Krämer Sand im Schuh
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8271-9694-1
Verlag: CW Niemeyer
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Mord und Meer Krimi
ISBN: 978-3-8271-9694-1
Verlag: CW Niemeyer
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Micha Krämer wurde 1970 in Kausen, einem kleinen 700 Seelen Dorf im nördlichen Westerwald, geboren. Dort lebt er noch heute mit seiner Frau, zwei mittlerweile erwachsenen Söhnen und seinem Hund. Der regionale Erfolg der beiden Jugendbücher, die er 2009 eigentlich nur für seine eigenen Kinder schrieb, war überwältigend und kam für ihn selbst total überraschend. Einmal Blut geleckt, musste nun ein richtiges Buch her. Im Juni 2010 erschien 'KELTENRING', sein erster Roman für Erwachsene, und zum Ende desselben Jahres folgte sein erster Kriminalroman 'Tod im Lokschuppen', der die Geschichte der jungen Kommissarin Nina Moretti erzählt. Was als eine einmalige Geschichte für das Betzdorfer Krimifestival begann, hat es weit über die Region hinaus zum Kultstatus gebracht. Inzwischen findet man die im Westerwald angesiedelten Kriminalromane in fast jeder Buchhandlung im deutschsprachigen Raum. Neben seiner Familie, dem Beruf und dem Schreiben gehört die Musik zu einer seiner großen Leidenschaften. Mehr über Micha Krämer auf www.micha-kraemer.de
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 2
Der Anblick, wie das Fährschiff Langeoog III, begleitet von einem Schwarm schimpfender Möwen, aus dem Hafen glitt, hatte eindeutig etwas von dem Motiv einer Postkarte. Das Bild wäre vermutlich noch schöner gewesen, wenn Nina und Klaus jetzt in diesem Moment mit an Bord wären und nicht wie zwei Vollpfosten hier auf der Treppe des Fährhauses ständen und dem Kahn hinterherguckten.
„Was für ein blöder Mist“, sprach Klaus das aus, was Nina gerade dachte.
„Ich muss jetzt erst mal was essen“, entschied sie, da sie die Situation so, wie sie sich nun ergab, eh nicht ändern konnten.
Es brachte sie nicht viel weiter hier am Anleger zu stehen und dem Schiff hinterherzuschauen. Sie würden jetzt schön was essen gehen und dann einfach sehen, wo sie über Nacht bleiben konnten. Hotels gab es in einem Ferienort wie Bensersiel sicherlich reichlich und die Insel lief ihnen schließlich auch nicht davon.
„Was machen wir mit unserem Auto?“, wollte Klaus wissen, als sie an dem geschlossenen Fahrkartenschalter in Richtung des Platzes vor dem Fährhaus vorbeigingen, wo Maggiolino stand.
„Was soll mit dem sein? Den lassen wir jetzt erst mal da stehen“, antwortete sie beiläufig, da sie den Sinn der Frage überhaupt nicht verstand.
„Du parkst im absoluten Halteverbot“, wandte Klaus ein.
Nina verdrehte die Augen.
„Na und? Hier ist doch schon fast keiner mehr. So wie es aussieht, klappen die hier am Hafen nach der letzten Fähre doch die Bürgersteige hoch“, versuchte sie ihn zu beschwichtigen.
„Und so was wie du ist Polizistin“, schimpfte er und bevor sie sich versah, hatte er ihr den Schlüsselbund entwunden und stapfte zu dem kleinen blauen Käfer. Nina ließ sich auf eine Bank unmittelbar vor dem Fährhaus sinken und beobachtete, wie Klaus den Wagen in einer nun freien Parkbucht keine zwanzig Meter weiter abstellte und dann brav zum Parkscheinautomaten trottete und ein Parkticket löste. Als ob das um diese Uhrzeit noch jemanden interessierte. Aber nun gut ... wenn es ihn beruhigte.
