Sprenger | Performer - Führen geht heute anders 1: Motivation | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Reihe: Performer. Führen geht heute anders

Sprenger Performer - Führen geht heute anders 1: Motivation

Geld oder Leben! Was uns wirklich antreibt

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Reihe: Performer. Führen geht heute anders

ISBN: 978-3-593-42445-3
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Kann man Motivation kaufen? Sind Menschen steuerbar – und wenn ja, wie? Welche Folgen haben Bonussysteme? In seinem Bestseller »Mythos Motivation« hat Reinhard K. Sprenger die weitverbreiteten Anreizsysteme in Unternehmen zerlegt und ihre kontraproduktiven Folgen beleuchtet. Jetzt bekommen seine hochrelevanten Inhalte ein magaziniges Gesicht. Das neuartige Bookazine greift Sprengers zentrale Thesen auf und betrachtet sie aus einer brandaktuellen Perspektive. Mit packenden Reportagen, spannenden Interviews, erhellenden Umfragen und inspirierenden Fotostrecken ist das von Sprenger kuratierte Bookazine ein Must-have für motivierte Führungskräfte von heute und morgen!
Sprenger Performer - Führen geht heute anders 1: Motivation jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


INHALT


Editorial
Sinn und Irrsinn der Motivation - von Dr. Reinhard K. Sprenger 1

Mythos Motivation
Dr. Reinhard K. Sprenger und Dr. Gery Colombo (Hocoma AG) im Gespräch 4


FREIHEIT
WER MANIPULIERT, VERLIERT

FREIHEIT - WEDER EASY NOCH GECHILLT, ABER EINFACH GROSSARTIG
Job-Zombies und andere Katastrophen.
Eilmeldung zur Lage der Motivation 22

GROSSE FREIHEIT, GROSSE VERANTWORTUNG
Freiheit und Struktur? Bei Jimdo kein Widerspruch.
Eine Reportage 26

Führungswissen kompakt
ABENTEUER UND ZUMUTUNG
Freiheit für Führende, Mitarbeiter und andere Erwachsene 30

Inside Best Practice
3 x große Freiheit
Gekko: Verantwortung übernehmen - durch Delegieren 40
Haufe-umantis: Strategie ist nicht nur Chefsache 41
Omicron: Warum alle reglementieren, nur weil einer mal Mist baut? 43

Worst Practice
GUT GEMEINT UND VOLL DANEBEN
Die Geisterbahn der Incentives 44
Teure Regulierungswut 44
Die Zentrale denkt und lenkt 45


LEISTUNG
JENSEITS VON KONFORMISMUS UND FLEISS

LEISTUNGSTRÄGER - ODER DOCH NICHT?
Vom Willen zur Leistung und der Schwierigkeit, sie zu bewerten 48

NUR WEG VON DEN BONI ODER GLEICH HIN ZUM WUNSCHGEHALT?
Celanese und elbdudler.
Eine Reportage 52

Führungswissen kompakt
"MÜLLER-LÜDENSCHEID, ICH GLAUBE AN SIE!"
Die Bewertung von Leistung ist Aufgabe von Führung - und ein Hochseilakt 56

Inside Best Practice
SCHEMA F WAR GESTERN
Audi: Ihn hatte keiner auf dem Zettel 64
IBM: Anwesenheit ist nicht gleich Arbeitsleistung 65
PayPal: Vielfalt als Asset 66

Worst Practice
NICHTS HÖREN, NICHTS SEHEN, NICHT SPRECHEN …
… lieber Ziele vereinbaren 68


SINN
DEN UNTERSCHIED MACHEN

ALLES NEU MACHT DIE GENRATION Y?
Ohne Sinn kein Geschäftssinn 72

ERFÜLLUNG IN DER ARBEIT - GIBT ES DAS ÜBERHAUPT?
Sinnvoller Besuch bei Jens Begemann (Wooga).
Eine Reportage 76

Führungswissen kompakt
FÜHRUNG "MACHT" KEINEN SINN - SIE ERMÖGLICHT IHN
Warum es hier viel zu tun, aber nichts zu stiften gibt 80

Inside Best Practice
MIT SINN UND VERSTAND
Datev: Mitarbeiter ernst nehmen 88
Trumpf: Flexibel - für die Mitarbeiter 89
Svenska Handelsbanken: Wert-Arbeit 91

Worst Practice
WAHNSINN?
Grüßende Gänge 92
Fight Club 93


DIE TOP TEN DER MOTIVATION
Ein Glossar für Führende 96


EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,
was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie "Motivation" hören? Vielleicht Jogi Löw, Ihr lustloser Kollege oder doch eher Ihr alter Physiklehrer? Was auch immer es sein mag: Es dürfte nicht lange dauern. Denn motiviert wird überall, selbst für Babys und Rentner gilt heute: Irgendjemand kommt garantiert auf die Idee, sie zu irgendetwas "motivieren" zu wollen.

"Aber in Unternehmen ist das doch notwendig, Mitarbeiter müssen ständig motiviert werden!" Diesem folgenreichen Irrtum bin ich in meinen Beratungen und Coachings im Laufe der Jahre so oft begegnet, dass ich es irgendwann für angebracht hielt, ihm in Buchform zu Leibe zu rücken. In "Mythos Motivation" setze ich ihm eine praktische Erfahrung entgegen: Menschen wollen arbeiten, sie wollen etwas leisten und sie wollen dabei wahrgenommen werden. Wer ihnen diesen Willen abspricht, indem er sie mit Boni, Incentives und anderen Formen der Manipulation traktiert, zerstört echte Motivation und schadet so letztlich dem Unternehmen, dem zu nützen er vorgibt.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich darüber freuen soll, aber Tatsache ist: Dieser Gedanke ist aktueller denn je. Es wird weiter fleißig mit Boni hantiert, wo eine klare Leistungsvereinbarung nötig wäre, oder munter mit Incentives gereizt, wo Konsequenz unumgänglich wäre. Es wird weiter gelobt und getadelt, als wäre das Unternehmen eine Kindertagesstätte.
Aber, und das ist mir wichtig: Es gibt sie, die Führungskräfte, die etwas verändern, die in ihren Unternehmen echte Zusammenarbeit stärken wollen. Die für sich und ihre Teams Freiräume erobern, um die Lust an der Leistung für die gemeinsame Sache zu erhalten. Die Geld verdienen möchten, aber nie des Geldes wegen ihre Freiheit aufgeben würden - und dies auch von anderen nicht verlangen.

