Kuschnarowa | Schattensommer | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1172, 232 Seiten

Reihe: Gulliver Taschenbücher

Kuschnarowa Schattensommer

Roman
Originalausgabe 2011
ISBN: 978-3-407-74291-9
Verlag: Beltz, J
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 1172, 232 Seiten

Reihe: Gulliver Taschenbücher

ISBN: 978-3-407-74291-9
Verlag: Beltz, J
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



rechts. aussteigen. todesangst. Jannik programmiert ein Netzwerk für die Clique seiner neuen Freundin Nele. Deren fragwürdigen Parolen sind ihm zuerst egal. Denn Jannik fühlt sich anerkannt, er steigt in der Cliquen-Hierarchie auf. Zu spät begreift er jedoch, wie tief er mittlerweile in der rechten Szene steckt. Nach einem Streit mit dem Anführer wird Janniks Leben zur Hölle: Nele wendet sich ab. Sein Hund verschwindet, Daten auf dem PC sind gelöscht, er fühlt sich verfolgt ... Bald scheint er Realität nicht mehr von Einbildung trennen zu können. Jannik gerät immer tiefer in den Strudel seiner Angst. Wem kann er jetzt noch vertrauen?

Anna Kuschnarowa studierte Ägyptologie, Germanistik und Prähistorische Archäologie in Leipzig, Halle/Saale und Bremen und unterrichtete zehn Jahre an mehreren deutschen Hochschulen. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt gender-Themen. Sie arbeitet als freie Autorin und Fotografin und gründete 2011 die Seschat Fernschule für Ägyptologie. In ihrer Freizeit reist sie so weit weg wie möglich und so oft sie kann. Bei Beltz & Gelberg erschienen ihre Romane 'Spielverderber', 'Schattensommer', 'Junkgirl','Kinshasa Dreams' und 'Djihad Paradise'. www.anna-kuschnarowa.de
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2


