Tran / Prasad / Steiner | Reflect Racism | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 184 Seiten

Tran / Prasad / Steiner Reflect Racism

Anmerkungen für eine rassismuskritische Praxis

E-Book, Deutsch, 184 Seiten

ISBN: 978-3-95405-090-1
Verlag: Unrast Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Der Sammelband Reflect Racism regt zur kritischen Selbstreflexion an, ohne dabei bestimmte Personen(gruppen) in moralischer Hinsicht als rassistisch zu diskreditieren. Reflexion ist dabei nicht gedacht als ständige Form der Selbstbespiegelung, sondern als Versuch der Einordnung der eigenen Situation in einen größeren Kontext. Der Titel des Bandes weist darauf hin, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen Menschen dazu veranlassen können, Rassismus zu reproduzieren. Unter diesen Rassismus reproduzierenden Rahmenbedingungen ist es äußerst schwierig, nicht rassistisch zu denken und zu handeln. Um die ungewollte Reproduktion des Rassismus zu verhindern, ist eine kontinuierliche kritische Selbstreflexion – und damit einhergehend auch eine umfassende Gesellschaftskritik – unerlässlich.

Rassismus als historische Machtstrategie ist im stetigen Wandel begriffen. Ohne ihn kontinuierlich neu zu reflektieren und ihn in seinen diversen Darstellungsformen begrifflich zu erfassen, besteht die Gefahr, dass er weiterhin im toten Winkel seine Wirkungen entfaltet. Es reicht bei Weitem nicht aus, ihn einmal definiert zu haben, um ihn für alle Zeit effektiv bekämpfen zu können; er muss in seiner Komplexität und in seinem ständigen historischen Wandel stets neu vergegenwärtigt werden.
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Vorwort
Ein weiteres Buch über Rassismus? Brauchen wir das wirklich? Mittlerweile sollte doch allen bewusst sein, dass unsere Gesellschaft ein Rassismusproblem sowohl auf struktureller, institutioneller als auch alltäglich-interpersoneller Ebene hat. Solange es noch rechte Täter*innen gibt, solange werde es ebenso noch Opfer rechter Gewalt geben, lautet die gängige Meinung. Aber Rassismus ist weitaus mehr: Mehr als die Täter*innen-Opfer-Dichotomie, mehr als die Gegenüberstellung von Antirassist*innen und Rassist*innen und vor allem mehr als die Diskriminierung aufgrund der zugeschriebenen Andersartigkeit. Dieses ›mehr‹ ist Grund genug, um immer wieder das sich wandelnde Phänomen Rassismus aus verschiedenen Perspektiven, vor allem aus der Perspektive Betroffener, von Neuem zu reflektieren. Ja, dieses und weitere Bücher über Rassismus sind mehr als notwendig. Motiviert von der Idee, gemeinsam mit verschiedenen Menschen über das gesellschaftliche Phänomen Rassismus in einem akademisch-wissenschaftlichen Setting zu reflektieren, führte das Referat für Gleichstellung an der Hochschule München im Jahr 2018 in Kooperation mit verschiedenen Akteur*innen, u.a. mit der Fachstelle für Demokratie der Landeshauptstadt München, eine hochschulweite Antirassismus-Kampagne mit dem appellierenden Titel reflect racism durch. Im Rahmen dieser Kampagne waren ein Fachtag, sechs Workshops sowie eine Plakataktion vorgesehen. Wissenschaftler*innen und Expert*innen führten die einzelnen Veranstaltungen durch. Sowohl die allgemeine Resonanz als auch die kontroversen Diskussionen in den jeweiligen Veranstaltungen haben für alle Beteiligten neue Reflexionshorizonte in Bezug auf das Phänomen Rassismus eröffnet. Nicht nur die Teilnehmenden profitierten vom gemeinsamen Reflektieren, sondern vor allem auch die Wissenschaftler*innen und Expert*innen selbst. Reflexion ist dabei nicht gedacht als ständige Form der Selbstbespiegelung, sondern als Versuch der Einordnung der eigenen Situation in einen größeren Kontext. Für Bourdieu war dies die zentrale Aufgabe der