Adloff / Büttner / Moebius | Kultursoziologie | Buch | 978-3-593-50210-6 | sack.de

Buch, Englisch, 528 Seiten, Format (B × H): 151 mm x 228 mm, Gewicht: 847 g

Reihe: Campus Reader

Adloff / Büttner / Moebius

Kultursoziologie

Klassische Texte - Aktuelle Debatten. Ein Reader

Buch, Englisch, 528 Seiten, Format (B × H): 151 mm x 228 mm, Gewicht: 847 g

Reihe: Campus Reader

ISBN: 978-3-593-50210-6
Verlag: Campus Verlag GmbH


Welche Rolle spielt Kultur in der Gesellschaft? Bereits in den Anfängen der Soziologie haben sich die Klassiker des Fachs wie Max Weber und Georg Simmel intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Und auch gegenwärtig wird in der Soziologie intensiv über eine 'neue Kulturtheorie' diskutiert. Anhand einer Auswahl von zentralen Texten vermittelt dieser Reader einen Überblick über die Kultursoziologie von ihren klassischen Anfängen bis zur Gegenwart. Das Buch gibt einen Einblick in die Spezifik kultursoziologischer Fragestellungen und die internationalen Debatten der letzten Jahre. Folgende Bereiche werden in diesem Reader behandelt: Kultur und Sozialstruktur, Kultur und Natur, Handlung und Performanz, Wissen und Kognition, Körper und Affekt, Kultur und Symbol, Moderne Subjekte, Theorien der Moderne.

Mit Texten von Karl Marx, Max Weber, Émile Durkheim, Georg Simmel, Maurice Halbwachs, Talcott Parsons, Helmuth Plessner, Marcel Mauss, Karl Mannheim, Jeffrey Alexander, Niklas Luhmann, Pierre Bourdieu, Arlie R. Hochschild, Michael Tomasello, Bruno Latour, Michel Foucault, Raymond Williams, Michèle Lamont, Ronald Inglehart, Shmuel N. Eisenstadt und anderen.
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Weitere Infos & Material


Inhalt

Zur Einführung 9

Teil I

Grundlegungen der Kultursoziologie

1. KULTUR VERSUS SOZIALSTRUKTUR

Einführung 23

Die deutsche Ideologie

Karl Marx, Friedrich Engels 35

Religion und Lebensführung

Max Weber 49

Das Geld in der modernen Kultur

Georg Simmel 72

Die elementaren Formen des religiösen Lebens

Émile Durkheim 84

Kollektives und historisches Gedächtnis

Maurice Halbwachs 109

The Concepts of Culture and of Social System

Alfred L. Kroeber, Talcott Parsons 127

2. KULTUR VERSUS NATUR

Einführung 130

Lachen und Weinen: Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen

Verhaltens

Helmuth Plessner 139

Die Techniken des Körpers

Marcel Mauss 153

Zur Soziologie der Soziologie

Karl Mannheim 174

Eine behavioristische Erklärung des signifikanten Symbols

George Herbert Mead 190

Teil II

Aktuelle Tendenzen und Entwicklungen

1. WISSEN UND KOGNITION

Einführung 199

Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit

Peter Berger, Thomas Luckmann 204

Sprache und Identität

Anselm L. Strauss 222

Kultur als historischer Begriff

Niklas Luhmann 231

2. HANDLUNG, PRAXIS, PERFORMANZ

Einführung 244

Culture in Action: Symbols and Strategies

Ann Swidler 249

The Myth of Cultural Integration

Margaret S. Archer 263

Social Performance between Ritual and Strategy

Jeffrey C. Alexander 272

3. KÖRPER UND AFFEKT

Einführung 284

Sozialer Sinn: Kritik der theroretischen Vernunft

Pierre Bourdieu 288

Emotion Work, Feeling Rules, and Social Structure

Arlie R. Hochschild 299

4. NATUR UND KULTUR

Einführung 321

Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens

Michael Tomasello 326

Ein Kollektiv von Menschen und nichtmenschlichen Wesen

Bruno Latour 341

5. KULTURELLE GRENZZIEHUNGEN

Einführung 362

The Analysis of Culture

Raymond Williams 367

Das Wesen der Tugend: Symbolische Grenzen in der französischen und amerikanischen oberen Mittelklasse

Michèle Lamont 377

Über Identität hinaus

Rogers Brubaker, Frederick Cooper 397

6. MODERNE SUBJEKTE

Einführung 422

Subjekt und Macht

Michel Foucault 428

Die "Akteure" der modernen Gesellschaft: Die kulturelle Konstruktion sozialer Agentschaft

John W. Meyer, Ronald L. Jepperson 446

Doing Gender

Candace West, Don H. Zimmermann 469

7. KULTUR(EN) DER MODERNE(N)

Einführung 489

Mapping Gobal Values

Ronald Inglehart 493

Die Vielfalt der Moderne aus einer weberianischer Perspektive

Shmuel N. Eisenstadt 513


Zur Einführung
Frank Adloff, Sebastian M. Büttner, Stephan Moebius und Rainer Schützeichel

