Zapperi Zucker | Zwischen Lemberg und Meran | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 210 mm, Gewicht: 295 g

Zapperi Zucker Zwischen Lemberg und Meran

Roman eines Umbruchs
2. Auflage 2020
ISBN: 978-3-943810-79-0
Verlag: VoG - Verlag ohne Geld
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman eines Umbruchs

E-Book, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 210 mm, Gewicht: 295 g

ISBN: 978-3-943810-79-0
Verlag: VoG - Verlag ohne Geld
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Lemberg zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Der erste Weltkrieg steht vor der Tür, aber keiner weiß es, jeder ist mit seinem privaten, täglichen Kleinkrieg beschäftigt. Die Familie Bodinsky wird durch eine junge Huzulin aufgeschreckt, deren ungezügelter Erotik nicht nur der Hausherr, sondern auch dessen Frau verfällt. Das Ganze endet in einer Katastrophe, die sich aber als unwichtig erweist im Vergleich mit den Umwälzungen des ersten Weltkriegs, der eben ausbricht. Pan Bodinsky, der aus gesundheitlichen Gründen nach Meran gezogen ist, erlebt dort das Kriegsende. Anfang des Jahres 1919 reist er nach Wien, auf der Suche nach seiner Tochter, wo der Roman zu einem überraschenden Ende kommt.

Der Roman wurde lange vor den aktuellen Ereignissen in der Ukraine geschrieben und in einem Anhang erfährt der Leser, wie die Autorin das Land 2010 erlebt hat.

