Schätzing | Keine Angst | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Schätzing Keine Angst

Köln Kurz-Krimis

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

ISBN: 978-3-86358-051-3
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Der kleine Ganove, der kölsche Italiener, die eitle Galeristin - in den Kurz-Krimis 'Keine Angst' von Frank Schätzing stehen Typen und Charaktere im Mittelpunkt des Geschehens. Um sie ranken sich die abstrusen, makabren, aber auch komischen Geschichten aus der Schattenwelt.
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Autoren/Hrsg.


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Keine Angst Leer, die Straße. Mitternachtswind. Andy zieht den Kragen seiner Fliegerjacke hoch und drückt sich tiefer in den Hauseingang. Der Schatten umgibt ihn wie eine zweite Haut. Er wartet. Die Tierhandlung auf der anderen Seite ist immer noch hell erleuchtet. Die gab’s schon, als Andy noch ein Knirps war, eben groß genug, um mit der Nase den unteren Rand des Schaufensters zu verschmieren. Hamster, Streifenhörnchen, Schildkröten, und Andys sehnsuchtsvolle Augen. In Ermangelung spendierfreudiger Eltern hatte er sich damit begnügt, den Krabblern Namen zu geben, insbesondere den Streifenhörnchen. Die konnte er am Fell auseinanderhalten, was bei den Mäusen und Hamstern schon schwieriger war, von den Schildkröten ganz zu schweigen. Die Hörnchen hatte er wirklich geliebt. Wann immer eins verkauft war, heulte er Rotz und Wasser, bekam eine geknallt und wurde weitergezerrt. Jedes Mal dasselbe Theater. Gingen seine Eltern vorsorglich auf der anderen Straßenseite, plärrte er noch lauter, der kleine, arme Andy, und wieder flog die große klatschende Hand heran. Immer und immer wieder, bis er endlich still war. Andy schnaubt verächtlich. Das war früher. Nicht gut, so viele Erinnerungen. Jetzt ist jetzt. Drüben im Laden klappt der Zoohändler ein großes Buch zu. Dann kontrolliert er die Käfige. Aus einem nimmt er was raus, ein kleines Tier, könnte ein Hamster sein oder ein Hörnchen. Es wuselt in seiner Handfläche, und er krault ihm den Nacken. So genau kann Andy das nicht erkennen von der anderen Straßenseite. Einen Moment lang fragt er sich, ob wohl alles anders geworden wäre, wenn seine Eltern ihm so ein Tierchen geschenkt hätten, an dem man seine Liebe auslassen kann. Aber das Thema ist durch. Andy will keine Tierchen mehr. Heute Nacht will Andy was ganz anderes. »Bambi, du bist eben eine Dame«, sagt Flint zu dem Tier in seiner Handfläche. Seine Finger streicheln den braunen Pelz mit den schwarzen Streifen. »Eine richtige Dame bist du.« Bambis kleine Krallen pieksen ihn ein bisschen. Mittlerweile ist das Tier so zutraulich, dass er es schon mehrfach mit nach Hause genommen hat. Ohne Käfig, einfach so. In die Hand genommen, die andere schützend drüber. Bambi hat sich reingekuschelt in die warme Muschel und ist brav sitzen geblieben, bis sie in der Wohnung waren. Während Bambi vor Behagen die Glieder streckt, geht Flint noch einmal die Käfige ab. Mehrere Streifenhörnchen geben zu verstehen, sie seien nicht satt geworden. Flint grinst und schneidet ihnen Grimassen. Er ist so müde, dass es beim Gähnen gefährlich knackt. Buchführung ist öde. Darum erledigt er den Zahlenkram immer nach Geschäftsschluss im Laden. Das Gepiepe und Geschnattere