Steinbach / Ploenus | Ketzer, Käuze, Querulanten | Buch | 978-3-932906-84-8 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 5, 392 Seiten, GB, Format (B × H): 168 mm x 234 mm, Gewicht: 759 g

Reihe: manuskript

Steinbach / Ploenus

Ketzer, Käuze, Querulanten

Außenseiter im universitären Milieu

Buch, Deutsch, Band 5, 392 Seiten, GB, Format (B × H): 168 mm x 234 mm, Gewicht: 759 g

Reihe: manuskript

ISBN: 978-3-932906-84-8
Verlag: Bussert Dr. + Stadeler


Im ursprünglichen Wortsinn ist der 'Outsider' ein Rennpferd mit geringen Siegesaussichten. Wer darauf setzt, geht zumeist leer aus, kann aber bei einem Überraschungserfolg hohe Wettsummen einstreichen. Auch in der Universitätsgeschichtsschreibung wird auf den Außenseiter, also denjenigen, der es in der Regel nicht zur ordentlichen Professur brachte und dessen Karriere nicht selten außerhalb der Universität endete, wenig gegeben. Dabei ist gerade die Wissenschaftsgeschichte voll von tragischen Helden, die scheiterten. Ob in ihrer Zeit oder aus der besser wissenden Perspektive der Nachgeborenen: oft galten und gelten sie als ketzerische, bisweilen kauzige Querulanten – eben als Außenseiter im universitären Milieu, die den akademischen Betrieb mit ihren 'unebenen' Biografien aber mindestens ebenso stark prägten wie die Ordinarien. Sie verliehen ihm so etwas wie ein zweites Gesicht.
Der Band versammelt biografische Essays zu weitgehend unbekannten Außenseitern des universitären Milieus und will dabei doch mehr sein als ein anekdotenreiches Kuriositätenkabinett: eine andere Universitätsgeschichte.
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Inhaltsverzeichnis
Universitätsgeschichte durch die Hintertür 9
Einführung der Herausgeber
von Matthias Steinbach und Michael Ploenus
Von den Lastern der Gelehrten 13
Die Sieben Todsünden und die Juristen
von Robert Gramsch
Austreibung eines Dissidenten 27
Andreas Karlstadt (1486-1541)
von Günter Schmidt
Außenseiter und Sonderlinge? 40
Die Fechtmeister der Universität Jena
von Hans-Georg Kremer
Wie wird man rector magnificentissimus? 55
Christian Schenk zu Tautenburg (1600-1640)
von Gerhard Schaumann
»Der nützliche Gelehrte« 66
Johann August Schlettwein (1731-1802)
von Thomas Pester
»Ich bin ihnen ein Demokrat, ein Jakobiner« 102
Johann Gottlieb Fichte (1762-1814)
von Günter Schmidt
»Jakobiner, Religionsspötter und Pasquillant« 112
Georg Friedrich Rebmann (1768-1824)
von Werner Greiling
»Die erste Zuhörerin unseres Philosophen …« 125
Sophie Mereau (1770-1806)
von Christine Theml und Matthias Steinbach
»Sie systematisch niederzudrücken und auszuhungern …« 141
Adolf Hilgenfeld (1823-1907)
von Stefan Gerber
»… durchaus ein matter-of-fact man …« 154
Hermann Schaeffer (1824-1900)
von Carl Cappeller
Ein Universalhistoriker mit Humor und Freude am Gesang 340
Heinz Herz (1907-1983)
von Peter Schäfer
»Die Faszination des reichen Grabes« 355
Günter Behm-Blancke (1912-1994)
von Michael Ploenus
»… einmalig von Eisenach bis Wladiwostok« 366
Olof Klohr (1927-1994)
von Michael Ploenus
Register 381
Abbildungsnachweis 387
Die Autoren 388


