Volkmann | Märchen von Spiel und Tanz | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 190 Seiten

Volkmann Märchen von Spiel und Tanz

Märchen der Welt
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-10-403113-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Märchen der Welt

E-Book, Deutsch, 190 Seiten

ISBN: 978-3-10-403113-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



*** Auf dem FLIEGENDEN TEPPICH um die Welt: die schönsten Märchen endlich wieder lieferbar! *** In vielen Volksmärchen wird gespielt und getanzt. Turniere und Bälle gehören zur höfischen Lebensart. Dabei verbreiten Musik und Rhythmus nicht selten einen magischen Zwang, der die Seele beschwingt und zugleich in Gefahr bringt. Allzu leichtfertig wird das Seelenheil verwirkt, wenn der Teufel aufspielt.

Helga Volkmann, geboren und aufgewachsen in Berlin, studierte Germanistik und Anglistik. Sie war bis 2004 langjähriges Präsidiumsmitglied der Europäischen Märchengesellschaft.
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Spiel


Der Sohn der ersten Frau und der Sohn der zweiten Frau


Es war einmal – und wenn es nicht gewesen wäre, so könnte ich es nicht erzählen – ein reicher Schafzüchter, der besaß viele Herden. Dazu hatte er eine Frau und einen Sohn. Als sein Sohn noch ein kleines Kind war, starb seine Frau.

Nach einer Weile hat er sich eine zweite Frau gesucht und hat wieder geheiratet. Und es dauerte nicht lange, da hat er auch von der zweiten Frau einen Sohn gehabt.

Als der ältere Sohn, der Sohn der ersten Frau, alt genug war, gab er ihm einen Teil seiner Herde und schickte ihn damit fort zum Weiden. Der Sohn der ersten Frau war ein schlechter Mensch, denn man hatte ihm bei der Taufe keinen guten Paten gegeben, sondern einen schlechten, einen fremden Kaufmann, der von Gott-weiß-woher stammt und seine Geschäfte treibt. Der Bursche zog mit seiner Herde am Haus des Kaufmanns vorbei. Der schaut aus dem Fenster heraus: »He, Patensohn!«

»He, Onkelchen!«

»Willst du nicht hereinkommen?«

Statt auf die Weide zu gehen, treibt der Bursche die Schafe in den Stall des Onkels, geht ins Haus und beginnt, mit seinem Paten zu trinken.

Trinken macht hungrig: Man geht und schlachtet ein Schaf. Und wenn das Schaf aufgegessen ist, schlachtet man wieder eins und dann noch eins. Nach sieben Wochen hatten sie die Herde aufgegessen und den Wein ausgetrunken. Nun bekam es der Bursche mit der Angst. »Wenn ich ohne Schafe heimkomme, wie wird mich mein Vater prügeln!«

»Mach dir keine Sorgen«, sagt der Kaufmann, »wenn du den Fluß aufwärts durch den Wald gehst, kommst du zu einem Hirten, der hat eine so große Herde, daß einer sie eigentlich nicht hüten kann. Wenn du es geschickt anstellst, kannst du ihm viele seiner Schafe stehlen, ohne daß er es überhaupt merkt.« Und er rät ihm, wie er das anstellen soll.

Der Bursche geht zu dem Hirten. »He, Alter«, spricht er zu ihm, »soll ich dir helfen, deine Schafe zu hüten?«

»Eigentlich brauche ich niemanden«, sagt der alte Hirte, »denn ich komme mit meinen Schafen ganz gut zurecht. Aber weil du nun schon einmal da bist und weil man in Gesellschaft besser lebt: Wenn du willst, so bleib hier!«

Der Sohn der Ersten blieb also da. Einige Zeit ging es ganz gut. Aber dann dachte der Bursche daran, was ihm der Böse eingegeben hatte. Und eines Abends zieht er aus seinem Sack eine Flasche Wein heraus und sagt: »He, Alter, wollen wir ein Gläschen trinken?«

Sie setzen sich zusammen und trinken, und der Alte, der den Wein nicht gewöhnt ist, bekommt einen Rausch und schläft ein. Das ist die Zeit für den Bösen. Der Sohn der Ersten zieht sein Messer und sticht dem Alten beide Augen aus. Dann nimmt er von den Schafen so viele, wie er treiben kann, und zieht mit ihnen davon. Er treibt die Schafe heim, und als ihn der Vater sieht, sagt er: »Richtig stolz bin ich auf dich, weil du aus einer kleinen Herde eine so große gemacht hast.«