Der vorliegende Reader ist aus Lehrerfahrungen im Bereich der Kultursoziologie hervorgegangen und das Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses. Die Kultursoziologie stellt ein großes und unübersichtliches Feld dar. Lehrende stehen daher regelmäßig vor der Frage, welche Texte geeignet sind für eine profunde und zugleich ansprechende Einführung in dieses Feld. Vor die Frage der richtigen Auswahl sahen sich auch die vier Herausgeber dieses Bandes in ihren Lehrveranstaltungen immer wieder gestellt. Als wir im Jahr 2010 begannen, erste Überlegungen zu einem Reader mit einschlägigen Texten zur Kultursoziologie anzustellen, waren wir uns einig, dass ein solcher Reader keinen einseitigen Blick auf die Kultursoziologie geben sollte. Da unser jeweiliges Verständnis von Kultursoziologie differiert, sahen wir in unseren unterschiedlichen Neigungen und Schwerpunktsetzungen eine Chance, verschiedene Perspektiven unter einem Dach zu vereinen. Unser oberstes Kriterium der Textauswahl war dabei die Verwendbarkeit des Readers in der Lehre. So sollte die Publikation eine Sammlung von breit anerkannten und einschlägigen Texten aus unterschiedlichen Zeiten und Bereichen der kultursoziologischen Diskussion bereitstellen. Einige der in diesen Band aufgenommenen Texte sind Auszüge aus Büchern, andere haben die Form von Artikeln. Es handelt sich ausschließlich um Originaltexte, das heißt um klassische und exemplarische Texte einer Forschungstradition, während auf Sekundärtexte bzw. Überblicks- und Einführungsartikel verzichtet wurde. Mit dem Ziel vor Augen, die jeweils zentralen Argumentationslinien herauszustellen und damit für die Lehre besser verwendbar zu machen, wurden die Texte an manchen Stellen leicht gekürzt. Auch Fußnoten und Verweise wurden dabei reduziert. Da die Texte speziell für diesen Reader neu bearbeitet wurden, sind alle Texte konsequent in neuer deutscher Rechtschreibung abgedruckt.
Zwei Grundsatzentscheidungen der Textauswahl seien noch erwähnt: Wir wollten keine Priorisierungen oder Privilegierungen jüngerer deutschsprachiger Autoren vornehmen, so dass wir komplett darauf verzichtet haben, neuere Texte deutschsprachiger Autoren aufzunehmen. Zudem ist unser Ziel, die deutschsprachige Soziologie und vor allem den soziologischen Nachwuchs stärker an die internationalen Debatten heranzuführen. Daher haben wir einige Texte aus der angelsächsischen Diskussion in den Band aufgenommen und, soweit sinnvoll, in englischer Sprache belassen. Auch haben wir darauf geachtet, dass nicht allzu viele Texte enthalten sind, die bereits in anderen Readern abgedruckt wurden. Aus den beiden letztgenannten Gründen haben wir keine Texte der Begründer der deutschen Kultursoziologie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgenommen, obgleich diese natürlich für den Aufbau und die Wiederbelebung der Kultursoziologie im deutschsprachigen Raum seit den 1970er Jahren sehr wichtig waren. Für die klassischen Texte der neueren deutschen Kultursoziologie gibt es mittlerweile einen eigenen Reader (vgl. Moebius/Albrecht 2013), sodass dieser Band sich verstärkt der Darstellung anderer Querverbindungen und Bezüge widmen kann.
Erste Entwürfe unserer Textauswahl diskutierten wir auch mit Fachkolleginnen und -kollegen. Daher gilt unser besonderer Dank Thorsten Bonacker, Matthias Koenig, Andreas Langenohl und Anja Weiß für ihre Bereitschaft, unsere Auswahl genauer unter die Lupe zu nehmen und ausführlich zu kommentieren. Wir sind uns im Klaren, dass wir es ihnen (und auch uns) mit der endgültigen Festlegung der Texte keinesfalls hundertprozentig recht machen können. Denn aus Platzgründen mussten wir auf viele Texte verzichten, die ihnen und auch uns am Herzen lagen, oder sie wurden deshalb nicht ausgewählt, weil sie schon mehrmals an anderen Orten und in anderen Textsammlungen abgedruckt wurden. Insofern ist der vorliegende Reader das Ergebnis von komplexen Aushandlungs- und Abwägungsprozessen und spiegelt nicht zuletzt auch Schwerpunktsetzungen der Herausgeber wider.
Warum noch ein weiteres Buch zum Thema Kultur, wird sich der eine oder die andere fragen. Denn durchforstet man den Buchhandel oder das Internet, wird man "kulturell" geradezu erschlagen: "Kultur" ist im großen Stil auf dem Buchmarkt präsent. Dies ist zunächst sicherlich aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Debatten geschuldet. Denken wir nur an Stichworte wie "Unternehmenskultur", "Transnationalisierung" oder "Globalisierung" und die damit verbundene Zunahme von "Trans-" und "Interkulturalität", an den massiven Kulturwandel durch Informations- und Kommunikationstechnologien oder die Neubestimmung des Verhältnisses von "Kultur" und "Natur" in aktuellen Debatten zur Hirnforschung, zur Gentechnik und in der Evolutions- und Neurobiologie. Die gegenwärtige Konjunktur des Kulturbegriffs