Meißner | Erwachsenentaufe im Zeitalter von Konfessionslosigkeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 400 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm

Meißner Erwachsenentaufe im Zeitalter von Konfessionslosigkeit

Eine qualitativ-empirische Untersuchung zu ihrem lebensgeschichtlichen Zustandekommen und ihrer Bedeutung

E-Book, Deutsch, 400 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm

ISBN: 978-3-374-05888-4
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Sich in Ostdeutschland als Erwachsener taufen zu lassen, ist recht unkonventionell. Warum es dazu kommt, erläutert dieses Buch. Es beleuchtet bei ›vormals Konfessionslosen‹ lebensgeschichtliche Hintergründe, die ihr Interesse an Religion anbahnten und die letztlich zur Taufe führten. Mittels biographischer Interviews, gesprächslinguistischer und soziologisch-rekonstruktiver Methodik werden Gegenstandsbereiche untersucht, in denen entsprechende Entwicklungen stattfanden. Aus einzelnen Bedeutungsstrukturen und größeren Strukturkomplexen sind mögliche Entwicklungsschritte hin zur Taufe sowie Gründe für sie dargelegt: Konfessionslose Erwachsene lassen sich nicht ohne religiöse Vorerfahrungen taufen. Gegenstand dieser Erfahrungen ist das Zurechtkommen in ungünstigen Lebensumständen. Die Taufe resultiert daher aus einem Ordnungsdenken, mit dem Distanz dazu bewerkstelligt werden soll.

