Dyk / Lessenich | Die jungen Alten | Buch | 978-3-593-39033-8 | sack.de

Buch, Deutsch, 410 Seiten, Format (B × H): 144 mm x 212 mm, Gewicht: 512 g

Dyk / Lessenich

Die jungen Alten

Analysen einer neuen Sozialfigur

Buch, Deutsch, 410 Seiten, Format (B × H): 144 mm x 212 mm, Gewicht: 512 g

ISBN: 978-3-593-39033-8
Verlag: Campus Verlag GmbH


Deutschland altert – und doch auch wieder nicht, denn die Alten werden immer 'jünger': Sie bleiben länger gesund, sind aktiv und mobil, zudem auch höher gebildet als früher. Vor allen Dingen aber wird die Gruppe dieser 'jungen Alten' immer größer, denn schon bald wird die Generation der 'Babyboomer' ihr langes Rentnerleben beginnen. Als Überalterung beklagt und eingebettet in die Wende zum aktivierenden Sozialstaat, wird diese Entwicklung derzeit zur Initialzündung für eine gesellschaftliche Neuverhandlung des Alters: Was läge näher, so hören wir allerorten, als die Ressourcen dieser Altersgruppe gesellschaftlich zu nutzen, alle Register einer Politik des 'aktiven Alterns' zu ziehen? Der vorliegende Band versammelt erstmalig ins Deutsche übersetzte Grundlagentexte der englischsprachigen Diskussion sowie kritische Beiträge zur deutschen Debatte um das 'junge Alter' und seine gesellschaftliche Bedeutung.
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Inhalt

1. Einführung
"Junge Alte": Vom Aufstieg und Wandel einer Sozialfigur
Silke van Dyk und Stephan Lessenich

2. Theoretische Impulse aus der angelsächsischen Altersforschung

Vorbemerkung

Dominierende und konkurrierende gerontologische Paradigmen: Für eine politische Ökonomie des Alterns
Carroll L. Estes, James H. Swan und Lenore E. Gerard (1982)

Die Ethik des Beschäftigtseins: Zur moralischen Kontinuität zwischen Arbeitsleben und Ruhestand
David J. Ekerdt (1986)

Die Maske des Alterns und der postmoderne Lebenslauf
Mike Featherstone und Mike Hepworth (1991)

Zum Verständnis von Altersdiskriminierung: Feministische und postmoderne Einblicke
Glenda Laws (1995)

Konsum und Identität im Alter: Entwicklung einer kulturgerontologischen Perspektive
Chris Gilleard (1996)

Der abwesende Körper - ein sozialgerontologisches Paradoxon
Peter Öberg (1996)

Geschäftige Körper: Aktivität, Altern und das Management des Alltagslebens
Stephen Katz (2000)

Eine foucauldianische Analyse des Alters und der Macht wohlfahrtsstaatlicher Politik
Simon Biggs und Jason L. Powell (2001)

Das Selbst, die Gesellschaft und die "neue Gerontologie"
Martha B. Holstein und Meredith Minkler (2003)

3. Die "jungen Alten" im deutschsprachigen Kontext

Vom ›tätigen Leben‹ zum ›aktiven Alter‹: Alter und Alterszuschreibungen im historischen Wandel
Gerd Göckenjan

Alter(n) in Ost und West: Der Wandel normativer Modellierungen des Alter(n)s in historisch vergleichender Perspektive
Hans-Joachim von Kondratowitz

Lohn und Leistung, Schuld und Verantwortung: Das Alter in der Aktivgesellschaft
Stephan Lessenich

Die ›neuen Alten‹ im Visier des aktivierenden Wohlfahrtsstaates: Geschlechtsspezifische Implikationen des produktiven Alter(n)s
Diana Auth

›Junge Alte‹ im Spannungsfeld von liberaler Aktivierung, ageism und anti-ageing-Strategien
Silke van Dyk

Das biografisierte Alter - sozialpädagogische Formationen des autonomen alten Menschen
Barbara Pichler

Die Normierung alternder Körper - gouvernementale Aspekte des doing age
Klaus R. Schroeter