ist aber auch Ausdruck einer massiven Aufwertung des interdisziplinären Felds der Kulturwissenschaften in den vergangenen Jahren. Diese Aufwertung ist zum einen der verstärkten Umwidmung von ehemals geisteswissenschaftlichen Disziplinen zur "Kulturwissenschaft" zu verdanken, zum anderen durch neue Formen der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen (etwa in Form von Graduate Schools und interdisziplinären Forschungszentren) bzw. durch disziplinenübergreifende Theoriedebatten befördert worden, wie jene um den linguistic turn, den cultural turn, den practice turn, den iconic turn, den material turn, den body turn etc. sowie durch neuere postkonstruktivistische Debatten um "Präsenz", "Performanz" und "hybride Sozialität".
Während der Planung eines Einführungskurses in die Kultursoziologie stößt man folglich allein im deutschsprachigen Raum auf eine Flut von Einführungsbüchern und Überblickswerken zum Kulturbegriff, zur Kulturtheorie sowie zum cultural turn in der Soziologie und in den angrenzenden Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften (vgl. etwa Moebius und Quadflieg 2006; Bonacker und Reckwitz 2007; Moebius 2009 und 2012; Hoffman et al. 2008 und 2009; Junge 2009; Wohlrab-Sahr 2010; Kimmich et al. 2010; Bachmann-Medick 2009; Wirth 2009; Borgards 2010; Leggewie et al. 2012; Lichtblau 2012; Langenohl et al. 2014). Diese Bücher haben die Renaissance und die Hochkonjunktur der Kulturforschung in Deutschland umfassend dokumentiert, begleitet und auch mitbefördert. Der Schwerpunkt der meisten verfügbaren Publikationen liegt jedoch auf der Darstellung des erwähnten cultural turn in den zeitgenössischen Sozialtheorien sowie der Besonderheiten der "neuen" Kulturtheorien. Die wichtigsten Beiträge und methodologischen Grundpositionen der Kultursoziologie werden meist nur indirekt über Kommentare und Einführungstexte dargestellt, also durch Texte über Texte vermittelt. Dagegen herrscht bislang - zumindest im deutschsprachigen Raum - ein Mangel an Textsammlungen, die zentrale Texte und Diskussionen der Kultursoziologie von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert bis zu den aktuelleren Debatten vereinen.
Im englischsprachigen Raum zeigt sich bereits seit einigen Jahren ein anderes Bild: Dort findet sich der von Jeffrey C. Alexander und Steven Seidman herausgegebene Reader Culture and Society. Contemporary Debates (1990), der von Lynette Spillman (2001) herausgegebene Band Cultural Sociology und der Reader Cultural Sociology. An Introductury Reader (2013), herausgegeben von Matt Wray. Ein Unterschied zum vorliegenden Reader besteht darin, dass die genannten Publikationen theoretische und empirische Perspektiven in der Regel nur häppchenweise auf jeweils kaum zehn Seiten präsentieren. Diese Präsentationsform bietet zwar ein breites Spektrum an Perspektiven und Texten, lädt aber nicht dazu ein, Theoriebildungen und empirische Ergebnisse in ihren Argumentationsschritten und Kontextualisierungen verstehend nachzuvollziehen.
Dagegen will der vorliegende Reader die Besonderheiten der kultursoziologischen Forschungsperspektive und -tradition anhand der Textauswahl herausarbeiten. Insofern hebt er sich stärker als andere Einführungen und Überblicksbände von der allgemeinen kulturtheoretischen Diskussion und der interdisziplinären Kulturforschung ab, ohne dabei die Fruchtbarkeit der zunehmenden Interdisziplinarität in den "Kulturwissenschaften" in den vergangenen Jahren in Frage zu stellen. Das Hauptaugenmerk liegt in diesem Reader auf der Darstellung von zentralen Diskussionen der Kultursoziologie und nicht in erster Linie auf der Darstellung allgemeiner Konzepte und Theorien der Kulturwissenschaften oder einer "Soziologie der Kultur" (als Analyse der ausdifferenzierten Handlungssphären des Kulturellen wie der bildenden Kunst, der Musik oder der Literatur). Auf diese Weise können die Hauptthemen der Kultursoziologie und die spezifisch soziologischen Perspektiven im weiten Feld der Kulturwissenschaften deutlicher Kontur gewinnen.
Schließlich soll dieser Reader die zentrale Bedeutung der Kultursoziologie innerhalb der soziologischen Forschung und Theoriebildung vor Augen führen. So hat die Kultursoziologie seit den Anfängen der Soziologie mit Autoren wie Karl Marx, Max Weber, Émile Durkheim, Karl Mannheim, George Herbert Mead und vielen anderen eine eigene Entwicklungsgeschichte. Diese Geschichte wird hier anhand der großen Oppositionen und Debatten um die Konzepte von "Kultur", "Sozialstruktur" und "Natur" beleuchtet. In diesem Sinne stellt der Reader eine notwendige Ergänzung der vorhandenen Einführungen und Kommentare dar. Er bietet eine nützliche Grundlage für kultursoziologische und disziplinär daran angrenzende Seminare, sowohl auf der Ebene des Bachelor-Studiums als auch von Master- und Graduierten-Studiengängen.