[Adult Baptism in Eastern Germany. A Qualitative-Empirical Study on its Biographical Contexts and its Meaning]
To be baptized as adult in Eastern Germany is rather unconventional. The way leading to baptism is described in this book. It sheds a light on the biographical backgrounds of formerly 'non-denominational' individuals that initiated their interest in religion and eventually lead to their baptism. Fields in which these developments took place get analyzed by means of biographical interviews and conversational linguistic and sociological reconstructive methods. Individual structures of meaning and larger structural complexes help to understand the development steps and the motivations to get baptized: non-denominational adults don’t let themselves be baptized without former religious experiences. These experiences include the overcoming of unfavorable living conditions. Baptism is therefore also the result of a structuring thinking which tries to create distance.
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2 METHODISCHES VORGEHEN: AUF DEM WEG ZU ELEMENTEN EINER EMPIRISCH-REKONSTRUKTIVEN THEORIE DES ZUSTANDEKOMMENS VON ERWACHSENENTAUFE
2.1 METHODISCHE VORBEMERKUNGEN
Für den Entwurf von Elementen einer empirisch-rekonstruktiven Theorie des Zustandenkommens von Erwachsenentaufen ist es notwendig, Rechenschaft über die Herangehensweise abzulegen. Dies soll im Folgenden aus soziologischer und gesprächslinguistischer Sicht geschehen. Die Forschungsfrage dabei lautet: Warum lassen sich konfessionslose Menschen evangelisch taufen? Das Kausalpronomen dieser Frage wörtlich verstanden, könnte einem alten Einwand zufolge kritisiert werden, die Frage laufe auf eine kausale Erklärung des Phänomens hinaus. Das jedoch funktioniere nicht in der Sozialforschung. Demnach könnte vorgeschlagen werden, ›warum‹ durch das Interrogativpronomen ›wozu‹ zu ersetzen, um statt einer kausalen eine funktionale Erklärung anzuvisieren. – Die Verwendung von ›warum‹ rechtfertigt sich jedoch insofern, als dass nach Gründen von Verhalten gefragt wird, ohne dass dabei ein Kausalzusammenhang in Form von Ursache und Wirkung vorausgesetzt ist, sondern ein teleologischer in Form von Grund und Folge.37 So kennzeichnet Kausalbeziehungen eine gesetzmäßige Verknüpfung, teleologische Beziehungen aber eine begrifflich-logische Verknüpfung.38 Weil menschliches Handelns, im Gegensatz z. B. zu Naturgesetzen, keine notwendig-gesetzmäßigen Regelmäßigkeiten aufweist, haben diesbezügliche Erklärungszusammenhänge teleologischen Charakter. Die Intentionalität menschlichen Handelns bedingt also seinen teleologischen Charakter. Demgegenüber wird häufig betont, dass Widerfahrnisse oder Bedürfnisse eine kausale Interpretation menschlichen Verhaltens erfordern, weil Menschen davon nur beeinflusst würden und ihr Verhalten so nur als Wirkung einer Ursache beurteilt werden könnte. Sobald ein Mensch aber auf Widerfahrnisse reagiert, neutralisiert sich ihr Kausaleinfluss auf sein Verhalten durch den teleologischen Charakter seiner Handlungen. Denn die Reaktion auf ein Widerfahrnis bzw. Bedürfnis ist als Stellungnahme mit Handlungscharakter zu interpretieren.40 vorschwebe. Der Organisation menschlichen Handelns liege daher stets ein Plan zugrunde, der eben die Aspekte von Absicht und deren Manifestation in der Umsetzung von Zielen einbegreife. Der Adler-Schüler Rudolf Dreikurs expliziert diesen teleologisch orientierten Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens genauer: Er konstatiert, dass Handeln als Stellungnahme zu Erlebnissen und zur Umgebung planlos bliebe, wäre es nicht teleologisch organisiert. Dabei setzt er aber Zielgerichtetheit nicht mit bewusstem Handeln gleich: »wie wir sehen werden, kommen die meisten Entscheidungen nicht über die Schwelle des Bewusstseins, wir sind uns also der meisten Ziele, die wir uns selber setzen, nicht bewußt«.42 An einem Beispiel erklärt er, warum die teleologische Interpretation menschlichen Handelns einer kausalen vorzuziehen sei. Daran ist zu erklären, warum der Interpretationsrahmen dieser Arbeit notwendig funktional ist: »Während eines Vortrages steht eine Dame auf und verlässt den Saal. Wir erfahren, daß sie Durst hatte und ein Glas Wasser wollte. Nun können wir dieses Verhalten von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten: Wir können sagen, daß sie aufstand und hinausging, weil sie durstig war, oder um ein Glas Wasser zu bekommen. […] Die Tatsache, daß die Dame durstig war, erklärt gar nichts. Es bedeutet nicht, daß sie hinausgehen mußte. Aber wenn sie ein Glas Wasser haben möchte, muß sie hinausgehen.«43 Anhand der Konjunktionen »daß« und »weil« expliziert Dreikurs den Unterschied zwischen teleologischer und kausaler Interpretation von Verhalten. Dabei denkt er sich, dass die Erklärung »daß sie […] ein Glas Wasser wollte« teleologisch sei, weil sie mit einer Finalkonjunktion eingeleitet werde. Die Erklärung »weil sie durstig war« wäre jedoch kausal, weil sie eine Kausalkonjunktion enthalte. Allerdings begeht Dreikurs mit dieser Ansicht den Fehler, die Kausalkonjunktion als Indiz für eine kausale Erklärung menschlichen Verhaltens zu nehmen. Er berücksichtigt nicht, dass alle menschlichen Bedürfnisse zwangsläufig teleologisch bzw. funktional sind, weil sie Teil des menschlichen Funktionskreises sind. Demnach begründet die Formulierung »weil sie durstig war« menschliches Verhalten nicht kausal, sondern quasikausal – d. h. in Wahrheit funktional. Nur geht aus dieser Begründung nicht explizit das Handlungsziel, den Durst zu stillen, hervor. Die ›Weil-Erklärung‹ erklärt daher nicht »gar nichts«, sondern sagt nur nichts über die konkrete Realisierung des Zieles aus, den Durst zu stillen. 2.1.1 Warum rekonstruktive Forschung als methodische Grundrichtung?
