Ein RheinMosel-Krimi
E-Book, Deutsch, 322 Seiten
Reihe: RheinMosel-Krimi
ISBN: 978-3-8271-9628-6
Verlag: CW Niemeyer
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Autoren/Hrsg.
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EINS
Er liebte die stillen Abendstunden an seinem Fluss. Wenn die Hektik des Tages von ihm abfiel und er endlich wieder durchatmen konnte. An lauen Sommerabenden gab es für ihn nichts Schöneres, als mit dem Boot hinauszufahren und den atemberaubenden Anblick der sanft ansteigenden Weinberge und der grünen Hügel im Hintergrund zu genießen. Die bunten und windschiefen Fachwerkhäuser schmiegten sich an die Hügel der Hunsrück-Ausläufer und erschienen dem Betrachter wie Teil einer liebevoll gestalteten Modellbaulandschaft. Als hätte sich ein begnadeter Künstler mit seinen Farbtupfen in der Landschaft verewigt, so wirkten die Blüten der Geranien in den Blumenkästen der Häuser am Ufer. Wilfried Gerber ruderte bis zur Mitte des Flusses, dann legte er die beiden Ruder ins Boot und streckte die Beine von sich. Er ließ den Blick über das atemberaubende Moselpanorama schweifen. Aus der Ferne vernahm er das Singen von Lkw-Reifen. Als er den Kopf nach links wandte, sah er einen Sattelzug, der in Richtung Trier unterwegs war und eine Kette von Pkws hinter sich herzog. Der Kleinkrieg auf der Bundesstraße am Moselufer interessierte ihn nicht im Geringsten. Die seichten Wellen der Mosel plätscherten gegen den hölzernen Rumpf seines Bootes, über seinem Kopf zog ein Greifvogel kreischend seine Bahnen. Wilfried Gerber schloss die Augen und atmete tief durch. Der laue Wind duftete nach Wein und Früchten. Diesen Duft gab es nur hier, in seiner Heimat. Hier lagen seine Wurzeln, hier fühlte er sich geborgen. Als Ortsbürgermeister des kleinen Moseldorfes Enkirch kümmerte er sich neben seinem Beruf noch um die Belange des Dorfes. Wilfried Gerber war an der Mosel aufgewachsen, und er würde sicherlich auch hier sterben. Ein Geräusch ließ ihn auffahren. Wilfried Gerber öffnete die Augen und suchte das Moselufer ab. Er befand sich in der Mitte des Flusses, kurz vor Pünderich. Linker Hand erhob sich die Steillage der Pündericher Marienburg; majestätisch thronte das Gemäuer auf dem Bergrücken. Rechts erblickte Gerber bereits die kleine Imbissecke an der Einfahrt des Campingplatzes. An den Tischen herrschte kein Betrieb, was ihn verwunderte. Normalerweise traf man sich hier abends zu einem kühlen Bier, doch heute war der Imbiss verwaist. Der Fährmann hatte pünktlich um 17 Uhr den Fahrdienst eingestellt; wer jetzt noch an das andere Moselufer gelangen wollte, musste bis Zell fahren, um die Brücke zu nehmen. An dieser Stelle war die Mosel rund vierzig Meter breit, und er befand sich noch immer fast genau in der Mitte des Flusses. Ein Auto parkte mit laufendem Motor und geöffneten Türen beim Anleger, doch von einem Boot, das hier zu Wasser gelassen werden sollte, fehlte jede Spur. Der Fahrer des Autos lehnte lässig zwischen Dach und Türe und blickte durch die gespiegelten Gläser seiner Sonnenbrille genau in Gerbers Richtung. Am Ufer waren zwei Schwäne auf der Suche nach Nahrung. Sie ließen sich weder von dem Mann am Auto noch von Gerber aus der Ruhe bringen. Nachdem die großen Vögel beides neugierig betrachtet hatten, setzten sie ihre Futtersuche am Ufer fort. Heute gab es