Zum Kulturbegriff der Kultursoziologie

Der Begriff der Kultur nimmt eine ganz besondere Stellung in der soziologischen Forschungstradition und Theoriebildung ein. So war die Soziologie in ihren Anfängen - insbesondere in Deutschland - in erster Linie eine Kulturwissenschaft. Im Mittelpunkt der Analyse stand die Auseinandersetzung mit den Eigenarten und Charakteristika, aber auch mit dem "Problem" und der "Krise" der modernen Kultur (siehe dazu auch die Einleitung zu "Kultur vs. Sozialstruktur" in diesem Band). Die Kulturperspektive diente den Klassikern der Soziologie als ein zentraler Fluchtpunkt ihrer soziologischen Analysen. Im Anschluss an die geisteswissenschaftliche Tradition war für sie die Verwendung des Kulturbegriffs weit vertrauter und weit unproblematischer als andere Grundbegriffe der Soziologie, wie etwa der Begriff der Gesellschaft oder der Sozialstruktur.
Klassiker wie Weber und Simmel haben den Weg geebnet für eine eingehende Beschäftigung der Soziologie mit Fragen der Kultur, eine genauere Bestimmung des Kulturbegriffs sind sie jedoch schuldig geblieben. Fragt man ganz allgemein nach der Bedeutung des Begriffs Kultur, dann kann man zunächst noch immer auf eine Definition verweisen, die bald 150 Jahre alt ist. So charakterisierte der Anthropologe Edward B. Tylor im Jahr 1871 den Begriff der Kultur wie folgt: "Culture, taken in its wide ethnographic sense is that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society." (1920 [1871]: 1) Dies ist eine sehr umfassende Definition von Kultur, die dem Verständnis von Kultur bei den Klassikern durchaus nahe kommt. Der Mensch wird dabei als Kulturwesen konzipiert, das "angeeigneten" kulturellen Ideen, Normen, Werten, Bräuchen und Moralvorstellungen folgt, zu diesen Stellung bezieht und immer und überall in Formen von Kultur eingebettet ist, welche nicht auf andere Faktoren (etwa auf biologische Vererbung oder ungerichtete Triebe etc.) reduziert werden können.
Der Kulturbegriff hat in der Soziologie in den vergangenen hundert Jahren allerdings auch große Bedeutungsverschiebungen und Spezifizierungen erfahren. Es gibt nicht die eine Bedeutung von Kultur, und folglich hat der Kulturbegriff in der kultursoziologischen Forschungstradition ganz unterschiedliche Bedeutungsdimensionen angenommen. In Anlehnung an Andreas Reckwitz (2000: 64ff.) lassen sich mindestens vier Dimensionen unterscheiden:
Erstens ein totalitätsorientierter Kulturbegriff, wie er im aufgeführten Zitat von Tylor offenbar wird. Aus dieser Perspektive umfasst Kultur alles, was über die bloße Natur hinausgeht. Es verschwimmt hierbei freilich der Unterschied zwischen Kultur und Gesellschaft, darüber hinaus neigt dieser Kulturbegriff zur Annahme homogener kultureller Lebensformen bzw. zur Vernachlässigung der Hybridität von Kultur.
Zweitens ein normativer Kulturbegriff, wie er etwa in der normativen Gegenüberstellung von Kultur versus Zivilisation (besonders wirkmächtig in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts) oder von "Hoch-" und "Massenkultur" zum Tragen kommt.
Drittens ein differenztheoretischer Kulturbegriff, der statt der Identifizierung von Kultur mit der "ganzen Lebensweise" des Menschen vor allem dasjenige unter Kultur versteht, was wir im Alltag damit für gewöhnlich auch verbinden: Musik, Literatur, Kunst, Theater etc. Kultur stellt dann lediglich ein Subsystem unter anderen dar (im Gegensatz etwa zum System der Politik, der Wirtschaft, der Religion etc.).
Viertens ein bedeutungs- und wissensorientierter Kulturbegriff, der bereits bei den Klassikern der Kultursoziologie wie Max Weber und Georg Simmel (siehe die Texte in diesem Band) angelegt war, lange Zeit aber in Vergessenheit geriet und erst seit den 1970er Jahren wieder in der Soziologie prominent wurde:
"Kultur erscheint [.] nun als jener Komplex von Sinnsystemen oder - wie häufig formuliert wird - von ›symbolischen Ordnungen‹, mit denen sich die Handelnden ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen ihr Handeln ermöglichen und einschränken." (Reckwitz 2000: 84)
Mit diesem Kulturbegriff, der für die neueren kultursoziologischen und kulturwissenschaftlichen Forschungen zentral ist, geht eine erhöhte Aufmerksamkeit für die historisch-kulturspezifischen, herrschaftlichen, symbolischen und performativen Dimensionen gesellschaftlicher Phänomene einher.