Im nächsten Jahr sondert der Vater wieder eine kleine Herde ab und sprach zum Sohn der zweiten Frau: »So, nun ist es an dir, es so gut zu machen wie dein Bruder. Treib die Herde auf die Weide und sieh zu, daß du mit einer größeren heimkommst!«

Der Sohn der zweiten Frau nahm die Herde und zog fort. Als er am Hause seines Paten vorbeikam, schaute dieser gerade zum Fenster heraus. »Gesundheit, Söhnchen!«

»Gesundheit, Pate!«

»Willst du nicht hereinkommen, Bursche?«

»Ich habe leider keine Zeit, Pate, ich muß mit den Schafen zur Weide.«

»Mach dir keine Sorgen, komm herein, Guter! Mein Knecht wird die Schafe zusammen mit meiner Herde austreiben.«

Der Sohn der Zweiten geht ins Haus des Paten, der ein Schmied ist. Am Abend fragt ihn der Pate: »Wie geht es deinem Bruder?«

»Der Vater lobt ihn sehr, weil er seine Herde verdoppelt hat.«

»Und wie hat er das gemacht?«

»Das weiß ich auch nicht.«

»Dann will ich es dir sagen.« Und der Pate erzählt ihm die Missetat seines Bruders. Der Bursche ist traurig.

»Warum bist du traurig, mein Guter?« fragt ihn der Schmied.

»Ich bin traurig, wenn ich an den Diebstahl denke, und ich bin traurig, wenn ich an den blinden Hirten denke. Wenn ich ihm wenigstens helfen könnte!«

»So versuch es doch, mein Söhnchen«, sagte der Pate.

Am anderen Tag gab er dem Burschen ein Kartenspiel, versprach ihm, auf die Schafe aufzupassen, und ließ ihn davonziehen.

Der Bursche ging und ging, bis er zu dem blinden Hirten mit dem Rest seiner Herde kam.

»Wer ist da?« fragte der Blinde.

»Ich bin es«, sagte der Sohn der Zweiten.

»Und was willst du hier?« fragte der Blinde.

»Mein Pate hat mir erzählt, welches Schicksal euch getroffen hat, Väterchen, und ich bin gekommen, um euch die Herde hüten zu helfen.«

»Der Herrgott segne dich«, sagte der Alte, »es gibt doch noch gute Menschen und nicht nur Mörder und Betrüger.« Und er nahm ihn mit in seine Hütte.

Am nächsten Morgen sagte der Alte: »Sei vorsichtig und zieh nicht auf den roten Berg, denn dort lebt ein roter Dämon mit seinen Schafen, und der würde dich töten.«

»Hab keine Sorge, Väterchen«, sagte der Bursche, »ich will es schon richtig machen.« Und er trieb die Schafe gerade auf den roten Berg zu.

Da kommt auch schon der rote Hirte mit vielen roten Hunden.

»Bursche«, schreit er, »was willst du hier auf meinem Berg? Zur Strafe werde ich dich fressen!«

»Aber wer wird denn gleich so böse sein?« sagt der Sohn der Zweiten, »ich möchte dir ja nur etwas Gesellschaft leisten, weil du so allein bist. Hier, siehst du die Karten? Wollen wir Karten spielen?«

Der rote Hirte sieht die Karten und kann nicht widerstehen.

»Worum wollen wir spielen?« fragt er.

»Um Schafe natürlich«, sagt der Bursche.

Sie setzten sich hin und spielten. Zuerst verlor der Sohn der Zweiten, aber dann gewann er, und am Ende gehörte ihm die ganze Herde des roten Hirten. Er sprach: »Nimm du meine kleine Herde und laß mir die große. Hier auf dem Berg werden die Schafe sich gut vermehren, und du wirst bald wieder so viele Schafe besitzen wie früher. Ich hätte dir auch deine Herde nicht abgenommen, aber die Schafe sind nicht für mich, sondern für einen blinden Hirten, dem ich helfen will.«

Der rote Hirte besann sich und sagte: »Du bist ein guter Mensch, und so gebe ich dir folgenden Rat: Geh morgen mit deinen Schafen auf den blauen Berg! Dort ist mein Bruder, der blaue Hirte. Zeig ihm die Karten, dann wird auch er spielen wollen. Und mach alles so, wie du es heute gemacht hast!«