keine Touristen, die sie mit trockenem Brot fütterten. Gerber glaubte in der Stille sogar das leise Schnattern der Schwäne zu hören. Gerber spürte, dass hier etwas nicht stimmte. Sein Puls beschleunigte sich, als er den zweiten Mann, anscheinend den Beifahrer des dunklen Kombis, erblickte. Er stand neben einem Busch am Ufer, dessen Zweige bis ins Wasser reichten. Von den Fachwerkhäusern in seinem Rücken und von der Promenade aus war der Mann nicht zu sehen – er hatte seine Position mit Bedacht gewählt, so viel stand für Gerber fest. Der Fremde führte nichts Gutes im Schilde. Er blickte in Gerbers Richtung, verharrte nahezu regungslos an der Stelle. Jetzt hob er den rechten Arm. In seiner Hand blitzte im Licht der tief stehenden Sonne ein metallischer Gegenstand auf, den Gerbers geschulter Blick sofort als Waffe erkannte. Die Absicht der Männer am Moselufer stand zweifellos fest: Gerber sollte sterben. Der Mann setzte an, blickte über die Zielvorrichtung aufs Wasser, genau in Gerbers Richtung. Gerber schien es, als wäre die Welt unter einer Schallschutzglocke verschwunden. Tödliche Stille umgab ihn, die nur vom Glucksen des Wassers, das gegen den Rumpf schwappte, unterbrochen wurde. Der Hahn der Waffe klickte überlaut. Gerber spürte, wie ihm siedend heiß wurde. Panisch blickte er sich um. Auf dem Wasser war er ausgeliefert, daran bestand kein Zweifel. Weglaufen oder ducken konnte er sich nicht, um dem Schützen auszuweichen. Und mit dem kleinen Boot konnte er keine Haken schlagen. Dennoch wollte sich Gerber seinem Schicksal nicht widerstandslos ergeben. Ein gehetzter Blick ins Wasser. Der Fluss führte nicht sonderlich viel Wasser, doch die Flucht zu Fuß würde ihm wohl auch nicht gelingen. Und ob er schwimmend noch das Ufer erreichen würde, wagte er zu bezweifeln. Auf der Mosel fühlte er sich wie auf dem Präsentierteller. Selbst wenn er das Boot als Schild nutzen würde, war er dem Geschoss schutzlos ausgeliefert, denn die dünne Wandung bot keinen Schutz vor einer Kugel. Wilfried Gerber riss die Arme hoch. „Machen Sie keinen Unsinn“, gellte seine Stimme über den Fluss. Eine Antwort erhielt er nicht. Der Mann am Ufer entsicherte die Waffe, und Gerber konnte trotz der Entfernung genau erkennen, wie sich der Zeigefinger des Fremden um den Abzug krümmte. Trotz der Panik, die ihn ergriffen hatte, saß er wie gelähmt in seinem Boot und war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. So war er zu einem Zuschauer in einem tödlich ausgehenden Spiel geworden. Der Schuss peitschte durch das Moseltal und hallte von den Weinbergen zurück. Während sich Gerber fragte, ob denn niemand den Schuss gehört hatte, glaubte er von innen heraus zu explodieren. Sein Arm ruckte hoch, er fasste sich an die Stelle des Oberkörpers, die er als Quelle des tödlichen Schmerzes lokalisiert hatte. Seine Kleidung klebte von seinem eigenen Blut, das nun zwischen seinen verkrampften Fingern hindurchsickerte. Gerber wollte schreien, doch ein dicker Kloß in seiner Kehle hinderte ihn daran. Nur ein kehliger Laut kam über seine spröden Lippen. Nun schien sein ganzer Körper in Flammen zu stehen. Tausend winzige Nadeln bohrten sich in seinen Leib und zerstörten ihn. Der Schmerz lähmte Gerbers ganzen Körper, und er fühlte, wie seine Knie weich wurden. Leblos sackte er in sich zusammen. Das Boot geriet ins Schwanken und drohte zu kentern. