Dorn | Das Wolfskind auf der Flucht | Buch | 978-3-902647-30-6 | sack.de

Buch, Deutsch, 156 Seiten, PB, Format (B × H): 140 mm x 220 mm, Gewicht: 234 g

Dorn

Das Wolfskind auf der Flucht


1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-902647-30-6
Verlag: edition riedenburg e.U.

Buch, Deutsch, 156 Seiten, PB, Format (B × H): 140 mm x 220 mm, Gewicht: 234 g

ISBN: 978-3-902647-30-6
Verlag: edition riedenburg e.U.


"Im Winter fanden wieder die Zirkelabende von der FDJ statt. Aber die meisten Dinge dort berührten mich überhaupt nicht, so zum Beispiel Marx und Engels, Liebknecht und Luxemburg, Lenin und Stalin. Ich hatte andere Sorgen: Wie überleben wir das alles, war meine wichtigste Frage. Von mir wollten die Anderen oft wissen, was ich in Königsberg und Litauen erlebt hatte. Manchmal habe ich gesagt, dass ich nicht immer darüber sprechen kann, weil all die furchtbaren Erinnerungen wieder in mir hochkamen und ich alles nachts wiedererlebte. Aber ich schwieg auch aus einem anderen Grund: Es war offiziell verboten, über ‚Flüchtlinge’, ‚Heimatvertriebene’ oder gar ‚Wolfskinder’ zu sprechen. Der Staat bezeichnete uns als ‚Übersiedler’ und betonte, dass wir freiwillig in die DDR gekommen seien." Nach ihrem Buch „Ich war ein Wolfskind aus Königsberg“ (ebenfalls erschienen bei der edition riedenburg, ISBN 978-3-902647-09-2) berichtet die 1935 in Königsberg (Ostpreußen) geborene Ursula Dorn nun über die Fortsetzung ihrer tragischen Geschichte. Dem Krieg entronnen bleibt sie auch in der DDR fremd und nutzt 1953 die Chance zur Flucht in die Bundesrepublik. Doch auch im „goldenen Westen“ ist das Leben als Flüchtling äußerst beschwerlich. Durch ihre zupackende Art gelingt es Ursula allen Schwierigkeiten zum Trotz, sich nach vielen harten Jahren eine glückliche Existenz aufzubauen. Das Wolfskind „Ulla“ kommt als junge Frau endlich wirklich in dem von ihr ersehnten Leben an. *** "Das Wolfskind auf der Flucht" beinhaltet etliche seltene Facsimile-Abdrücke, darunter: * 1948: Quarantäne-Bescheinigung des Quarantänelagers Siebenborn in Eisenach (Thüringen) * 1949: Abschlusszeugnis der Deutschen Einheitsschule, Grundschule Weißbach * 1953: Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Staatssekretariat für Berufsbildung: Ursulas Facharbeiterzeugnis für die Prüfung als Knopfmacher. * 1953: Ursulas Laufzettel für das Aufnahmeverfahren im Lager Spandau, Berlin West * 1954: Ursulas Meldekarte vom Arbeitsamt Hamburg, Durchgangslager Hamburg-Wandsbek, „Fürsorgeabteilung“ * 1954: Ursulas Einweisungsbescheid (Registrierschein) des Durchgangslagers Hamburg-Wandsbek nach Nordrhein / Westfalen * 1954: Ursulas Arbeitslosen-Meldekarte vom Arbeitsamt Kempen * 1955: Bundesrepublik Deutschland, Ursulas Ausweis für Vertriebene und Flüchtlinge.

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Zielgruppe


Das vorliegende Buch richtet sich sowohl an Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs und der Zeit danach, als auch an die Nachfolgegeneration und geschichtlich Interessierte. Als Unterrichtslektüre für die Schule geeignet. Zur Erwachsenenbildung geeignet

Weitere Infos & Material


Das Wolfskind aus Königsberg: Was bisher geschah 8
Das Wolfskind auf der Flucht 11
Zu alt für die Schule 13
Gute und schlechte Nachrichten 16
Ein starker Wille 18
Nur Zoselsuppe 19
Mein erstes Zeugnis 21
Nur nichts vergessen 23
Glücklich überstanden 25
Weihnachten 1949 29
Nehmt euch mal ein Beispiel! 31
Ein zufriedener Pastor 35
Nicht mal ein Bett 39
Wenigstens zuschauen 42
In blauer Bluse 45
Sport frei! 48
Vorfreude, schönste Freude 51
Ein armes Menschenkind 54
Tanzstunden bei der FDJ 56
Erwachsenwerden 59
Die Lauflokomotive 61
Zwischen Hitler und Stalin 63
Bau auf, bau auf, bau auf 65
Zwei Florentiner 67
Wie ein Donnerschlag 71
Aufruhr 74
Fluchtpläne 76
Ins Ungewisse 80
Schwarze Menschen 82
Über und unter den Wolken 86
Im goldenen Westen 89
Das erste Paar Schuhe 92
Amtsdeutsch 94
Aufbegehren 95
Wozu habe ich Dich denn in die Welt gesetzt? 98
Ersatzmutter 101
Von morgens bis abends auf Trab 103
Ein Sonntagsbraten für Alona 104
Nicht nur Trauer haben 107
Dreistufenröcke und Petticoats 108
Liebe auf den ersten Blick? 110
Versöhnung 113
Eine Zukunft für uns 116
Gemeinsam statt einsam 118
Endlich angekommen 120
Fotos und Dokumente von 1948 bis 1958 123
Begriffe der ehemaligen DDR 139
Ein ganz normales (Flüchtlings-)Leben oder Vom pädagogischen Wert des Unspektakulären
Ein Kommentar von PD Dr. Winfrid Halder 141