Natürlich alt? Zur Neuerfindung der Natur des Alter(n)s in der Anti-Ageing-Medizin und der Sozialgerontologie
Mone Spindler

4. Ausblick

Die "jungen Alten" zwischen Aktivität und Widerstand
Silke van Dyk und Stephan Lessenich

Autorinnen und Autoren


Junge Alte:
Vom Aufstieg und Wandel einer Sozialfigur
Silke van Dyk und Stephan Lessenich

1. Einleitung
Alterslast, Vergreisung, Überalterung, Altenrepublik - das Repertoire an Krisenbegriffen zur Beschreibung der im Zuge höherer Lebenserwartung und sinkender Geburtenraten alternden Gesellschaft ist groß. Kommuniziert anhand von Katastrophenkategorien, ist die gesellschaftliche Alterung in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem der prominentesten Krisendiskurse avanciert, im Rahmen dessen die Implosion von Renten- und Krankenversicherung, nachlassende Wirtschaftskraft und Innovationsfähigkeit, eine gesellschaftliche Erstarrung unter der Alterslast sowie die drohende Herrschaftsform der Gerontokratie beschworen werden. Doch damit ist nur eine Seite der Altenmedaille beschrieben, denn parallel zur vermeintlichen Vergreisung der Gesellschaft ist eine Verjüngung der Alten zu konstatieren, die über viele Jahre hinweg angesichts hoher Erwerbslosigkeitsraten jenseits der 55 immer früher in den Ruhestand entlassen wurden. Der einstmals so kurze Lebensabschnitt des Alters im Sinne eines letzten Lebensrestes kann inzwischen angesichts eines vorgezogenen Rentenzugangs bei gleichzeitig steigender Lebenserwartung - insbesondere von Frauen - durchaus einen Zeitraum von über 30 Jahren umfassen. Die Mehrzahl der Älteren erlebt den größeren Teil dieser Zeit zudem bei guter Gesundheit und verfügt im Vergleich zu früheren Generationen über eine bessere materielle Absicherung und ein höheres Bildungs- bzw. Qualifikationsniveau.

Die zunehmende Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den doppelten Sachverhalt, dass ›die Alten‹ nicht nur ›immer älter‹, sondern in gewisser Weise eben auch ›immer jünger‹ werden, also einen zunehmend länger werdenden Teil ihrer zunehmend länger werdenden Lebenszeit gesund und leistungsfähig bleiben, hat zur sozialpolitischen Entdeckung der Aktivierbarkeit des Alters geführt. Tonangebend hierfür ist hierzulande der Fünfte Altenbericht gewesen, für den das zuständige Bundesministerium einer hochkarätig besetzten Expertenkommission die Suche nach Antworten auf die Frage aufgetragen hatte, wie "die Potenziale des Alters gesellschaftlich besser genutzt werden können" (BMFSFJ 2005: 3). In entschiedener Abgrenzung von überkommenen Bildern des greisen, siechen, hilfsbedürftigen Alters erscheinen die jungen Älteren nunmehr geradezu als Quelle gesellschaftlich segensreicher Aktivität.

Auch jenseits des Altenberichts und sozialwissenschaftlicher Forschung (z.B. Erlinghagen/Hank 2008) hat sich dieses neue Bild des ›jungen Alters‹ in jüngster Zeit in der Medienberichterstattung und nicht zuletzt in der Werbung zunehmend durchgesetzt. Stellt man den politisch-ökonomischen Kontext des nunmehr zu Ende gehenden ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts in Rechnung, so erscheint die neue Rahmung des Alters als einer Phase fortgesetzter - wenngleich anders gearteter, nachberuflicher - Aktivität alles andere als kontraintuitiv. Was läge in Zeiten chronisch beklagter fiskalischer Nöte der öffentlichen Hand, im Zeichen der prognostizierten Zunahme des Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung, im Windschatten schließlich der mit großem finanziellen, institutionellen und propagandistischen Aufwand betriebenen Aktivierung erwerbsfähiger Erwerbsloser näher, als auch ›das Alter‹ wieder stärker in die gesellschaftliche Pflicht zu nehmen? Was klänge plausibler, als "die Produktivität älterer Menschen und die dem demografischen Wandel innewohnenden Chancen" (BMFSFJ 2005: 33) mit in politische Planungen einzubeziehen? Wer könnte schon etwas gegen die Aktivierung der Alten, gegen die politische Belebung und gesellschaftliche Inanspruchnahme ihrer Lebensgeister, haben oder sagen wollen?