Das Bauernschnitzel mit Bratkartoffeln und Gemüse, das sie anschließend im Restaurant Waterkant aß, war lecker und Nina spürte förmlich mit jedem Bissen, den sie zu sich nahm, wie sich ihre Laune besserte und sich sogar langsam so etwas wie ein Urlaubsfeeling einstellte. Als sie nach dem üppigen Mahl dann sogar noch ein Doppelzimmer mit Blick auf den Hafen im Benser Hof ergatterten, zog sie für einen Moment sogar in Betracht, einfach für ein paar Tage hierzubleiben. Bensersiel war ein hübscher Urlaubsort, das Hotel chic eingerichtet, das Bett okay und das Wetter ein Traum. Wer brauchte da noch eine Insel? Zumal eine, auf der sich in genau diesem Moment schon Lara Schmitz befand. Sie trat aus dem Zimmer auf den schmalen Balkon, lehnte sich an das Geländer und blickte auf die kleineren Schiffchen, die friedlich in der Abendsonne im Hafenbecken dümpelten. Am Kai rechts einige Fischer- und Ausflugsboote. Links mehrere Segelschiffchen und Yachten. In der hinteren rechten Ecke konnte sie das große Fährhaus erkennen. Der Parkplatz davor, auf dem Maggiolino sich während ihres Abendessens ausgeruht hatte, war nun fast gänzlich leer. Auch von dem kleinen blauen Käfer war nun nichts mehr zu sehen, da Klaus ihn, nachdem er alles ausgeladen hatte, noch einmal auf einen der großen Parkplätze für die Inselbesucher umgeparkt hatte. Dort würde ihr geliebtes Wägelchen nun die nächsten zwei Wochen auf sie warten müssen. Wohl war ihr bei dem Gedanken, das Auto so lange auf einem wildfremden Parkplatz zu lassen, nicht.
„Hast du meinen Rucksack auch mitgebracht?“, fragte sie ins Zimmer hinein, wo Klaus mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf dem Bett lag.
„Ja, Schatz. Ich hab das gesamte Gepäck ausgeladen und hierher geschleift“, antwortete er.
„Auch das Zelt?“, hakte sie erstaunt nach.
„Alles, bis auf das Zelt, Isomatten und die Schlafsäcke. Den Kram werden wir wohl kaum hier im Hotel benötigen“, verbesserte er sich.
„Aber nicht, dass wir das morgen früh vergessen“, gab sie zu bedenken.
Er stöhnte leicht genervt auf.
„Nein, Schatz, ich bin davon überzeugt, dass du es nicht vergessen wirst ... Obwohl mir immer noch schleierhaft ist, was du mit dem Zeug willst.“
Nina wandte sich ab, damit er ihr Grinsen nicht bemerkte. Erneut wanderte ihr Blick zum Horizont, wo sich aus dem Meer ein Streifen Land erhob. Im Grunde hatte sie, genau wie Klaus, auch keine Lust, die nächsten zwei Wochen in einem Zweimannzelt auf dem harten Boden zu schlafen. Doch sie hatte es nun mal aus der ersten Aufregung heraus gesagt. Nur zu gut konnte sie sich an ihre Worte am Weihnachtsabend erinnern: „Bevor ich mit Lara unter einem Dach nächtige, würde ich lieber in einem Zelt campieren!“
Klaus hatte natürlich vollkommen richtig vermutet, dass dies nur eine hohle Floskel war und sie daher nachher noch einige Male mit dem doofen Spruch genervt und aufgezogen. Sein entsetztes Gesicht, als sie gestern Abend das alte Zelt aus ihrer Jugend aus dem Keller holte, es ins Auto packte und ihn damit beauftragte, die Schlafsäcke vom Dachboden zu holen, war der Kracher gewesen. Sie würde das jetzt durchziehen. Eine Nina Moretti stand zu dem, was sie sagte, auch wenn es ihr selbst wehtat. Dennoch hoffte sie nun, dass irgendein Umstand, wie ein generelles Zeltverbot auf der Insel, ein Orkan, eine Sturmflut oder was zum Teufel für ein widriger Umstand auch immer, eintreten würde und sie, ohne ihr Gesicht zu verlieren, aus der Nummer wieder herauskam. Dass sie quasi gezwungen sein würde ihr Vorhaben aufzugeben, um in einem weichen, bequemen Bett zu schlafen.
„Magst du auch noch ein Eis?“, fragte sie ihn.
„Nee, ich bin satt“, kam es sehr leise zurück.
„Sag mal, pennst du schon?“, erkundigte sie sich.
„Nein. Tu ich nicht“, antwortete er verschlafen.
„Was dagegen, wenn ich mir noch ein Eis hole?“.
