war nur eine Wahrnehmung ohne bewusste Gedanken. Hin und wieder sprachen wir, auch wenn wir unregelmäßig aufeinandertra fen, wir standen irgendwie näher in Kontakt. Clarissa fing an, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Sie begann einen Yogakurs und interessierte sich für spirituelle Lehren. Etwas in mir bewunderte dies. Ich selbst dachte nicht im Ansatz daran, dass spirituelle Lehren oder Yoga etwas für mich sein könnten. Ich fand es gut, was sie tat und ich fragte auch immer wieder nach, was sie da so machte. Dann erzählte sie mir über Sichtweisen, die auch für mich sehr gut nach vollziehbar waren. Es waren alles Dinge, über die ich nie so nachgedacht hatte. Sie erklärte mir, wie Gedanken Schwingungsfelder, Resonanzfelder erzeugen, die ent sprechende Lebenssituationen in unser Leben ziehen. Eine Aussage, die mich lange beschäftigte. Clarissa erzählte mir auch von den Übungen des Yoga und wie sie sich immer wieder „in die Mitte brachte“. Was auch immer es bedeutete, es klang ja schon mal ganz gut.“ Stefanie Hillberg schmun zelte über meine Ausdrucksweise. „Es war für sie der Weg zur Selbsterkenntnis, der laut ihrer neu gewonnenen Erfahrung lediglich eine von vielen Möglichkeiten darstellte, diese zu gewinnen. Selbst erkenntnis schien mir ein Begriff, mit dem ich recht wenig anfangen konnte. Was sollte ich für mich betrach tet sein, „ich bin Jean Degrange, wer sonst? Ich bin der Jean Degrange, der eine ziemlich heftige Vergangenheit mit sich schleppt. Einen großen Sack von schmerzhaften Erlebnissen im Gepäck hat, die Lücken dazwischen mit Ängsten gefüllt. So trug ich die Summe alles Erlebten mit mir herum und
immer kam etwas dazu. Ein Sack voller Kummer, der viel leicht etwas schwerer wog, als die der Anderen in meinem Umfeld.“ Genau der war ich, was sollte ich da mehr von mir erkennen können? „Wenn das Selbsterkenntnis ist, ist es ein fach, aber was bringt es?“, fragte ich mich. Bei diesen Gedanken kam mir wieder der Vergleich eines Boxers, der nur eine Chance hatte seinen Kampf zu gewinnen, wenn er einstecken konnte. Auf die Lebensjahre bezogen, war ich in der fünften oder sechsten Runde und noch nicht K O. Dieser Gedanke gab mir neuen Mut. Ich beschloss, wieder mehr am Leben teilzunehmen, mehr unter Leute zu gehen. Bei dem Gedanken auszuge hen, machte sich ein sexuelles Bedürfnis bemerkbar. Ein Bedürfnis, das sich aus purem Trieb und der Sehnsucht nach menschlicher Nähe zusammensetzte. Ich ging, zusammen mit meinem Team, gleich am darauf folgenden Freitag aus. So stand ich nicht alleine da und konnte mich vorsichtig wieder an das Leben herantasten. Es dauerte nicht lange und ich war mit einer hübschen jungen Frau im Gespräch. Ich merkte jedoch, dass ich immer wieder Kraft aufwenden musste, um unsere Unterhaltung in Gang zu halten. Sie hieß Mona, war dreißig Jahre alt, hatte braune Haare und war mit einer sehr sportlichen Figur ausgestattet. Sie war eine Fitnesstrainerin mit halb deutschen und halb rumä nischen Wurzeln. Ihr Körper war eine Augenweide und ihr Anblick brachte mich auf allerlei sexuell gefärbte Gedanken. Sie musste gespürt haben, dass ich hungrig war, denn völ lig unverhofft fragte sie:„Hey?, wie lange ist es her, dass du mit einer Frau zusammenwarst?“ „Wie kommst du jetzt da drauf?“, stellte ich mich dumm. Mit einem „Och, nur so“, gab sie sich arglos und grinste mich an. Ich war jedenfalls unglaublich hungrig und ließ mich deshalb darauf ein, mit ihr gleich am Samstagnachmittag zu einem Probetraining