Wie stehen nun aber Kultur und Gesellschaft zueinander? Ohne Kultur, so zeigen alle begrifflichen Bestimmungen, können wir uns keine menschliche Gesellschaft vorstellen, aber umgekehrt gilt auch: Ohne Gesellschaft gibt es keine Kultur. Von Anfang an steht der Kulturbegriff in der Soziologie zum Begriff der Gesellschaft in einem Ergänzungs-, zum Teil auch in einem Konkurrenzverhältnis. Während die anderen Kulturwissenschaften das Kulturelle zu ihrer zentralen Kategorie erklären können, stellt sich die Soziologie immer auch die Frage, was "Kultur" von "Gesellschaft" unterscheidet bzw. wie beide Begriffe zueinander stehen. Die in den 1970er Jahren wiederbelebte deutschsprachige Kultursoziologie kann hier einen Anhaltspunkt für die Lösung der Problematik bieten, hielt sie doch Kultur und Gesellschaft für nicht aufeinander reduzierbar (vgl. Moebius/Albrecht 2013). Für die Erneuerer der deutschsprachigen Kultursoziologie war - als Gegenprojekt zum dominierenden Strukturfunktionalismus von Talcott Parsons, aber auch gegen die damals aufblühenden marxistischen Strömungen - von vornherein klar, dass Kultursoziologie nicht auf eine Bindestrichsoziologie zu reduzieren ist, die sich lediglich auf Musik, Kunst, Literatur oder Theater beschränkt. Ohne nun einfach die Dominanz der Struktur durch eine Dominanz der Kultur ersetzen zu wollen, erhielt die Kultursoziologie in den Augen ihrer Protagonisten ihre übergreifende Bedeutung dadurch, dass sie in Anlehnung an Max Weber allgemein auf die Bedeutung zielt, "welche dem Handeln, explizit oder implizit, quer durch Daseinsbereiche und Institutionen als Voraussetzungen und Intentionen Halt und Sinn geben" (Lipp/Tenbruck 1979: 395). Das heißt nicht, Kultur zu substantialis
eren, sondern vielmehr, wie Karl-Siegbert Rehberg in "Kultur versus Gesellschaft?" schreibt, Kultur als "Aspektstruktur aller Sozialität" zu verstehen:
"Zwar kann die Kultursoziologie ein Fundament nur in Einzelforschungen und -ansätzen finden. Aber soweit sie Soziologie zu sein beansprucht, muß es ihr immer darauf ankommen, die Rückbindung von Kulturtatsachen an den jeweiligen sozialen Gesamtzusammenhang (in der Moderne also an das Interdependenzgeflecht der jeweiligen ›Gesellschaft‹) herzustellen." (2013: 394f.)
Dies scheint nach Ansicht der Herausgeber auch das entscheidende Unterscheidungsmerkmal der Kultursoziologie gegenüber den Kulturwissenschaften zu sein: Die Kultursoziologie befasst sich im Unterschied zu den verschiedenen Kulturwissenschaften immer mit dem Zusammenhang bzw. der Verknüpfung von "kulturellen" und "sozialen" Dimensionen.
Wie aber kann eine Rückbindung von Kulturtatsachen an den jeweiligen sozialen Gesamtzusammenhang aussehen? In der Wissenschafts- und Theoriegeschichte der Soziologie haben sich diesbezüglich verschiedene Forschungstraditionen herausgebildet, die man in einer grobkörnigen Weise neuerdings mit den beiden Ausdrücken cultural sociology und sociology of culture bezeichnet (vgl. Alexander/Smith 2003). Entweder man analysiert im Rahmen einer sociology of culture den Einfluss von sozialen Faktoren und Prozessen auf die Struktur und die Dynamik der Kultur, oder man untersucht im Rahmen einer cultural sociology in einer inversen Richtung die Bedeutung, Funktion oder den Einfluss von Kultur auf das Soziale. Beide Richtungen haben überaus prominente Vertreter. Eine sociology of culture findet sich beispielsweise schon in den frühen Wissenssoziologien von Scheler und Mannheim und sie reicht bis hin zu den zeitgenössischen theoretischen Ansätzen von Luhmann und Bourdieu. Eine cultural sociology hingegen findet sich beispielsweise in den Studien Max Webers zur Protestantischen Ethik und zur "Wirtschaftsethik der Weltreligionen" bis hin zu neueren Ansätzen, die (wie beispielsweise Antoine Hennion, Tia DeNora oder Jeffrey C. Alexander - siehe seinen Text in diesem Band) die Performativität von kulturellen Phänomenen betonen.
Der Begriff der Kultur steht also in der Soziologie in einem Spannungsverhältnis zu anderen Kategorien, etwa dem der Sozialstruktur. Zugleich ist aber auch klar, dass es keine ‚kulturlosen' Strukturbegriffe geben kann. Denn bei Sozialstrukturen handelt es sich um tief sitzende kulturelle Schemata, die mit unterschiedlichen Ressourcenausstattungen einhergehen (Bourdieu 1993; Sewell 1992). Ressourcen- und Machtunterschiede zwischen verschiedenen Akteuren sind wiederum nicht als bedeutungs- und damit kulturlose Strukturen zu verstehen, doch ist es für die Soziologie wichtig, diese beiden Ebenen analytisch getrennt zu halten. Man lese diesbezüglich die Analysen von Weber, Parsons, Archer, Hochschild, Lamont, Brubaker oder Inglehart (alle in diesem Band): Kultursoziologie strebt in ihren Untersuchungen danach, Akteure in ihrem Handeln zu verstehen und Bedeutungsinterpretationenen damit zu verknüpfen, wie Akteure strukturell zueinander stehen, also wie sie in Netzwerke eingebunden und mit unterschiedlichen (Macht-)Ressourcen ausgestattet sind. Kultursoziologie in diesem Sinne ist nicht zu verwechseln mit einem diffusen Kulturalismus, der alles auf Kultur zurückführt und damit zugleich inhaltsleer wird.