*** Zwischen Hitler und Stalin *** In der Firma wurden wir Lehrlinge viel in der Produktion eingeteilt. Ich rackerte, so viel ich nur konnte, um immer über 100 Prozent zu erreichen. Die Frauen in der Produktion meckerten oft, weil ich ihnen die Akkordsätze kaputtmachen würde. Ich habe es aber aus der Not heraus gemacht, damit mir die Prämie sicher war. Ich brauchte doch das Geld.
In der Berufsschule wurden am Ende der Ausbildung viel mehr Arbeiten geschrieben, aber da kam ich ganz gut mit. Dass meine Zensuren gut ausfielen, hieß, dass sich die Mühe für mich gelohnt hatte. In Gegenwartskunde beschäftigten wir uns des Öfteren mit Amerika und dem Kapitalismus. Da ging es hoch her, denn vom Kapitalismus wollte natürlich in der Stalinzeit keiner was wissen. Unser Lehrer Albrecht sagte: „Es wird eines Tages so kommen, dass sich der Kapitalismus an seinem eigenen Reichtum zerfleischt, so wahr ich hier stehe.“
Dann ging ich zu Inge, erzählte ihr alles und sie sagte: „Ulla, jetzt überlegen wir beide mal, was Kapitalismus ist.“ Dann fingen wir in unserem Dorf an. Es gab Leute, die mussten beim Bauern arbeiten, um zu überleben, dann gab es hier ein Gut, deren Besitzer noch mehr als die Bauern hatten, und Firmeninhaber hatten mehr als die Handwerkerstätten. Und dann ging es immer höher, bis zum Beispiel in der DDR der Staat alles hatte. Also war es doch Staatskapitalismus, oder? Inge meinte: „Mensch, Ulla, wie hast du das rausbekommen?“ Ich hatte einfach bei mir selber angefangen, denn ich besaß gar nichts, noch nicht mal ein eigenes Bett.
Wir gingen zu Inges Mutter und erzählten ihr unsere Theorie und sie lachte darüber. Es kamen noch viele solcher Themen und ich habe mir meine eigenen Gedanken gemacht.
Eines Tages gab es den Spruch ‚Butter statt Kanonen’ für das Volk. Das konnte ich mal vorbehaltlos unterstützen, denn Butter gab es nur auf Marken für jeden zugeteilt, weil alles nach Russland ging. Von Eiern bis Heu für die Kühe, es ging alles weg. Nur mit Parolen konnte man ein Land nicht aufbauen.
Überall in der DDR sah man Stalinbilder, in jeder öffentlichen Einrichtung – Schulen, Firmen, Kaufläden, Gaststätten, Kindergärten. Stalin war allgegenwärtig und nicht wegzudenken. Da hatten wir gerade das mit den Hitlerbildern hinter uns gebracht, und nun? So kann es mit hochgefeierten Staatsmännern enden.
Aber langsam begann man jetzt Ordnung im Staat zu spüren. Die Jugendlichen und Kinder gingen meist begeistert zur FDJ und den Pionieren, aber die Erwachsenen wollten sich weniger politisch betätigen. Ich unterhielt mich zum Beispiel mit meiner Mutter, aber die sagte nur: „Da will ich nichts von wissen.“
In den Städten wurden nun zunehmend unschöne Betonbauten errichtet, Hauptsache, die Menschen kamen irgendwo unter. Und in den Geschäften wurde es immer leerer. So kam es, dass immer mehr Ware gegen Ware getauscht wurde. Meine Hoffnung auf eine bessere Zeit ging mehr und mehr verloren. [.] *** Aufruhr *** Als ich mal ein paar Jugendliche, die ich von der Lehre kannte, in Schmölln auf dem Marktplatz traf, sagten sie zu mir: „Ulla, bei uns in der Firma, da sind die Leute ganz aufgebracht und tuscheln immer.“ Unruhe läge in der Stadt und im ganzen Land. Mir fiel wieder ein, dass ich das am Ende der Lehrzeit ja ebenfalls bei unseren Leuten bemerkt, es aber wieder verdrängt hatte.
Als ich das nächste Mal in Weißbach war, berichtete ich Inge davon. Sie meinte, auch in ihrer Firma, einer Schuhfabrik, ginge es so zu, aber alles würde ganz geheimnisvoll behandelt. Irgendwie kam bei uns ein beklemmendes Gefühl auf, aber wir konnten uns keinen Reim darauf machen.