Vor allem an sie wendet sich dieses Bookazine. Für sie hat sich die Redaktion, mit den Grundgedanken von "Mythos Motivation" im Gepäck, ins Getümmel der Unternehmenswirklichkeit gestürzt - immer auf der Suche nach Beispielen, anhand derer sich produktiv über Motivation nachdenken lässt. Freilich gilt auch hier: Patentrezepte gibt es nicht. Jeder Versuch, eine Strategie zu kopieren, ist an sich schon ein Versagen von Führung. Dazu also möchten weder die Redaktion noch ich Sie einladen. Wohl aber dazu, sich überraschen zu lassen. Mit Ihren Kollegen und Chefs die Ideen und Themen zu diskutieren, zu denen Sie die folgenden Praxisbeiträge, Reportagen und Interviews inspirieren.

Die Kollegen aus der Redaktion nennen dieses Bookazine ihr "Zukunftslabor". In dieses einzutreten und an seinen Gedankenexperimenten teilzuhaben, dazu möchte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, nun ganz herzlich einladen!

Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen:
Dr. Reinhard K. Sprenger


MYTHOS MOTIVATION
Dr. Reinhard K. Sprenger und Dr. Gery Colombo im Gespräch
Moderation: Roland Große Holtforth, Literaturtest

Dr. Reinhard K. Sprenger gilt als profiliertester Management-Berater und Führungsexperte Deutschlands. Zu seinen Kunden zählen nahezu alle großen DAX-Unternehmen. Mit Büchern wie "Mythos Motivation" wurde er zum Bestsellerautor. "Radikal führen", sein großes Buch zum Thema Führung, erhielt 2013 den getAbstract International Book Award für die besten Wirtschaftsbücher des Jahres. Der promovierte Philosoph hat Psychologie, Betriebswirtschaft, Geschichte und Sport studiert. Er lebt in Zürich und Santa Fe, New Mexico.

Dr. Gery Colombo, Jahrgang 1966, studierte an der ETH in Zürich Elektrotechnik und Biomedizinische Technik. Er ist Mitbegründer und CEO der Hocoma AG in Volketswil bei Zürich. Das Unternehmen entwickelt, produziert und vermarktet automatisierte Therapiegeräte für die neurologische Rehabilitation und hat sich vom Pionier zum Weltmarktführer für Therapielösungen zur Behandlung neurologisch bedingter Bewegungsstörungen entwickelt. Darüber hinaus fertigt und vertreibt Hocoma Geräte für die funktionelle Bewegungstherapie bei unteren Rückenschmerzen zu Hause und beim Therapeuten.

M: Moderator
S: Sprenger
C: Colombo .

M: Klassiker könnte man auch als Werke definieren, die nicht aufhören, auf ihre Leser radikal zu wirken. Worin liegt die Radikalität Ihres Buches "Mythos Motivation"?

S: Es ist radikal, indem es beim Thema Motivation an die Wurzel geht, lateinisch "radix". Das Buch greift fundamentale Tatsachen menschlicher Zusammenarbeit auf. Es räumt dabei mit dem Märchen auf, Führende müssten "ihre Leute motivieren". Diesen Irrtum als solchen zu entlarven, ist einer der Tabubrüche des Buches. Außerdem führt es den Leser immer wieder auf die Frage: "Wer sitzt eigentlich am Steuer meines Lebens: Bin ich das, oder sind es andere?" Und die Ergebnisse sind dann wiederum insofern radikal, als sie in massiver Opposition zur dominierenden Praxis stehen.

M: Sie bezeichnen den Menschen dabei immer wieder als "Freiheitswesen". Was genau meinen Sie damit?

S: Dass der Mensch nicht nur tut, was er tut, sondern dass er auch wollen kann, was er tut. Dass er sich entscheidet, genau das zu tun, und so sein Leben führt und damit auch verantwortet. Er ist nicht Opfer dunkler Mächte. Menschen sind in der Lage, aus guten Gründen zu handeln, und sie können diese Gründe kennen und reflektieren. Das heißt paradoxerweise: Der Mensch ist per se frei - ob er will oder nicht.
M: Und was bedeutet das praktisch?

S: Oft erst einmal: Verblüffung. Wenn ich sage: "Jeder tut das, was er tut, weil er es wirklich will", dann ist das für viele Menschen zunächst unverständlich. Sie sagen: "Ja, aber zu vielem bin ich doch gezwungen!"

M: Keine gute Basis für Motivation …

S: Nein. Ich bin der festen Überzeugung, dass Motivation im Kern nur eine Quelle hat: das tief innewohnende, stabile Bewusstsein von Wahlfreiheit. Wenn Sie dagegen einen Mitarbeiter haben, der sich als Opfer der Umstände erlebt, den kriegen Sie nie in eine stabile Form von Motiviertheit. Denn er wird immer Fantasien haben, dass das Leben woanders gerechter, liebevoller, besser bezahlt wäre. Forderungen nach "Motivierung" von außen sind schlicht unsinnig, ganz einfach weil sich dieses Bewusstsein der Wahlfreiheit von außen nicht herstellen lässt.

M: Ist damit schon alles zum Thema Motivation gesagt?

S: Keineswegs! Dafür ist es - gerade in der Führungspraxis - viel zu komplex. Und selbst auf grundsätzlicher Ebene hat das Thema mindestens zwei wesentliche Aspekte. Da ist einmal der genannte der intrinsischen Motivation und damit des Gedankens, dass ich mich innerlich in hohem Maße von den Umständen unabhängig machen kann.

M: Und der andere?

S: Bei ihm geht es um Anerkennung, die wir Menschen nun einmal suchen. Ganz simpel gesagt: Wie mich mein Chef behandelt und wie erfolgreich ich mich bei der Arbeit erlebe, das spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für meine Motivation. Aber noch einmal: Letztlich kann ich die äußeren Rahmenbedingungen so großartig gestalten, wie ich will, kann den Leuten das Paradies auf den Bauch binden: Motivation entsteht nur bei der Grundhaltung: "Ich bin frei und habe eine Wahl". Sonst findet das Jammern nie ein Ende.

M: Ist das wirklich ein so großes Problem?

S: Aber ja! Es gibt diese weit verbreitete Haltung: "Ich bin ein Opfer, bin zur Arbeit gezwungen, bin deshalb nicht freiwillig hier, und deshalb bist du, Chef, dafür verantwortlich, dass es mir gutgeht".

M: Herr Colombo, was bedeutet Freiheit für Ihre Arbeit als Führungskraft?

C: Zunächst würde ich sagen: Prinzipiell ist jeder frei darin, ob er für unsere Firma arbeiten will, oder nicht. Aber wenn er das will, dann muss er für die gemeinsame Sache einstehen. Dann hat er nicht mehr die Möglichkeit, innerhalb der Arbeit frei zu wählen, was er tut. Aber natürlich gilt: Wenn das jeweilige Aufgabengebiet klar ist, sollte man für seine Mitarbeiter Freiräume schaffen.

M: Und wollen potenzielle Mitarbeiter diese Freiräume überhaupt?