Sozialphilosophie, denn sie »gibt uns eine kleine Chance, das Spiel zu verstehen, das wir spielen, und die Herrschaft sowohl der Mächte des Feldes abzuschwächen, in dem wir uns bewegen, als auch der inkorporierten gesellschaftlichen Mächte, die in unserem Innern wirken« (Bourdieu et al. 2006: 234). Gesellschaftliche Rahmenbedingungen können Menschen dazu veranlassen, Rassismus zu reproduzieren. Unter diesen Rassismus reproduzierenden Rahmenbedingungen ist es gemäß Kalpaka et al. äußerst schwierig, nicht rassistisch zu sein (2017). Um die ungewollte Reproduktion des Rassismus zu verhindern, ist eine kontinuierliche kritische Selbstreflexion – und damit einhergehend auch eine umfassende Gesellschaftskritik – unerlässlich. Dieser Sammelband soll mit seinen unterschiedlichen Perspektiven auf das Phänomen Rassismus dabei helfen, sich kritisch selbst zu hinterfragen, um ›Reflexion‹ als Rückspiegelung rassistischer Effekte zu vermeiden. Rassismus als historische Machtstrategie ist im stetigen Wandel. Ohne ihn kontinuierlich neu zu reflektieren und ihn in seinen diversen Artikulationsformen begrifflich zu erfassen, besteht die Gefahr, dass er weiterhin im blinden Fleck seine Wirkungen entfaltet. Es reicht bei weitem nicht aus, ihn einmal definiert zu haben, um ihn für alle Zeit effektiv bekämpfen zu können; er muss in seiner Komplexität und in seinem ständigen historischen Wandel neu reflektiert werden. Fertiggestellt wurde der Sammelband im Mai 2020 angesichts der COVID-19-Pandemie im Bewusstsein, dass dieses Ereignis die Gefahr in sich birgt, die verschiedenen Formen sozialer Ungleichheit noch zu verstärken. Wir sehen dabei ganz konkret, wie sich die Privilegierten präventiv vor gesundheitlichen Schäden schützen können, während einem großen Teil der Menschheit (wie im Geflüchtetenlager von Moria, um hier ein europäisches Beispiel zu nennen) diese Möglichkeiten gar nicht zur Verfügung stehen. Zudem werden in der aktuellen Entwicklung Diskriminierungsformen verstärkt, wie etwa der ›anti-asiatische‹ Rassismus und, damit zusammenhängend, konkrete physische Gewalt aufgrund von zugeschriebenen Gruppenmerkmalen (vgl. Human Rights Watch 2020). Neben der Aufgabe des Gleichstellungsreferats, zur Sensibilisierung für verschiedenste Diskriminierungsformen beizutragen, waren die Ereignisse in Verbindung mit den globalen Fluchtbewegungen der Jahre zuvor ein initialer Moment für die Kampagne reflect racism. Hier wurden einerseits massiv Menschenrechte ausgesetzt, andererseits verhalfen Deutungen, vor allem aus dem rechten politischen Spektrum, verschiedensten Parteien in Europa (beispielsweise der AfD in Deutschland, dem Front National in Frankreich) zu beträchtlichem Zuspruch. Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten wie auch der Brexit sind dabei prominente Beispiele für eine Veränderung hin zu einer nationalistischen Ausrichtung. Weiterhin erfolgte während des NSU-Prozesses die Auseinandersetzung mit Rassismus nicht in dem notwendigen Umfang, wie es dem tatsächlichen Ausmaß angemessen gewesen wäre. Ungeachtet der Annahme, dass es mittlerweile keine Differenz von linker und rechter Politik gibt, halten wir es für sinnvoll, verschiedene politische Richtungen am Maßstab der Gleichheit zu unterscheiden. Der Kern der Linken liegt im Streben nach Gleichheit, die Rechten hingegen befürworten Hierarchien (vgl. Bobbio 1994). Gleichheit bedeutet jedoch nicht ›Gleichschaltung‹; freie Meinungsäußerung bedeutet nicht, dass einzelne Meinungen auch abgelehnt werden können, sobald sie die Freiheit anderer gar nicht anerkennen. Gleichheit meint ganz konkret das Bemühen um die Abschaffung sozialer Missstände. Wer dies tun möchte, muss sich dann auch mit den Ursachen (oder besser: