E-Book, Deutsch, Band 1509, 64 Seiten
Reihe: Notärztin Andrea Bergen
Sommer Notärztin Andrea Bergen 1509
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7517-6654-8
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mein Leben in deinen Händen
E-Book, Deutsch, Band 1509, 64 Seiten
Reihe: Notärztin Andrea Bergen
ISBN: 978-3-7517-6654-8
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ich bin so stolz auf meine Tochter. Franzi hat heute bei einem Notfall in der Schule genau richtig gehandelt. Ihre Lehrerin ist nach der Mathestunde plötzlich umgekippt - und Franzi hat geistesgegenwärtig sofort den Notruf gewählt und durch lautes Rufen andere Lehrer auf die Situation aufmerksam gemacht.
Als ich mit meinem Team am Gymnasium an der Burgstraße ankam, war die junge Lehrerin zwar schon wieder bei Bewusstsein, doch die zahlreichen Symptome, die sie mir beschrieben hat, waren derart alarmierend, dass ich sie ins Elisabeth-Krankenhaus eingeliefert habe.
Jetzt habe ich gerade von Dr. Degenhard erfahren, dass Sandra Aschenbach an Leukämie erkrankt ist. Er scheint von diesem Schicksal mindestens genauso bewegt zu sein wie ich. Dabei kennt er sie doch gar nicht. Aber manche Patientenschicksale gehen einem halt näher als andere. Auch Franzi wird die Nachricht von ihrer Lieblingslehrerin sicherlich sehr traurig stimmen ...
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Mein Leben in deinen Händen
Ich bin so stolz auf meine Tochter. Franzi hat heute bei einem Notfall in der Schule genau richtig gehandelt. Ihre Lehrerin ist nach der Mathestunde plötzlich umgekippt – und Franzi hat geistesgegenwärtig sofort den Notruf gewählt und durch lautes Rufen andere Lehrer auf die Situation aufmerksam gemacht.
Als ich mit meinem Team am Gymnasium an der Burgstraße ankam, war die junge Lehrerin zwar schon wieder bei Bewusstsein, doch die zahlreichen Symptome, die sie mir beschrieben hat, waren derart alarmierend, dass ich sie ins Elisabeth-Krankenhaus eingeliefert habe.
Jetzt habe ich gerade von Dr. Degenhard erfahren, dass Sandra Aschenbach an Leukämie erkrankt ist. Er scheint von diesem Schicksal mindestens genauso bewegt zu sein wie ich. Dabei kennt er sie doch gar nicht. Aber manche Patientenschicksale gehen einem halt näher als andere. Auch Franzi wird die Nachricht von ihrer Lieblingslehrerin sicherlich sehr traurig stimmen ...
Es war ein Morgen wie jeder andere, als Sandra Aschenbach unsanft von ihrem Wecker aus dem Schlaf gerissen wurde. Mit einem leisen Murren schlug sie die Decke zur Seite und richtete sich auf.
Kurz nach sechs. Sie fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und seufzte. Wenn sie nur nicht so entsetzlich müde wäre.
Sie war gestern schon um einundzwanzig Uhr dreißig im Bett gewesen, und die letzten Tage auch. Sie verstand gar nicht, woher das kam. Dabei hätte sie gestern Abend eigentlich noch die Hausaufgaben der Klasse 6b korrigieren müssen, doch das würde sie jetzt wohl auf den Nachmittag verschieben.
Sandra gab sich einen Ruck und stand auf. Sie suchte sich in ihrem Kleiderschrank etwas zum Anziehen heraus und ging ins Bad.
Dort legte sie Jeans und Bluse auf die Kommode und schaltete die Dusche ein. Doch das warme Wasser, das wenig später über ihren Körper rann, half ihr nicht dabei, sich besser zu fühlen.
Nach einer langen, intensiven Dusche, die leider auch dieses Mal ihre Gelenkschmerzen nicht linderte, trocknete sie sich ab. Als sie einen Bluterguss an ihrem Bein bemerkte, hielt sie inne.