C: Fast immer. Eine meiner ersten Fragen an Bewerber lautet meist: "Welche Erwartungen haben Sie an Hocoma?" Da kommt oft der Wunsch nach einem offenen Klima ohne viel "Politik" und außerdem: Freiheiten. Ich antworte dann: "Sie haben zunächst einmal die Freiheit, sich für die Zusammenarbeit mit uns zu entscheiden. Dann einigen wir uns über Ihre Aufgaben, und in Bezug auf diese können wir dann gemeinsam über konkrete Freiräume nachdenken."

M: Wie funktioniert das konkret?

C: Meine Mitarbeiter haben jederzeit die Möglichkeit, eigene Konzepte für Problemlösungen zu entwickeln. Aber dann ist für mich wichtig, dass sie mir präsentieren, wie sie etwas lösen möchten. Es ist meine Verantwortung zu überprüfen, dass ihr Ansatz gut für diese Aufgabe und damit gut fürs Unternehmen ist.

M: Gibt es da manchmal Konflikte?

C: Klar! Wenn jemand sagt: "Ich habe das zwanzig Jahre gemacht. Jetzt lass mich einfach mal, und am Ende werde ich dir bewiesen haben, dass ich das kann" - das geht einfach nicht.

M: Denken Sie, Herr Colombo hat einen konservativen Begriff von Freiräumen?
S: Nein, ich kann dieses balancierte Verständnis durchaus nachvollziehen. Denn, und das ist wichtig: In der Praxis schließen Vertrauen und eine bestimmte Art des Misstrauens einander nicht aus. Es ist meines Erachtens eine der großen Management-Herausforderungen der Zukunft, aus dieser "Entweder-oder"-Falle herauszukommen. Wir sollten uns stattdessen in ein "Mehr-oder-weniger"-Denken einüben. Das ist nicht einfach, weil es oft kontraintuitiv ist. Aber wir müssen da hin, müssen also zum Beispiel über ein Fließgleichgewicht zwischen Vertrauen und Misstrauen sprechen. Es kann kein Vertrauen ohne Kontrolle, aber auch keine Kontrolle ohne Vertrauen geben.

M: Wo ist Kontrolle stärker zu gewichten?

S: Vor allem an dem Punkt, wo es um existenzielle Selbsterhaltung geht. Wenn der von Ihnen, Herr Colombo, genannte Mitarbeiter sagt: "Jetzt lass mich mal ein Jahr in Ruhe machen" - und dann hat das so dramatische Konsequenzen, dass die Existenz Ihrer Firma bedroht ist, das dürfen Sie natürlich nicht riskieren. Aber wenn das Risiko "nur" darin besteht, dass der Mitarbeiter einen relevanten, aber nicht bedrohlichen Geldbetrag in die Seife fährt, dann würde ich vielleicht eher als Sie sagen: "Okay, das Risiko kann ich eingehen." Und noch etwas: Ohne einen Vertrauensvorschuss gibt es überhaupt keine Zusammenarbeit. Selbst wenn Sie einen 10 cm dicken Arbeitsvertrag machen, steckt in ihm immer auch ein Element des geschenkten Vertrauens, das sich nicht wegkontrollieren lässt.

C: Ich würde gerne auch mal über die Mitarbeiter sprechen, denen es weniger um Freiheit, sondern vor allem ums Geld geht. Die geradezu nach Boni schreien und sich darüber definieren, was sie sich dadurch vielleicht mehr leisten können als andere. Wie soll ich an deren Motive rankommen?

S: Am besten gar nicht. Das Herumstochern in den psychischen Landkarten von Mitarbeitern ist zwar für herkömmliche Motivierungskonzepte zentral, ich halte es aber für illusionär. Warum dieser Mensch so oder so handelt, ist irrelevant, denn ich komme bei der Suche nach Antworten zu keinem vernünftigen Ergebnis. Ich wühle in Vergangenheiten herum und projiziere meine eigenen Werte und Sensibilitäten auf andere. Das einzige "Resultat": Ich mache aus einer Kooperationsbeziehung zweier erwachsener Menschen eine Art Psychodrama, in dem ich mich zum Durchblicker aufschwinge und meinen Vertragspartner wie ein Kleinkind behandele. Das ist nicht nur unproduktiv, sondern auch würdelos.

M: Aber irgendwie müssen Führungskräfte doch auf Wünsche nach immer höheren Boni etc. reagieren?

S: Kommunizieren Sie offen und ehrlich! Sagen Sie zum Beispiel: "Dieses Unternehmen ist, wie jedes andere auch, um die Idee der Zusammenarbeit herum gebaut. Wenn du individuelle Boni einforderst, ist das ein Anspruch, der dich und deine Bedürfnisse in einer Weise heraushebt, die den Kooperationsvorrang dementiert."

M: Heißt das nicht vor allem: Unternehmen müssen sich in Bezug auf bestimmte Erwartungen für unzuständig erklären?

S: Ja, und am besten klar und deutlich. Ich rate Führungskräften immer wieder, sich physisch vor ihre Mitarbeiter zu stellen und zu vermitteln: "Ich bin nicht dafür da, dich zu motivieren. Leistungsbereitschaft ist etwas, was ich von dir erwarte. Wenn du dagegen glaubst, ich müsse dich anschieben oder ziehen, dann werden wir einen fairen Weg dafür finden, dass sich unsere Wege trennen."

C: Dass man Menschen im grundsätzlichen Sinne nicht motivieren kann, da stimme ich Ihnen zu. Aber ich denke, dass man seine Leute sehr schnell demotivieren kann.

S: Absolut! Aber das ändert nichts daran: Leistungsbereitschaft muss ich voraussetzen. Die gilt immer schon als vereinbart.

M: Und wie verhält es sich mit Leistungsmöglichkeit?

S: Leistungsmöglichkeiten zu schaffen, gehört zum Kerngeschäft von Führung. Die Absatzmärkte habe ich als Führender vielleicht nicht im Griff, wohl aber die innere Verfasstheit meines Unternehmens. Auf dieser Ebene ist es meine Verantwortung, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass diese Mitarbeiter möglichst nicht demotivieren - zum Beispiel durch angemessene Freiräume statt unangemessenem Kontroll- und Reglementierungswahn.

M: Aber gehen viele Unternehmen heutzutage nicht deutlich weiter? Etwa die Sillicon-Valley-Firmen, in denen man auch in Bezug auf die Freizeitgestaltung komplett versorgt ist: Wochenendreisen mit den Kollegen, Tischtennisabende im Team und so weiter. Hier geht es doch nicht mehr um Rahmenbedingungen, sondern um Totalidentifikation des Einzelnen mit der "Company".

