Conrad / Randeria / Römhild | Jenseits des Eurozentrismus | Buch | 978-3-593-39517-3 | sack.de

Buch, Deutsch, 560 Seiten, Format (B × H): 139 mm x 213 mm, Gewicht: 685 g

Conrad / Randeria / Römhild

Jenseits des Eurozentrismus

Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften

Buch, Deutsch, 560 Seiten, Format (B × H): 139 mm x 213 mm, Gewicht: 685 g

ISBN: 978-3-593-39517-3
Verlag: Campus Verlag GmbH


Dieses Standardwerk enthält zentrale Texte zu postkolonialen Ansätzen in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Es lädt dazu ein, die europäische Geschichte im Kontext von Kolonialismus und Imperialismus neu zu denken und den Blick zu öffnen für die Verflechtungen zwischen der europäischen und der außereuropäischen Welt. Die 2., erweiterte Auflage wurde um aktuelle Texte ergänzt, die das postkoloniale Europa der Gegenwart beleuchten. Die Einleitung zur Neuauflage erörtert, warum eine postkoloniale Perspektive unerlässlich ist – ebenso für die gegenwärtige Wissensproduktion wie für ein kritisches Verständnis heutiger europäischer Gesellschaften und Politik.
Mit Beiträgen von Manuela Boatca, Dipesh Chakrabarty, Jean Comaroff, John L. Comaroff, Sebastian Conrad, Fernando Coronil, Prasenjit Duara, Andreas Eckert, Steven Feierman, Stuart Hall, Wolf Lepenies, Achille Mbembe, Timothy Mitchell, Anthony Pagden, Sheldon Pollock, Shalini Randeria, Regina Römhild, Ann Laura Stoler, Michel-Rolph Trouillot und Albert Wirz.
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Weitere Infos & Material


Inhalt
Das postkoloniale Europa: Verflochtene Genealogien der Gegenwart –
Einleitung zur erweiterten Neuauflage (2013) 9
Shalini Randeria und Regina Römhild
Einleitung: Geteilte Geschichten –
Europa in einer postkolonialen Welt 32
Sebastian Conrad und Shalini Randeria
I. Epistemologien
Undenkbare Geschichte:
Zur Bagatellisierung der haitischen Revolution 73
Michel-Rolph Trouillot
Die Auslöschung der Differenz:
Der Kolonialismus und die Ursprünge des Nationalismus
bei Diderot und Herder 104
Anthony Pagden
Europa provinzialisieren: Postkolonialität und die Kritik
der Geschichte 134
Dipesh Chakrabarty
Ex Oriente Nox: Indologie im nationalsozialistischen Staat 162
Sheldon Pollock
Wann gab es 'das Postkoloniale'?: Denken an der Grenze 197
Stuart Hall
Frankreich provinzialisieren? 224
Achille Mbembe
II. Transgressionen
Hausgemachte Hegemonie 267
John L. und Jean Comaroff
Foucaults 'Geschichte der Sexualität' und die koloniale Ordnung
der Dinge 301
Ann Laura Stoler
Die östlichen Ränder des Empire: Kolonialität im Rumänien
des 19. Jahrhunderts 322
Manuela Boatc
Abwesende Anwesenheit: Die Diskurse des Kryptokolonialismus 345
Michael Herzfeld
Kämpfe für Gerechtigkeit an den Grenzen: Die Suche nach
einem neuen politischen Subjekt im globalen Zeitalter 379
Sandro Mezzadra
III. Raumordnungen
Afrika in der Geschichte: Das Ende der universalen Erzählungen 405
Steven Feierman
Die Welt als Ausstellung 438
Timothy Mitchell
Jenseits des Okzidentalismus: Unterwegs zu nichtimperialen
geohistorischen Kategorien 466
Fernando Coronil
Wir nicht, die Anderen auch: Deutschland und der Kolonialismus 506
Andreas Eckert und Albert Wirz
Asien neu denken: Zum Verständnis einer zusammenwachsenden
Region 526
Prasenjit Duara