Wo hatte sie sich denn da gestoßen? Sie konnte sich gar nicht erinnern, irgendwo hängen geblieben zu sein. Seltsam, erst vor ein paar Tagen hatte sie einen blauen Fleck an ihrem Arm bemerkt und auch nicht gewusst, woher er gekommen war.
Sandra zog sich an, nahm ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und griff nach ihrer Zahnbürste. Sie putzte sich die Zähne und spuckte den Schaum aus, der sich rosa verfärbt hatte. Schon wieder Blut ... Warum war ihr Zahnfleisch nur so empfindlich?
Sandra seufzte und betrachtete sich im Spiegel. Sie war blass geworden in letzter Zeit. Vielleicht verbrachte sie doch zu viel Zeit hinter dem Schreibtisch, wie Charlotte Ragwitz, ihre Freundin und Kollegin sie immer wieder aufzog.
Aber Sandra war nach der Arbeit einfach zu müde, um noch mit ihren Kollegen auszugehen oder sich einen Film im Kino anzusehen. Sie wollte oftmals einfach nur nach Hause auf ihr Sofa und schlafen.
Ein wenig Make-up würde ihre Schatten unter den Augen hoffentlich kaschieren. Sie konnte sich schon vorstellen, wie sonst gemeine Schüler irgendwelche Kritzeleien auf Zettelchen malten und sie mit ihrem Namen versahen. Kinder konnten manchmal so grausam sein, dabei liebte sie ihren Beruf als Lehrerin eigentlich.
Sandra hatte dafür gebrannt, so wie ihr Vater zu werden – Achim, ein Oberstudiendirektor mit Leib und Seele im Dienst. Sogar so sehr, dass seine Ehe daran zerbrochen war.
Sandras Mutter hatte sie und ihre ältere Schwester verlassen, als sie gerade mal zwei und vier Jahre alt gewesen waren. Sie hatte es satt gehabt, sich nur um die Kinder zu kümmern und ihrem Mann den Rücken freizuhalten.
Sie hatte glänzen wollen, sich in einen Industriellen verliebt und war mit ihm in eine Finca auf Mallorca gezogen. Dort genoss sie ihr High Society Leben und präsentierte sich stolz neben dem reichen Firmeninhaber.
Sandra hatte mit achtzehn einmal versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen, aber ihr Brief blieb unbeantwortet. Anscheinend hatte Friederike kein Interesse an ihren Kindern.
Aber Sandra und ihrer Schwester Marie hatte es nie an etwas gefehlt. Achim war ein liebevoller Vater gewesen, und in der Zeit, in der er nicht da war, hatte er ein Kindermädchen für sie engagiert.
Sandra vermisste ihn noch immer schmerzlich, seit er vor fünf Jahren gestorben war. Immerhin hatte er es noch mitbekommen, wie sie sich für ein Lehramtsstudium an der Universität eingeschrieben hatte und so in seine Fußstapfen getreten war. Und sie wusste, wie stolz er auf sie war.
Mit leiser Wehmut im Herzen ging Sandra in die Küche und machte sich ein kleines Frühstück und einen Kaffee.
Doch das Müsli mit dem halben Apfel, den sie frisch aufgeschnitten hatte, ließ sie schon nach wenigen Löffeln stehen. Es fehlte ihr der Appetit. Sie musste sich überwinden, wenigstens die andere Hälfte des Apfels klein zu schneiden und in eine Dose zu packen, damit sie in der Pause etwas zu essen hatte.
Den Kaffee schüttete sie ebenfalls nach ein paar Schlucken den Spülstein hinunter. Vielleicht wäre ein Kräutertee besser, dachte sie und füllte sich einen in ihre Thermoskanne, die sie zusammen mit ihrer Brotdose in ihrer Tasche verstaute.
Von ihrem Kleiderhaken hängte sie eine leichte Sommerjacke ab und schlüpfte hinein. Dann zog sie die Tür hinter sich ins Schloss und ging die Stufen nach unten. Heute Abend würde sie sich sicherlich wieder in den zweiten Stock hochquälen.
Vielleicht sollte sie doch mal etwas für ihre Kondition tun, aber wo sollte sie anfangen, wenn sie bereits ein Spaziergang so anstrengte.
