Naughton Bann der Ewigkeit
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-06930-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-641-06930-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Welt der Götter und der Menschen wird von Dämonen bedroht. Der ewige Wächter Zander, dessen unbezwingbare Kräfte legendär sind, kämpft an vorderster Front gegen den Untergang beider Welten. Doch als Nachfahr des Achilles hat auch er eine Schwachstelle, die er um jeden Preis vor seinen Feinden verbergen muss. Und ausgerechnet jetzt kann er an nichts anderes denken als an die Frau, in der er seine Seelenverwandte entdeckt hat: die Heilerin Callia, mit der er einst Stunden voller Leidenschaft teilte ...
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Erstes Kapitel
Könnte er sterben, wäre dies der ideale Ort dafür.
Zander stand am Rande der Klippe und blickte gebannt hinab auf die Felsenschlucht unter sich. Eine dünne Schneeschicht knirschte unter seinen Stiefeln, als er das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte und überlegte … Was wäre, wenn?
Die Temperatur lag deutlich unter null, so dass der Wind, der ihm ins Gesicht blies, alles betäubte, was er noch an Gefühl besaß. Als Argonaut, Nachfahre der größten Helden der griechischen Antike, war er stärker als bloße Sterbliche, stärker sogar als die Argoleaner und die unlängst entdeckten Halbblute, die er neuerdings beschützte. Seine Kraft war selbst der seiner Mitkrieger überlegen.
Nein, Unterkühlung würde ihn gewiss nicht töten. Leider. Erfrierungen wären nichts als eine vorübergehende Plage. Verdammt! Weil er nun einmal er war, könnte nicht einmal eine Kugel in die Brust verhindern, dass sein belämmertes Herz weiterschlug. Dies hier hingegen – er blickte in den Abgrund gute sechshundert Meter unter ihm, der nach unten so dunkel wurde, dass der dumpfgrüne Fluss unter einem dünnen Nebelschleier verborgen war – könnte eine Möglichkeit sein. Eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf wisperte, Tu es einfach!
Er war nicht blöd. Er verbrachte mehr Zeit mit Menschen als irgendein anderer Wächter aus seiner Welt und wusste, dass solch ein Sprung bestenfalls einer gescheiterten Nike-Werbeaufnahme gleichkäme. Und dennoch … es war verlockend. Schließlich konnte er nicht ausschließen, dass er sich beim Sturz die eine Wunde zuzog, die ihn sofort tötete und seine Unsterblichkeit ein für alle Mal beendete.
Sein Kampfgefährte Titus kam zu ihm, bevor er sich entschieden hatte, und sah ebenfalls hinab. »Eine echt beschissene Art, aus dem Leben zu scheiden. Aber du hast recht. Es würde dich nicht umbringen, und mir steht übrigens nicht der Sinn danach, dich da unten wieder zusammenzuklauben und gesundzupflegen.«
Zander sah den jüngeren Argonauten verärgert an – den beträchtlich jüngeren, der, wer hätte das gedacht, sich hier runterstürzen und sterben könnte! Was für ein Glückspilz. »Hör auf, meine Gedanken zu lesen. Du weißt, dass mich das wahnsinnig macht.«
Titus grinste, hob eine Hand und wischte sich über den Mund. Im matten Licht der Dämmerung leuchteten die Zeichnungen auf seinen Unterarmen und Händen, die Erkennungsmale der Argonauten, besonders deutlich auf der hellen Haut. Sein Grinsen war verhalten, denn so richtig lächelte Titus nie. »Du bist schon wahnsinnig, Alter. Und denkst du, mir gefällt es, dauernd zu wissen, was in deinem wirren Hirn vor sich geht? Dann verrate ich dir was. Es steht definitiv nicht ganz oben auf meiner Liste besonders spaßiger Dinge!« Er wedelte mit seinen großen Händen. »Du projizierst deinen Mist auf alles und jedes hier, und, glaub mir, ich bemühe mich nach Kräften, nicht hinzuhören.«
Zanders Miene verfinsterte sich, als er einen Schritt vom Klippenrand zurücktrat. Er ärgerte sich, dass er nicht gesprungen war, ehe Titus den Mund aufmachte, und noch mehr, dass ihn dieser kleine freie Fall nicht so ausschalten würde, wie er es gern hätte. Seine ohnedies schlechte Laune wurde nur schlimmer, je länger sie unterwegs waren, ohne irgendwelche Dämonen zu treffen.