ringsum hält ihn wach. Alles seine Freunde. Seine Familie. Besonders Bambi. Ob Bambi intelligent ist? Wahrscheinlich sentimentaler Quatsch. Der Durchschnitts-IQ seiner Ware hält sich in kümmerlichen Grenzen. Aber manchmal denkt er schon, dass hinter Bambis schwarzen Augen mehr steckt als der beschränkte Verstand eines Hamsters oder Kaninchens. Ist halt schwer zu sagen. Im Grunde auch nicht wichtig. Trotzdem. Auf ein Prachtexemplar wie Bambi will Flint stolz sein, und dazu gehört eben auch der Glaube an ein bisschen Grips. Grün beleuchtet von den Aquarien machen Flint und Bambi ihre letzte Runde. Lauter kleine heile Welten. Flint gähnt wie ein Scheunentor. Bambi tapst seinen Ärmel hoch und lässt sich widerwillig zurück in die Handfläche schieben. »Willst wohl noch Mäuse fangen, was?« Flint lacht. »Nichts da. Wir gehen nach Hause.« Nacheinander löscht er die Lichter, tritt aus dem Laden in die kühle Dezemberluft, schließt ab und legt schützend seine Hand über das Fell. Alles in Ordnung. Zu spät bemerkt er, dass überhaupt nichts in Ordnung ist. Andy ist mit einem Satz über die Straße. Der Mann hat das Vieh mit raus genommen. Gut so! Da kann er sich nicht wehren, wenn er nicht riskieren will, dass es abhaut. Bestens. Dem Zoohändler bleibt nicht mal Zeit, sich umzudrehen. Er wird von hinten gepackt und gegen die Scheibe seines Geschäfts gepresst. Andy lässt sein Messer aufschnappen und hält ihm die Klinge an die Halsschlagader. Das Gefühl, Macht zu haben, ist beinahe unbeschreiblich! Ihn jetzt töten zu können. Es vielleicht sogar zu tun. Geil! Der Zoohändler stöhnt auf. Er hat das Tier tatsächlich nicht losgelassen, der Schwachkopf. Hält es vor den Bauch gepresst. Was muss die Liebe schön sein! »Dein Geld«, drängt Andy. »Mach schon.« Der Zoohändler wimmert. Andy verstärkt den Druck der Messerspitze. »Wo ist die Kohle, Alter? Soll ich dich aufschlitzen oder was? Oder deinen kleinen Liebling vielleicht? Zeig doch mal her, was hast du denn da Feines?« »Nein, bitte …« »Was? Was hast du gesagt?« »B … bitte nicht. Sie dürfen Bambi nichts tun, bitte. Ich mach ja alles, was Sie wollen, ich …« »Bambi!« Andy prustet los. Das wird ja immer schöner. Bambi! »Die Kohle«, zischelt er. »In meiner Manteltasche.« Der Zoohändler ist kaum zu verstehen, so sehr zittert seine Stimme. Andy bohrt ihm das Messer noch ein bisschen tiefer ins Fleisch und fingert nach dem Portemonnaie. Dick und fett schmiegt es sich in seine Hand. Vollgefressen mit Geld. Andy schiebt es in die Innentasche seiner Fliegerjacke und überlegt, wie man noch ein bisschen Spaß haben könnte. »Soll ich mal zustechen?« Der Zoohändler schüttelt schwach den Kopf. Seine Hände schließen sich wie im Krampf um das Tier. »He, keine Angst«, gluckst Andy. »Ich mein das wörtlich. Ich tu Leuten nur was, wenn ich merke, dass sie Angst vor mir haben. Verstehst du?« Er grinst. »Am besten, du hast einfach keine Angst.« Der Körper des Zoohändlers zuckt. Der Mann hat dermaßen die Hosen voll, dass es stinkt. Andy bringt seinen Mund so nah an das Ohr seines Opfers, dass die Lippen den Knorpel berühren. »Angst ist ganz schlecht. Du hast aber welche. Du Scheißer! Ich werd dich jetzt in Stücke schneiden, Scheißer. Soll ich?« Der Zoohändler keucht ein paar heisere Worte. Andy wird wütend, weil der Typ sich nicht klar ausdrückt. Ein erster Tropfen Blut läuft dünn den Hals hinunter. »Du sollst keine Angst haben«, flüstert er. »Oder ich mach dich alle. Hörst du?