S: Stimmt, und hier wird es auf sanfte Weise totalitär. Die echte Erfahrung von Sinn, auch von Sinn in der Arbeit, ist immer eine individuelle. Man kann sie nicht von außen erzeugen. In manchen Firmen versucht man, sie durch Eindeutigkeitssinn zu ersetzen. Und der ist so massiv und wird so penetrant kommuniziert, dass die individuelle Sinngebung keine Rolle mehr spielen soll, sondern zur Steigerung des Unternehmenswertes verengt wird. Das geht mir persönlich zu weit. Für mich ist es zum Beispiel absolut in Ordnung, wenn jemand sagt: "Ich tue das hier ausschließlich, um meine Familie zu ernähren." Damit kann ich gut leben. Ein Unternehmen ist keine Kirche. Auch wenn es Google, Apple oder Daimler heißt.

C: Aber jetzt könnte ich ja mit Ihren eigenen Argumenten sagen: "Was wollen Sie denn, die wählen das ja alle freiwillig!"

S: Da haben Sie völlig Recht! Ironisch formuliert: Hier muss man letztlich die freiwillige Selbstzerstörung zulassen.

M: Aber gerade bei großen Unternehmen stößt man doch häufig auf ein anderes Übel als die Totalidentifikation: kollektive Resignation.

S: Leider ja. Nehmen wir mal eine Gruppe, die ich Generation "paradise lost" nennen möchte. Die gibt es in vielen Unternehmen, und sie ist oft sehr groß. Da war irgendetwas in der Vergangenheit sehr erfolgreich, und alles schien toll. Meistens war das gebunden an eine charismatische Unternehmerfigur. Und jetzt kommen auf diese Menschen gleich mehrere Paradigmenwechsel zu. Unter anderem sind die Organisationseinheiten, mit denen sie zu tun haben, aberwitzig groß geworden. Dann wurden viele von Internet und Digitalisierung kalt erwischt. Vielleicht wurden ihre Firmen auch fusioniert, verkauft, und plötzlich sprechen dann alle Englisch. So entstehen riesige Populationen von Menschen, die demotiviert sind, die eigentlich schon lange woanders sein wollen, aber sich nicht trauen und dann in den Zynismus abwandern. Alles, was jetzt noch kommt, ist Überwintern. Und sie bremsen Wachstum und Erneuerung durch ihren Zynismus.

C:Die fühlen sich dann plötzlich nur noch als Rädchen in einem riesigen Getriebe. Das müsste doch eigentlich einen Gegentrend mit vielen Start-ups und kleineren Unternehmen erzeugen.

S: Das Gegenteil ist der Fall! In Deutschland haben wir in allen Berufen eine abnehmende Selbstständigkeitsrate. Die Leute flüchten wieder in die Scheinsicherheit der Unternehmen. Obwohl jedem klar sein sollte, wie es um die Arbeitsplatzsicherheit bei großen Firmen wie Siemens etc. bestellt ist.

M: Größere Unternehmen haben also ein strukturelles Motivationsproblem?

S: Ja. Und zwar eines, das die Sinndimension unseres Themas berührt. Wenn viele Menschen im Unternehmen konkret und physisch in die Augen der Kunden blicken, ihre Bedürfnisse kennen und auf sie hin arbeiten, haben sie kein Sinnproblem. Das haben sie nur, wenn sie wahrnehmen, dass Arbeit einen Unterschied in der Lebensqualität anderer Menschen machen muss, um als sinnvoll erlebt zu werden, dieses Erleben aber nicht möglich ist.

C: Das ist mein Privileg als Gründer: Ich habe diesen direkten Kundenkontakt. Aber die Leute, die in der Produktion oder der Entwicklung arbeiten, die haben ihn eben nicht. Deshalb versuchen wir, ihnen diese Erfahrung auf anderen Wegen zu vermitteln: zum Beispiel über Videos oder "success stories", und ab und zu laden wir Patienten oder Klinikvertreter zu uns ein, um Vorträge halten.

S: So etwas ist extrem wichtig. Machen wir es doch mal ganz praktisch: Ich habe zehn Kommunikationssignale in Richtung, sagen wir, meiner Buchhalterin zur Verfügung, und erzähle ihr in zehn Varianten, dass es mir in Bezug auf ihre Arbeit um Unternehmenswertsteigerung geht. Es geht aber auch anders: Ich spreche mit ihr nur fünf Mal über Zahlen und erzähle ihr bei den fünf anderen Gelegenheiten, was wir gerade Tolles für unsere Kunden umgesetzt haben. Das ist doch ein Riesenunterschied! In vielen Großunternehmen wird den Leuten ständig etwas von der Steigerung des Unternehmenswertes erzählt. Aber in der Breite des Unternehmens interessiert sich dafür niemand.

M: Ich würde jetzt gerne eine Brücke schlagen zwischen dem Sinn der Arbeit und der Notwendigkeit von Leistung …

S: "Leistung" ist ja eine Art Passepartout-Begriff. Er wird oft im Sinne von "Erfolg", also mit Blick auf Resultate verwendet. Das alte Thema "Blut, Schweiß und Tränen", also Leistung verstanden als "Anstrengung", spielt immer noch eine Rolle, wenn auch eine geringere als früher. Aber der Leistungsbegriff ist unscharf, auch wenn er mit noch so vielen Zahlen unterlegt ist. Ich bin nach wie vor überzeugt: Leistung lässt sich nicht messen, sondern nur bewerten.

M: Ist also das, was in einem Unternehmen als Leistung gilt, immer eine Frage der Beurteilung, der Interpretation?

S: Genau. Und wer hier interpretiert, das sind nun mal in der Regel Führungskräfte. Denn, und das ist mir wichtig: Nur ein Mensch kann den Leistungsbegriff in seiner Komplexität sinnvoll überblicken. In ihn fließen ja nicht nur messbare Resultate ein, sondern vor allem auch Qualitatives. Wer etwa einen Talentpool mit Blick auf die Zukunft aufbaut, braucht dafür wahnsinnig viel Energie und Zeit. Gleichzeitig erbringt er eine sehr wertvolle Leistung, leistet vielleicht die beste Zukunftsinvestition überhaupt. Wie will ich so etwas messen? Alles, was für die Unternehmenszukunft wichtig ist, ist nicht messbar.

C: Leistung bemisst sich bei uns überall anders. In der Entwicklung besteht Leistung darin, die zukünftigen Wünsche meiner Kunden vorauszuahnen und Produkte mit einem kurzen Innovationszyklus zu entwickeln. In der Produktion geht es nicht um Innovationskraft, sondern um hochwertige und zügige Reproduktion. Im Verkauf muss ich unter anderem Netzwerke und nachhaltige Kundenbeziehungen aufbauen, kurzfristig hohe Verkaufszahlen können hier sogar kontraproduktiv sein. Es gibt also keine klaren Regeln, keine Rezepte für die Bewertung von Leistungen. Und dennoch muss ich das tun, muss den Mut haben, etwa zu sagen: "Ja, ich bewerte dich nach anderen Maßstäben als deinen Kollegen." Das Problem: Sofort wird dieser Mensch googeln und sich mit anderen vergleichen. Und dann kommt etwas der Art, wie wenn ich jetzt sagen würde: "Der Sprenger hat ja viel mehr gesprochen heute als ich, der muss auch mehr kriegen."