Universitätsgeschichte durch die Hintertür
Einführung der Herausgeber
Denn die einen sind im Dunkeln/Und die andern sind im Licht/
Und man siehet die im Lichte/Die im Dunkeln sieht man nicht.«
Brecht/Dreigroschenoper
In der Fülle der Jubiläumsliteratur, die zum Geburtstag einer traditionsreichen
Hohen Schule wie der Alma mater Jenensis erscheint, darf ein Band über universitäre
Außenseiter nicht fehlen. Vermutlich wird er sogar Seltenheitswert behalten.
Denn wie die allermeiste überlieferte Geschichte handelt auch die Universitätsgeschichte,
wo nicht als bloße Quantität und Ressource für etwas Anderes
entpersonalisiert, gern und gar nicht zu Unrecht von außergewöhnlichen Leistungen
außergewöhnlicher Menschen. So wie es dort allenthalben um berühmte
Religionsstifter, Künstler, Revolutionäre, Diktatoren oder Sportler geht, so sind
es hier Wissenschaftler, die sich aus der grauen Masse ihrer Kollegen durch zumeist
exzellente Forschung herausheben. Es scheint fast, als würde alles nur, wie in
Literatur, Musik oder Malerei, auf Originalität und Erfindungsreichtum, mithin
auf der Außergewöhnlichkeit dieser Genialen fußen. Und in der Tat: Was wäre
die schöngeistige Literatur ohne ihre strahlenden Helden? Aber was könnten
wir aus ihr lernen, gäbe es nicht auch den strauchelnden Verlierer? Scheitern
und erfolglose Andersartigkeit sind die Kehrseite humaner Glücksversprechen,
ja sie gehören wie selbstverständlich dazu.
Daher der Außenseiter. Streng genommen gehört auch dessen schwer zu fassende
Figur zum Außergewöhnlichen, betrifft also jene Merkwürdigen, die aus
einer vermeintlich homogenen Menschheit herausfallen. Und doch denken wir
bei Außenseitern zuerst an Gescheiterte und Gestrandete – an Ciceros catilinarische
Existenzen vielleicht; oder an die hoffnungslos Verbohrten, die sich in obskure
Ideen und Ansichten verrannten. Ihre triumphierenden Antipoden hingegen
werden nicht selten als erfolgreiche Genies gefeiert. Zwingend ist das nicht.
Denn Helden und Antihelden sind oftmals nur Gewinner und Verlierer besonderer
wechselvoller Umstände und – keineswegs für immer – so oder so in unserer
Wahrnehmung fixiert. Es hätte auch anders kommen können. Wer heute als
Heiliger firmiert, kann morgen schon als Ketzer gelten und umgekehrt. Hochverrat
ist immer eine Frage des Datums.
Im Wesen des Menschen liegt es nun aber einmal, sich für Außergewöhnliches
zu begeistern. Dabei sympathisiert man bekanntlich eher mit den Verlierern
und »ewigen Zweiten« als mit den Siegern. Eine empirisch psychologische
Studie der University of South Florida hat jüngst erst wieder gezeigt, dass unsere
Zuneigung im direkten Vergleich mit großer Wahrscheinlichkeit dem underdog
gehören würde,1 dass wir also mit David gegen Goliath fieberten. Kinder mögen
es bekanntlich, wenn der Schwache über den Starken triumphiert. Es kommt
selten genug vor.
Dabei ist die Wissenschaftsgeschichte vielleicht sogar ein Sonderfall, wo es zumal
nicht vordergründig um Sieger und Besiegte geht. Schon ein flüchtiger Blick in
ihre Annalen zeigt, dass es zumeist Außenseiter, Randfiguren waren, die gegen
den Widerstand ihrer Zunft, Neues auf den Weg brachten. Bisweilen leiteten sie
sogar »Paradigmenwechsel«2 im Denken und Forschen ein. Auch hier erweist es
sich, dass der Strom der Geschichte vor allem an seinen Ufern reizvoll ist. Wer
immer den Fortschritt lobt, muss nolens volens ein Hohelied auf die Außenseiter