Zum Aufbau des Readers

Der Reader ist in zwei Teile gegliedert: Teil I "Grundlegungen der Kultursoziologie" und Teil II "Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen". Der erste Teil enthält solche Texte, die in Bezug auf die beiden konstitutiven Begriffsoppositionen "Kultur versus Sozialstruktur" bzw. "Natur versus Kultur" einen paradigmatischen Charakter haben. Der zweite Teil des Readers enthält solche Texte, die für die jüngere Entwicklung der Kultursoziologie, in welcher diese älteren Begriffsdichotomien in Frage gestellt oder gar aufgehoben werden, zentral sind. Zudem soll im zweiten Teil das Spektrum der zeitgenössischen kultursoziologischen Theorien und Forschungsfelder zum Ausdruck kommen.
Die inhaltliche Auswahl der Texte folgt somit zwei Kriterien: einer eher groben chronologischen Orientierung und einer starken thematischen Orientierung an grundlegenden Begriffsdichotomien bzw. deren Aufhebung. Damit nehmen wir gängige Einteilungen und Darstellungen zur Entwicklung der Kultursoziologie auf (vgl. Reckwitz 2000; Moebius 2009; Schroer 2010). Wir gehen zugleich einen entscheidenden Schritt darüber hinaus, indem wir nicht nur auf eine neue Phase einer umfassenden "Kulturalisierung" der Sozialtheorie hinweisen, sondern auch auf grundlegende Antagonismen, die in der Entstehung und Entwicklung der Kultursoziologie als eigenständige soziologische Forschungstradition eine besondere Rolle spielten. Dies ist zum einen die Dichotomie von "Kultur" und "Sozialstruktur", die im Theorieprogramm des historischen Materialismus von Karl Marx mit seiner dichotomen Unterscheidung von Basis und Überbau eine zentrale Stellung in der Soziologie erhalten hat. Zum zweiten ist es die Auseinandersetzung der aufstrebenden Kultur- und Geisteswissenschaften mit dominierenden naturwissenschaftlich orientierten Erklärungsprogrammen in der Opposition von "Kultur" und "Natur" oder Verstehen versus Erklären.
Im zweiten Teil des Bandes tragen wir aktuellen Entwicklungen der kultursoziologischen Diskussionen seit den 1960er Jahren Rechnung. Diese führen sowohl zu einer thematischen Differenzierung als auch zu einer reflexiven Überwindung der beiden ursprünglich übergreifenden Dichotomien von "Kultur/Sozialstruktur" bzw. "Kultur/Natur". Kultur und Sozialstruktur werden nicht mehr als unabhängige Dimensionen wechselseitig sich beeinflussender "Faktoren" gedacht, sondern als ineinander verschränkt und sich wechselseitig konstituierend. Das gleiche gilt für das Verhältnis von Natur und Kultur. Biologische Antriebe, Emotionen, körperliche Erscheinungsformen, ja selbst genetisch determinierte Erbfaktoren oder die Herstellung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse werden in Bezug auf soziale und kulturelle Einflüsse gedacht - sind sie doch zutiefst geprägt von Kultur. Umgekehrt betonen Kultursoziologinnen, Sozialphilosophen und Anthropologinnen zunehmend die sozialkonstitutive Bedeutung von Technik, Dingen und Körpern. Aus diesem Grunde werden zunächst die drei wesentlichen "Fakultäten des Geistes", nämlich Handeln, Denken und Fühlen, auf ihre Wechselwirkung mit kulturellen Phänomenen und Strukturen thematisiert (II.1 bis II.3). Ergänzt werden diese Blöcke durch die aktuelle Diskussion über Zusammenhänge zwischen Natur und Kultur (II.4). Anschließend folgt ein Themenblock mit einem Grundlagentext aus der Forschungstradition der Cultural Studies und zwei aktuelleren Texten zu kulturellen und ethnischen Grenzziehungen (II.5). Diesem Themenblock schließt sich ein Kapitel mit zentralen Texten zur kulturellen Produktion von Subjektivität und zur Verschränkung von Kultur, Individuum, Identität, Macht und Sozialstruktur an (II.6). Darüber hinaus widmen wir uns schließlich der besonderen Bedeutung und Herausforderung von Kultur(en) angesichts zunehmender Transnationalisierung, interkultureller Kontakte und globaler Vernetzung, insbesondere in der Diskussion über die verschiedenen weltgesellschaftlichen Modernisierungspfade (II.7).
Jeder Themenblock hat eine eigene Einleitung der Herausgeber. Diese Einleitungen verfolgen das Ziel, den Inhalt des Themenblocks, die Grundgedanken der einzelnen Texte sowie die Autoren vorzustellen. Darüber hinaus dienen die Einleitungen dazu, Querverbindungen zwischen den einzelnen Autoren, Texten und Themenblöcken innerhalb des Readers herzustellen sowie Bezüge zu Autorinnen und Texten zu beleuchten, die nicht in den Reader aufgenommen wurden bzw. nicht aufgenommen werden konnten. Die Einleitungen sollen also auch die inhaltlichen Lücken schließen, die durch die starke Selektion notwendigerweise entstanden sind, die Textauswahl genauer erläutern und die einzelnen Autoren und Texte in den Gesamtzusammenhang einordnen. Dabei sind an vielen Stellen immer wieder auch Verweise zu Texten und AutorenInnen aus anderen Themenblöcken eingestreut, um Entwicklungslinien und Querverbindungen direkt nachvollziehen zu können.
Viele der ausgewählten Textausschnitte sind unseres Erachtens nicht zu umfangreich, so dass es möglich und zum Teil auch ratsam ist, zwei verwandte oder gezielt gegenübergestellte Texte in einer Seminarsitzung vergleichend zu diskutieren. Die Textauswahl kann dabei auch flexibel an die inhaltliche Zielsetzung eines Seminars und an den jeweiligen Kenntnisstand der LeserInnen angepasst werden. Bei Einführungskursen im Bachelorbereich bietet es sich an, zunächst eine Reihe von Texten aus Teil I "Grundlegungen der Kultursoziologie" zu lesen, bevor auf aktuelle Debatten und Spezialdiskurse eingegangen wird. Die ausgewählten Texte sollten in Kombination mit den kurzen Einführungen in die Themenblöcke hier genügend Anregung und Stoff für die Seminardiskussion bieten. Bei Masterkursen oder Doktorandenseminaren kann durchaus von der hier vorgegebenen chronologischen Struktur des Readers abgewichen werden. Hier könnte ein Aufbau sinnvoll sein, der stärker debattenorientiert angelegt ist und der der Diskussion von Entwicklungslinien und Querverbindungen mehr Raum bietet - etwa der Diskussion der Weberschen Entwicklungslinie von der Gründungsphase bis in die aktuelleren Debatten zur Kultursoziologie, zur Rationalisierung und zur Globalisierung (etwa Eisenstadt und Meyer) oder der Durkheim'schen Entwicklungslinie über Maurice Halbwachs und Marcel Mauss bis hin zu Pierre Bourdieu, Michèle Lamont und Jeffrey Alexander. Den Kombinationsmöglichkeiten zwischen den Texten und thematischen Blöcken sind hier keine Grenzen gesetzt.
Wir sind uns bewusst, dass unsere Auswahl begrenzt ist und ein Reader zur Einführung in die Kultursoziologie gut und gerne drei Bände umfassen könnte. Denn genauso wie es nicht die eine Kultursoziologie gibt, kann es auch keinen einzig gültigen Kanon der Kultursoziologie geben. Die Kultursoziologie lebt von ihren inhaltlichen und methodologischen Auseinandersetzungen und Akzentverschiebungen. Dies heißt nicht, dass es in der Kultursoziologie nicht auch Grundlagentexte, Grundpositionen und Debatten gibt, die den Kern der Disziplin und den Grundstock der kultursoziologischen Forschungstradition bilden. Zahlreiche der zentralen Texte und Positionen sind unserer Ansicht nach in diesem Reader versammelt. Gleichzeitig haben wir gewisse Schwerpunktsetzungen vorgenommen, die durchaus auch impulsgebend für die aktuelle kultursoziologische Debatte wirken sollen. Es galt also - neben dem Mut zur Lücke - vor allem auch eine Balance zwischen Konvention und eigener Akzentsetzung zu finden. Wir haben lange um die Textauswahl gerungen, konnten den einen oder anderen wichtigen Text nicht berücksichtigen, haben aber die Hoffnung, dass uns ein repräsentativer und tragfähiger Kompromiss gelungen ist.
Last but not least gilt unser Dank dem Campus Verlag und insbesondere Frau Judith Wilke-Primavesi, die unsere Idee zu einem Reader von Anfang an beherzt und dann auch mit Langmut unterstützt hat, sowie Frau Stefanie Evita Schaefer, die uns zusammen mit ihrem Team bei der Erstellung des Readers tatkräftig zu Seite stand. Ein weiterer Dank gilt Iris Hilbrich für ihre Mithilfe bei der Bearbeitung der Texte.