S: Oder vielleicht gerade deswegen weniger.

C: Genau! Begründungen finde ich in beide Richtungen. Ohne Mut zum eigenen Urteil kann ich Leistungen nicht bewerten.

M: Ich würde gern noch auf einen anderen wichtigen Punkt zu sprechen kommen: den Zusammenhang von persönlicher Entwicklung und Motivation …

S: Hier muss man zunächst einmal festhalten: In Unternehmen geht es immer darum, unterschiedliche Bedürfnisse, Interessen, Motive mit Blick auf das Ganze zu organisieren. Damit sind der Individualisierung Grenzen gesetzt. Andererseits kann ich auch nicht sagen: "Es geht hier ausschließlich um das Unternehmen, deine Interessen spielen überhaupt keine Rolle." Führungskräfte müssen auch hier balancieren.

M: Aber alles unter Prämisse: Menschen wollen etwas leisten, und sie wollen sich entwickeln.

S: Richtig. Und hierbei sind zwei Dinge wichtig: Neugieraktivität und Funktionslust. "Funktionslust" meint: Menschen sind dann motiviert, wenn Planen, Machen und Ergebnis-Sehen möglichst nahe beieinander liegen, zeitlich wie räumlich.


M: Aber das ist heutzutage schwierig.

S: Allerdings. Wir haben momentan eine rasende Entwicklung dahin, dass Menschen arbeiten, ohne anschließend ein Werk vor Augen zu haben. Das hat auch mit den omnipräsenten Informationstechnologien zu tun. Dieses Vor-den-Bildschirmen-Hocken, das ist teilweise fast eine Art medialer Autismus. Man hat nur noch Kontakt mit seiner Tastatur und immer weniger mit dem Kunden und damit mit dem Sinn der eigenen Arbeit. Und das erzeugt strukturelle Motivationsprobleme. Und wer profitiert davon? Die Heimwerkermärkte, denn hier kann man planen, machen und dann sein Werk betrachten.

C: Das ist extrem befriedigend.

S: Allerdings. Aber auch Neugieraktivität ist wichtig. Denn wenn ein Mensch nur noch seine Routinen abfackelt, geht die Motivation genauso dahin. Wir sind als Menschen auf Persönlichkeitswachstum durch Arbeit geradezu angewiesen. Irgendetwas in uns muss sich entwickeln, muss, im wahrsten Sinne des Wortes, herausfordernd und spannend sein. Und natürlich muss das, was eine solche innere Dynamik erzeugt, zu den Unternehmenszwecken passen.

M: Herr Colombo: Wie ziehen Sie hier die Grenzen?

C: Das Unternehmen muss sich entwickeln und profitabel sein, sonst kann ich ja niemandem einen Job zur Verfügung stellen. Wenn jemand sagt, "ich habe jetzt eine Superidee", und sie passt in den großen Plan der Firma, dann unterstütze ich das mit aller Kraft. Aber es gibt eben auch die Ideen, die dazu nicht passen. Ein Produkt etwa, das nicht unserem Fokus entspricht, zu teuer ist ... Natürlich begründe ich meine Ablehnung dann so gut wie möglich, aber nicht immer kann ich meine Mitarbeiter überzeugen. Aber entscheiden muss ich natürlich trotzdem so.

M: Aber die Mitarbeiter müssen weiterhin mit Ideen zu Ihnen kommen wollen …

S: Das berührt einen anderen wichtigen Punkt, nämlich die Frage: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Motivation und dem Erleben von Gelingen, von Erfolg? Das würde ich heute stärker akzentuieren, als ich das in "Mythos Motivation" getan habe. Zugespitzt lautet die Erfahrung aus der Praxis doch: Motivation ist keine Voraussetzung von Leistung, sondern ihr Resultat. Anders formuliert: Wenn Menschen sich als erfolgreich wahrnehmen, brauche ich mir um ihre Motivation keine Sorgen zu machen. Als Führungskraft muss ich die Bedingungen der Möglichkeit dafür schaffen, dass sich ein Mitarbeiter als erfolgreich erlebt.

C: Aber öffnen Sie damit nicht den von Ihnen kritisierten Boni und Incentives Tür und Tor?

S: Gerade nicht! Denn die Erfolge, von denen ich hier spreche, beziehen sich auf die Inhalte der Arbeit und die Bestätigung, die ein Mensch daraus zieht. Das hat mit irgendwelchen nachgelagerten Versuchen kindlicher Belohnung durch Boni etc. nichts zu tun.

M: Könnte man das, worum es Ihnen hier geht, als das Erleben der eigenen Wirkung beschreiben?

S: Gebräuchlich ist hier die Rede von der "Selbstwirksamkeitsüberzeugung". Wenn ich also zum Beispiel erlebt habe, dass ich fähig bin, ein Gartenhaus zu bauen, dann motiviert mich das für ähnliche Projekte, und zwar völlig unabhängig davon, ob sich mein Nachbar neben mich stellt und sagt: "Das sieht ja wirklich schick aus."

M: Kann man sagen, dass Ihr Begriff von Motivation durch diese Komponente, die die intrinsische Motivation ergänzt, noch dynamischer geworden ist?

S: Ja. Und verknüpft man diesen anerkennungstheoretischen Aspekt mit dem Gedanken vom inneren Kern von Motivation, der Überzeugung der eigenen Freiheit, dann kann man Motivation ganz praktisch erfassen.

M: Also zum Beispiel auch die praktische Frage beantworten: Was motiviert mich, in aller Herrgottsfrüh aufzustehen, …

S: … um die erste Maschine nach Irgendwohin zu kriegen - genau. Also zu behaupten, ich fühle mich da furchtbar motiviert, wäre, sagen wir mal, etwas überzeichnet. Und wenn ich dann in diesem Rotaugenbomber sitze, kommt vielleicht irgendwann der Gedanke: "Mann, Junge, niemand zwingt dich. Du hast das selbst entschieden. Du kannst es auch jetzt noch absagen. Aber frag dich vorher: Bist du auch bereit, die Konsequenzen der Absage zu tragen?"

M: Eine Art Selbsttherapie?

S: Ja, vielleicht. Auf jeden Fall: etwas sehr Praktisches. Ich nutze das Bewusstsein, dass es meine Entscheidung ist und dass ich sie auch anders treffen kann. Und schaffe mir dadurch auch selbst die Möglichkeit, am Ankunftsort, beim Kunden mit einer ganz anderen Qualität des Bewusstseins aufzutreten. Aller Erfolg resultiert aus Entschiedenheit.

C: Und was heißt das jetzt für die Motivation von Mitarbeitern? Dass man versuchen muss, dieses Bewusstsein immer wieder zu ermöglichen?