Es sollte aber nicht lange verborgen bleiben: Am 17. Juni 1953 frühmorgens begann der Aufruhr in der Stadt. Die Straßen füllten sich mit Menschenmassen, alle versammelten sich auf dem Marktplatz. Eine aufrührerische Gruppe holte die Mitarbeiter aus allen Betrieben. Da wir ganz in der Nähe vom Marktplatz das Café hatten, hielt es auch unsere Leute aus dem Laden und der Backstube nicht und sie gesellten sich zu der Menschenmenge. Ich hatte große Angst und traute mich nicht auf die Straße. Ich fragte Frau Hoppe, was da überhaupt los sei, worauf sie meinte: „Ulla, das ist ein Aufstand vom Volk gegen die Regierung.“ Da wurde mir plötzlich klar, warum die Leute vor Monaten in der Knopffabrik über schlechte Löhne für viel Arbeit geschimpft hatten. [.] *** Fluchtpläne *** Bei Hoppes erhielt ich am Ende des Monats zusätzlich zu Unterkunft und Essen noch 25 Mark. Die Hälfte davon gab ich meiner Mutter zum Leben, für alles Andere musste sie sich bei den Bauern in Weißbach selbst Geld verdienen. Ich hatte nicht mehr, denn ich selber konnte mir von den paar Mark kaum was leisten. Im Café war Vera, eine junge Verkäuferin, beschäftigt, mit der ich mich ein wenig angefreundet hatte. Sie erzählte mir, dass sie Verwandte im Westen habe. Die sagte immer zu mir: „Irgendwann verändere ich mein Leben. Ich will doch nicht ewig in der Konditorei arbeiten.“ Ich fragte mich, ob sie übergeschnappt sei. So eine schöne Arbeit und nun wollte sie was Anderes machen.
Eines Tages kam Herr Hoppe und informierte uns, dass unsere tüchtige Verkäuferin in den Westen abgehauen sei, nach Osnabrück. Für mich bedeutete das, mein Zimmer zu teilen, denn die neue Verkäuferin war eine Frau aus Altenburg, die auch nicht immer nach Hause fuhr. Sie bekam das zweite Bett in meinem Zimmer zugewiesen und den Kleiderschrank teilten wir uns. Doch Veras Flucht hatte in mir einen Gedanken festgesetzt: Was die geschafft hat, das müsste mir doch auch gelingen?! Ich erzählte meiner Mutter davon, doch sie winkte nur ab.
Ich bemühte mich, wieder regelmäßig zu den Trainingsstunden nach Weißbach zu kommen. Eines Tages nahm mich der Trainer König beiseite und erzählte mir: „Ulla, wir haben Bescheid bekommen, dass wir jemanden zur Sportschule nach Leipzig schicken können. Da haben wir an Dich gedacht. Wie ist es, hast Du Lust, das zu machen?“ Ich war ganz begeistert, doch wie sollte das gehen? Meine Mutter hatte kein Geld und ich auch nicht. Ich lehnte also ab. Aber Herr König meinte: „Du brauchst kein Geld, das bezahlt alles der Sportverband.“ Ich eierte ganz schön rum, denn das Geld war ja nicht das Hauptproblem – eigentlich wollte ich gar nicht in der DDR bleiben.
Ich beschloss, mir eine Arbeit zu suchen, wo ich mehr verdiene als bei Hoppes. Wenn ich genug hätte, könnten Mutter und ich zusammen in den Westen gehen. Ich erzählte ihr ehrlich, was ich vorhatte, aber sie sollte es für sich behalten. Ich ließ sie eine Weile nachdenken und schließlich erkannte sie selbst, dass ihre Chancen in Weißbach gering waren. Sie überlegte mit mir: „Ulla, ich komme mit. Hier habe ich nichts zu verlieren. Im Westen kann ich vielleicht meine Schwester Agnes wiedersehen.“ So stand unser Plan bald fest.


Nach ihrem Buch „Ich war ein Wolfskind aus Königsberg“ berichtet die 1935 in Königsberg (Ostpreußen) geborene Ursula Dorn nun über die Fortsetzung ihrer tragischen Geschichte. Dem Krieg entronnen bleibt sie auch in der DDR fremd und nutzt 1953 die Chance zur Flucht in die Bundesrepublik. Doch auch im „goldenen Westen“ ist das Leben als Flüchtling äußerst beschwerlich. Durch ihre zupackende Art gelingt es Ursula allen Schwierigkeiten zum Trotz, sich nach vielen harten Jahren eine glückliche Existenz aufzubauen. Das Wolfskind „Ulla“ kommt als junge Frau endlich wirklich in dem von ihr ersehnten Leben an.



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