in dem Fitnesscenter, in dem sie arbeitete, zu verabreden. Ich wollte mir die Chance, sie näher kennenzulernen nicht verbauen. Außerdem hatte ich sowieso den Gedanken, regelmäßig Sport zu treiben, im Hinterkopf. Warum nicht in einem Fitnesscenter? Mona war mit einer Freundin aus gegangen, die schon seit einer halben Stunde nach Hause wollte. Nachdem sie beide eine Weile verschwunden waren, verabschiedete auch ich mich von meiner Truppe. Um drei Uhr am Samstagnachmittag stand ich in der ‚FitnessOase‘, einer Filiale der großen Fitnesskette. Am Empfang fragte ich nach Mona. Ich hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da tippte sie mir von hinten auf die Schulter. „Hey, schön, dass du da bist, lass uns gleich loslegen.“ Etwas durch ihre strikte Art verwundert, wackelte ich zur Umkleide und zog mir meinen Sportdress über. Zurück in der Halle, ließ sie mich auf einem Laufband joggen. Ich kam mir vor wie ein Depp. Irgendetwas störte mich gewaltig. War es ihre Art, die vielleicht so wirkte, als stellte sie meine mangelnde Fitness unter Beweis, oder einfach nur die Tatsache, dass sie Lehrer und ich Schüler war. Ich war ihr gnadenlos unter legen und das fühlte sich schäbig an. Jedenfalls versuchte ich gute Miene zum „kräftezehrenden Spiel“ zu machen. Nachdem sie mich quer durch die Halle von einem Gerät zum anderen gescheucht hatte, wurde sie wieder locker und sie lenkte ihr Gespräch auf einen möglichen gemein samen Abend. Das stimmte mich wieder sanfter, denn innerlich kochte ich noch vor Wut über mich selbst. Es war die Wut darüber, dass mein Körper nicht dazu in der Lage war, die Leistung zu bringen, die mich als klaren Sieger aus diesem Training hervorgehen ließ. Ich sah es als Wettbewerb, wobei mir meine Kontrahentin überle gener nicht sein konnte. „Wie sieht es heute Abend aus?“, wollte sie wissen. „Lust auf ein Date mit mir?“
Es war ein echt netter Abend, doch als er zu Ende ging, ließ mich unser Gespräch mein eigentliches Ziel vergessen. Wir redeten über Beziehungen und wie sollte es anders sein, ließ ich sie einen Blick hinter die Kulissen werfen. Ich gab ihr Einblick in die letzten zwei Jahre meines Lebens. Mona war sehr feinfühlig und bohrte nicht weiter in den Wunden. Am nächsten Tag forderte sie mich erneut auf, zum Training zu gehen. Meine „Nichtfitness“ war jetzt endgültig bewiesen. Ich zeigte mich einsichtig und verpflichtete mich, zumin dest für ein Jahr einen monatlichen Beitrag zu entrichten. Am Montagabend, ich war vielleicht eine Stunde zu Hause, klingelte die Türschelle. Ich öffnete. Mona stand vor der Tür, mit einem Lächeln, das etwas Verruchtes in sich barg. Nach einem kurzen „Hallo“ und „Darf ich reinkommen“ wusste ich mehr. Sie stand vor mir, sah mir in die Augen und legte beide Hände in meinen Nacken, zog mich zu sich und küsste mich voller Leidenschaft. „Okay“, grunzte ich vor Lust und erwiderte den Kuss. Wir nahmen beide Fahrt auf, rissen uns die Kleider vom Leib und gaben uns einander hin. Es war der besagte Trieb und das Bedürfnis von mensch licher Nähe, die Lust auf ‚fremde‘ Haut. Es war wunderbar, das Leben in mir zu spüren, wenn gleich es auf irgendeine Art ein schlechtes Gewissen be scherte. Es waren gerade mal zwei Jahre vergangen, seit Christin gestorben war. Ich war so gut zu durchschauen. In einem Moment der Stille sagte Mona: „Ich kann mir vorstel len, wie es dir geht, aber es ist in Ordnung, was du tust! Du bist auch nur ein Mensch.“ Ihre Worte, auch wenn sie etwas von einer dummen Ausrede hatten, bejahten mein Tun. Ich rechtfertigte es damit, dass ich auch ein Recht auf Leben hatte, nach alledem. Ich genoss dieses Abenteuer, doch die Erwartungen, die Mona insgeheim hegte, konnte ich nicht erfüllen. Sie suchte mehr, sie suchte nach der Liebe. Doch