Früher, in ihrer Jugend, war sie so gerne Reiten gegangen und später im Studium mit Marie Joggen und Schwimmen. Aber die Kondition hatte sie schon lange nicht mehr – und zu Marie auch keinen Kontakt.
Noch ehe sie die dunkle Regenwolke der Erinnerung übermannen konnte, straffte sie die Schultern, reckte ihr Gesicht der Sonne entgegen und lief entschlossen zur Straßenbahnhaltestelle.
Sie würde sich von ihrer Vergangenheit nicht unterkriegen lassen. Sie liebte ihren Job als Lehrerin, und bestimmt würde es ihr bald wieder besser gehen, wenn sie sich nur ein bisschen mehr Zeit für sich nahm. Bald standen ja auch die Sommerferien an.
Sandra war froh, als die Bahn endlich kam und sie sich einen Platz suchen konnte. Seit Neustem strengte sie auch längeres Stehen an. Acht Stationen weiter stieg sie aus, jetzt war es nur noch ein kurzer Fußmarsch bis zu ihrer Schule.
Sie hörte die Schüler, die mit ihr in Richtung des großen Schulgebäudes strömten, ein alter Sandsteinbau mit imposanter Treppe und einem Schulhof, der einmal ringsherum führte. Im Flur sah sie auf den Gängen einige Grüppchen, die noch die letzten Hausaufgaben voneinander abschrieben oder sich gegenseitig für einen bevorstehenden Test abhörten. Dieses aufgeregte Summen und Murmeln, das die Aula jeden Morgen erfüllte – für Sandra gab es nichts Schöneres.
Im Lehrerzimmer angekommen, stellte sie nach einem kurzen »Guten Morgen« ihre Tasche auf ihrem Platz ab und packte ihre Sachen aus. Sie hatte eine Bahn früher geschafft, vielleicht konnte sie noch ein paar der Tests korrigieren, ehe der Unterricht begann.
»Meine Güte, Sandra, du hast doch schon wieder abgenommen«, sagte Lisa Wagenbach mit einem neidischen Blick auf ihre Taille. »Wie machst du das nur?« Sie knabberte demonstrativ an ihrer Reiswaffel.
Sandra rang sich ein Lächeln ab. Als ob es für jeden so erstrebenswert wäre, dünn zu sein, dachte sie.
Sandra bemerkte in den letzten Monaten immer wieder, dass sie an Gewicht verlor, doch erklären konnte sie es sich nicht. Sie musste sich dringend bei ihrer Hausärztin einmal durchchecken lassen, ob wirklich alles mit ihr in Ordnung war. Am besten, sie würde gleich in der Pause einen Termin ausmachen.
»Na, Frau Aschenbach, heute früh schon so fleißig?«, erkundigte sich Herr Jahnke bei ihr, als er mit einem knappen Blick auf ihre Unterlagen an ihr vorbeilief.
Er war der Schuldirektor und ihr Kollege in Mathe, unterrichtete außerdem noch Sport und Physik.
»Sind das die Tests von letzter Woche?«, wisperte Charlotte, die neben ihr im Lehrerzimmer ihren Platz hatte.
Sandra nickte. »Ich bin einfach nicht fertig geworden. Ich war gestern so müde, ich musste aufhören und mich hinlegen.«
»Das klingt gar nicht gut«, sagte ihre Freundin und Kollegin besorgt. »Was ist nur los mit dir?«
Sandra hob ratlos die Schultern. »Ich vereinbare heute einen Termin bei meiner Ärztin.«
»Gut so«, sagte Charlotte nickend. »Und was das angeht ...« Sie deutete auf die Hausaufgabenüberprüfung. »Soll ich dir helfen?«
»Das ist Mathe«, flüsterte Sandra. »Du unterrichtest Deutsch und Geschichte.«
»Na ja, Mathe aus der sechsten Klasse werde ich doch wohl noch können, oder?«
Sie zwinkerte ihrer Freundin zu, und Sandra schob ihr dankbar einen Stapel der Blätter hinüber.
***
»Guten Morgen, guten Morgen«, flötete Dr. Marco Degenhard fröhlich, als er...