und Unbehausten im eigenen Nest anstimmen. Im ursprünglichen englischen
Wortsinn ist der »Outsider« übrigens ein Rennpferd mit geringen Siegesaussichten.
Wer darauf setzt, geht zumeist leer aus, kann aber bei einem Überraschungserfolg
hohe Wettsummen einstreichen. Auch in der herkömmlichen
Universitätsgeschichtsschreibung wird auf den Außenseiter, also denjenigen, der
es in der Regel nicht zur ordentlichen Professur brachte und dessen Karriere nicht
selten außerhalb der Akademie endet, wenig gegeben. Dabei ist gerade die
Wissenschaftsgeschichte voll von tragischen Helden, deren akademische Karriere,
bemessen an inneruniversitären Maßstäben, scheiterte. Ob in ihrer Zeit oder
aus einer besser wissenden Perspektive der Nachgeborenen: oft galten und gelten
sie als ketzerische, bisweilen kauzige Querulanten, die den akademischen Betrieb
mit ihren unebenen Biografien ebenso stark prägten wie die angekommenen,
nicht selten angepassten Ordinarien. Sie gaben der Universität ein zweites
Gesicht.
Es waren diese anderen Gesichter, die uns interessierten und nachstehend in
Gestalt biografischer Essays versammelt wurden. Gehalten sind die Texte streng
wissenschaftlich bis anekdotisch launig. Eine tiefere Systematik liegt der Zusammenschau
nur insoweit zu Grunde, als deutsche Universitätsgeschichte vom
Ausgang des 15. bis ins 20. Jahrhundert entlang der behandelten Wissenschaftlerbiografien
erzählt wird. Diese begegnen uns in Gestalt des politischen Professors,
die sich gegen die herrschende Ideologie stellt; des verlotterten Privatdozenten
der Mathematik, der von der Universität entfernt wird, um hernach dennoch als
Erfinder der Relativitätstheorie zu gelten; des versponnenen Musealen mit unbändiger
Sammler- und Entdeckerwut; des Orchideenfachgelehrten ohne Hörer;
des Spätberufenen, der es erst mit siebzig zum Professor bringt; des Armenphysikers,
der seine Experimente nicht nur im Hörsaal, sondern auch den Leu-
ten auf der Straße vorführt; des für Logik schwärmenden Militärs, ohne den das
Kollegium des weltberühmten Gelehrten hätte ausfallen müssen. Studierende und
dozierende Frauen am Rande der gelehrten Männerwelt vervollständigen das Bild.
Unter den vielen Unbekannten finden sich auch berühmte Namen der deutschen
Geistesgeschichte – so Karstadt, Fichte, Elisabeth Förster-Nietzsche, Ricarda
Huch oder Karl Korsch.
Freilich wäre es widersinnig, in jedem »Außenseiter« automatisch ein verkanntes
oder verstoßenes Genie zu sehen, das unglücklicherweise ein Opfer historisch
ungünstiger Umstände wurde. Gewiss gab es derlei Fälle, und auch heute kommen
ja bekanntlich keineswegs nur die Besten zur Auslese, etwa für eine Universitätsprofessur.
Schön wär’s, aber was – entgegen Aristoteles’ Hoffnungen –
bekanntlich für die Politik gilt, gilt für die Wissenschaft eben nicht minder. Am
Ende erinnert man sich an die bedeutenden Großen trotz und an die unbedeutenden
Kleinen gerade wegen ihrer persönlichen Unzulänglichkeiten.
Die Alliteration des vorliegenden Bandes, »Ketzer, Käuze, Querulanten«, ist
daher mitnichten nur eine schrullige Trinität. Ein Professor mag durch kauziges
Verhalten oder liebenswürdige Eigenheiten im Gedächtnis seiner Schüler bleiben,
ein Ketzer oder Querulant ist er deshalb noch lange nicht. Und wiederum
muss ein Querulant im universitären Betrieb nicht automatisch ein verkanntes
Genie sein. Auch der gegen den Zeitgeist opponierende »Ketzer« verwandelt sich