Graues Licht fiel durchs Fenster und draußen hatte es sich eingeregnet. Taxi lag vor meinem Bett und hatte seine Schnauze platt auf den Boden gepresst. Als ich mich erhob, stand auch er auf und wedelte erwartungsfroh mit dem Schwanz. Ich kraulte ihm die Ohren, mein Schädel brummte. Guten Morgen, Jannik. Willkommen in einem beschissenen Sommer.
Mein Blick fiel auf die Uhr. Es war schon Nachmittag. Vorsichtig sondierte ich die Lage. Was ich jetzt gar nicht brauchen konnte, waren die besorgten Blicke meiner Eltern und die bohrenden Fragen meiner Mutter.
Aber im Haus herrschte Totenstille. Ich trabte in die Küche und linste aus dem Fenster, der Carport war leer. Sehr gut. Sie waren beide ausgeflogen. Ich hatte einen fürchterlichen Brand und tappte zum Kühlschrank. Dort fand ich eine Flasche Orangensaft und stürzte sie auf einmal hinunter, doch danach fühlte ich mich noch immer wacklig und schlaftrunken, aber das war ja auch kein Wunder, schließlich war ich noch völlig entkoffeiniert. Also schlurfte ich zur Kaffeemaschine und stellte zwei Tassen unter das Gerät. Ich schlug sogar Milchschaum auf und verteilte ihn über dem köstlichen Gebräu, aber als ich die erste Tasse ansetzte, hob es mich und beinahe wäre ich zur Toilette gerannt. Lustlos rührte ich in der Tasse herum, bis nichts mehr von dem Schaum zu sehen war. Schließlich ging ich zur Speisekammer, nahm eine Tüte Chilichips und eine Flasche Mineralwasser und verbarrikadierte mich in meinem Zimmer. Mit dem Kater würde ich schon fertig werden.
Während ich mir die Chips in den Mund schob, überlegte ich, wie ich den Rest dieses Tages herumkriegen könnte, und schaltete den Fernseher ein. Aber da kamen nur Bilder von Demonstranten im Gazastreifen, irgendwo in Südeuropa hatten Grundstücksspekulanten ein riesiges Waldgebiet abgefackelt und das Feuer breitete sich in atemberaubender Geschwindigkeit in Richtung einer Siedlung aus, und im Irak waren wieder soundsoviele Menschen von der Bombe eines Selbstmordattentäters zerfetzt worden. Ich zappte weiter. Eine Tussi, die nur aus einem riesigen Mund zu bestehen schien, gab sich als Promi-Expertin aus und plapperte munter über Prinz Charles und Camilla, als würde sie sie persönlich kennen, und ehe sie noch zu deren Stuhlgang überleiten würde, schaltete ich weiter. Zwei Blondinen auf Koks hielten euphorisch einen gigantischen geblümten Schlüpfer in die Kamera, als wäre er der Koh-i-Noor, und das war der Punkt, an dem es Zeit war, die Glotze wieder auszumachen.
Lustlos überflog ich meinen Bücherstapel und zog schließlich ein Buch von Palahniuk heraus.
»Alles, was du hast, hat irgendwann dich«, las ich. Wie wahr. Wenn ich nicht so viel Kram hätte, müsste ich nicht so oft aufräumen. Aufräumen fand ich ätzend. Alles, was du hasst, hasst irgendwann dich, dachte ich und musste grinsen. Ich versuchte weiterzulesen, aber ich verrutschte immer wieder in der Zeile. Schließlich kapitulierte ich und schlug das Buch wieder zu. Draußen hatte der Regen einen dichten Vorhang aus ungleichmäßigen grauen Schnüren gebildet. Irgendwie fasziniert starrte ich aus dem Fenster, bis ich in eine leichte Trance fiel und den Eindruck hatte, dass es gleichzeitig von oben nach unten und von unten nach oben regnete. Nein, Rausgehen fiel heute wohl aus. Nicht mal Hausaufgaben hatte ich zu erledigen. Es waren ja, hurra, hurra, Ferien. Aber wer hätte gedacht, dass ich mal nach Hausaufgaben lechzen würde?
Schließlich fuhr ich den Rechner hoch und bastelte an meiner Homepage, damit den Vollidioten endlich jeder kontaktieren konnte. »ICH BIN SO EIN IDIOT, SO EIN RICHTIGER VOLLIDIOT«, tippte ich ein. Dann löschte ich es wieder. Mann, fühlte ich mich leer. Meine beiden besten Freunde waren ein Paar! Irgendwie wusste ich auch gar nicht, wieso mich das so dermaßen aufregte. Schließlich war ich ja nicht Aynurs Freund. Oder ja, natürlich war ich Aynurs Freund, aber eben nur so ein Freund wie Micha. Und nun war Micha eben nicht mehr nur so ein Freund wie ich, sondern er war jetzt ihr Freund. Und nun brauchten sie mich in etwa so dringend, wie man einen Tumor braucht, und deshalb wollte ich sie alle beide nicht mehr sehen. Aber wie sollte ich nur diesen elenden Sommer alleine rumkriegen?
In einer Kleinstadt ist die Anzahl der Menschen, mit denen man sich gern abgibt, ziemlich überschaubar. Klar, ich hatte noch ein paar Kumpels, aber das waren Nerds und mehr als über Software und Games zu labern war mit ihnen nicht drin. Mit Aynur und Micha war das ganz anders. Wütend hieb ich auf die Tastatur und das »A« hüpfte mir entgegen. Erschrocken sprang Taxi auf und winselte. Den hatte ich total vergessen. Scheiß auf den Regen, dachte ich und zog mir die Schuhe an, pfiff nach dem Hund und radelte an den See.
Dafür, dass Sommer war, herrschte eine Schweinekälte. Doch das war mir so was von egal. Ich riss mir die Klamotten vom Leib und sprang ins Wasser und mir blieb kurz die Luft weg. Aber egal, ich schwamm mit Taxi dreimal um die Insel und kletterte schließlich nackt an Land und kehrte zu dem Ort zurück, den ich in der Nacht zuvor so fluchtartig verlassen hatte. Und dann stand ich mit Taxi vor der Feuerstelle und hatte keine Ahnung, was ich hier wollte.