Der Sohn der Zweiten verabschiedete sich und trieb seine Herde zu dem blinden Hirten, der sich freute, daß der Bursche es verstanden hatte, die Herde zu vergrößern. Am nächsten Morgen sagte er: »Söhnchen, treibe die Herde nicht auf den blauen Berg, denn dort wohnt ein blauer Dämon, der frißt dich, sobald er dich sieht, und behält die Herde für sich.«

Gerade auf den blauen Berg hinauf aber trieb der Sohn der Zweiten seine Herde.

Der blaue Hirte kommt gleich auf ihn zu gerannt und schreit: »Wer wagt es, seine Herde auf meinen Berg zu treiben? Gleich werde ich dich fressen!«

»Halt, nicht so schnell!« schreit der Bursche, »dein Bruder, der rote Hirte, schickt mich. Er sagt, daß du gern Karten spielst. Hier: schau!« Und er zeigt ihm die Karten.

»Wenn du Karten spielst«, sprach der blaue Hirte, »so ist das etwas anderes. Aber worum wollen wir spielen?«

»Um Schafe«, sagte der Bursche.

»Aber du wirst mich nicht hereinlegen wie meinen Bruder«, sagte der blaue Hirte, »nimm dich in acht!«

Sie spielten, und der Sohn der Zweiten verlor und verlor, aber als er nur noch ein einziges Schaf hatte, da begann er zu gewinnen. Und er gewinnt und gewinnt, bis der blaue Hirte seine ganze Herde verspielt hat. Doch der Bursche läßt auch ihm die kleinere Herde und sagt, daß er die größere nicht für sich, sondern für einen blinden Hirten haben will.

»Wenn das so ist«, sprach der blaue Hirt, »dann bist du ein guter Mensch, und ich will dir helfen. Geh morgen mit deiner Herde auf den weißen Berg! Dort wohnt unser ältester Bruder, der weiße Hirt. Grüß ihn von mir und zeig ihm die Karten! Dann wird er spielen wollen, und du kannst alles so machen wie hier.«

Der Sohn der Zweiten verabschiedete sich und trieb seine Herde zu dem blinden Hirten. Der sprach am nächsten Morgen: »Söhnchen, treib die Herde nicht auf den weißen Berg! Dort haust ein weißer Dämon, der ist noch schlimmer als seine Brüder, der frißt alles, was zwei oder vier Beine hat.«

Gerade auf den weißen Berg jedoch trieb der Bursche seine Herde.

Wütend kommt der weiße Hirte gerannt. »Kerl, wer wagt es, meinen weißen Berg zu beschmutzen und seine Schafe hier heraufzutreiben? Auf der Stelle werde ich dich fressen!«

»Halt, das wirst du nicht«, schreit der Bursche, »denn dein Bruder, der blaue Hirte, schickt mich. Er sagt, dir ist so langweilig, und ich soll mit dir Karten spielen.«

Der weiße Hirte ist besänftigt, auch mit ihm spielt der Bursche um die Schafe. Sie spielen und spielen, der Sohn der Zweiten verliert und verliert. Da ist noch ein Schaf – und dann ist auch das noch verspielt.

»Ha!« schreit der weiße Dämon. »Ich bin nicht so dumm beim Spiel wie meine Brüder! Deine Herde gehört mir!«

»Und willst du nicht mehr weiterspielen?« fragt der Bursche.

»Wollen schon«, sagt der weiße Hirt, »aber worum soll es jetzt gehen?«

»Um mich!« sagt der Sohn der Zweiten. »Wenn ich wieder verliere, gehöre ich dir!« Sie spielen, und der Bursche gewinnt. Er gewinnt seine Schafe zurück und die Schafe des weißen Hirten noch dazu.

»Nun...


Volkmann, Helga
Helga Volkmann, geboren und aufgewachsen in Berlin, studierte Germanistik und Anglistik. Sie war bis 2004 langjähriges Präsidiumsmitglied der Europäischen Märchengesellschaft.

Helga VolkmannHelga Volkmann, geboren und aufgewachsen in Berlin, studierte Germanistik und Anglistik. Sie war bis 2004 langjähriges Präsidiumsmitglied der Europäischen Märchengesellschaft.



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