Autorinnen und Autoren 554

Nachweise 559


Das postkoloniale Europa: Verflochtene Genealogien der Gegenwart – Einleitung zur erweiterten Neuauflage (2013)
Shalini Randeria und Regina Römhild
Was als Ausblick die Einleitung zur ersten Auflage beschloss, steht im Mittelpunkt der hier vorliegenden erweiterten Textauswahl: nämlich eine postkoloniale Perspektive auf die globalisierte Gegenwart zu entwickeln, die von der Geschichte der Verflechtungen aus- und zugleich über sie als historisches Momentum hinausgeht; eine Perspektive, die auch die Gegenwart Europas – als diskursive Formation und als politisches Projekt – ins Verhältnis globaler Relationen und Bewegungen zu setzen vermag. Ausgangspunkt für diese thematisch breit angelegte, transdisziplinäre Neuauflage ist daher die Überzeugung, dass postkoloniale Perspektiven ebenso relevant wie unerlässlich sind, um Gesellschaft, Politik, Kultur und Wirtschaft in Europa heute zu verstehen.
Europa sei buchstäblich ein Produkt der Dritten Welt, schrieb Frantz Fanon provokativ in seinem Werk Die Verdammten dieser Erde (1961). Mit dieser brillanten Einsicht in die Wechselwirkungen von kolonisierenden und kolonisierten Gesellschaften, die konstitutiv für beide Seiten waren, formulierte Fanon eine radikale postkoloniale Position. Eine an diese Einsicht anschließende, postkolonial informierte Perspektive auf die Gegenwart Europas scheint uns nach wie vor ein Desiderat zu sein. Während die theoretische Auseinandersetzung mit Begriffen und Konzepten der Postcolonial Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften im deutschsprachigen Raum noch am Anfang steht, zeigt sich der Einfluss postkolonialer Ansätze vor allem in den Geschichtswissenschaften, wo die Überwindung nationaler, territorial geschlossener Erzählungen zugunsten einer Verortung historischer Entwicklungen, Akteure und Räume innerhalb einer verflochtenen 'Globalgeschichte' mittlerweile fast eine etablierte Position darstellt.
So zeugen etwa die Bände der von Sebastian Conrad, Andreas Eckert und Ulrike Freitag seit 2007 herausgegebenen Buchreihe 'Globalgeschichte' von dieser produktiven Resonanz in den Geschichtswissenschaften (Conrad, Eckert & Freitag 2007). Dass dabei Gesellschaften, ihre Politik, Wirtschaft und Kultur nicht mehr in einem nationalstaatlichen Rahmen, sondern in einem globalgeschichtlichen Zusammenhang betrachtet werden, führt zu einer wesentlichen Horizonterweiterung. Die in diesen Studien analysierten Akteursnetzwerke und institutionellen Konstellationen, kulturellen Prägungen und politischen Strategien weisen auf die Notwendigkeit hin, den als 'national' konzipierten Raum als Produkt transnationaler Verflechtungen wahrzunehmen. Dadurch lassen sich einerseits neue Einsichten in transnationale Verschränkungen gewinnen, die auch die deutsche Geschichte geprägt haben (u.a. Conrad & Osterhammel 2004; Conrad 2006; Conrad 2008) und bis in die Gegenwart fortwirken. Andererseits ermöglicht der Fokus auf das bis dahin kaum einbezogene Deutschland eine Bereicherung und Verschiebung des räumlichen Spektrums postkolonialer Ansätze, die sich üblicherweise stark auf die historischen Kolonialmächte England, Frankreich, Belgien und die Niederlande konzentrieren.
Entsprechend richtet sich die Kritik am Postkolonialismus oft auf dessen überwiegenden Fokus auf das Britische Empire und seine Kolonien. So wurde versucht, die Bedeutung des 'indischen Modells' zu relativieren bzw. die britischen Kolonien als Sonderfall darzustellen. Ein wichtiger Einwand gegen postkoloniale Ansätze betraf etwa ihre Tendenz, den europäischen Kolonialismus am britischen Modell auszurichten und damit zu homogenisieren. So machen neuere Forschungsarbeiten zu französischen (Mbembe 2000; Mbembe in diesem Band), italienischen (Mellino 2005), portugiesischen (Sousa Santos 2002) und deutschen (Conrad 2008) Erfahrungen des Kolonialismus darauf aufmerksam, dass postkoloniale Perspektiven und Studien außerhalb des angelsächsischen Raums bis vor wenigen Jahren auf wenig oder nur sehr verhaltenes Interesse gestoßen sind – und dies sogar in Gesellschaften mit einer langen und komplexen kolonialen Geschichte. Zu den Gründen für dieses kontinentaleuropäische Desinteresse zählen die Tendenz zur systematischen Verdrängung der eigenen kolonialen Vergangenheit, die mangelhafte Rezeption wichtiger Autorinnen und Autoren wie beispielsweise Edward W. Said und der fehlende Einfluss von Intellektuellen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern of colour bzw. mit Migrationshintergrund. Vorstöße, auch bislang ausgeklammerte Staaten wie die Schweiz unter der Perspektive eines 'Kolonialismus ohne Kolonien' (Putschert, Lüthi & Falk 2013) in den postkolonialen Diskurs einzubinden, sind noch die Ausnahme – und gerade deshalb wichtig.