ich konnte nicht geben, war nicht fähig zu erwidern, was sie investierte. Ich betäubte meine Vergangenheit mit den Stunden mit ihr. Viele andere taten es mir gleich, vielleicht aus anderen Gründen, aber sie taten es. Sie erstickten den Lebensschmerz mit Affären, mit Alkohol oder was auch immer sich dazu eignete, dem Dasein gewaltsam Freude zu entlocken. Sie verbogen sich die Wahrheit so, dass sie vor sich selbst beste hen konnten. Mein Geschäft lief blendend. Mein Team harmonierte noch recht gut in dieser Zeit und ich genoss die vielen Termine, die ich, quer durch Deutschland und das deutschsprachige Ausland, gerne wahrnahm. Wir hatten Degrange Grafik Design im Markt positioniert und etabliert. Wir waren bei vielen Großunternehmen die erste Adresse, was mich sehr stolz machte. Egal, was das Leben für mich in vieler lei Hinsicht an Grausamkeiten bereithielt, in diesem Punkt stand ich im Licht. Der Stress hielt sich in keinem gesun den Rahmen, aber noch nahm ich mir die Freiräume für Sport und Freizeit. Ich interessierte mich für Autorennen und belegte einen Lizenzworkshop, an dem ich mit mei nem Wagen am Nürburgring teilnahm. Ohne genau definiertes Ziel lernte ich mit einem Sportgerät, einem Porsche 911, wie ich ihn besaß, umzugehen. War ich zunächst der Überzeugung, ein guter Autofahrer zu sein, wurde ich schnell eines Besseren belehrt. Die Instruktoren gaben vor, wo man mit Schalten und Bremsen fertig sein musste, um im Scheitelpunkt einer Kurve zu landen. Es machte mir Spaß und es forderte alle meine Konzentration und Fitness ab. Ein einziger Moment der Unkonzentriertheit ließ mich im Kiesbett landen. Ich liebte diese Herausforderung, auch wenn ich nicht gleich in der ersten Stunde Talent zeigte. Alles, was mir das Gefühl gab
zu leben, das Leben zu spüren, Spaß zu haben, war dazu geeignet, mit meiner Vergangenheit abzuschließen. So meldete ich mich in den folgenden Monaten zu kleinen Rennsportveranstaltungen, die lediglich als Übung dienten, um Erfahrungen zu machen. Ich hatte plötzlich das Interesse, mir Rennveranstaltungen anzu sehen, wie zum Beispiel Langstreckenrennen, die an zehn Terminen im Jahr, immer an Samstagen, auf der legendären „grünen Hölle“, der Nordschleife des Nürburgrings aus getragen wurden. Männer wie Frauen, erfreuten sich am Motorsport – deshalb, weil man durch das Abverlangen von aller zur Verfügung stehenden Konzentration mit der Materie verschmolz und dadurch einen lang anhal tenden Adrenalinkick erlebte. Sie waren eins mit dem Rennwagen und der Rennstrecke. Ein einziger Augenblick von Konzentrationsverlust konnte einen bitteren Crash bedeuten, womit dann sicherlich das Rennen zu Ende war. Im schlimmsten Fall konnte es das Leben kosten. Eine Rennstrecke, die über siebzig Jahre alt war und für die damaligen Rennwagen gebaut worden war, hatte ihren Reiz darin, dass sie für einen Wagen der heutigen Zeit eine große Herausforderung darstellte. Der einzige Vorteil: Die Autos waren sicherer denn je geworden. So nahm ich an Leistungsprüfungen teil, die den Fahrer aufforderten, eine Soll und IstZeit zu fahren. In der „SollZeitRunde“ wurde eine Zeit vorgegeben, die ich zu fahren hatte. Ich musste in zehn Minuten eine Runde abspulen – was leicht zu schaffen war – und möglichst genau auf die Sekunde ankommen. In der „IstZeitRunde“ durften wir alles geben, um eine möglichst kurze Rundenzeit zu fahren. Ich war auf eine angenehme Art und Weise angespannt, meine Konzentration forderte mich im „Hier und Jetzt“, jeder einzelne Moment der Aufmerksamkeit war wichtig.