nicht von selbst, sondern erst durch postumes gesellschaftliches Umdenken und,
wenn man so will, durch Umwertung der Werte, in einen Heiligen. Insgesamt
handeln die Essays immer auch davon, was ein gelingendes, ein erfülltes Leben
in und mit den Wissenschaften sein könnte.
Der biografische Fundus will jedenfalls mehr sein als nur anekdotenreiches
Kuriositätenkabinett. Vielfach geht es wie angedeutet um Jenaer Privatdozenten
oder Nichtordinarien, deren Schicksal zu allen Zeiten der deutschen Universität
wenig glücklich war. Auswärtige Beispiele ergänzen das Bild. Als im Jahre 1897
das verloren geglaubte Copialbuch, eine Zusammenstellung älterer statuarischer
Bestimmungen der Jenaer Philosophischen Fakultät, wieder auftauchte, gab
Rudolf Eucken, Ordinarius für Philosophie und späterer Nobelpreisträger für
Literatur, eine aufschlussreiche Nebenbemerkung zu Protokoll. An »einzelnen
Stellen« der aufgefundenen Akte sei, so Eucken, das »Verhalten der Universität
zu den Bewegungen der neueren Kultur« deutlich hervorgetreten. »Dies Verhalten
war ein durchaus konservatives: man verhielt sich in den offiziellen Kreisen
ablehnend gegen das Naturrecht, gegen Descartes, gegen den Pietismus, gegen
die Wolffische Philosophie. Als Anhänger der Reformbestrebungen erscheinen
in diesen Akten lediglich Privatdozenten. Erst um die Mitte des 18. Jahrhun-
derts erscheint auch hier die Sprache (›Libertas cogitandi‹) und Gesinnung der
Aufklärung […].«3 Die Zeilen des Ordinarius Eucken lassen ohne Weiteres eine
gewisse Selbstkritik erkennen, und sie sind nebenbei ein Argument für den Zusammenhang
von extraordinärer Universität und wissenschaftlichem Fortschritt.4
Die vorliegende Anthologie, zugleich Band 5 der Reihe manuskript, lässt sich
so als eine andere Universitätsgeschichte lesen – als eine, die durch die Hinterund
Seitentür kommt und dennoch in prägende allgemeine Strukturen und Prozesse
einführt. So wird der aufmerksame Leser in Wesensfragen des akademischen
Prüfungs- und Qualifikationswesens ebenso eingeführt wie in Berufungsreglements,
Gelehrtenkultur und Gelehrtenpolitik. Auch lässt sich nebenbei etwas über
das studentische Leben, die Ausgestaltung von Lehre und Forschung sowie den
Zusammenhang von Universität und Stadt, von Bildung und bürgerlicher Gesellschaft
lernen. Es geht also mithin um ein Stück Realgestalt der heute zwischen
Exzellenzinitiativen und Dienstleistungsforderungen hin und her geschüttelten
alten Humboldtschen Universität. Gerade dem in wissenschaftsgeschichtlichen
Fragen wenig bewanderten Leser und Interessierten mag ein solcher Zugang
spannende Einsichten liefern und Lust auf mehr machen. Für Überraschungen
jedenfalls sollte der Blick durch das biografische Schlüsselloch allemal gut
sein.
Jena/Braunschweig, im Mai 2008 Matthias Steinbach & Michael Ploenus
1 Vgl. Joseph A. Vandello/Nadav P. Goldschmied/David A. R. Richards, The Appeal of the Underdog, in:
Personality and Social Psychology Bulletin 2007, Bd. 33, 1603-1616.
2 Thomas S. Kuhn, Die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen, Frankfurt a. M. 1973.
3 Universitätsarchiv Jena, Best. M 675 (ohne Seitenzahlen).
4 Vgl. Gerhart Müller, Die extraordinäre Universität – Jenas Modernisierungsweg, in: Gerhart Müller u. a.
(Hrsg.), Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800, Stuttgart 2001, S. 191-197


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