Aus dem bisher Gesagten folgt, dass für die Auswertung der narrativ-biographischen Daten eine rekonstruktionslogische Herangehensweise eingeschlagen und davon ausgegangen wird, dass die Sphäre der Sozialität aus alltäglichen Bedeutungskonstruktionen besteht,44 die in interaktiven Prozessen permanent aufgebaut, erhalten und verfügbar werden.45 Routinen, die auf praktisch verfügbaren Wissensbeständen beruhen und ein »implizites Wissen«46 darstellen, spielen bei ihrer Etablierung eine hervorragende Rolle. Diesbezüglich hat sich die rekonstruktive Sozialforschung zur Aufgabe gemacht, solche Bedeutungskonstrukte bzw. -komplexe ›ersten Grades‹ zu rekonstruieren, und generiert dabei Theorien oder »Rekonstruktionen zweiten Grades«.47 Im Gegensatz zu quantifizierenden Methoden hat das für die rekonstruktive Untersuchung nötige Instrumentarium allgemein den Vorteil, dass es »aufbauend auf der Rekonstruktion der Prozesse des Erkennens im Alltag und in Auseinandersetzung mit ihnen entwickelt«48 worden ist und so eine wissenschaftliche Explikation des interpretativen Alltagshandelns darstellt. Die dadurch mögliche Herunterregelung der experimentell-künstlichen Laborsituation gewährt es, den Zusammenhang zwischen alltäglicher und wissenschaftlicher Erfahrung nicht auseinanderbrechen zu lassen. Daher sind keine Hypothesen solange falsifikatorisch »einschränkend«50 neu zu formulieren, bis sich realitätsgemäße Aussagen ergeben – vielmehr werden hypothesentaugliche Thesen gebildet. Beim rekonstruktiven Vorgehen sorgt vor allem eine selbstläufige Datenerhebung für die hinreichende Gewichtung der Selbstdarstellung, des Referenzrahmens und des Relevanzrahmens der Befragten. So wird danach gestrebt, einem grundlegenden Bedeutungsproblem, nämlich der Vagheit von Äußerungen, beizukommen, indem die Bedeutungsrekonstruktion nicht abzüglich des Bedeutungskontextes vorgenommen wird (vgl. zu diesem Problem Unterpunkt 3.2.2, Äußerungsform und Kontext). Daher ist die Präferenz für die qualitative Verfahrensrichtung von grundsätzlicher Natur. Lässt sich doch auf diese Weise besser verstehen, wie und warum es zu einer derartigen Transformation des persönlichen Bedeutungsrahmens kommt, dass aus vormals Konfessionslosen im Erwachsenenalter Getaufte werden. 2.1.2 Auswahl des Samples
Die empirische Studie bezieht sich auf Äußerungen von zwanzig narrativ-biographischen Interviews, die im Zeitraum zwischen 2012 und 2014 in Ostdeutschland geführt wurden. Genauer wurden vierzehn weibliche und sechs männliche Personen zu den lebensgeschichtlichen Bezügen ihrer Entscheidung zur Erwachsenentaufe befragt. Eine davon lebte zum Zeitpunkt des Interviews in Berlin, eine weitere in Mecklenburg-Vorpommern, vier Personen in Sachsen, die Mehrheit, vierzehn Personen, lebte zum Interviewzeitpunkt in Sachsen-Anhalt. Zur Gewährleistung der Anonymität der Interviewpartner wurden Personen- sowie Ortsnamen geändert. Bezüglich der Auswahl des Samples wurde nicht darauf abgezielt, die Interviewteilnahme hinsichtlich bestimmter soziostruktureller oder kohortenbezogener Merkmale zu beschränken, da Bedeutungsstrukturen rekonstruiert werden, die im Allgemeinheitsgrad über milieuspezifische Reichweiten hinausgehen. Z. B. kann gesagt werden, dass Handlungsmuster ›familialer Desintegration‹ in der Folge von Abwertung, Vereinnahmung oder Vernachlässigung in unterschiedlichen Milieus auftreten. Dabei ist anzunehmen, dass milieuspezifische Handlungsvarianzen existieren, die sich in Form dieser Bedeutungsstruktur milieuübergreifend verallgemeinern lassen. 2.1.3 Zum Kontext von Konfessionslosigkeit.
Kurze religionssoziologische Verortung des Samples
In Ostdeutschland, dem Kontext von Konfessionslosigkeit, ist der Vollzug der Erwachsenentaufe ein exotisches Phänomen. Das zeigt sich u. a. dann, wenn seine Häufigkeit bzw. sein seltenes Vorkommen betrachtet wird. Zuvor sei daran erinnert, dass bei einer Bevölkerungszahl von ca. 80 Mio. Deutschen nach wie vor ca. 30 % der Evangelischen Kirche Deutschlands angehören.52 Ca. 80 % ihrer Mitglieder leben in den alten und knapp über 20 % in den neuen Bundesländern. Setzt man in beiden Regionen die EKD-Mitgliederzahlen mit den jeweiligen Bevölkerungszahlen in Bezug, so ergibt sich, dass ca. ? der Bevölkerung in Deutschland-West und rund ? der Bevölkerung in Deutschland-Ost Mitglied der EKD sind. Erwachsenentaufen in den östlichen Gliedkirchen zwischen 2000 und 201053 ...


Meißner, Wilfried
Wilfried Meißner ist Lehrer für Deutsch und Evangelische Religion am Gymnasium Philanthropinum in Dessau-Roßlau. Mit der vorliegenden Arbeit wurde er im Jahr 2017 in Halle/Saale promoviert.

Wilfried Meißner ist Lehrer für Deutsch und Evangelische Religion am Gymnasium Philanthropinum in Dessau-Roßlau. Mit der vorliegenden Arbeit wurde er im Jahr 2017 in Halle/Saale promoviert.


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