Das „Hier und Jetzt“, von dem Clarissa mir erzählte, musste genau das sein. Sie hatte mir erklärt, dass sie ein Buch gelesen hatte, „Lebe den Moment“, in dem viele Weise emp fahlen, stets den aktuellen Moment mit voller Bewusstheit zu erleben. Es war notwendig, um mit Gott und der Welt eins zu werden. Hier schien es mir eindeutig eine Parallele zu geben. Die Kunst war unmissverständlich und klar für mich zu erkennen. Je mehr ich im „Hier und Jetzt“ war, umso mehr wurde ich eins mit dem Wagen und der Rennstrecke. Alles stand im Fluss, alles lief wie am Schnürchen. Ich fühlte mich danach immer wieder auf eine angenehme Art erschöpft, es war meine „ResetTaste“ für den Alltag. Ich nutzte sie, wann immer mir die Zeit dazu verblieb. David Berg gesellte sich oft dazu, auch er liebte es, dabei zu sein, wenngleich er partout nicht ans Steuer wollte. Er hatte zu großen Respekt davor und Angst, sein Leben zu las sen. Er freute sich aber darüber, mich voller Lebensfreude zu sehen. Er war ein echter Freund. Ich fühlte wie die Sicherheit in alltäglichen Situationen, auf normalen Straßen, wuchs, wenn ich zu Außenterminen unterwegs war. Ich war wach samer und konzentrierter als je zuvor, wenn ich im Auto saß.

Kapitel 7
Es war Anfang Juli im Jahr 2002 und ich hatte das erste Mal seit Jahren einen Urlaub geplant. Um nicht Gefahr zu laufen, irgendwo allein herumhän gen zu müssen, schloss ich mich einer Reisegruppe an. Ich hatte eine Rundreise nach Florida gebucht, vierzehn Tage mit Greydog Travel. Eigentlich war ich Individualist und nichts lag mir ferner als mit einer Horde Touristen durch die Gegend zu ziehen. Ich hätte auch leicht einen Urlaub zu zweit buchen können, doch die eventuell damit verbun denen Erwartungen an eine Beziehung wollte ich gezielt vermeiden. Wir landeten am 3. Juli, einem Montagmorgen nach etwa acht Stunden Flugzeit in Orlando. Zuerst mussten wir durch die unendlich wirkende Kontrollstation der Einreisebehörde. Eine Schlange von Menschen übte sich vor der Zollabfertigung in Geduld. Hier wurde spürbar, dass der 11. September das Land zu erhöhten Sicherheits maßnahmen verpflichtete. Inmitten der wartenden Menschenmenge schlich ein Zollmitarbeiter mit einem Cockerspaniel, um eventuell vorhandene Spuren von Drogen aufzuspüren. Viele um mich herum schauten gelangweilt auf den Beamten und dessen Hund, der das Gepäck beschnüffelte. Neben mir angekommen, steckte der Hund die Nase in die Reisetasche meines Vordermannes, die offen stand. Es war eine kleine Reisetasche, die er als Handgepäck mit sich führte. Das Tier schnüffelte ein paar Sekunden, zog den Kopf heraus und erbrach sich, dem Beamten vor die Füße. Alle, die diesem kurzen Schauspiel zugesehen hatten, brachen in Gelächter aus. Dadurch brach das Eis zwischen den Reisenden, die mit lustigen Kommentaren die Stimmung aufheiterten.“ Hillberg, die
Journalistin, fasste sich an den Kopf und musste ebenfalls herzhaft lachen. „Als ich endlich durch war, ging ich zum Gepäckband, um meinen Koffer zu holen. Nach einer weiteren hal ben Stunde trat ich durch den Ausgang ins Freie, wo ein Farbiger ein Schild mit der Aufschrift „Greydog Travel“ in die Höhe hielt.Wenngleich ich das Gefühl kannte, in mei nem Büro an einem warmen Sommertag zu schwitzen, wurde hier schnell klar, was wirklich tropische Hitze bedeu tete. Eine unvorstellbare Luftfeuchtigkeit bei über 35 Grad Hitze, machte deutlich, warum Amerikaner Klimaanlagen liebten. Ich gesellte mich zu einer kleinen Gruppe von Wartenden am gegenüberliegenden Bus Terminal. Dort standen mehrere Mitarbeiter