Wenig hilfreich war, dass Titus und er diesen Gebirgsabschnitt seit einer vollen Woche nach Nachzüglern absuchten und nichts gefunden hatten. Zander wollte nicht zurück nach Argolea; ebenso wenig wollte er zur Kolonie gehen oder nach mehr Halbbluten suchen, die sich in den Wäldern versteckten. Er lechzte nach einem üblen, gefährlichen Kampf, war düsterer gestimmt als Hades selbst, und sollte er nicht bald kämpfen können, würde es unschön. Für alle.
»Gehen wir«, sagte Titus, der zurücktrat und sich die kalten Hände rieb. »Hier ist keiner. Wäre da unten eine Siedlung, hätten wir sie schon entdeckt. Wir gehen nach Norden, Richtung Mount Hood, und sehen mal, was wir dort finden.«
Zwar wollte er nicht, aber Zander nickte. Die nächstgelegene Halbblutkolonie lag verborgen im Willamette National Forest südlich von hier, und die Menschen in der Gegend hatten keine Ahnung von deren Existenz. Unter den Argonauten herrschte die einhellige Vermutung, dass es weitere Halbblute oder Misos gab. Misos nannten sich die Geschöpfe, deren Eltern zur Hälfte menschlich, zur Hälfte argoleanisch waren, und sie mussten sich verstecken, weil die Dämonen sie jagten. Dank dem Anführer einer der Kolonien, Nick, wussten sie inzwischen von drei anderen, die über den Globus verteilt waren. Nick selbst war sowohl ein Halbblut als auch etwas, das bislang keiner ergründet hatte. Eine andere Kolonie befand sich in Afrika, eine in der Permafrosttundra von Nordrussland und die dritte im Dschungel von Südamerika.
»Hey«, begann Titus mit seinem typischen Grinsen, als sie den Pfad entlanggingen, der in den Wald zurück führte, »es könnte schlimmer sein. Du hättest auf Patrouille nach Siberien geschickt werden können, wie Cerek und Phineus.«
Die Erwähnung der beiden anderen Argonauten hob Zanders Stimmung kein bisschen. »Dann wäre ich wenigstens weit weg von dir und deiner ewigen Gedankenleserei!«
Titus lachte leise. »Du solltest dringend deine Einstellung ändern, Z. Unsterblichkeit ist eine Gabe, Mann! Ich würde meinen linken Arm geben, hätte ich die anstatt Gedanken zu …«
Zander drehte sich so rasch zu ihm, dass Titus mitten im Satz die Luft anhielt. »Es ist keine Gabe! Es ist ein verdammter Fluch!«
Titus blickte hinab auf Zanders Hand auf seiner Jacke. Eine dunkle Wolke huschte über seine Züge, konnte Titus es doch nicht leiden, angefasst zu werden. Nirgends. Nicht einmal von einem Bruder. »Tritt zurück. Sofort.«
Zanders und sein Blick begegneten sich. Die Wächter waren in etwa gleich groß, beide knapp zwei Meter, und brachten zweihundertfünfzig Pfund pure Muskelmasse auf die Waage; doch da endeten die Ähnlichkeiten. Titus’ welliges dunkles Haar war mit einem Lederband zurückgebunden, und Eiskristalle hingen in seinem schmalen Schnurrbart und dem dunklen Unterlippenbart. Für den durchschnittlichen Betrachter sah er menschlich aus, war es aber nicht. Und seine braunen Augen funkelten wissend und gefährlich, eine Kombination, die für jeden heikel wurde, der Titus verärgerte.
