Schwerhoff | Historische Kriminalitätsforschung | Buch | 978-3-593-39309-4 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 9, 234 Seiten, Format (B × H): 136 mm x 207 mm, Gewicht: 309 g

Reihe: Historische Einführungen

Schwerhoff

Historische Kriminalitätsforschung

Buch, Deutsch, Band 9, 234 Seiten, Format (B × H): 136 mm x 207 mm, Gewicht: 309 g

Reihe: Historische Einführungen

ISBN: 978-3-593-39309-4
Verlag: Campus Verlag GmbH


Gewaltrituale, organisiertes Verbrechen oder verbotene Sexualität - kaum etwas charakterisiert eine Gesellschaft anschaulicher als das, was sie als abweichendes Verhalten definiert. Folgerichtig beschäftigt sich die Geschichtswissenschaft zusehends intensiver mit den typischen Erscheinungsformen von Kriminalität und ihrem Wandel in verschiedenen Epochen. Gerd Schwerhoff vermittelt in diesem Band die zentralen Fragestellungen, Methoden und Theorien der historischen Kriminalitätsforschung. Er skizziert die wichtigsten Deliktfelder vom Mittelalter bis in die neueste Zeit sowie das breite Spektrum möglicher Sanktionen und zeigt, welche Quellen wie genutzt werden können.
Der Band gibt einen umfassenden Überblick über die Geschichte der Kriminalität und ihre Erforschung.
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Inhalt

1. Einleitung: Gegenstand und Begriffe. 7

2. Forschungsfelder und Forschungskonzepte. 15
2.1 Themen, Disziplinen und Epochen. 15
2.2 Konzepte und Theorien. 30

3. Quellen und Methoden. 40
3.1. Quellen der Kriminalitätsgeschichte. 40
3.2 Methoden der Quellenauswertung. 54

4. Kriminalität und Recht. 72
4.1 Normen und Gerichte. 74
4.2 Strafverfolgung und Strafprozess. 81
4.3 Strafen. 95
4.4 Funktionen der Justiz. 105

5. Kriminalität und Gesellschaft. 113
5.1 Gewaltkriminalität. 113
5.2 Eigentumsdelikte und organisierte Kriminalität. 136
5.3 Sexual- und Sittendelikte. 151
5.4 Religionsdelikte und politische Kriminalität. 164