des Reiseunternehmens und waren beim Verladen der Koffer behilflich. Ich suchte mir einen Fensterplatz im vorderen Teil des Busses. Alle waren freundlich und hilfsbereit und nach einer weiteren halben Stunde setzte sich der Bus in Richtung Hotel in Bewegung. Schnell wurde klar, dass ich nicht der ein zige Alleinreisende war. Eine Gruppe von Leuten zwischen dreißig und fünfzig Jahren einer Fußballthekenmannschaft war auch dabei. Ausschließlich Männer ohne Anhang, die mich willkommen hießen. Obwohl ich nie Interesse für Fußball gezeigt hatte, schien mir diese Gruppe in jedem Fall der Spaßgarant zu sein. Ich konnte, sofern ich das wollte, mich ihnen anschließen. Wir waren schnell im Gespräch. Den ersten Tag verbrachten wir zum Ankommen in einem Clubhotel am Stadtrand von Orlando. Am zweiten Tag ging es ab zu Disneyland. Es war ein wunderschönes Erlebnis, bei dem ich mich in die Kindheit zurückversetzt fühlte, obwohl es Disney damals für mich noch nicht gegeben hatte. Zwischen den ganzen Fahrvergnügen sprach ich mit Peter und Roman, die sich freundschaftlich zu mir hingezogen fühlten.

Wir waren erwachsene Kinder auf einem großen Spielplatz und alberten rum, als bekämen wir gerade die ersten Zähne. Wir erzählten miteinander und gaben von allem etwas preis, von der Arbeit, der Liebe und unseren Lieblings beschäftigungen. Meine Vergangenheit behielt ich jedoch für mich. Alles war ungezwungen und locker. Wir machten ein paar Tage Badeurlaub in Fort Myers, besuchten die Everglades und verbrachten zwei Tage in Miami. In Fort Lauderdale tobte das Leben. Die Strandpromenade glich einer Partymeile. „Sehen und gesehen werden“ war das Motto. Junge Typen, vielleicht gerade mal zwanzig, fuhren mit Ferraris, Lamborghinis und Porsches auf und ab, um Beute zu ködern. Junge Mädchen, die eine hübscher als die andere, spielten mit den Blicken der vorbeifahrenden Jungs. Dazwischen patrouillierten Police officer und verhinderten, dass die Leute sich in grö ßeren Menschentrauben versammelten. Wir ließen uns auf der Außenterrasse eines Pubs nieder und genossen das aufge wühlte Treiben. Von dort aus traten wir am nächsten Tag an der Ostküste entlang den Heimweg nach Orlando an. Es war eine Zeit ohne Störungen oder spektakuläre Vorfälle. Ich erlebte nichts Außergewöhnliches, und doch war die Welt eine andere. Man spürte die Mentalität der Amerikaner, kein Stress, keine Hektik, was mir sehr entgegen kam. „Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Urlaubsbekannten“ fragte Stefanie Hillberg interessiert. „Nur gelegentlich, vielleicht einmal im Jahr und das nur zu zweien von der Truppe. Man hat manchmal das Gefühl, als hätte die Tür lediglich auf der einen Seite einen Knauf“, versuchte ich es Hillberg bildlich zu verdeutlichen. „Wie meinen Sie das?“, fragte sie nach. „Um den Kontakt zu halten, muss sich doch immer auch das Gegenüber bemühen.“ „Ach so, “ zwinkerte sie mir zu“,
zwei Klinken.“ „Ja genau,. die Tür kann man auch von der anderen Seite aufmachen“, ergänzte ich. „Peter und Roman erwiesen sich als echte Kumpel. Wenngleich sie etwas oberflächlich wirkten, waren sie auf eine Art wiederum bodenständig und schienen als Menschen sehr verlässlich. Es blieb uns noch eine Nacht in Orlando, im gleichen Hotel, in dem wir zu Anfang gewesen waren, um am nächsten Morgen den Rückflug anzutreten. Gemeinsam genossen wir einen Drink an der Poolbar des Hotels. Wir hatten den Laden unter Kontrolle. Es waren nur wenige andere Gäste am Pool, die sich wohl nacheinander aufs Zimmer verzogen. In mein Gesichtsfeld drängte sich