So aktuell und einschneidend die gesellschaftliche Entdeckung der - vor allem - jungen Alten in Zeiten der ausgerufenen Doppelkrise von Wohlfahrtsstaat und Bevölkerungspyramide ist, so dürftig fällt die theoretische Erkundung, Analyse und Problematisierung dieser prominenten Sozialfigur aus. Dieser Umstand ist - so der Ausgangspunkt unserer Überlegungen zum vorliegenden Band - ganz wesentlich einer umfassenden theoretischen Rezeptionssperre in der deutschsprachigen Gerontologie geschuldet, die zur Folge hat, dass die Potentiale zentraler sozialwissenschaftlicher Theorieentwicklungen der vergangenen 30 Jahre - von wenigen Ausnahmen abgesehen - ungenutzt bleiben. Konkret geht es hier um ein weites theoretisches Feld von neo-marxistischen, feministischen und dekonstruktivistischen Ansätzen über postmoderne und poststrukturalistische Theorien bis hin zu kulturtheoretischen Perspektiven im weiteren Sinne. Ganz anders als im deutschsprachigen Raum hat im selben Zeitraum in der angelsächsischen Gerontologie eine lebhafte Aufnahme und Weiterentwicklung dieser theoretischen Strömungen stattgefunden, was wesentlich zu einer kritischen Diskussion der ressourcen- und produktivitätsorientierten politischen Entdeckung des Alters beigetragen hat. In diesem Band werden erstmals zentrale Beiträge dieser Debatte in deutscher Übersetzung dokumentiert, ergänzt um acht Beiträge deutschsprachiger Altersforscher/innen, die das bislang brachliegende (sozial)theoretische Potential für die Problematisierung der Sozialfigur der ›jungen Alten‹ im hiesigen Kontext ausbuchstabieren und fortschreiben.

Um dieser Sozialfigur theoretisch fundiert nachgehen zu können, ist eine Kontextualisierung der Analyse(n) in zweifacher Hinsicht erforderlich: Zum einen gilt es, die sozialtheoretischen Diskurs- und Entwicklungslinien der Altersforschung im angelsächsischen wie deutschsprachigen Raum zu rekonstruieren (Abschnitt 2), und zum anderen, die aktuellen sozio-ökonomischen und sozio-politischen Rahmenbedingungen der Entdeckung des ›jungen Alters‹ darzulegen (Abschnitt 3). Im Anschluss an eine Skizze der Historie und Entwicklung der Sozialfigur der ›jungen Alten‹ (Abschnitt 4) wird dann ihre Bedeutung und Rolle im Kontext des aktivgesellschaftlichen Umbaus zugespitzt (Abschnitt 5). Der letzte Abschnitt schließlich zeigt die wissenschaftlichen Leerstellen der Analyse des jungen Alters im deutschsprachigen Kontext auf und gibt einen kurzen Ausblick darauf, wie diese anhand der im vorliegenden Band dokumentierten und erstveröffentlichten Beiträge zu schließen sind.


Lessenich, Stephan
Stephan Lessenich ist Professor für Gesellschaftstheorie und Sozialforschung an der Universität Frankfurt sowie Direktor des Instituts für Sozialforschung.

Dyk, Silke van
Silke van Dyk ist Professorin für Politische Soziologie des Instituts für Soziologie der Universität Jena.

Silke van Dyk ist Professorin für Politische Soziologie des Instituts für Soziologie der Universität Jena.
Stephan Lessenich ist Professor für Gesellschaftstheorie und Sozialforschung an der Universität Frankfurt sowie Direktor des Instituts für Sozialforschung.


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