Trotz der Hinwendung zu postkolonialen Perspektiven in den Geschichtswissenschaften bestehen weiterhin Lücken in der Aufarbeitung und Sichtbarmachung der kolonialen Geschichte Europas. Zudem bleiben die epistemologischen Grundlagen heutiger Wissensproduktion, heutiger Politiken und Auseinandersetzungen in den europäischen Gesellschaften von dieser Aufmerksamkeit für postkoloniale Ansätze weitgehend unberührt. So entsteht erst allmählich eine Reflexion dieser Ansätze in den mit Europa befassten Wissenschaften und befragt deren Grundlagen: ihre Sicht auf kulturelle, diskursive und politische Projekte der Europäisierung, auf expandierende, imperiale Formen eines europäischen Regierens und auf Fragen der Bürgerschaft in den metropolitanen Kreuzungspunkten globaler, postkolonialer Migrationen.
Diese Lücken im Blick, verfolgen wir mit diesem Band das Ziel, ein weiteres Kapitel eines subtilen, fortdauernden Eurozentrismus aufzuschlagen und zu reflektieren. Denn gerade weil die europäische Metropole in ihrer heutigen Gestalt kaum aus postkolonialer Perspektive in den Blick genommen und markiert wird, behauptet sie sich weiterhin als unhinterfragte 'leere Mitte', und damit als unsichtbares Zentrum wissenschaftlicher Diskurse. Mit einer reflexiven postkolonialen Betrachtungsweise lässt sich Europa dagegen nicht nur historisch, sondern auch in der Gegenwart dezentrieren: als Produzentin wie als Produkt globaler Machtverhältnisse, Bewegungen und Konflikte sowie ihrer Verflechtungsgeschichten.
Die Beiträge von Manuela Boatc, Prasanjit Duara, Michael Herzfeld, Achille Mbembe und Sandro Mezzadra, um die der Band erweitert wurde, stellen dezidierte postkoloniale Bezüge zum gegenwärtigen Europa und seinen Grundlagen her. Sie ergänzen und pointieren den bereits bestehenden Korpus von Texten in dieser Hinsicht und wurden von uns innerhalb einer neuen Gliederung an jeweils passender Stelle eingefügt. Der erste Teil versammelt Texte, die ein Panoptikum kolonialgeschichtlicher Grundlagen europäischer Epistemologien vorstellen und analysieren. Diesen Part beschließt Achille Mbembes Auseinandersetzung mit der aktuellen Absenz postkolonialer Selbstreflexion in Frankreich: Er geht deren epistemologischen Hintergründen nach und zeigt dabei exemplarisch, wie solche Genealogien eine europäische Gegenwart bestimmen. Mit Transgressionen ist der Mittelteil des Buches überschrieben. Hier finden sich neu hinzugekommene Texte, die an die These des 'inneren Kolonialismus' von Jean und John Comaroff anschließen und nach Formen der Einschreibung, Übertragung und der Übertragbarkeit kolonialer Denk- und Handlungsmuster fragen. Dabei geht es gerade nicht um die Annahme einfacher Reproduktionen und Kontinuitäten, sondern um komplexe transgressive Übergänge auf der Skala kolonialisierender Regierungstechniken, wie Sandro Mezzadra am Beispiel einer neuen Zentralität von Grenzen und Border Studies für die Frage nach einem sich konstituierenden politischen Subjekt deutlich macht. Michael Herzfelds Analyse eines an den Grenzen zwischen Kolonie und Metropole angesiedelten 'Kryptokolonialismus' zeigt überraschende Nachbarschaften zwischen scheinbar weit voneinander entfernten Gesellschaften wie Griechenland und Thailand. Und Manuela Boatcs kritischer Blick in die imperiale Geschichte der Europäisierung Rumäniens liefert wichtige Einsichten für ein Verständnis heutiger 'innereuropäischer' Kolonialität.
Ein dritter und letzter Teil behandelt das Thema kolonial konstituierter Raumordnungen. Hier ist Paranjit Duaras Beitrag neu hinzugekommen, der sich ausführlich und grundlegend mit der kolonialen Herstellung Asiens als Region beschäftigt. Am Ende des Bandes wirft dieser Beitrag einige tiefgreifende weiterführende Fragen auf, die noch über eine Perspektive transregionaler Verflechtungen hinausgehen und auch die vorgängige Konstruktion scheinbar naturwüchsiger Regionen zum Forschungsgegenstand erheben. Duaras Analyse verweist nicht nur auf weitere Lücken in einer postkolonialen Europäisierungsforschung, sondern auch auf die konstruktive Dimension eines sich erst durch die Regionalisierung Asiens weiter konstituierenden und in den imperialen Vordergrund schiebenden Europas.
Die neuen Beiträge zu dieser erweiterten Auflage können und sollen unseren Blick schärfen für die offenen Fragen, die eine weiter gefasste postkoloniale Perspektive auf die Gegenwart Europas aufwirft.


Sebastian Conrad ist Professor für Neuere Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Shalini Randeria ist Professorin für Sozialanthropologie und Soziologie am Graduate Institute of International and Development Studies Geneva. Regina Römhild ist Professorin am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin.


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