« »Sie …« »Was? Was willst du, Scheißer?« »Sie können Bambi haben.« Bambi? Ach ja! Ganz neuer Aspekt. »Was soll ich mit deinem Viehzeug, Alter?« »Bitte. Lassen Sie mich gehen. Bambi ist wertvoll, Sie werden sehen. Jede Zoohandlung wird Ihnen dafür viel bezahlen, jeder Zoo, ich bitte Sie!« Andy hätte große Lust zuzustechen. Aber irgendwie beginnt ihn der Gedanke an das Tier in der Hand des Zoohändlers zu erregen. Im Inneren seiner muskelbepackten Einsneunzig reckt ein kleiner Junge mit glänzenden Augen den Kopf und versucht, über den Rand einer Schaufensterscheibe zu sehen. »Hätten Sie denn nicht gerne ein Tier?«, fragt der Zoohändler leise. Seine Stimme ist ein einziges Beben. Ein Tier … »Dreh dich um«, herrscht Andy ihn an. Er zieht das Messer ein Stück weg, so dass der Mann Bewegungsfreiheit hat. Der Zoohändler wendet ihm sein schweißnasses Gesicht zu. Zwischen den Händen sieht Andy ein Stückchen Felliges. Er denkt an die Streifenhörnchen, und wie er ihnen Namen gegeben hat. Damals, in einem anderen Leben. Als er noch nicht so war. Immerhin, das Vieh scheint eine ziemliche Kostbarkeit zu sein. Obendrein zahm. Jedes andere Tier hätte bei dem Überfall Reißaus genommen, ob festgehalten oder nicht. Das da ist geblieben. Für ihn, für den kleinen, armen Andy. Ein Tierchen. Er kann’s behalten, kann’s verkaufen. Beides möglich. Andy überlegt. Warum eigentlich nicht? »Okay.« Er fuchtelt dem Zoohändler drohend mit der Klinge unter der Nase rum. »Aber keinen Scheiß machen, hörst du? Oder ich stech dich ab.« »Schon klar«, versichert der Mann hastig. »Keinen Scheiß.« »Dann gib schon her. Bleibt das Biest auch sitzen?« Der andere scheint seine Fassung wiedergewonnen zu haben. Fast kommt es Andy vor, als husche ein stolzes, hochmütiges Lächeln über seine Züge. »Bambi ist abgerichtet«, sagt er würdevoll. »Sie wird nicht fliehen. Ich verspreche es.« Andy kneift misstrauisch die Augen zusammen. Kann ihm bei dem Deal was passieren? Wird der Typ versuchen, ihn anzugreifen? Nein, das wäre Wahnsinn. Nicht gegen einen Baum wie ihn, der noch dazu ein Messer vor sich herträgt. Andy streckt dem Zoohändler seine offene Linke entgegen. »Gib schon her!« Jetzt lächelt der Zoohändler wirklich. Was muss der Kerl erleichtert sein. Wird wahrscheinlich sofort losrennen. Soll er doch. Andy hat das Geld, das Tier und Spaß gehabt. Soll der Arsch am Leben bleiben. Die Muschel aus Händen nähert sich. Obwohl sein Gesicht lächelt, muss Flint innerlich weinen, während er Bambi behutsam in die Handfläche des Gangsters gleiten lässt. Die Trennung tut weh. Aber sie ist notwendig. Flint hängt an Bambi,...


Frank Schätzing, 1957 in Köln geboren. Studium der Kommunikationswissenschaften, Creative Director in internationalen Agentur-Networks. Mitbegründer der Kölner Werbeagentur INTEVI, deren kreativer Geschäftsführer er ist. Anfang der 90er Jahre begann Frank Schätzing, Novellen und Satiren zu schreiben. 1995 erschien sein erstes Buch, der Mittelalterroman 'Tod und Teufel', der vom Start weg ein Bestseller wurde. Auch seine Nachfolge-Werke überzeugten die Kritiker. Für seine schriftstellerische Arbeit erhielt er den "KölnLiteraturpreis 2002".


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