Kühn | Der eigene Wille in der Moral | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 296 Seiten

Kühn Der eigene Wille in der Moral

Versuche über das Gute

E-Book, Deutsch, 296 Seiten

ISBN: 978-3-347-15839-9
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Mit Witz und Scharfsinn entfaltet Thomas Kühn seine These vom Wollen als Wurzel der Moral, als "missing link" zwischen dem Sein und dem Sollen. Er erneuert die These, dass die Welt von moralischen Tatsachen bevölkert sei, deren Urheber wir seien. Diese beiden Ideen erörtert er anhand so brisanter Themen wie der Präsidentschaft Trumps, des Aufstiegs der AFD, der Diskussion um die Willensfreiheit und der Gefahren theologischer Politik und Moral. Für alle Leser mit Interesse an Philosophie, Moral und Politik.
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Moralische Tatsachen und Verantwortung 1. Jede Ethik – jede Theorie der Moral – sollte deskriptive und präskriptive Komponenten ausweisen. Warum? Es genügt nicht, nur die begriffliche Struktur von Sollens-Sätzen zu analysieren und gegebenenfalls zu begründen. Es reicht aber auch nicht, einfach eine Theorie des Handelns aufzustellen und dann erst zu schauen, ob sich dabei nicht auch Möglichkeiten der Normenbegründung ergeben. Auch reicht es nicht aus, anthropologische Daten zu einer Theorie des Menschen zusammenzutragen und dann zu hoffen, dass sich die Moral schon irgendwie ergibt. Gefordert ist eine Theorie, die die Struktur des Moralischen als etwas genuin Menschliches beschreibt und daraus eventuell moralische Forderungen ableiten kann. Das Sollen muss im Sein wurzeln, andernfalls kann es nicht die Quelle einer Handlung werden. Dies letztere Verfahren ist spätestens seit Aristoteles bekannt, der aus der angenommenen Natur des Menschen, seinem Wesen, einen Maßstab extrahierte, an dem das menschliche Handeln zu messen sei. Die Begründung der Tugendlehre steht in einem engen Zusammenhang mit der Idee einer natürlichen Ziel- und Zweckbestimmung des menschlichen Daseins, die mit den menschlichen Wesensmerkmalen zusammenhängt. Eine nach wie vor genial zu nennende Lösung des Paradoxons der Moral: Wenn man das moralische Sollen aus dem Wollen erklärt, dann verliert man jeden moralischen Maßstab; wenn man das Sollen aus anderen Quellen ableitet (z.B. religiösen), dann fehlt die Verbindung zum Wollen. Wie kann ich wollen, was ich soll? Wie kann ich sollen, was ich will? Die Idee, das Sollen aus der Natur des Menschen abzuleiten, speziell aus seiner Vernunft, ist dabei ein kluger Schachzug, der auch der Erfindung des kategorischen Imperativs zugrunde liegt. Nur führt Kants Universalisierungsprinzip wieder von der Tugendlehre weg, da er es vermeidet, Moral in psychologischen Kategorien zu beschreiben. Das Problem bei Kant liegt darin, dass er eine strikt dualistische Anthropologie vertritt, wobei Vernunft für ihn etwas Universelles ist, während der sinnliche Teil des Menschen etwas zutiefst Partikulares ist. Die Vernunft ist das Einzige, was den Menschen mit der Welt und mit den anderen Menschen verbindet – nicht sein Körper, nicht seine Gefühle. Das ist gewiss eine Extremform, die sich aber bis zu Platon zurückverfolgen lässt. Dennoch: Die Richtung, in die Aristoteles wies, halte ich für richtig, aber die Schlussfolgerungen, die er aus seinem psychologisch-naturalistischen Ansatz zog, halte ich für korrekturbedürftig. Denn wir können heute nicht mehr davon ausgehen, dass Sprache und Vernunft die Alleinstellungsmerkmale des Menschen sind oder dass es eine universale Natur des Menschen gibt. Sowenig wie die Vernunft die „Differentia spezifica“ des Menschen ist, so wenig gibt es eine einheitliche Wesensbestimmung des Menschen. Dafür sind zwei weitere Prinzipien eher typisch für das Menschsein: Die individuelle Variation, die Individualisierung. Außerdem die kulturelle Variabilität, die der Realisierung unterschiedlicher menschlicher Lebensformen zugrunde liegt. In der Aristotelischen Konsequenz müsste sein empiristischnaturalistischer Ansatz dahinführen, eine ganze Bandbreite von menschlichen Tugenden aufzustellen – je nach der individuell-kulturellen Prägung und Variation. Im Grunde müsste man für jedes Individuum einen speziellen Tugendkatalog aufstellen. Damit würde man auch wieder jeden Maßstab verlieren. Ich möchte hier einen etwas anderen Weg beschreiten, indem ich die Struktur menschlicher Handlungen unter strikt moralischer Perspektive beschreibe. Meine Prämisse dabei lautet: Handeln ist intrinsisch moralisch, da es aufgrund seiner Wollens-Struktur und seiner Einbettung in unterschiedliche Sphären der Verursachung und der Beurteilung (subjektiv, intersubjektiv, objektiv) normativ ausgerichtet ist. Das Normative wird nicht von außen an das menschliche Handeln herangetragen, sondern Handeln wäre begrifflich unmöglich, wenn es keinen Bezug zu Normen hätte. 