S: Richtig. Man kann Mitarbeitern zum Beispiel kleine Rituale vermitteln, die man als Handwerkszeug immer wieder einsetzen kann. Dann fragt man sich: "Wo bin ich gerade? Welche Punkte stimmen, welche nicht?" und so weiter. Und anhand dessen kann man sich in fast schamanischer Versenkung deutlich machen: "Ja, so ist es: Heute Morgen, als ich aufgestanden bin, habe ich wieder dieses Unternehmen gewählt. Ich habe diesen Chef gewählt. Und ich habe auch wieder diesen ewig nörgelnden Kunden, diese verfluchte Konjunktur, dieses grässlich wackelnde Flugzeug gewählt. Ja, ich habe mir all das heute Morgen wieder ausgesucht." Ich rede mir dabei nichts schön, ich sehe, dass vieles nicht so ist, wie ich es mir idealer Weise vorstelle. Aber ich mache mir bewusst: Diese Wahl habe ich getroffen. Niemand sonst.

M: Herr Colombo, welche Wahl haben Sie getroffen?

C: Die einer tollen Herausforderung. Wir wissen heute, dass man neurologischen Patienten in der Therapie helfen kann, ihre Funktionen wiederzuerlangen, indem man sie intensiv betreut. Und wir haben das Privileg, dass wir die richtigen Geräte dafür entwickeln können. Das ist eine echte Revolution, wir können viel bessere Resultate erzielen, als das früher möglich war.

M: Herr Sprenger, warum stehen Sie morgens auf?

S: Weil der Wecker klingelt. Und das meine ich ernst. Ich stehe auf, weil diese Mechanik mich morgens aufstehen lässt. Ich stelle mir nicht die Frage, ob das jetzt alles sinnvoll ist, ich glücklich bin oder etwas moralisch Hochstehendes tue. Ich finde es ganz wichtig, dass man das nicht überhöht.

M: Aber Ihre Arbeit hat schon so etwas wie einen inhaltlichen Kern?

S: Sicher. Das ist das Eintreten für einen Freiheitsbegriff, den man reduzieren könnte auf die einfache Formel: "Lass mich in Ruhe; schraube nicht an mir herum; lass mich so sein, wie ich bin." Für diese Freiheit setze ich mich ein.

M: Und Sie möchten auch vermitteln, dass es für Unternehmen im Hinblick auf die Motivation ihrer Mitarbeiter produktiv ist, nach dieser Maxime zu handeln?

S: Ja. Denn wo Mitarbeiter als freie Menschen und in dem Bewusstsein arbeiten, "Ich mache hier mit Blick auf die gemeinsame Sache etwas, das mir entspricht und mir Entwicklung ermöglicht", ist Motivation kein Problem. Ob ich dann als Führungskraft unbedingt mit allen Ergebnissen der Arbeit einverstanden bin, ist eine andere Frage. Aber indem ich jeden Tag alles dafür tue, bei meinen Mitarbeitern ein solches Bewusstsein zu befördern bzw. ihm zumindest nicht im Wege zu stehen, tue ich im Hinblick auf Motivation das entscheidend Richtige. Und wenn ich Freude daran habe, zur Selbstentwicklung anderer beizutragen, kann das sehr befriedigend sein.


FREIHEIT
Wer manipuliert, verliert

Freiheit - weder easy noch gechillt, aber einfach großartig …


"Freiheit" - das ist ein großer, vieldeutiger und natürlich auch oft missbrauchter instrumentalisierter Begriff. Als fundamentaler Wert begründet er den Schutz des Einzelnen vor der Staatsmacht, Gesetze garantieren die äußere Freiheit des Individuums. Allgegenwärtig ist "Freiheit" heute allerdings auch in einer ganz anderen Form: als Konsumversprechen. So gibt es kaum ein Produkt, das nicht irgendwann einmal den Glanz der "Freiheit" auf sich lenken möchte. Kreditkarten, Zigaretten, Autos, Häuser, Deos - "freedom sells".
Der Freiheitsbegriff, um den es im Folgenden gehen soll, bezieht sich allenfalls indirekt auf politische Grundlagen unseres Zusammenlebens, und mit Werbeglamour hat er gleich gar nichts zu tun. Die Freiheit, auf die es im Zusammenhang mit Motivation ankommt, ist weder easy noch gechillt erreichbar. Sie ist nicht convenient und käuflich ist sie erst recht nicht.

Am ehesten ist sie noch: ein Abenteuer. Aber ein reales. Eines, das oft überhaupt nicht glamourös daherkommt, sondern schwierige Entscheidungen, maximale Verantwortung sowie die Fähigkeit verlangt, Komplexität auszuhalten. Nichts an ihr ist selbstverständlich, vieles anstrengend. Freiheit ist ausgesprochen anspruchsvoll und bisweilen ziemlich undankbar.

Ob Sie sich das antun sollten? Unbedingt. Denn ein größeres Geschenk als das, sich in Freiheit entfalten und bewähren zu können, hält Arbeit nicht bereit. Für niemanden.


… und ungemein praktisch!

Aber ist "Freiheit" im Kontext von Führung und Motivation nicht arg verbraucht? Ist der Begriff nicht diskreditiert durch die üblichen Lippenbekenntnisse der Klein- und Kleinstdiktatoren, die sich Führungskräfte nennen, aber in Wahrheit nur durchführen, was sie für richtig halten?
Vielleicht. Aber es lohnt sich definitiv, ihn zu retten. Und zwar aus praktischen Gründen. Weil sich erwiesen hat, dass dort, wo Freiheit nur noch rhetorisch gelebt wird, der ökonomische Erfolg extrem gefährdet ist. Dass in Unternehmen, die glauben, auf Freiheit verzichten zu können, Innovations- und Wachstumspotenziale fahrlässig verschleudert werden. Dass solchen Firmen ihre Produktivität systematisch abhanden kommt, weil deren Träger, die Mitarbeiter, innerlich abschalten, aktiv sabotieren, schnellstmöglich gehen oder, noch schlimmer: gar nicht erst kommen.

Sie glauben, das sei nichts als Panikmache, es gebe keine relevanten Motivationsprobleme und alles in allem funktionierten die etablierten "Systeme" doch ganz gut? Ein Blick auf die Praxis belegt auch hier das Gegenteil. Der "Gallup Engagement Index" untersucht regelmäßig die emotionale Bindung von Menschen zum eigenen Arbeitsplatz. Jüngster Befund: Nur etwa 16?% aller Beschäftigten in Deutschland haben eine echte Bindung zu ihrem Job. Die übrigen 84?% sind entweder gerade dabei, sich in Zombies der simulierten Pflichterfüllung zu verwandeln, oder haben sich in diesem Untoten-Modus schon länger eingerichtet. Sie verplempern ihre Zeit - mit verheerenden Folgen für sich und andere. In Deutschland gehen Unternehmen und Behörden so im Jahr geschätzte 100 Mrd. Euro verloren. Gar nicht messbar ist der Schaden für die Einzelnen. Persönliches Wachstum wird zur unwahrscheinlichen Ausnahme - im Gegensatz zu Krankheit und Depression.