„Nee, mach nur.“
Ohne zu zögern kramte sie ihr Portemonnaie aus ihrem kleinen Rucksack, schnappte sich dann den Schlüssel und verließ den Raum.
*
Martin von Schlechtinger sog genüsslich die salzige Luft ein und ließ den Blick über die sandige, hügelige Landschaft schweifen. Hinter den mit Sanddorn und Strandhafer bewachsenen Dünen erkannte er ein Heer bunter, nummerierter Strandkörbe und die Wellen der Nordsee, die rhythmisch auf den feinen, weißen Sand-strand rollten. Er überlegte, wann er zuletzt am Meer gewesen war. Genau wusste er es nicht mehr, doch es musste nun locker an die zehn Jahre her sein. Er schloss die Augen und rief sich die Bilder von damals in Erinnerung. Er sah Helga, wie sie sich neben ihm im Strandkorb räkelte und den kleinen Kevin, der mit seiner Schwester Gina Marie direkt vor seinen Füßen eine Burg baute. Auf welcher Insel sie wohl damals gewesen waren? Er wusste es nicht mehr. Er war sich lediglich sicher, dass es ebenfalls eine Nordseeinsel gewesen war, jedoch eine, auf der man auch das Auto mitnehmen konnte. Urlaub ohne Auto war für ihn damals und auch heute kaum denkbar. Ein Mann brauchte ein ordentliches Auto, da gab es keine Diskussionen. Die Kinder mussten damals um die zehn und elf gewesen sein. Eine schöne Zeit war das gewesen, als sie noch Papa zu ihm gesagt hatten. Heute, wo die beiden erwachsen waren, schauten sie ihren Vater allerdings noch nicht einmal mehr mit dem Arsch an, wie man in Kölle so schön zu sagen p?egte. Gina Marie hatte er zum letzten Mal vor etwas über einem Jahr gesehen, als sie ihm mitteilte, er werde Großvater und sie bräuchte daher dringend Geld. Als er ihr dann die letzten zwanzig Euro aus seinem Portemonnaie geben wollte, hatte sie ihn angeguckt, als käme er von einem anderen Stern.
„Wat soll dat denn sein?“, hatte sie ihn zornig angeblafft. Martin verstand in dem Moment zuerst gar nicht, wie sie das meinte. Als er es begriff und versuchte zu erklären, dass dies sein letztes Geld sei und er damit noch eigentlich einige Tage hätte auskommen müssen, hatte sie ihn lediglich verhöhnt und ausgelacht und war, genauso wie drei Jahre zuvor ihre Mutter, auf Nimmerwiedersehen aus seinem Leben verschwunden. Wobei Helga die zwanzig Euro nicht ausgeschlagen hätte. Die hätte ihm auch noch das letzte Hemd vom Körper gerissen, wenn sie denn die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Das Einzige, was er nach ihrem Auszug noch besessen hatte und auch heute noch besaß, waren die Klamotten, die er am Leibe trug, und der alte Ford Capri. Sein erstes Auto. Helga hatte das gute Stück nie gemocht und vermutlich deshalb dagelassen.
Martin ließ sich auf dem Kamm einer hohen Düne nieder und beobachtete, wie die Sonne am Horizont Stück für Stück im Meer versank. Die wenigen Wolken am Himmel schimmerten wunderschön in einer Mischung aus rosa bis dunkelrot. Gerne hätte er jetzt ein Foto gemacht, um diesen Moment für immer festzuhalten. Doch leider besaß er derzeit weder einen Fotoapparat noch ein Handy mit eingebauter Kamera. Was hatte dieses Miststück ihn doch abgezockt. Sein Haus, sein Geld, die Firma ... nichts davon war ihm geblieben. Heute wusste er, dass seine Ex den Ausstieg aus der Familie von langer Hand geplant haben musste. Schon Monate oder gar Jahre zuvor hatte sie damit begonnen sämtliche Konten, Sparverträge und sogar seine Lebensversicherungen zu versilbern und die Kohle in bar beiseitezuschaffen. Für sie kein Problem, da er sich nie um das Finanzielle gekümmert hatte. Das hatte sie nämlich immer getan. Es war wirklich alles weg. Doch einen Martin von Schlechtinger bekam man so schnell nicht klein. Nein! Er hatte seine Firma damals aus dem Nichts gegründet und groß...