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er die Wahl zwischen einem schmerzhaften Tod durch Verbluten oder durch Ertrinken. Im nächsten Augenblick schlug er mit dem Hinterkopf an der Kante des hölzernen Bootsrumpfes auf. Seine Knochen knackten, und er sah Lichtblitze vor den Augen, dann wurde es dunkel um ihn herum. Das Letzte, das er gesehen hatte, war der wolkenlose Abendhimmel über der Mosel. Niemand beachtete die beiden Schwäne, die sich mit einem aufgeregten Flügelschlag in den Abendhimmel erhoben. Fast andächtig lauschte sie dem Surren der grobstolligen Reifen ihres Mountainbikes, während sie den befestigten Weg entlang des Moselufers in Richtung Zell radelte. Viel zu lange schon hatte sie auf ihren Sport verzichtet, doch an diesem lauen Sommerabend hatte Bettina Bender das Rad aus dem Schuppen ihres Hauses an der Sponheimer Straße geholt und war losgeradelt. Hinunter zum Fluss, wo es einen gut ausgebauten Weg entlang der Mosel gab. Um diese Zeit waren die Touristen, die das Flussufer tagsüber bevölkerten, in ihren Ferienwohnungen verschwunden. Oder sie saßen in geselliger Runde in einem der Gasthöfe und Straußwirtschaften beisammen und ließen es sich bei einem edlen Tropfen aus den Steil- und Hanglagen gut gehen. So herrschte eine idyllische Stille am Fluss, und Bettina Bender atmete tief durch und genoss den lauen Sommerwind, der durch ihr Haar strich. Nach zwei Kilometern war sie mit der Landschaft allein und fand Zeit zum Nachdenken. Die letzten Wochen und Monate waren aufregend gewesen. Sie hatte ein neues Leben begonnen. Der Job im Gemeindebüro von Enkirch war sicher nicht ihr Traumjob, und reich werden würde sie mit der Bürotätigkeit auch nicht gerade, aber die Stelle war krisensicher und sie konnte damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ihr Traum von der eigenen Galerie, die sie bis vor kurzer Zeit in Trier geführt hatte, war geplatzt wie eine Seifenblase. Und so hatte sie sich schweren Herzens entschlossen, das Ladenlokal zu kündigen. Die Malerei würde sie fortan in ihrer Freizeit betreiben müssen. Eigentlich war es ganz gut, wie es gekommen war. Das Einzige, was ihr zum Glück noch fehlte, war ein Mann an ihrer Seite. Sie war keine zwanzig mehr, und es war höchste Zeit, dass ihr der Traumprinz, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen konnte, über den Weg lief. Mit Mitte dreißig waren die meisten Männer bereits vergeben, und der Markt schrumpfte zusehends. Bettina kam es vor, als würde sie das Leben in Sachen Liebe nur aus der zweiten Reihe mitverfolgen, ohne aktiv daran teilzuhaben. Sie erwischte sich dabei, in Gedanken die Männer aus ihrem gesellschaftlichen Umfeld auf ihre Verfügbarkeit abzufragen. Diejenigen, die noch nicht vergeben waren, konnte sie sich beim besten Willen nicht als Traumprinzen vorstellen. Also würde sie vorerst Single bleiben. Den Mut, eines Tages doch noch ihren persönlichen Mr. Right kennenzulernen, hatte sie noch nicht verloren. Inzwischen war sie gut vorangekommen. Nachdem sie die Ortschaften Reil und Burg passiert hatte, führte sie ihr Weg nach Pünderich. Als passionierte Mountainbikerin beherrschte sie den runden Tritt und konnte sich darüber freuen, dass sich ihr Kreislauf nach den ersten Kilometern bereits wieder normalisiert hatte. Links glänzte...