Buch, Deutsch, 600 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 205 mm
Buch, Deutsch, 600 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 205 mm
ISBN: 978-3-940357-82-3
Verlag: Lilienfeld Verlag
Für die jüdische Familie hinter der erfolgreichen Berliner Militäreffektenhandlung Trier-Andernach wird 1887 privat zu einem besonderen Jahr: Als am Neujahrstag bekannt wird, dass sich die junge Lotte Andernach mit ihrem Jugendfreund Ferdinand Rauch verloben möchte, wird ihrem Großvater mulmig bei dem Gedanken an diese jüdisch-christliche Verbindung. Alle halten seine Bedenken für unsinnig, aber Lotte und Ferdinand gehen trotzdem probeweise auseinander – wer weiß, ob es nicht verlockende andere Möglichkeiten gibt? –, während hinter der restlichen Familienfassade Verbindungen existieren und entstehen, die gelinde gesagt etwas überraschend sind.
Politisch ist das Jahr 1887 das Jahr davor, in dem es noch so scheint, als würde sich alles in liberalen Formen weiterentwickeln. Im Folgejahr aber wird Wilhelm II. zum Kaiser, und Deutschland geht weiter auf einem anderen Weg.
Wilhelm Speyers opulenter im Exil entstandener Roman ist das wohl humorvollste und ergreifendste Porträt dieser Zeit und ihrer Menschen, ein äußerst lebensvolles und facettenreiches Gesellschaftsbild, in dem auch schon die politische Zukunft und der aufkeimende Antisemitismus ihre Schatten werfen.
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Vortrefflich also, daß Papa in sein einundneunzigstes Jahr ging, obwohl es auch seine Unzuträglichkeiten für die Nachkommen mit sich führte. Der Kommerzienrat verehrte seinen Vater, aber er konnte die Tatsache nicht übersehen, daß sich Ephraim, obwohl er der Gründer der Firma und kein schlechter Kaufmann gewesen war, mit nutzlosen und belanglosen Sachen abgab … War man Kaufmann, so hatte man zu seinem Beruf zu stehen und den Forderungen des Tages Genüge zu leisten. Es ging nicht an, in der Vergangenheit oder in der Zukunft zu leben und mit Gespenstergeschichten die Kinder und Enkel von ihren vernünftigen Zielen abbringen zu wollen. Eine seherische Begabung für die Börsenkurse oder für den Tuchbedarf der europäischen Armeen in den nächsten Monaten, für Krieg und Frieden überhaupt, mochte angebracht sein, aber es war nicht schicklich, den Teiresias zu spielen, an den Pforten des Hades Auskünfte über das zukünftige Schicksal ganzer Familien, Gruppen und Stämme zu erteilen und Lotte eine vorteilhafte Mariage auszureden, die er, der Kommerzienrat, begünstigte. Man droht doch nicht am hellen lichten Tage seinen Enkeln in der Jägerstraße damit, daß sie demnächst gezwungen sein werden, in den Höhlen der Felsen oder auf Bäumen zu wohnen. Ein flüchtiger Blick auf das Stadt-Panorama hier vor ihm, und das Absurde solcher Prophezeiungen wurde evident.