Gründen) derselben befassen. Allzu oft geschieht dieses Vorgehen auf Basis journalistischer Prinzipien, die sich darauf konzentrieren, eine Empörungswelle oder einen ›Hype‹ zu entfachen. Ihre Darstellung ist verkürzt und die Empörung hält nur für eine kurze Zeit an, wie z.B. bei der Berichterstattung über Brandanschläge auf Asylbewerber*innenheime. Zwar erregen auch moralische Bewertungen die Gemüter, doch greifen sie ebenfalls zu kurz. Anstatt rassistische Strukturen zu verhindern, wollen sie Orientierungshilfe anbieten, die eher für Kinder geeignet sind – im Sinne von: ›Das sagt man nicht!‹. Beide Verkürzungen verhindern allerdings die Reflexion über die Strukturen, die Rassismus erst ermöglichen.   Obwohl die Autor*innen dieses Bandes einem akademischen Umfeld angehören, ist er keineswegs nur an Wissenschaftler*innen adressiert. Die dargebotenen Denkanregungen eignen sich auch für Personen, die sich bereits mit dem Thema Rassismus auseinandergesetzt haben und ihren Horizont in diese Richtung erweitern wollen. Der Sammelband beabsichtigt nicht, eine Einführung in das Thema Rassismus zu sein. Stattdessen will er zusätzliche Aspekte abdecken, die die einführende Rassismus-Literatur nicht enthält. Es ist außerdem nicht beabsichtigt, mit diesem Sammelband eine (weitere) theoretische Abhandlung über das Phänomen Rassismus darzubieten, vielmehr sollen Leser*innen aus einem Fundus unterschiedlicher Reflexionsmuster für sich selbst Impulse entnehmen können, um diese in ihrem Alltag praktisch umsetzen könnten. Primäres Ziel dieses Bandes ist die Anregung zur kritischen Selbstreflexion, ohne dabei bestimmte Personen(gruppen) oder auch die (rassismuskritische) Leser*innenschaft selbst in moralischer Hinsicht als rassistisch zu diskreditieren. Wenn z.B. aufgezeigt wird, dass einige antirassistische Denkfiguren zur Reproduktion des strukturellen Rassismus beitragen könnten, bedeutet das noch lange nicht, alle Antirassist*innen seien Rassist*innen. Stattdessen geht es um die Reflexion rassistischer Mechanismen und Erscheinungsformen, mit dem Ziel die darunter liegenden Strukturen zu verändern, als um personalisierte Schuldzuweisungen. Die kritische Selbstreflexion ermöglicht einen Ausgang aus den rassistischen Verstrickungen.   Seine thematischen Grenzen zieht der Band entlang der Frage nach den theoretischen und praktischen Wirkformen des Rassismus in verschiedenen sozialen Feldern (Bourdieu). Im politischen Bereich wird Rassismus anders gedacht als etwa im kulturellen Bereich. Gleichfalls unterscheidet sich die Praxis des Rassismus im Bildungsbereich erheblich von der im ökonomischen Bereich. Mit diesem Band liegt der Versuch vor, Aussagen bzw. Strategien aus einer kritisch-emanzipatorischen Perspektive neu zu formulieren, ohne dabei in die Essentialismus-Falle zu geraten. Essentialistische Vorstellungen gehen davon aus, dass bestimmte Zuschreibungen wie ›kulturelle Praxis‹ oder auch Ethnizität unveränderbare Wesensmerkmale bestimmter Personengruppen darstellen: z.B. die Annahme, Asiat*innen seien kollektivistisch und Europäer*innen individualistisch (z.B. Hofstede 2001). Es muss stattdessen eine Perspektive auf das Problem Rassismus eröffnet werden, die darauf abzielt, nicht dem essentialistischen Glauben zu verfallen.   Erste Denkanregungen geben das Autorenpaar Tuan Tran und Hubert Steiner mit dem Thema Rassistische ›Mechanismen‹ in der Alltagssprache. Mit ihrer phänomenologisch-diskurstheoretischen Zugangsweise wollen sie zunächst auf die subtilen, kaum wahrnehmbaren, diskriminierenden und unterdrückenden Mechanismen in der selten reflektierten Alltagssprache hinweisen. Anstatt Sprechverbote oder in totalitärer Weise...


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