Literatur

Alexander, Jeffrey C./Seidman, Steven (Hg.) (1990), Culture and Society: Contemporary Debates, Cambridge: Cambridge University Press.
Alexander, Jeffrey C./Smith, Philip (2003), "The Strong Program in Cultural Sociology. Elements of a Structural Hermeneutics." In: Jeffrey C. Alexander, The Meanings of Social Life, New York, Oxford: Oxford University Press, 11-26.
Bachmann-Medick, Doris (2009), Cultural Turns. Neuorientierung in den Kulturwissenschaften, 3. Aufl., Reinbek: Rowohlt.
Borgards, Roland (Hg.) (2010), Texte zur Kulturtheorie und Kulturwissenschaft, Stuttgart: Reclam.
Bonacker, Thorsten/Reckwitz, Andreas (Hg.) (2007), Kulturen der Moderne. Soziologische Perspektiven der Gegenwart, Frankfurt/New York: Campus.
Bourdieu, Pierre (1993), Entwurf einer Theorie der Praxis, Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Hoffman, Martin Ludwig/Korta, Tobias F./Niekisch, Sibylle (Hg.) (2008 & 2009), Culture Club: Klassiker der Kulturtheorie, 2 Bde., Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Junge, Matthias (2009), Kultursoziologie. Eine Einführung in die Theorien, Konstanz: UVK (UTB).
Kimmich, Dorothee/Schahadat, Schamma/Hausschild, Thomas (Hg.) (2010), Kulturtheorie, Bielefeld: Transcript.
Langenohl, Andreas/Poole, Ralph/Weinberg, Manfred (Hg.) (2014), Transkulturalität. Klassische Texte, Bielefeld: Transcript.
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Lichtblau, Klaus (2012), Die Eigenart der kultur- und sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung, Wiesbaden: Springer VS.
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Rehberg, Karl-Siegbert (2013) [1986], "Kultur versus Gesellschaft. Zu einer Streitfrage in der deutschen Soziologie." In: Stephan Moebius und Clemens Albrecht (Hg.), Kultur-Soziologie. Klassische Texte der neueren deutschen Kultursoziologie, Wiesbaden: Springer VS, 367-96.
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Tylor, Edward (1920) [1871], Primitive Culture, New York: J.P. Putnam's Sons.
Wirth, Uwe (Hg.) (2009), Kulturwissenschaft. Eine Auswahl grundlegender Texte, Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Wohlrab-Sahr, Monika (Hg.) (2010), Kultursoziologie. Paradigmen - Methoden -Fragestellungen, Wiesbaden: Springer VS.
Wray, Matt (Hg.) (2013), Cultural Sociology: An Introductory Reader, New York: WW. Norton.