Langsam nahm Zander seine Hand herunter, wich jedoch nicht zurück. Einen Kampf würde er gewinnen, selbst gegen solch einen Hitzkopf wie Titus. Er konnte mehr Schläge einstecken als jeder andere und immer noch weiterkämpfen. Trotzdem könnte er verletzt werden und bräuchte Zeit, sich wieder zu erholen. Und so gern er heute eine anständige, blutige Prügelei austragen würde, wollte er sie nicht mit Titus.
Vielmehr sollte sein Waffenbruder endlich begreifen, erst recht wenn Zander wer weiß wie lange mit diesem sterblichen Mistkerl herumziehen musste. Er biss die Zähne zusammen. »Zuzusehen, wie jeder stirbt, an dem dir liegt, ist keine Gabe, Titus. Ich diente mit deinem Vater. Ich diente mit den Vätern aller Argonauten. Ich war dabei, als Eurandros König und Leonidas noch nicht einmal ein Jucken in seiner Hose war. Und nun stirbt Leonidas an Altersschwäche, aber ich nicht. Ich bin genauso stark und gesund wie immer.«
Der Zorn, den Zander tief in sich verschlossen hielt, nahm sekündlich zu. »Vielleicht willst du jetzt nicht sterben, Wächter, aber eines Tages wünschst du es dir. Eines Tages wirst du bereit sein, zu den Elysischen Feldern aufzubrechen oder wohin auch immer der Rest von euch geht, wenn eure Tage gekommen sind. Aber ich nicht. Nein, ich bleibe hier und tue, was ich die letzten achthundertzwanzig Jahre getan habe. Ich sehe euch alle sterben und wünschte bei Hades, ich könnte mit euch gehen.«
Er marschierte voran unter die Bäume, ehe er etwas tat, was er bereuen würde. Ja, er klang wie eine Heulsuse mit einem gigantischen Anfall von Selbstmitleid. Doch er war es so gründlich leid. Er war es leid, sich zu benehmen, als wäre es prima und herrlich, was ihm das Schicksal aufbrummte. Es hatte eine Zeit gegeben, eine lange Zeit, da dachte er wie Titus. Er hatte tatsächlich geglaubt, es wäre ein Geschenk, dass er seine verwundbare Stelle, seine Achillesferse noch nicht gefunden hatte, wie es seinem Vater und jedem anderen Mann aus seiner Linie widerfahren war. Das war vorher gewesen. Bevor ihm klarwurde, dass er in alle Ewigkeit hier festsaß, während ihm alles, was von Bedeutung war, genommen wurde. Vor zehn Jahren. Bevor er erkannte, dass Heras Fluch real war.
»Zander, warte!«
Er ignorierte Titus’ Rufen und stampfte weiter, den Kopf gesenkt, um dem Wind auszuweichen. Wut und Selbstekel erhitzten sein Blut. Ja, er war wahrlich in der Stimmung für einen blutigen Kampf. Und kam er nicht schnell genug von Titus weg, wäre es ihm am Ende egal, dass der Argonaut ein Freund, kein Feind war.
Er hatte es dreißig Meter weit in den Wald geschafft, als die erbärmliche Kälte einer Froststarre wich, bei der einem das Mark in den Knochen gefror.
Zander blieb stehen und blickte auf. Weiter vorn zur Rechten schlichen sechs Dämonen durchs Unterholz, die offensichtlich auch auf Patrouille waren: auf der Suche nach Halbbluten, die sie dezimieren konnten.
Ein müdes Lächeln trat auf Zanders Gesicht. Es war das erste seit Tagen. Alle Dämonen waren leicht über zwei Meter groß, hatten Hörner und Reißzähne, katzenähnliche Gesichter, hundeartige Ohren und die Körper von Männern. Von richtig stämmigen, hässlichen, unangenehmen Männern, wie man sie des Nachts in dunklen Seitengassen traf, wo sie nichts als Ärger suchten. Zanders Lächeln wurde breiter.
»Genau das, worauf ich gehofft hatte. Wollt ihr Freaks...