2. Etwas wollen bedeutet immer, sich an allgemeinen Zielen zu orientieren, die stets konkrete Spezifikationen erlauben. Diese Spezifikationen stellen eine Individualisierung dar, die aber nicht zu einer Vervielfältigung von Tugenden oder individuellen Sollens-Sätzen führt, sondern zu Einsichten in die allgemeine Struktur menschlicher Handlungen und ihren generell moralischen, d.h. normativen Charakter. Hier sei gleich betont, dass Normen sich als Erfolgs-Erwartungen in subjektiver, intersubjektiver und objektiver Hinsicht formulieren lassen, wobei das Subjektive auf das eigene Wollen, das Intersubjektive auf das Wollen anderer Subjekte und das Objektive auf schon bestehende Tatsachen natürlicher und künstlicher Art Bezug nimmt. Ich will nicht das Glück schlechthin, sondern mein bestimmtes Glück. Dieses mein Glück muss ich selbst in den oben genannten Dimensionen ausdifferenzieren, um einen Begriff davon zu bekommen, was ich will. Zentral wird also die Frage: Was will ich? Das ist die Kontraposition zu jeder Willensbestimmung und damit auch zu jeder Moralbestimmung, die die letzte Wurzel der menschlichen Existenz in einem transzendenten Sein verankert (wie beispielsweise im Christentum: „Dein Wille geschehe.“ Oder auch „Nicht wie ich, sondern wie du willst.“) Diese Frage nach dem eigenen moralischen Wollen ist nur mehrdimensional zu beantworten: einmal auf der Achse subjektiv – intersubjektiv – objektiv, dann auf einer anderen Ebene physisch – emotional – intellektuell. Etwas wollen heißt, einen noch nicht vorhandenen Selbst- und Weltzustand zu antizipieren, für dessen Realisierung ich verantwortlich bin. Mein Wollen verknüpft auf eigentümliche Weise mein Handeln mit mir, macht es zu meinem Handeln und nicht zum Handeln eines anderen. Diese Weise nennen wir gewöhnlich so, dass man sagt, ich sei für das verantwortlich, was ich tue (sage, lasse, herstelle etc.). Eigentum verpflichtet, wie es im Grundgesetz heißt. Und doch ist dies keine nur ökonomische oder juristische Verknüpfung zwischen Eigentum und Pflicht, sondern ein strukturelles Merkmal unseres In-der-Welt-Seins. Mein Körper verpflichtet mich ebenso wie meine Worte, meine Taten, meine Werke mich verpflichten. Aus meinem Inder-Welt-Sein resultiert eine ontologische Verpflichtung auf die Tatsachen, deren Urheber ich bin. Der gesamte Bereich des mir Zugehörigen spielt für die Ethik eine wichtige Rolle, denn an den Kategorien Körper, Handeln, Sprache, Herstellen usw. wird deutlich, dass Moral eng mit unserem Verständnis von Eigentum zusammenhängt bzw. von der Verwendung der Personalpronomen „mein“, „dein“ usw.: Das ist mein Arm – das hast du gesagt (deine Worte) – das hat er getan (seine Taten) – das hat sie gewollt (ihr Wille) usw. In all diesen täglich sich millionenfach wiederholenden Grenzziehungen wird deutlich, dass das Aushandeln zwischen dem Eigenen und dem Fremden (Ich und Nicht-Ich, wie Fichte dies nennen würde), zwischen dem eigenen und dem fremden Willen zum Kerngeschäft der Moral gehört. Ob ich mir oder dir in den Finger schneide, das macht nicht nur physisch, sondern auch moralisch einen Unterschied. Der Kerngedanke lautet einfach: Mein Körper und alles, was von meinem Körper ausgeht – Handlung, Sprache, Werke -, gehört in gewisser Weise (zu) mir. Ich muss mir aber meinen Körper, meine Sprache, mein Handeln etc. erst zu eigen machen – in der konfliktreichen Auseinandersetzung mit anderen Menschen. Im Gebrauch des eigenen Körpers bildet sich das grundlegende Verständnis für das zur mir Gehörige aus, was erst einen Begriff dessen erlaubt, was zu dir gehört. „Das bin ich – das bist du“: diese Entdeckung geht einher mit der weiteren „Das gehört (zu) mir – das gehört (zu) dir“. Daran knüpfen sich Formen des Eigentumserwerbs, die erlaubt oder verboten sind. Auch hier gilt vereinfacht: Was dir gehört, darf ich dir nicht wegnehmen. Erlaubte Formen des Erwerbs: Kauf und Tausch, wobei Kauf eine Form von Tausch ist. Grenzüberschreitungen in betreffs der Eigentumsverhältnisse gelten in allen Kulturen und Epochen als moralisch verächtlich. Letztlich lassen sich auch alle moralischen und juristischen Vergehen auf die Verletzung der Ich-Du-Grenze zurückführen. Und selbst alle politischen Kategorien lassen sich auf dies einfache Konzept reduzieren. So sind Ländergrenzen und deren Wahrung zentrale Staatsaufgaben und deren Verletzung kann zu Kriegen führen. Die unkontrollierte Öffnung von Landesgrenzen wird daher auch als große politische Irritation empfunden. Denn die politische Organisation wird in Analogie zur individuell-körperlichen Organisation aufgefasst und die Verletzung der einen oder der anderen Grenzen mehr oder weniger als Angriff auf die eigene „Identität“ bzw. „Integrität“ betrachtet, worunter man eben alles versteht, was zum Eigentum oder dem Eignen dazugehört. Gerade bezüglich der politischen Identität einer...