6. Kriminalität und Öffentlichkeit. 178

Auswahlbibliographie. 197
Register. 226


1. Einleitung: Gegenstand und Begriffe

Kriminalität ist ein Teil unseres gegenwärtigen Alltags. Geht es
um das eigene Lebensumfeld, denken wir uns dabei zunächst einmal
als Opfer von Einbrüchen, Autodiebstählen oder Überfällen
oder aber als Zeugen von kriminellen Handlungen. Wenn wir ehrlich
sind, kommen die meisten von uns aber auch als potentielle
Gesetzesbrecher in Frage: Wer mag sich davon frei sprechen, schon
einmal als Ladendieb, als Versicherungsbetrüger, als Steuerhinterzieher
oder auch lediglich als Verkehrssünder tätig oder gar
auffällig gewesen zu sein? Häufiger beschäftigt uns Kriminalität
jedoch in fiktionaler Form: In den Urlaub begleitet uns der unvermeidliche
Kriminalroman, während wir jeden Tag in zahlreichen
Fernsehserien Polizisten oder Privatdetektiven bei ihren Ermittlungen
zusehen können. Als Brücke zwischen erlebter Realität und
Fiktion fungieren die Massenmedien. Gerade hier nimmt die Kriminalität
einen zentralen Platz ein. Berichte über besonders grausame
Verbrechen, über außergewöhnliche kriminelle 'Karrieren'
oder über die Macht der organisierten Kriminalität bringen die
unterschiedlichsten Seiten bei den Rezipienten zum Klingen: Sie
können Unterhaltungsbedürfnisse befriedigen, Bedrohungs- und
Ohnmachtsgefühle wachrufen, aber auch – auf dem Umweg über
vermeintliche Ausnahmefälle – Einblicke in politische und ökonomische
Strukturen der heutigen Gesellschaft vermitteln. Einfühlsamen
Gerichtsreportern kann es gelingen, aus dem Schicksal von
Angeklagten, Klägern und Opfern ein beredtes Porträt unserer Zeit
zu destillieren. Über den Einzelfall hinaus werden in ihren Berichten
Schattenseiten und Konfliktlinien unserer Gesellschaft deutlich.
Kriminalität und abweichendes Verhalten, so wird hier sichtbar,
sind ein wichtiges Abbild gesellschaftlicher Zustände. Polizeistatistiken –
auch über sie wird regelmäßig berichtet – erscheinen
geradezu als Fieberkurve sozialer Krankheitszustände.
Am eindrücklichsten gilt das für die Großstadtkriminalität. Seit
etlichen Jahren ist Frankfurt am Main Träger der roten Laterne
der höchsten Kriminalitätsbelastung und gilt als 'gefährlichste
Großstadt Deutschlands', obwohl Experten die Aussagekraft der
Daten in Frage stellen und zum Beispiel auf die 'importierte' Kriminalität
auf dem Rhein-Main-Flughafen verweisen (spiegel online
12.4.2007). Eng verwoben mit den Diagnosen sind die kriminalpolitischen
Therapievorschläge. Weil sich hier wie kaum irgendwo
anders ordnungspolitische Vorstellungen kristallisieren, wird mit
dem Thema Kriminalität regelmäßig Politik gemacht. Wie stark
die Bewertungen divergieren können, zeigt die Tatsache, dass
wechselweise zum Beispiel Gewalt gegen Ausländer und Gewalt
durch Ausländer zum Thema gemacht wird. So verwundert es
nicht, dass die Rezepte zur Kriminalitätsbekämpfung ebenfalls
diametral entgegengesetzt ausfallen: Wo die einen nach
der 'starken Hand' von Polizei, Justiz und Strafvollzug rufen
loben, verweisen die anderen auf soziale Deprivation als Kriminalitätsursache
und sehen die Abhilfe eher in Prävention und
Resozialisierung. Dabei ist die allgemeine Wahrnehmung der
Bevölkerung von der statistisch 'gemessenen' Kriminalität weitestgehend
abgekoppelt und wird durch sensationalistische Medienberichte
geprägt: Während zwischen 1993/5 und 2003/5 in
Deutschland insgesamt ein zum Teil erheblicher Rückgang der
Straftaten zu verzeichnen war, zeigen Stichprobenbefragungen,
dass allgemein ein starker Anstieg der Zahlen unterstellt wird
(Windzio 2007: 20).
Kriminalität (von lat. crimen = Beschuldigung, Anklage, Verbrechen),
das zeigen schon die einleitenden Bemerkungen, ist
keine soziale Wirklichkeit sui generis, sondern kulturell und gesellschaftlich
konstruiert. Zum einen, so eine Bestimmung aus
der gegenwartsbezogenen Kriminologie, bezeichnet der Begriff
'Kriminalität' diejenigen Tatbestände, die 'das jeweilige Kontrollsystem
– bestehend aus Verbrechensopfer und Anzeigenerstatter
bis hin zu Polizei und Strafrechtspflege – besonders missbilligt
und bestraft sehen will' (G. Kaiser, Art. 'Kriminalität', in: KKW).
Diese Definition bezieht sich offensichtlich vor allem
auf eine konkrete Zurechnung: Verdient ein individuelles Verhalten,
etwa eine Gewalttat, das Etikett 'kriminell'? Oder handelt
es sich um einen Akt der Notwehr oder gar um einen Unfall?