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Beim Teufelsbaum
Der Sommer des Jahres 1906 war besonders heiß. Auf dem Land fiel das Atmen tags wie nachts schwer. Nachdem sie sich wiederholt in den feuchten Bettlaken umgedreht hatte, stand Franziska Bodynska, Pani Bodynska für ihre Leute, noch müde, oder eher unzufrieden wieder auf. Eine weitere überstandene Nacht, das einzige Gefühl der Erleichterung, mit dem es einen neuen Tag zu bewältigen galt. Sie schlief schlecht, und dieser leichte Schlaf zwischen dem einen und anderen Hochschrecken war immer von beunruhigenden Träumen gestört: seit einiger Zeit hatte sie wieder angefangen, von einer sich schließenden Tür zu träumen. Nichts weiter. Doch das reichte aus, sie aus dem Schlaf zu reißen, keuchend, in der Gewalt unsinnigster Ängste. Was gibt es Harmloseres als eine Tür, die sich von allein schließt, gestoßen von einer mysteriösen Hand. Was verbarg sich dahinter? Wessen Hand war das, die die Tür bewegte? Dahinter, sie war sich dessen gewiss, war etwas im Begriffe zu geschehen, etwas, das sie über alle Maßen erschreckte, und sie wusste nicht was. Aufgewacht, wühlte sie verzweifelt in ihrer Erinnerung, war aber nicht in der Lage, diese Szene mit etwas wirklich Vorgefallenem in Verbindung zu bringen. Sie dachte an alle Türen ihrer Kindheit, denn – zumindest dessen war sie sich sicher – es hatte mit ihrer Kindheit zu tun, doch konnte sie sich an keine Tür im Besonderen erinnern. Die Nacht war ihr Feind. Sie hasste es, zu Bett zu gehen, zog es vor, auf dem Sofa ausgestreckt zu schlummern, angekleidet, immer bereit aufzustehen; doch am Abend, wenn der Himmel sich zu verdunkeln begann, mochte sie auch die Sofas nicht mehr; sie wusste, dass sich die offizielle Stunde der Bettruhe näherte und benahm sich geradezu wie ein verzogenes Mädchen, gerade sie, die als Kind nie so gewesen war, daran erinnerte sie sich äußerst präzise. Erst einmal zu Bett gegangen, lag sie dann stundenlang wach, oder glaubte es zumindest, bis ihr der nächste Alptraum das Gegenteil bewies. Als sie endlich das erste Tageslicht durch die Fensterläden sickern sah, entschloss sie sich, an der Klingelschnur zu ziehen. Sie wollte aufstehen, benötigte Hilfe, guten Zuspruch auch. In ihr war die Trägheit, die Passivität des Kindes, das gewohnt war, sich leiten, anziehen, waschen zu lassen, ohne jede Initiative, mehr noch: willenlos. Es handelte sich nicht um Launen: sie mochte es nicht, ihren eigenen Körper zu berühren, nicht einmal, um sich anzuziehen, sich zu waschen. Ein Unbehagen, unter dem sie mittlerweile seit Jahren litt, vielleicht seit jeher. Jener Körper war ihr fremd. Sie zog es vor, sich fix und fertig angekleidet zu sehen, so, wie die anderen sie sahen. Niemals hatte sie auch nur der Gedanke gestreift, sich nackt im Spiegel anzusehen, nicht einmal als Mädchen. Es handelte sich nicht um übertriebene Scham, sondern nur um Ablehnung ihrer selbst; eine radikale Ablehnung, deren sie sich selbst nicht bewusst war. Jetzt, vierzig Jahre alt, sah sie sich als betagte Frau, und weniger denn je akzeptierte sie ihren Körper. Nur in ihrem Gesicht suchte sie jeden Morgen Anzeichen der Vergänglichkeit, das eine oder andere kleine Fältchen um die Augen, die leicht pergamentene Haut, zwei ausgeprägte Falten um die Mundwinkel … das Schauspiel ihres eigenen Niedergangs raubte ihr jenes letzte Quäntchen Elan, das ihr hätte helfen können, den Tag in Angriff zu nehmen. Dann waren die aufgelösten Zöpfe dran, jene Zöpfe, die jahrelang Anlass zu Stolz gegeben hatten, vielleicht auch das einzig wirklich Schöne an einer in jeder Hinsicht wenig attraktiven Person; es hieß, zu anderen Zeiten, dass nur Kaiserin Elisabeth schönere Zöpfe hätte. Jetzt hatten sie an Fülle und Glanz und auch an Dichte eingebüßt. Sogar die rötlich blonde Farbe hatte sich zum banalsten Kastanienbraun gewandelt, und dann war da die Demütigung der immer zahlreicheren grauen Haare. Nur die beinahe katzenhaft smaragdgrünen Augen behielten weiterhin die unnahbare, eiskalte Transparenz eines Kristalls und eine entwaffnende, kindliche Unschuld, die ihr Gegenüber verwirrte und beunruhigte. Ihre Weigerung erwachsen zu werden, spiegelte sich in diesen, nun immer häufiger von einem Schleier der Melancholie getrübten Augen. Teilnahmslos ließ sie sich von ihrer alten Zofe helfen, das Korsett zu schnüren, die langen Haare in Ordnung zu bringen, während sie fortfuhr, sich im Spiegel zu mustern, vielleicht auf der Suche nach einer Erscheinung, die sie nicht zu finden vermochte. Schließlich ging sie aus dem Haus. Seit sie in der Villa war, das heißt, seit Anfang Juni, hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, vor dem Frühstück mit der Kutsche auszufahren; sie liebte es, über ihre Ländereien zu fahren, die frische, noch von den nächtlichen Düften gesättigte Luft zu atmen, sich noch halb