Wer manipuliert, verliert

Natürlich reagieren Führungskräfte auf solche Studien. Und zwar gerne, indem sie Geld in die Hand nehmen. Sie versuchen, ihre Mitarbeiter durch immer ausgefeiltere Systeme von Boni, Incentives und anderen Anreizen zu binden, zu steuern, kurz: "neu zu motivieren". Das Groteske: Diese Manager müssten es besser wissen. Denn mittlerweile gibt es über 100 (!) wissenschaftliche Studien weltweit, die belegen, dass Belohnungen die Eigenmotivation schwächen. Was immer eine solche Strategie also kurzfristig an Aufhübschungen dieser oder jener Bilanz ermöglichen mag, mittel- und langfristig schadet sie dem Unternehmen. Denn, und auf diese Einsicht kommt es an:

Ob Bonus, Incentive-Reise, Sonderurlaub, Firmenwagen, größeres Büro, und was die Box der Entmündigungstools sonst noch alles enthalten möge - ein Anreiz ist ein Anreiz und untergräbt das für ein Unternehmen Wertvollste: die freie Entscheidung des Einzelnen für die gemeinsame Sache.

Dabei ist es vollkommen gleichgültig, welche Gestalt die Möhre hat, die ich vor der Nase des Mitarbeiters aufhänge - entscheidend ist, dass ich ihn für einen Esel halte. Es spielt keine Rolle, mit welchen "Süßigkeiten" ich meine Teammitglieder locken oder mit welchen Strafandrohungen ich sie von irgendetwas abhalten möchte - folgenreich ist, dass ich sie wie Kleinkinder behandele. Und auf die scheinbar erkaufte Gunst von Kleinkindern und Eseln - zumal heute - den Erfolg eines Unternehmens gründen zu wollen, dürfte selbst dem unerschrockensten Performer als zu riskant erscheinen. Bei genauerer Betrachtung ist man als Unternehmen eigentlich sogar noch ganz gut bedient, wenn einen die so missachteten Mitarbeiter nur mit innerer Kündigung und anderen Formen passiver Sabotage strafen.

Im Folgenden geht es um praktische Alternativen zu dieser Unkultur des Manipulierens. Es geht um angewandte Freiheit als Bedingung von Erfolg in und Freude an der Arbeit. Wir zeigen, welche Wege Unternehmen heute beschreiten, um die innere Überzeugung ihrer Mitarbeiter zur Grundlage des gemeinsamen Erfolgs zu machen. Wie sie "High Potentials" gewinnen und halten wollen, ohne sie zu bestechen. Und es geht dabei um die Freilegung einer einfachen Erkenntnis, die unter all den Anreizsystemen in Unternehmen und auch denen des Staates regelrecht verschüttet wurde:

Wir alle wollen arbeiten. Wir wollen unseren Beitrag zu einer Aufgabe leisten, die uns etwas bedeutet und für die wir von Bedeutung sind. Und, klar: Geld verdienen wollen wir dabei auch. Aber für den Sinn unserer Arbeit spielt es letztlich keine Rolle. Unsere Freiheit ist hier viel wichtiger.


Große Freiheit, große Verantwortung


Es gibt dieses Klischee, das insbesondere Führungskräfte der "alten Schule" gerne kultivieren: In Unternehmen, in denen Mitarbeiter größtmögliche Freiräume genießen, weiß niemand, was der andere tut - das nackte Chaos regiert. Bei Jimdo sieht es nicht danach aus.

Auch wenn auf den ersten Blick ein anderes Klischee erfüllt zu sein scheint: das der klassischen Internet-Bude. Betritt man eine der Büroetagen in Hamburg, findet man offene, einladende Räume, eine riesige Kaffeeküche mit Profi-Espressomaschinen, Obstschalen und Kojen fürs Power-Napping. Auch Dachterrasse und Kicker fehlen nicht, und in der Kantine brutzelt der von allen geliebte Koch Sam gerade das Mittagessen. Die Gründer Matthias Henze, Fridtjof Detzner und Christian Springub sehen ein wenig aus wie Surflehrer. Detzner flitzt barfuß von einem Meeting ins nächste und lacht breit. WG-Feeling - allerdings mit rund 160 "Mitbewohnern".
"Mit Jimdo kann sich jeder seine eigene Homepage erstellen" - so der Slogan auf der Website. Und das tun bereits über 10 Millionen Menschen weltweit. Das Wachstum der Jimdo GmbH verlief rasant: Aus 60 wurden binnen weniger Jahre 160 Mitarbeiter. Und je mehr Menschen dazukamen, desto härter arbeiteten die Gründer daran, dass weder der "Team Spirit" noch die Freiräume der einzelnen Mitarbeiter verlorengingen. Dass viele Unternehmen eine solche Entwicklung mit der Erstarrung von Prozessen, dem Einzug von Reglementierungen und diversen Führungsebenen bezahlt haben, war den Gründern bewusst. Und so taten sie alles dafür, ihre Kultur der Freiheit zu erhalten.
Eine ihrer Ideen: eine "Feel Good Managerin". Jimdo wollte aber ausdrücklich "keinen Bespaßer oder jemanden, der die Leute motiviert, länger zu arbeiten", so Fridtjof Detzner. Vielmehr suchte man einen Kommunikationsprofi, der ein offenes Ohr hat, gerne mit Menschen spricht und über Coaching-Erfahrung verfügt. Die Managerin, die man schließlich fand, war der Kern dessen, was mittlerweile zu einem Quintett gewachsen ist und "A-Team" genannt wird: Coaches mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie Moderation, Teamarbeit oder Prozessoptimierung. Fünf Menschen also, festangestellt, die nichts mit dem täglichen Webseiten-Baukasten-Job zu tun haben. Was machen die den ganzen Tag, und warum tut das dem Unternehmen gut?