Dieser Zurechnung vorausgehen muss jedoch zum anderen eine
gesellschaftliche Verständigung darüber, was das jeweilige Kontrollsystem
als Kriminalität sanktionieren, unter welchen Umständen
also zum Beispiel Gewalt als abweichendes Verhalten
gelten soll und wann nicht (wie etwa im Krieg). Dieser Verständigungsprozess
ist ein komplexer gesellschaftlicher Diskurs, den
die unterschiedlichsten Akteure aus Politik, Wissenschaft und
Rechtspraxis in verschiedenen Medien vorantreiben (vgl. Kap. 6)
und der sich dann in rechtlichen Normen kristallisiert. Genauer
besehen handelt es sich bei Kriminalität also um eine (mindestens)
doppelte soziokulturelle Konstruktion. Diese Feststellung
macht zugleich deutlich, dass Kriminalität historisch variabel ist.
Denn jenseits der Geltungsbehauptung überzeitlicher, gleichsam
anthropologischer Normen ('Du sollst nicht töten!', 'Du sollst
nicht stehlen!') lassen sich kaum universeller gültige Regeln dafür
aufstellen, ob ein bestimmtes Verhalten als kriminell gelten soll.
So wird etwa die Betrachtung der Gewaltsamkeit zeigen, dass
sich die Grenze zwischen legitimer Rache oder Selbsthilfe und
verabscheuenswertem Mord vom Mittelalter zur Neuzeit deutlich
verschiebt (vgl. Kap. 5.1). Unser heutiges Verständnis von Kriminalität
ist das Ergebnis komplexer geschichtlicher Entwicklungen
und lässt sich nur sehr bedingt auf die Antike (vgl. Riggsby 1999)
oder das Mittelalter (vgl. Kap. 4) übertragen. Im engeren Sinn
entwickelte sich das Konzept der Kriminalität erst seit der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts (Ludi 1999).
Den herkömmlichen Maßstab von Kriminalität in der Gegenwart
bilden das Strafrecht und der darin enthaltene Sanktionsanspruch,
denn sie wird definiert als 'die Summe der strafrechtlich
missbilligten Handlungen' (G. Kaiser, Art. 'Kriminalität',
in: KKW). Das engt zum einen das Spektrum der betrachteten
Handlungen stark ein, denn leichtere Vergehen gegen die Rechtsordnung
werden von vornherein beiseite gelassen. Vor allem aber
ist dieser Maßstab für die historische Arbeit problematisch, weil
ein öffentliches Strafrecht nicht in jeder historischen Epoche existierte,
sondern sich in Europa im späten Mittelalter und in der
Frühen Neuzeit erst allmählich und regional höchst phasenverschoben
entwickelte. Dieser Prozess selbst ist für die Rechts- und
Kriminalitätsgeschichte von hoher Relevanz (Willoweit 1999).
Um eine übergeordnete analytische Perspektive zu finden, empfiehlt
es sich deshalb, den exklusiven Bezug auf ein schriftlich fixiertes
Strafrecht zu vermeiden. Einige Autoren verwenden daher
den Begriff 'Delinquenz' (Straffälligkeit) (Burghartz 1990: 9 f.).
An einem soziologischen statt einem rechtlichen Bezugsrahmen
orientieren sich Studien, die von Devianz (abweichendem Verhalten)
sprechen. Auch dieses abweichende Verhalten kann nur in
Relation zu bestimmten Normen näher bestimmt werden, jedoch
müssen diese Normen keine rechtliche Qualität, also Gesetzeskraft,
besitzen, sondern können ebenso gut informeller Natur
sein. Auch die ungeschriebenen Gesetze der Peer Group besitzen
soziale Bindekraft. 'Soziale Normen und kulturelle Übereinkünfte
bestimmen nicht nur abweichendes Verhalten, sondern
auch die angemessenen Reaktionen darauf. Die sozialen und
gesellschaftlichen Mechanismen und Prozesse, die abweichendes
Verhalten verhindern und einschränken, fallen unter die Rubrik
der sozialen Kontrolle' (Bohle 1984: 1). Das enge Koordinatensystem
'Kriminalität – Strafrecht – Strafe' kann so erweitert werden
zu dem Beziehungsdreieck 'Devianz – rechtliche und soziale
Normen – Sanktionen' innerhalb eines umfassenden Konzeptes
der sozialen Kontrolle (Peters 1995: 129 ff.). In ihrer allgemeinsten
Form wird soziale Kontrolle definiert als 'alle Arten, in denen Personen
abweichendes Verhalten definieren und darauf […] durch
eine Maßnahme reagieren' (Dinges 1994: 169). Das mögliche
Spektrum von Sanktionen erschöpft sich dementsprechend nicht
nur in formalisierten Strafen; ebenso umfasst es zum Beispiel die
negative Stigmatisierung und den Versuch des sozialen Ausschlusses
durch Beleidigungen oder durch den Klatsch der Nachbarn.


Schwerhoff, Gerd
Gerd Schwerhoff ist Seniorprofessor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der TU Dresden.

Gerd Schwerhoff ist Seniorprofessor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der TU Dresden.


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