Kühn, Thomas
Thomas Kühn verbrachte seine frühe Kindheit in der DDR.
Intensive Beschäftigung mit Literatur und Philosophie seit dem vierzehnten Lebensjahr.
Er arbeitete zwanzig Jahre als Nachtwächter in einer Einrichtung für geistig Behinderte.
In dieser Zeit studierte er Philosophie und Germanistik.
"Das Kupferhaus" ist sein Erstling. Es folgte die Novelle "Ohne Schuld". Nach den "Zerreißproben", einem philosophischen Tagebuch, und "Die Selbstverständlichkeit der Welt" - einer Auseinandersetzung mit dem "Neuen Realismus" - legte der Autor mit "Handeln und Sein" seinen bislang umfassendsten Versuch einer philosophischen Selbstbesinnung und Selbstbestimmung vor. Die Essaysammlung "Denken und Sein" stellt eine Fortsetzung dieses Versuches dar. Die Ergebnisse seiner Beschäftigung mit Kant, Hegel und Nietzsche legt er in dem Band "Geschichte und Sinn. Von Kant zu Nietzsche" vor. Das Buch "Der eigene Wille in der Moral" stellt eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage des Vorgängers "Handeln und Sein" dar.

Thomas Kühn verbrachte seine frühe Kindheit in der DDR.
Intensive Beschäftigung mit Literatur und Philosophie seit dem vierzehnten Lebensjahr.
Er arbeitete zwanzig Jahre als Nachtwächter in einer Einrichtung für geistig Behinderte.
In dieser Zeit studierte er Philosophie und Germanistik.
"Das Kupferhaus" ist sein Erstling. Es folgte die Novelle "Ohne Schuld". Nach den "Zerreißproben", einem philosophischen Tagebuch, und "Die Selbstverständlichkeit der Welt" - einer Auseinandersetzung mit dem "Neuen Realismus" - legte der Autor mit "Handeln und Sein" seinen bislang umfassendsten Versuch einer philosophischen Selbstbesinnung und Selbstbestimmung vor. Die Essaysammlung "Denken und Sein" stellt eine Fortsetzung dieses Versuches dar. Die Ergebnisse seiner Beschäftigung mit Kant, Hegel und Nietzsche legt er in dem Band "Geschichte und Sinn. Von Kant zu Nietzsche" vor. Das Buch "Der eigene Wille in der Moral" stellt eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage des Vorgängers "Handeln und Sein" dar.


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