Buch, Deutsch, Band 16, 250 Seiten, HALBLN, Format (B × H): 105 mm x 180 mm
Reihe: Lilienfeldiana
Buch, Deutsch, Band 16, 250 Seiten, HALBLN, Format (B × H): 105 mm x 180 mm
Reihe: Lilienfeldiana
ISBN: 978-3-940357-30-4
Verlag: Lilienfeld Verlag
Georges Desportes tritt die neu geschaffene Position des Arztes in einer Fabrik an. Er wird routinemäßig die Arbeiter untersuchen, nach Unfällen Verletzte behandeln und nebenbei viel von den schlechten Arbeitsbedingungen dort erfahren. Als im Werk ein massiver Streik droht, ist er gezwungen, Stellung zu beziehen. Eigentlich aber ist er ein auffallender Einzelgänger, auch im Privaten: Seine Ehe mit Maud läuft nicht gut, zu unterschiedlich sind die jeweiligen Erwartungen und Bedürfnisse, und obendrein sticheln seine Schwiegereltern gegen ihn wegen seiner materiellen Unbedarftheit. Ausgleich findet er in der Literatur; er sucht den Kontakt zu seinem Idol, einem großen Schriftsteller. Doch dann scheint sich in seinem Ethos als Arzt und in seinem Engagement in der Fabrik ein humaner Reflex bemerkbar zu machen.
Wie in Albert Camus’ "Die Pest" begehrt in Chauvirés autobiographisch geprägtem Roman von 1958 ein Arzt unentwegt gegen ein scheinbar sinnloses Schicksal auf. Und bei Chauviré wie bei Camus entwickelt sich der Schnittpunkt von Einsamkeit und Solidarität zu einem zentralen Moment, allen Selbstbefragungen und -zweifeln zum Trotz.
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Draußen hatte starker Regen eingesetzt, er fiel ganz gerade, parallel zu den Fenstergittern. Der Wasserkessel pfiff auf dem Herd. Als sie sich wieder umdrehte, trat mir schlagartig ihr Gesicht ins Bewußtsein. Ihre Hakennase ist zweifellos zu lang. Ihre blauen Augen sind zwar hübsch, aber etwas vorstehend. Sie sollte keine Schuhe ohne Absätze tragen.
Intuitiv spürte sie meine Gedanken und sagte zu mir:
„Du findest mich häßlich, nicht wahr?“
Ich verteidigte mich schwach und glaubte, sie würde gleich zu weinen anfangen. Sie zuckte aber lediglich mit den Schultern. Schnell vom einen zum anderen wechselnd fragte sie mich dann, ob ich mir wenigstens Gedanken um mein Gehalt gemacht hätte.
„Für den Anfang 63.000 im Monat“, sagte ich.
Das war wahrscheinlich mehr, als sie erwartet hatte; trotzdem machte sie ein schiefes Gesicht. Möglicherweise ist die Zahl falsch, ich kenne mich damit auch überhaupt nicht aus. Wir schwiegen. Um mich zu beschäftigen, zog ich es vor, den Tisch zu decken. Im Sommer nehmen wir das Mittagessen im Eßzimmer ein, so wie damals, als ich Kind war. Die Wespen wühlen in den Früchten und summen an den Fensterscheiben. In diesem Winter soll uns noch die Küche genügen. Wir setzten uns dann einander gegenüber an den Tisch.