eine Farbige, die von einem kleinen Jungen immer wieder mit einer Wasserpistole attackiert wurde. Ihre Kiekslaute, die sie krampfhaft zu unterdrücken versuchte, lenkten immer wieder unsere Blicke auf sie. Es war eine sehr attrak tive Frau, Mitte dreißig, sie schienen Mutter und Sohn zu sein. Unsere Gruppe war auf voller Fahrt, mehr als die Hälfte der Leute war dank des LongIslandIcetea blau. Ich hatte einen einzigen Longdrink gehabt und der reichte mir völlig. Ganz nach dem Motto „life is too short, think big”, mixte der Hotelbarkeeper Mischungen, die jeden nach kur zer Zeit ins Koma zu versetzen imstande waren. Eine halbe Stunde später sah ich aus den Augenwinkeln den kleinen Jungen, der am Tauchen zu sein schien. Die Wasserpistole lag am Beckenrand, die Mutter entdeckte ich bäuchlings ein Buch lesend, dem Pool den Rücken zugekehrt. Intuitiv beobachtete ich den Pool, in dem der kleine Junge recht reg los wirkte. Es schien irgendwie ungewöhnlich und mein Blick konzentrierte sich mehr und mehr auf den klei nen Jungen, der nun seit mehr als zwei Minuten unter meiner ununterbrochenen Beobachtung stand. Roman zwinkerte mir zu, als ich die Runde anblickte und gab mir
zu verstehen, „Junge ich weiß, wen du im Visier hast.“ Mich wieder umdrehend sprintete ich los, um mit einem Satz ins Wasser zu springen. Mit zwei Kraulbewegungen war ich dort und drehte den kleinen Jungen um, der leblos im Wasser trieb. Meine Gruppe folgte mir mit den Blicken, um zu erfassen, was los war. Die Mutter schrie auf und verfiel sofort in Panik. Meine Kumpels waren fast alle schlagar tig nüchtern und halfen mir, den kleinen Kerl auf den Beckenrand zu ziehen. Er war aschfahl im Gesicht, obwohl er natürlicherweise eine kastanienbraune Hautfarbe hatte. Keiner wusste so richtig, was zu tun war und ich wies Roman hektisch an: „Ruf einen Rettungswagen.“ Sofort begann ich mit einer Herzdruckmassage und beatmete den klei nen Jungen durch die Nase, während ich seinen Mund mit einem Fingerdruck auf den Unterkiefer verschloss. Erster Versuch. Ich drückte den schmalen Brustkorb circa drei ßig Mal in kurzen, kräftigen Stößen nach unten, versuchte die Atmung zu kontrollieren und seinen Puls zu fühlen. Kein Lebenszeichen. Die Mutter schrie und weinte. Zweiter Versuch. Ich drückte seine Brust erneut tief nach unten, in einem Rhythmus, von dem ich dachte, ihn irgendwann einmal gelernt zu haben. „Wo bleibt der Rettungswagen?“, schrie ich zwischendurch und wies die anderen harsch an, mir Platz zu lassen. Alle, die irgendwie in der Nähe gewe sen waren, scharten sich nun plötzlich um den Ort der Tragödie. Ich beatmete den Jungen immer wieder und mas sierte den kleinen Brustkorb mit harten Stößen, suchte den Pulsschlag an seiner Halsschlagader und am Arm, konnte ihn jedoch nicht fühlen. Die Zeit schien unendlich, kein Rettungswagen weit und breit. Ich keuchte und spuckte, der Schweiß tropfte von meiner Nase in das Gesicht des kleinen Jungen, der kein einziges Lebenszeichen gab. „Out of my waayyy!“, erreichte mich das Geschrei der Mutter,
die vollkommen hysterisch wurde. „Nehmt die Alte weg, nehmt sie weg.“, schrie ich zurück. Die Frau wurde von den Jungs meiner Gruppe gewalt sam ferngehalten, auch wenn ich sie verstehen konnte, aber sie machte mich verrückt. Zwei Minuten später brach sie zusammen und die Jungs legten sie auf eine Liege. Insgesamt war wohl eine Viertelstunde aktiver Wieder belebungsmaßnahmen vergangen und ich war am Rande meiner körperlichen Leistungsgrenze angelangt.
b



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