verschlafen wie ein kleines Mädchen in ihrem Kinderwagen aus dem Haus bringen zu lassen, willenlos, in eine Art Schläfrigkeit gehüllt, in der sie sich durch den Tag schleppte. Fern, fast eine Fata Morgana, zeigten sich die Berge noch in einen leichten Dunst gehüllt. Die ersten Sonnenstrahlen würden die Nebel vertreiben, die noch über das darunter liegende Land zogen. Pani Bodynska würdigte die Berge keines Blickes. Auch die Pflanzen in ihrem Garten weckten kein Interesse in ihr; nur einem Baum, alt und mittlerweile hohl, ungefähr hundert Meter von der Villa entfernt, isoliert auf einer kleinen Erhebung stehend, schenkte sie ihre Aufmerksamkeit. Es war, als erwarte sie sich gerade von diesem Baum das Wunder, das außergewöhnliche Etwas, das endlich die Monotonie der Tage zerreißen könnte. Vielleicht wollte sie sich auch nur seiner Gegenwart vergewissern. Jeden Morgen überzeugte sie sich davon, dass er nicht gleich einem nächtlichen Gespenst mitsamt seinem Bewohner verschwunden war, denn davon war sie, wie alle Menschen der Gegend, fest überzeugt: dieser Baum war bewohnt. Der Baum, der der ganzen Gegend seinen Namen gegeben hatte – Pod diabelskim drzewem, beim Teufelsbaum – hatte seine besondere, ziemlich makabere, für die Gegend typische Geschichte. Ungefähr hundert Jahre zuvor, so erzählte man sich, hatte man, an einem dicken Ast jenes Baumes hängend, einen Mann gefunden. Erhängt. Man konnte ihn von weitem baumeln sehen, leicht im Wind schaukelnd. Ein Leichtgewicht übrigens; einige Knochen und ein paar Gramm Fleisch, zusammengehalten von einigen stinkenden Fetzen. Niemand wusste, wovon der Mann – ein allen wegen seiner Brutalität bekannter Säufer – gelebt hatte; immer, wenn er einen Kreuzer besaß, versoff er ihn sofort in der Dorfschenke. Niemand dachte an einen Selbstmord; warum hätte er sich auch umbringen sollen? Wäre es wegen der Armut gewesen, dann hätte das ganze Dorf Selbstmord begehen müssen. Man bringt sich nicht vor Hunger um, das wussten alle; der Tod kommt von allein, er kennt seinen Weg, man muss ihn nicht rufen. Aber die Menschen aus dem Ort brauchten eine Erklärung, und so kam der Teufel ins Spiel, die Kobolde, alles andere als unschuldige Gestalten, Zwerge, Wegelagerer. Jemand behauptete, es habe sich um die Rache einer Alten gehandelt, bei der der Mann nachts einige Stunden verbrachte; niemand konnte sich aber vorstellen, wie sie ihn so hoch oben hätte aufhängen können. Nach langen Diskussionen kam man zu einem Schluss: Er war aufgehängt worden, daran gab es keinen Zweifel, und der Teufel hatte seine Finger im Spiel. Seit damals erhielt der Baum, die ganze Gegend inbegriffen, den Namen „Beim Teufelsbaum“, obwohl die Bezeichnung „Baum des Gehängten“ viel zutreffender gewesen wäre. In diesem Falle aber wäre die magische Seite zu kurz gekommen, die für das Ritual wichtig war, das augenblicklich seinen Anfang nahm: Jeder, der am Baum vorbeikam, musste sich drei Mal bekreuzigen und spucken. Wer weiß warum, es genügte, drei Mal in Richtung des Teufels zu spucken – nach vorn, nach hinten und nach links, und dann? Die rechte Seite blieb ungeschützt, niemandem fiel das aber jemals auf. Aber die Drei, das weiß man, ist ja an sich eine magische Zahl. Da der Baum auf einer Anhöhe stand, konnte man jedenfalls schon von weitem sehen, wenn dort jemand herumgestikulierte, als wäre er in einen Wespenschwarm geraten. Bestätigung fand die Teufelstheorie kurz darauf, als ein Blitz in einer stürmischen Nacht ausgerechnet in jenen Baum einschlug; unnütz hinzuzufügen, dass es zum Fest des heiligen Elias, dem Gott des Blitzes geschah. In dieser Gegend, in der die christliche Religion friedlich mit der Mythologie zusammenlebte, konnte das nur eine Bedeutung haben: Der heilige Elias hatte versucht, den Teufel zur Strecke zu bringen. Aber es war ein Duell mit ebenbürtigen Waffen, und tatsächlich ist der Teufel durch einen der vielen Tricks, die nur er kannte, auch dieses Mal davongekommen; der Baum wurde zwar in der Mitte gespalten, einige Äste und Teile der Rinde hatten Feuer gefangen und mehr oder weniger großen Schaden genommen, doch keinen so großen, als dass der Baum nicht ungestört bis zum...


Zapperi Zucker, Ada
Ada Zapperi Zucker ist in Catania geboren und hat in Rom Klavier und Gesang studiert und dieses Studium an der Musikhochschule Wien beendet. Gleichzeitig hat sie für Dizionario Biografico degli italiani dell'Istituto Treccani, Enciclopedia dello Spettacolo und Enciclopedia Universo De Agostini gearbeitet. Als Opernsängerin war sie hauptsächlich außerhalb Italiens tätig, derzeit unterrichtet sie Gesang in Deutschland und in Südtirol.
Von dem südtiroler Maler Gotthard Bonell wurde sie in Malerei unterrichtet.
Sie lebt seit vielen Jahren in München, ist mit einem Österreicher verheiratet und hat zwei Kinder.



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