Viel miteinander reden - aber nicht quatschen

Nils Schnell ist einer vom A-Team. Als Viability Manager begleitet er zum Beispiel viele Retrospektiven, genannt "Retros". Die eigenverantwortlich arbeitenden Teams sprechen hier darüber, was in den letzten Wochen lief und wie es weitergeht. "Ich achte einfach darauf, dass das, was auf der Tagesordnung steht, wirklich fokussiert wird, strukturiere das Gespräch und schaue natürlich auch darauf, dass ein guter Ton gewahrt bleibt. Schließlich sollen unsere Meetings lösungsorientiert sein", so Schnell. "Diese Moderation wird richtig gut angenommen, denn die Teams können sich so auf den Inhalt konzentrieren - in vielen Unternehmen moderiert ja schlimmstenfalls der Chef solche Treffen. Ich bin neutral und außen vor, und das ist wichtig."
Es wird also viel miteinander geredet bei Jimdo - aber eben nicht gequatscht. Gründer Matthias Henze beschreibt das so: "Mithilfe des A-Teams werden Entscheidungen und Kommunikationsstrukturen ständig angepasst, die sich durch das Wachstum verändert haben. So achten wir bei Jimdo darauf, dass unsere Arbeit auch in Zukunft rockt."
Feedback zu geben - positives wie negatives -, ist dabei das A und O. Bei Jimdo bekommt jeder Mitarbeiter eine Feedbackschulung. "Und genau dieses Feedback für Einzelne oder das Team ist meist sehr motivierend. Viele Kollegen schätzen ja die Arbeit, die man geleistet hat, anders ein als man selbst. Man selbst sieht eher das, was nicht so geklappt hat, die anderen viel mehr das, was gut läuft", berichtet Viability Manager Schnell. Bildet sich ein neues Team, geben er oder ein anderes A-Team-Mitglied auch Einzelcoachings. Jeder soll seine Rolle im Team finden. Denn nur wenn er sie wirklich verinnerlicht hat, kann er sie auch eigenverantwortlich und effizient ausfüllen.

Wenige Leader, viel Leadership

Nadja Macht, Flow Managerin und Coach, begleitet Jimdo von Anfang an. Sie erzählt: "Ich habe klar die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die man nicht kontrolliert, dazu tendieren, mehr zu arbeiten und keinesfalls weniger. In den Strukturen, in denen wir uns befinden, haben wir verdammt hohe Anforderungen an unsere Mitarbeiter. Der Grad an Selbstverwirklichung ist hier bestimmt sehr hoch, und Partizipation ist sicherlich auch einer unserer Motivationsfaktoren, und das führt zu einer großen Leistungsbereitschaft. Aber natürlich haben wir Mitarbeiter, die diesen Prozess erst lernen müssen, wo innere Konflikte auftauchen oder die Unfähigkeit, sich in diesen freien Strukturen zu bewegen. Leute, die von anderen Unternehmen kommen, wo sie enge Grenzen hatten, tun sich da durchaus schwer. Wir erwarten eine ganz andere Form von Leadership und Verantwortung von den Kollegen", erläutert Nadja Macht.

Neben den Gründern gibt es keine weitere Führungsebene bei Jimdo. Auch Teamleiter sucht man hier vergeblich, aber es gibt Ansprechpartner für bestimmte Bereiche sowie "Ticketverantwortliche". Karrieren im Sinne eines klassischen Aufstiegs bietet das Unternehmen daher nicht - was bei Neueinstellungen auch klar kommuniziert wird. "Derjenige, für den Aufstieg wichtig ist, den eine Karriere intrinsisch motiviert, weil sein Wertesystem so gestrickt ist, der bekommt einen echten Konflikt, wenn das nicht stattfindet", so Macht. Dass Jimdos Struktur nicht mehr als eine Führungsebene kennt, heißt aber ausdrücklich nicht, dass Führungsaufgaben hier nicht wahrgenommen werden. Macht stellt klar: "Man braucht nicht unbedingt Leader, aber Leadership. Man braucht nicht unbedingt Manager, aber Strukturen." Und Leadership sei eben eine Geisteshaltung und keine Position.


Zettelwirtschaft und die richtigen Entscheidungen

Apropos, Strukturen: Jimdo arbeiten mit Kanban, einem System, das Arbeitsprozesse transparent macht. Man schätzt dieses Tool, denn in der Wissensarbeit sind Schwächen im Workflow bei Weitem nicht so augenfällig wie etwa in der Produktion. Und wenn sie nicht wahrgenommen werden, ist das "ein großes Problem, weil man dann auch nichts verbessern kann", erklärt Arne Roock. Er ist der Kanban-Coach bei Jimdo und damit eine Art "Sichtbarmacher". Er nutzt dafür unter anderem große Whiteboards mit farbigen Zetteln. Das einfache Kanban-Prinzip: Jeder Klebezettel repräsentiert eine Aufgabe. Durch diese Visualisierung sieht man schnell, wer gerade wieviel zu tun hat und welche Aufgaben noch offen, in Arbeit oder erledigt sind. Wenn also 3 Zettel in der Entwicklung und 30 im Test kleben, ist offensichtlich, wo was nicht rundläuft. Ein sehr großer roter Aufkleber signalisiert dann: "Hier gibt es ein echtes Problem", das dann intern eine entsprechend hohe Priorität bekommt. "Sachen fertig zu kriegen ist schließlich wichtiger als Sachen anzufangen", so Roock. All das regeln die Teams eigenverantwortlich - was wiederum nicht heißt, dass die Gründer keine für die Teams relevanten Entscheidungen treffen. Für Matthias Henze widerspricht diese "Führung von oben" keineswegs dem Grundgedanken einer weitgehenden Eigenverantwortung der Teams. "Ausschlaggebend ist vielmehr, dass sich unsere Teams selbst überlegen, WIE sie etwas erreichen, aber das WAS geben wir Gründer zentral vor. Unsere Rolle ist es also, Ziele zu priorisieren und die Teams dabei so zu unterstützen, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen können. Hilfreich für die Teams sind dabei so genannte Constraints. Diese geben einen Rahmen vor, in dem sich die Teams bewegen dürfen. Constraints funktionieren sehr ähnlich wie zum Beispiel ein Spielfeld im Fußball. Gute Trainer geben ihrer Mannschaft die Ziele und eine grobe Strategie vor und lassen ihnen dann die Freiheit, selbstständig herauszufinden, wie sie sich innerhalb des Spielfeldes bewegen müssen, um die Ziele zu erreichen."


Sprenger, Reinhard K.
Dr. Reinhard K. Sprenger, promovierter Philosoph, gilt als der profilierteste Führungsexperte Deutschlands. Geboren 1953 in Essen, in Philosophie promoviert, lebt er heute in der Nähe von Zürich und in Santa Fe, New Mexico. Zu seinen Kunden zählen zahlreiche internationale Konzerne sowie fast alle DAX-100-Unternehmen. Neben »Mythos Motivation« zählen zu seinen erfolgreichsten Publikationen »Das Prinzip Selbstverantwortung«, »Die Entscheidung liegt bei dir«, »Vertrauen führt«, »Radikal führen« und »Das anständige Unternehmen«. Der Bestsellerautor ist bekannt als kritischer Denker, der nachdrücklich dazu auffordert, neues Denken und selbstbestimmtes Handeln zu wagen.
Weitere Informationen unter www.sprenger.com.

Reinhard K. Sprenger, promovierter Philosoph, gilt als profiliertester Managementberater und Führungsexperte Deutschlands. Zu seinen Kunden zählen nahezu alle großen DAX-Unternehmen. Der Bestsellerautor ist bekannt als kritischer Denker, der nachdrücklich dazu auffordert, neues Denken und Handeln zu wagen.


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