Propädeutik zur Geschichte krebstherapeutischen Handelns im "Dritten Reich"
E-Book, Deutsch, 500 Seiten
ISBN: 978-3-7526-9371-3
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Autoren/Hrsg.
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Vorwort
Eine Begegnung von medizinhistorischer Bedeutung
Ein posthumes Gespräch und eine Würdigung der medizinjournalistischen Arbeit von Dr. Markus Weber. Es muss wohl Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts gewesen sein, dass ich mit Markus Weber in Kontakt kam. Er war damals nach dem Studium der Deutschen Philologie, der Romanischen Philologie und Philosophie als Redakteur bei verschieden Verlagen tätig um, dort aktuelle medizinische Themen zu bearbeiten; sicher eine Einnahmequelle um als junger Journalist seinen Lebensunterhalt zu verdienen, aber intellektuell völlig unterfordert als eine journalistische Persönlichkeit mit Ehrgeiz, die bei den Professoren Ulrich Wienbruch, Wilhelm Voßkamp, Werner Keller und Edgar Mass in Köln studierte. Es überraschte mich, dass er mich eines Tages anrief und um fachlichen Rat fragte – zu diesem oder jenem trivialen Thema in der gesundheitlichen Boulevardaufklärung. Im Gespräch mit Markus Weber fiel mir sofort auf, hinter diesem werdenden Journalisten steckt weit mehr, als es für den gemeinen Boulevardleser notwendig war, um ein medizinisches Thema auf einem sehr reduzierten Niveau abhandeln zu müssen. Dies ist keine Kritik – jeder beginnt dort, wo er kann – sondern es ist eine Feststellung und es war eben damals nicht so leicht im Journalismus, wollte man sein ehrliches Gesicht bewahren, den Lebensunterhalt zu verdienen. Markus Weber machte eben in dieser Zeit das Beste, was er konnte, journalistisch gut zu arbeiten. Als Hochschullehrer interessierte mich seine Persönlichkeit und deshalb hielt ich mit Markus Weber einen lockeren Kontakt im Austausch zu medizinisch relevanten Themen, die damals einen bestimmten Mitteilungswert in der Boulevardpresse hatten. Das genügte mir aber nicht und ich dachte, in Markus Weber kann man ein Flämmchen anzünden, das ein journalistisches Fass zum Brennen bringt. Ich sollte nicht enttäuscht werden. In unverbindlichen und lockeren Gesprächen dachten wir nach, welche Themen wir in unser beiden Expertise begründet, bearbeiten könnten, die damals gesellschaftspolitisch noch sehr vernachlässigt waren, aber eine historische Bedeutung haben. Als Arzt und Immunologe stellte ich immer wieder fest, dass eine große Zurückhaltung in Teilen der Ärzteschaft und bei den Organen der ärztlichen Selbstverwaltung bestand, die Verstrickungen der Ärzte und der Standesorganisationen im verbrecherischen NS-Regime historisch aufzuarbeiten. Nur wenig profunde Literatur – vor allem deutschsprachig – war damals vorhanden, und nur aus einigen verborgenen Ecken heraus wagten Autoren und letzte Zeitzeugen jene retrograden Amnesien aufzuzeigen, die Ärzte, Professoren und Ordinarien sowie Ärztefunktionäre nach 1945 befallen hatten, um wieder in ihre Ämter – entnazifiziert – zurückkehren zu können. Den Selbstverwaltungskörperschaften der deutschen Ärzteschaft konnte man in den 80-iger und 90-iger Jahren noch den berechtigten Vorwurf machen, dass sie sich nicht oder nicht ausreichend mit den Ereignissen in den Jahren 1933 bis 1945 und auch später noch beschäftigt haben. Es ist nicht zu leugnen, dass Ansätze dazu immer mal vorhanden waren, aber welche Interessenskonflikte die nähere Beschäftigung damit verhindert haben, bleibt auch heute noch dubios. Ich schlug Markus Weber vor, dass wir uns auch nach 60 Jahren mit den Irrungen, Wirrungen und Verbrechen in Teilen der Ärzteschaft und der Standesorganisationen im NS-Regime befassen sollten – mit besonderer Referenz zur Immunologie und Onkologie. Wir diskutierten heftig darum, sind wir dazu geschichtlich und gesellschaftspolitisch legitimiert und kamen immer wieder zu dem Punkt und zur Frage, wer denn sonst als wir, die wir unbelastet als kritische Akademiker uns den geschichtlichen Fragen nähern konnten. Es ging nicht um Anklage und Schuldfragen, das sollte schon hinreichend und notwendig im Nürnberger Ärzteprozess abgearbeitet worden sein – aber leider dort nur sehr unzureichend, weil eine geschickte Unterscheidung zwischen dem Arzt als Patientenbetreuer und dem Arzt in seiner Neugier zur Forschung so manches Verbrechen verdeckt hat. Es ging uns darum verstehen zu lernen, warum Teile einer Ärzteschaft und einer ärztlichen Selbstverwaltung für einen verbrecherischen Staat instrumentalisiert werden konnten. Wir wendeten das Traktat von Friedrich Nietzsche „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ für unsere mögliche Legitimation daran zu arbeiten von unten nach oben, von einer Seite zur anderen Seite: „Denn da wir nun mal die Resultate früherer Geschlechter sind, sind wir auch die Resultate ihrer Verwirrungen, Leidenschaften und Irrtümer, ja Verbrechen; es ist nicht möglich sich ganz von dieser Kette lösen. Wenn wir jene Verirrungen verurteilen und uns ihrer für enthoben erachten, so ist die Tatsache nicht beseitigt, dass wir aus ihnen herstammen“ (Zitat). Markus Weber, als Sprachwissenschaftler und Philosoph hatte aber den Mut, sich aus dieser Kette zu lösen, um mit meiner bescheidenen Hilfe aus den Naturwissenschaften – hier Immunologie und Onkologie – eine umfassende Dokumentation vorzulegen, die bis heute auf diesem speziellen Gebiet der Medizin im Hinblick auf die Machenschaften im „Dritten Reich“ noch die führende medizinhistorische Aufarbeitung ist – von vielen gelesen, aber auch von manchen ignoriert. Markus Weber stellte seine Dokumentation unter ein Wort von Georg Santayana (1863 – 1952): „Those who cannot remember the past are condemned to repeat it“. Aus: „The life of reason of the phases of human progress“. Markus Weber war es auch in seiner journalistischen Arbeit immer wichtig, über das zu schreiben, was sich nicht mehr schuldhaft wiederholen darf, die bösartige Einmaligkeit darf keine Zweimaligkeit in keiner Generation mehr finden – in keiner Ärztegeneration und ärztlichen Selbstverwaltung. Der Titel seiner Dissertationsschrift ist sein mahnendes Vermächtnis: „Krebsmetaphorik und NS-Ideologie: Propädeutik zur Geschichte krebstherapeutischen Handelns im „Dritten Reich“ Markus Weber führte für seine Dokumentation – ungewöhnlich im Journalismus – das Wort „Propädeutik“ bewusst im Titel ein. Die Dokumentation sollte logisch und semantisch auf das Unrecht medizinischen Handelns im „Dritten Reich“ hinführen und dem Leser, der Leserin überlassen, welche Erkenntnisse und Denkfiguren er/sie ableiten können oder wollen. Markus Weber und auch mir war es während der langen Arbeit immer klar, wir ernten erstmal wenig Dank, vielmehr Ignoranz und selbstherrliches Verleugnen. Das war auch der Grund, neben der notwendigen wissenschaftlichen Redlichkeit, hier ein fein recherchiertes und ziseliertes Schriftwerk zu verfassen, das eine große Kritikimmunität aufweist – so konnten in gemeinsamen Besuchen in Archiven, z.B. in Argentinien (National Academy of Sciences, Buenos Aires) so manches Dokument gefunden werden, das bedeutende Aussagen zum Geschehen im Nationalsozialismus aufgezeigt hat. Markus Weber konnte die Informationen zu einem Wissen gestalten – mit Recht zum Dr. Markus Weber! Viel Zeit und Herzblut ist in dieses, sein Werk geflossen. Oft blättere ich noch in dem unvollkommenen Manuskript, das ich in Etappen lesen durfte, musste und mit Anmerkungen versehen habe. Ich frage ihn heute noch, wann er neben seiner Arbeit, den Lebensunterhalt zu verdienen, diese Niederschrift mit allen Feinnuancen der unzähligen Anmerkungen, Randnotizen und Zitate verfasst hat. Ich frage ihn mit welchen Visionen er erahnt hat, dass die Literatur zu den NS-Verbrechen von Teilen der deutschen Ärzteschaft anwachsen wird und seine Ausführungen dazu einen wissenschaftlichen, gesellschaftspolitischen, soziologischen und standespolitischen Impuls gegeben haben werden – immer unter dem Aspekt der Propädeutik, des Hinführens zum Verstehen und nicht des Verurteilens im Sinne einer Persönlichkeitsspaltung der Handelnden, die sich in zwei Funktionen in einer Person gefunden haben: dem Arzt als fürsorglichen Bürger, Patienten- und Familienvater und dem Arzt als neugierigen Forscher ohne Grenzen, eben durch keine Ethik begrenzt, vermeintlich aber alles tun zu dürfen, um Krankheiten zu bekämpfen, weil es das Regime so wollte. Hier kommt erneut eine Weitsicht von Markus Weber hinsichtlich der medizinischen Forschung ins Spiel – sind wir heute nicht wieder an einem Punkt medizinischer Forschung angelangt, wo reich gegen arm, wissend gegen unwissend, mächtig gegen ohnmächtig ausgespielt wird. Hier ist das Wort „Spiel“ in seiner Etymologie voll angebracht – betreiben wir nicht, wie es sich in COVID-19 Zeiten abbildet, gewinnbringende globale Tanzbewegungen, die den Mächtigen in ihrer pharmakologischen und medizinischen Determinationsmacht kapitalistisches Vergnügen bringen? Gerade das wollte und will er, wenn ich Dr. Markus Weber über seinen Tod hinaus richtig verstanden habe, mit dieser Dokumentation betonen: so – nie wieder! Es gibt für den Menschen in seiner Not und seinem Leid keine Triage – es gibt nur...