Teil I
Grundlegungen der Kultursoziologie

1. Kultur versus Sozialstruktur: Einführung
Frank Adloff, Sebastian M. Büttner

In ihren Anfängen um 1900 war die Soziologie vor allem auch Kultursoziologie. Die Soziologen der ersten Stunde, wie Max Weber, Georg Simmel oder Émile Durkheim, setzten sich intensiv mit der Kultur der modernen Gesellschaft auseinander und reagierten damit auf spezifische Erfahrungen einer damals wahrgenommenen "Kulturkrise" (vgl. Lichtblau 1996). Denn die Entstehung der modernen Gesellschaft wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts keineswegs nur als Verheißung wahrgenommen. Im Gegenteil: Viele Zeitgenossen sahen den Untergang der "alten Welt" kritisch. Erfahrungen von Entwurzelung, Entfremdung, Heimatlosigkeit und Traditionsverlust fachten die Kulturkritik an. Die
oderne Gesellschaft mit ihren treibenden Kräften der Industrialisierung, Urbanisierung, Rationalisierung, Säkularisierung und Individualisierung erschien vielen Zeitgenossen hochproblematisch. Wie kann dem beschleunigten und nervösen Leben in den Großstädten noch "Stabilität" und "Sinn" abgewonnen werden? Diese Frage trieb insbesondere das gehobene Bürgertum um, und sah im Entstehen einer "proletarischen Massengesellschaft" ein Problem. Neben der "sozialen Frage" (Verelendung, Armut, sozialpolitische Fragen) stand für das Bürgertum in Europa damit auch eine "kulturelle Frage" auf der Agenda: Was hält die Gesellschaft noch zusammen, wenn die Bindekräfte der Religion immer mehr nachlassen? Welche anderen moralischen Grundlagen sozialer Kohäsion kann es noch geben? Führt nicht die Auflösung und Fragmentierung überkommener Weltbilder zu Sinnverlust? Welchen Halt hat der Mensch noch im Reich des Ideellen, wenn alle Werte auch "umgestürzt" (Nietzsche) werden können? Und wie steht es um die Autonomie des Individuums in der Massengesellschaft? Diese Fragen, von Sigmund Freud treffend auf die Formel vom "Unbehagen in der Kultur" gebracht, standen im Mittelpunkt der kulturkritischen Debatten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
"Kultur" erschien den Zeitgenossen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend auch als kontingent. Das heißt, es entstand ein Bewusstsein für die große Varietät und Variabilität von kulturellen Traditionen und kulturellen Mustern. Kultur wurde nicht mehr als etwas Statisches aufgefasst, sondern als etwas, das einem permanenten Wandel unterworfen ist. Diese Erfahrung der "Kontingenz von Kultur" (vgl. Reckwitz 2004) wurde auch verstärkt durch die Zunahme von interkulturellen Kontakten und Begegnungen mit "Fremden"; angeregt durch die Eroberung fremder Territorien im Zeitalter des Kolonialismus und eine rasante Globalisierung des Wirtschaftslebens, durch die Zunahme internationaler Mobilität sowie durch den Beginn moderner ethnologischer Forschung. "Kultur" tritt von nun an nicht mehr nur im Singular auf. Es gibt unzählige Gruppen und Gesellschaften mit je eigenen Kulturen. Damit werden zunehmend gängige normative Überhöhungen des Kulturbegriffs erschüttert, wie etwa die Anfang des 20. Jahrhunderts noch weit verbreitete Unterscheidung zwischen einer "hoch entwickelten", "zivilisierten" Kultur Europas und Nordamerikas und nicht-westlichen "primitiven" Kulturen (vgl. Tylor (1920) [1871], Lévy-Bruhl 1922). Heute hat man sich von solchen normativen Wertungen weitgehend verabschiedet und auch die sich um 1900 etablierende Kultursoziologie beginnt allmählich Abstand davon zu nehmen. Ihr geht es als Wissenschaft vielmehr darum, aufzudecken, auf welchen kulturellen Grundlagen menschliches Zusammenleben überhaupt möglich ist und auf welchen symbolischen Prozessen moderne Sozialordnungen beruhen. Zudem untersucht sie, worin sich einzelne Kulturen und ganze Kulturkreise voneinander unterscheiden und welche kulturellen Eigenarten und Prozesse gerade in Europa und Nordamerika zum Wegfall alter sozialer Hierarchien und kultureller Beschränkungen sowie zur Entstehung der modernen Gesellschaft führten. Dies heißt jedoch nicht, dass kulturelle Abgrenzungen und normative Überhöhungen des Kulturbegriffs in den intellektuellen Debatten der damaligen Zeit bereits völlig verschwunden gewesen wären. Im Gegenteil: Gerade in Deutschland vertraten viele Intellektuelle vor und während des Ersten Weltkriegs die Auffassung, dass Deutschland eine hohe künstlerische Kultur habe, während man von den Engländern und Franzosen sagte, sie seien "bloß zivilisiert". Und auch in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg beschworen Oswald Spengler und andere Zeitgenossen unter Rückgriff auf kulturmorphologische Argumentationen in besonderer Weise die "Krisis" der modernen Kultur und einen "Untergang des Abendlandes".
Die neu entstehende Soziologie begreift sich von Beginn an jedoch nicht allein als Kulturwissenschaft, sondern auch auf ganz spezifische Art und Weise als Gesellschaftswissenschaft. Denn während die klassischen Geisteswissenschaften des 19. Jahrhunderts wie die Philosophie, die Geschichtswissenschaft, die Philologien und die Kunst- und Religionswissenschaften sich auf das "Geistige", "Ideelle" und "Individuelle" und die Naturwissenschaften sich auf das "Materielle" und auf "Gesetzmäßigkeiten" beziehen, steht die Soziologie von Beginn an zwischen diesen beiden Polen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde insbesondere in Deutschland der Unterschied zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften diskutiert: Wilhelm Dilthey unterschied zwischen den beiden Wissenschaften 1883 in seiner "Einleitung in die Geisteswissenschaften". Der Neukantianer Wilhelm Windelband traf 1894 in seiner Rektoratsrede "Geschichte und Naturwissenschaft" die Unterscheidung zwischen der nomothetischen und der idiographischen Methode. Die Naturwissenschaften arbeiten demzufolge nomothetisch mit dem Ziel, Sachverhalte allgemein durch die Formulierung von Naturgesetzen zu erklären. Im Gegensatz dazu seien die Geisteswissenschaften in erster Linie idiographisch orientiert mit dem Ziel, individuelle Sachverhalte zu verstehen. Heinrich Rickert, ebenfalls ein Neukantianer wie Windelband, bringt um die Jahrhundertwende die Dichotomie zwischen den beiden Wissenschaftswelten in den Begriffen "Gesetzeswissenschaften" versus "Wirklichkeitswissenschaften" zum Ausdruck.
In der Geschichte der Soziologie finden sich bis heute immer wieder Debatten um die Frage, ob sie eher positivistisch nach allgemeinen Gesetzen fahnden solle - wie es sich beispielsweise der Großteil der Wirtschaftswissenschaften auf die Fahnen geschrieben hat - oder ob der Soziologie die Aufgabe zukommt, soziale Phänomene zu verstehen. Diese Debatte spiegelt sich heute noch in der Unterscheidung zwischen quantitativen und qualitativen Forschungsansätzen wider (vgl. Adloff/Büttner 2013). Max Weber - und ihm folgen bis heute viele Soziologinnen und Soziologen - formulierte hingegen einen dritten Weg: Die Soziologie ist weder reine Natur- noch reine Geistes- oder Kulturwissenschaft, sie will erklären und verstehen (vgl. Müller 2007). Wir müssen als Soziologinnen und Soziologen die Handlungen von Menschen deuten, genauso, wie die Menschen sich gegenseitig deuten - und den subjektiv gemeinten Sinn gilt es dann, auf überindividuelle Sinngebilde zu beziehen. Dabei ging es Weber nicht um den "Menschen in der Gesellschaft" schlechthin. Dies wäre eine zu allgemeine anthropologische Fragestellung für die Soziologie. Die Soziologie befasst sich mit dem, was zwischen dem rein Individuellen und dem menschlich Allgemeingültigen liegt: mit sozialer Wirklichkeit in ihrer jeweiligen Eigenart und ihrem ganz spezifischen Charakter. Um diese zu identifizieren, muss man Vergleiche durchführen: So erschließt sich die Spezifik einer Kultur (etwa der westlichen Moderne) erst durch den Vergleich mit anderen Kulturen, so die Lektion von Max Weber.


Schützeichel, Rainer
Rainer Schützeichel (1958–2023) war Professor an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.

Büttner, Sebastian
PD Dr. Sebastian Büttner lehrt an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Moebius, Stephan
Stephan Moebius ist Professor für Soziologische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Graz.

Adloff, Frank
Frank Adloff ist Professor für Soziologie, insbesondere Dynamiken und Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft, an der Universität Hamburg.

Frank Adloff ist Professor für Soziologie, insbesondere Dynamiken und Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft, an der Universität Hamburg.
PD Dr. Sebastian Büttner lehrt an der Universität Erlangen-Nürnberg.
Stephan Moebius ist Professor für Soziologische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Graz.
Rainer Schützeichel (1958–2023) war Professor an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.


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