Buch, Deutsch, 78 Seiten, ENGLBR, Format (B × H): 130 mm x 200 mm, Gewicht: 148 g
Ein Lesebuch
Buch, Deutsch, 78 Seiten, ENGLBR, Format (B × H): 130 mm x 200 mm, Gewicht: 148 g
ISBN: 978-3-926677-55-6
Verlag: Aphaia Verlag
Lyrik und Prosa junger Autoren.
Jetzt ist nah: Junge Autoren und Autorinnen vermessen die Wirklichkeit. Nicht mit Literatur, sondern mit lebendiger Poesie. Sie wollen den Mythos und das Märchen, die Technizität der Erfahrungen, das Um-Sich-Herum, die Shelltankstelle und die barocke Klosterkirche. Sie kennen kein Programm – sie fordern das Schicksal heraus und das ist keine metaphorische Sackgasse, das heißt Vollgas, mitten hinein!
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Vorwort der Herausgeber
Dies ist keine dokumentarische Anthologie. Und ist es doch – nämlich (wie alle Dokumentationen) eine Dokumentation dessen, was sich gezeigt hat und dessen, was gesehen wurde, eine Dokumentation von Handlungen und Zufällen. In diesem Spannungsverhältnis bildet sich ein Gravitationspunkt, ein Ort, an dem die Fäden zusammengeballt und doch aufgerollt sind, ein Ort der Klarheit, der die Wirrungen nicht leugnet: die Ästhetik; und warum nicht – in diesem und nur in diesem Sinne: das Schöne. Die Texte sprechen sich dem Leser und durch den Leser wiederum einander zu. Zum Verständnis dieses Buches stellen sich vor allem die Fragen: Was hat sich gezeigt und wo und wem?
Anfang 2004 fand im Literaturwissenschaftlichen Institut der Technischen Universität Berlin (TU) ein studentisch initiiertes Symposion junger Autoren/Autorinnen statt. Ziel war die Verbindung literarischer und literaturwissenschaftlicher Arbeit im Fokus des eigenen Schreibens. Wieso dort? Die Antwort lässt sich punkt- und personengenau festmachen: an Walter Höllerer.
Er war der Organisationszauberer des deutschen Literaturbetriebs seit der Nachkriegszeit. Er lenkte den Blick des auch literarisch an der eigenen Geschichte und Geschichtsvergessenheit krankenden Deutschlands über ideologische und staatliche Grenzen hinaus auf die drängenden poetologischen und damit auch gesellschaftlichen Fragen. Durch ihn begegneten sich Menschen, nicht Texte. Er war Literaturwissenschaftler und – wohl an erster Stelle, was heute so gern vergessen wird: Autor. Höllerer ist 2003 verstorben – zu einer Zeit, als sein Name an der TU, zumindest im studentischen Umfeld, keine Rolle mehr gespielt hat.
Doch nicht das Reanimieren von vermeintlich toter Tradition ist das auslösende Moment für die jungen
Autoren/Autorinnen des beginnenden Jahres 2004 gewesen.
Es ist Faszination. Faszination gegenüber einer Literatur des JETZT, zu der sich die Schreibenden hingezogen fühlen. Faszination gegenüber den Welten, die sie hervorbringt, gegenüber den Geschichten, die sie erzählt und der Geschichte, deren Teil sie ist, die (Akkusativ wie Nominativ) sie belebt. Faszination gegenüber der e i n e n Zeile, d e m Gedicht – eine Faszination, die sich auch im Titel dieser Anthologie äußert.
Oder Neugier. Neugier auf den Mythos und das Märchen, wie auf die hochgradige, feinste Technisiertheit der Erfahrungen, der Sprache. Neugier auf das Um-Sich-Herum. Auf die so oft romantisierte Stadt Berlin ebenso, wie auf die 'russischen Wälder' Brandenburgs – und die Kleinodien und Geborgenheiten, die sich dort finden – auf die Shelltankstelle, wie die barocke Klosterkirche. Neugier auf das Eigene im fremden, und das Fremde im eigenen Ausdruck: denn, wo ein Text gelingt, sind ihm die verschlungenen Pfade, der Irrgarten der Wahrnehmung, Erkenntnis und ihres Mediums, der Sprache eingeschrieben. Also auch im poetologischen Kontext sind das Höllerer‘sche Wahrnehmungsweisen. Aus der Faszination, aus der Neugier, aus dem Affekt hat sich eine Struktur, eine Veranstaltungsreihe entwickelt.
Was hat sich gezeigt und wo und wem? Nicht nur die ganz und gar nicht elfenbeinene Universität ist unter 'wo' zu nennen. Es ist auch das 'Prosanova Festival 2005' in Hildesheim, und nicht zuletzt sind es die vielen Orte der jungen Literatur in Berlin.
Was sich gezeigt hat? Texte junger Autoren/Autorinnen, die am Beginn ihrer literarischen Entwicklung
stehen, Autoren/Autorinnen, die ihre ersten Bände veröffentlicht haben, die in den vielen Magazinen, Zeitschriften und Anthologien der letzten Jahre auftauchen – oder eben nicht. Und da ist es dann plötzlich nicht mehr wichtig, ob die Autoren/Autorinnen akademisch und creative-writing geschult, oder wild – nur dem ganz persönlichen Perfektionismus unterworfen – und wildgewachsen, drauflos schreibend agieren. Jedes Schreiben hat – besser noch: beansprucht – eine eigene Biographie. Wichtig sind dann allein die Texte selbst.
Die Zwischentitel dieses Buches sind folglich nicht als Kapitel gemeint. Es geht nicht um Abgrenzung und Aufteilung der Texte in wie auch immer geartete Katego-rien. Die Zwischentitel sind vielmehr als Umschreibung des Gravitationspunktes oder auch als Horizont der hier versammelten Texte zu verstehen. Texte, von denen die Herausgeber überzeugt sind.
Unsere Rolle definiert sich aus dem Handeln, womit wir im oben genannten Rahmen begonnen haben. Wir versuchen, Impulse zum Gespräch, zur Begegnung – auch mit dem Text – zu geben. Wir sind keine Lesebühne und kein Autorenclub. Wir kennen kein Programm jenseits der Schreibweise des Einzelnen – außer vielleicht den Willen, einzigartige Wahrnehmungsweisen zu einzigartigen Ausdrucksweisen zu kondensieren.
Und wir wollen gar nicht verhehlen, dass die hier versammelten Texte eine Herausforderung darstellen, die formuliert sein will, also: Wat los, Parzen?
Philip Maroldt, Tom Bresemann, Björn Schäfer
Berlin, im Dezember 2005