Mein sinnloser Ausflug an den See hatte mir eine Prachterkältung beschert und ich schniefte und hustete und meine Stimme klang so gesund wie die von Darth Vader. Aber eigentlich war es mir ganz recht. Heimlich hoffte ich auf eine Lungenentzündung und einen Krankenhausaufenthalt und auf Michas und Aynurs betretene Gesichter, wenn sie die Diagnose »unheilbar« erfuhren. Aber es war und blieb eine ganz poplige Erkältung mit einem immensen Taschentuchkonsum und irren Kopfschmerzen.
Meine Eltern waren wie immer tagsüber an der Uni in Berlin und konnten sich erst spät von ihren Schreibtischen trennen. Aber abends standen sie dann stramm an meinem Bett, warfen ihre Stirnen in besorgte Falten und nötigten mir Suppe auf.
Zu Besuch kam auch niemand. Aber wer sollte auch kommen? Ich hätte einen von den Jungs anrufen können, aber dem Nerdtalk fühlte ich mich gerade nicht gewachsen. Außerdem tauchten die ohnehin nur auf, wenn sie was von mir brauchten. Da sieht man mal, wie beliebt man in Wirklichkeit ist. Wurde wohl Zeit, härter zu werden.
Die Zeit kroch dahin, als hätte sie Bleikugeln an den Beinen. Dabei hatte ich inzwischen drei Homepages für Bekannte meiner Eltern programmiert und ziemlich viel Kohle dafür eingestrichen, aber gerade hatte ich nicht die mindeste Lust, irgendwas zu kaufen. Die Romane, die ich mir für die Ferien beschafft hatte, hatte ich längst ausgelesen und durch die Philosophiebücher war ich auch schon durch. Philosophie! Ich hatte noch überdeutlich Michas Auftritt am vorletzten Schultag vor Augen, als er mit spitzen Fingern den Bücherstapel neben meinem Bett durchforstet, einen Nietzscheband herausgezogen und ihn irgendwo aufgeschlagen hatte. Einen Moment lang starrte er auf die Seite und überflog die Zeilen.
»Alter, was liest du denn da bitte für eine gequirlte Scheiße?« Und dann rezitierte er: »Gott ist tot.« Er blätterte weiter und las: »Wer gab uns den Schwamm, den Horizont wegzuwischen?« Er klappte das Buch zu und warf es zurück auf den Stapel. »Jetzt mal im Ernst. O.k., irgendwie passt das zu so einem komischen Gruftling wie dir. Aber hast du eigentlich nichts Besseres zu tun, als dir mit so einer intellektuellen Diarrhöe den Tag zu versauen?«
»Mann, jetzt reg dich doch nicht so künstlich auf«, hatte ich gesagt und an dem Buch herumgefummelt, das dank Micha nun ein Eselsohr hatte.
»Ich soll mich nicht aufregen, wenn mein bester Freund sich mit so einem nihilistischen Unsinn abgibt. Hey, du irrer Knochenlutscher, da draußen wird dir die Welt unter den Füßen wegverkauft und du suhlst dich in der Larmoyanz von anno dazumal! Mann, du hast so viel Grips und könntest so viel bewegen, aber nein, stattdessen hängst du immer nur vor dem Rechner rum, ziehst dir eine nutzlose Schwarte nach der anderen rein und machst einsame Spaziergänge mit Taxi.«
»Jetzt halt mal die Klappe, Mann. Du hast doch überhaupt keine Ahnung.«
»Stimmt. Aber dafür tu ich wenigstens was.« Er hatte gelacht und mir in die Seite geboxt.
Ich seufzte. Gerade hätte ich sonst was dafür gegeben, mir Michas Tiraden anzuhören, und mir war, als ob ich vor lauter Langeweile Kopfschmerzen bekäme. Für einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob ich nicht doch mal bei Micha anrufen sollte. Oder bei Aynur. Aber dann ließ ich es bleiben. Schließlich waren sie ja diejenigen, die mich verarscht hatten. Außerdem wollte ich härter werden. Und vielleicht hatte Micha in dem Punkt ja sogar recht, vielleicht sollte ich wirklich mehr auf die Dinge achten, die da draußen vor sich gingen.
Die Tage schlichen dahin, die Wochen, und dann blieben nur noch vierzehn Tage bis zum neuen Schuljahr. Taxi bekam so viel Auslauf wie noch nie und trotzdem hatte ich mich vor lauter Langeweile bei Facebook eingeloggt. Micha hatte immer gesagt, dass das was für Soziopathen sei, für Leute, die keine Freunde hatten und sich im echten Leben nicht zurechtfanden. Aber irgendwie passte das ja zu meinem momentanen Zustand.
Eines Tages schrieb mich »Mystique« an. Ich weiß auch nicht, was sie dazu veranlasst hatte. Sie interessierte sich nicht für Computer und ich mich nicht für Marienhof. Aber als Kerl fühlst du dich erst einmal geschmeichelt, wenn du nicht alle Kontakte selbst anbahnen musst.
Ein paar Mails später stellten wir fest, dass wir in der gleichen Stadt wohnten, uns aber offenbar noch nie begegnet waren. Wer hätte das gedacht, wo ich doch das Gefühl hatte, jede der...


Kuschnarowa, Anna
Anna Kuschnarowa studierte Ägyptologie, Germanistik und Prähistorische Archäologie in Leipzig, Halle/Saale und Bremen und unterrichtete zehn Jahre an mehreren deutschen Hochschulen. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt gender-Themen. Sie arbeitet als freie Autorin und Fotografin und gründete 2011 die Seschat Fernschule für Ägyptologie. In ihrer Freizeit reist sie so weit weg wie möglich und so oft sie kann. Bei Beltz & Gelberg erschienen ihre Romane "Spielverderber", "Schattensommer", "Junkgirl","Kinshasa Dreams" und "Djihad Paradise".
www.anna-kuschnarowa.de



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