E-Book, Deutsch, 148 Seiten
Dinter Der Pflichtwidrigkeitsvorsatz der Untreue
2012
ISBN: 978-3-8114-5709-6
Verlag: C.F. Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zugleich ein Beitrag zur gesetzlichen Bestimmtheit des § 266 StGB
E-Book, Deutsch, 148 Seiten
Reihe: Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht
ISBN: 978-3-8114-5709-6
Verlag: C.F. Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Lasse Dinter ist Staatsanwalt in Verden.
Autoren/Hrsg.
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Teil 1 Einführung in die Problematik
Teil 1 Einführung in die Problematik › A. Einleitung
A. Einleitung
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Die Irrtumslehre wird in der Strafrechtswissenschaft seit jeher als wichtiges, aber auch reichlich umstrittenes Problemfeld wahrgenommen. Schon resümierte im Jahre 1913, dass „kein Gebiet so voll von Streit, größter Unsicherheit und verkannter oder dissimulierter Ungerechtigkeit [ist], als gerade die Lehre vom Irrtum bei Delikten.“[1] Betrachtet man die Gegenwart, wird nicht ohne Berechtigung festzustellen sein, dass die Lehre vom Irrtum der Wissenschaft und Praxis auch heute noch erhebliche Probleme bereitet.[2] Dies gilt im Besonderen für den Irrtum über die der Handlung. Die Einführung der §§ 16, 17 im Jahre 1975 in das StGB und die damit verbundene Entscheidung des Gesetzgebers für die sog. Schuldtheorie führten mitnichten dazu, dass fortan jeder Rechtsirrtum lediglich die Schuldebene berührt. Nach wie vor wird um die Antwort gerungen, in welchen Fällen der Irrtum über die Unerlaubtheit der Handlung bereits einen „Umstand“ im Sinne des § 16 Abs. 1 betrifft und somit Tatbestands- und nicht lediglich Verbotsirrtum ist.
Manches Rechtsproblem braucht sein zeitgeschichtliches Ereignis, um im wissenschaftlichen Diskurs hinreichende Beachtung zu finden. Veranlasste etwa die Parteispendenaffäre um in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts strafrechtliche Literatur zum Irrtum über steuerrechtliche Rechtsfragen im Kontext des § 370 AO,[3] darf heute das -Urteil für den bis dahin nicht näher problematisierten Irrtum über die Pflichtwidrigkeit gem. § 266 stehen. moniert in seiner 1998 erschienenen Kommentierung des § 266 mit Recht die fehlende Behandlung dieses – „eine Reihe schwierigster dogmatischer Fragen“[4] aufwerfenden – Problems in der Lehrbuch- und Kommentarliteratur.[5]
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Dem -Urteil[6] des BGH lag das Urteil[7] des Landgerichts Düsseldorf zugrunde. Nach dessen Feststellungen übernahm das Mobilfunkunternehmen plc Anfang des Jahres 2000 nach längerem Übernahmekampf einvernehmlich die Anteile des Industrieunternehmens AG. Kurze Zeit nach der Einigung beschlossen drei Angeklagte in ihrer Funktion als Mitglieder des Aufsichtsratsausschusses für Vorstandsangelegenheiten (Präsidium) der AG mit Zustimmung der Geschäftsleitung der plc. und auf Vorschlag eines Großaktionärs freiwillige Anerkennungsprämien in Millionenhöhe u. a. an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der AG. Sie wollten dadurch die Verdienste des Vorstandsvorsitzenden etwa im Hinblick auf die Steigerung des Unternehmenswertes unter seiner Leitung honorieren. Auf Wunsch eines am Beschluss beteiligten Angeklagten wurde auch ihm eine Anerkennungsprämie gewährt. Die Angeklagten gingen davon aus, dass die Entscheidungen aufgrund ihres unternehmerischen Ermessenspielraums erlaubt seien.
Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf warf den Angeklagten vor, sich durch die Gewährung der Anerkennungsprämien der Untreue zu Lasten der AG schuldig gemacht zu haben. Das Landgericht Düsseldorf sprach die Angeklagten hingegen frei. Die Gewährung der Anerkennungsprämien sei zwar aktienrechtlich unzulässig gewesen, den Angeklagten könne jedoch nur im Hinblick auf die finanzielle Zuwendung gegenüber dem Präsidiumsmitglied der AG eine „gravierende“ Pflichtverletzung vorgeworfen werden. Eine „gravierende“ Pflichtverletzung sei im Rahmen einer unternehmerischen Entscheidung zur Verwirklichung des § 266 indes erforderlich. Die Angeklagten haben nach Auffassung des Landgerichts insoweit allerdings in einem schuldausschließenden Verbotsirrtum gehandelt.[8]
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Der des BGH hob das Urteil mit der Begründung auf, § 266 setze im Kontext unternehmerischer Entscheidungen keine „gravierende“ Pflichtverletzung voraus. Durch die dienstvertraglich nicht geschuldete Gewährung einer Anerkennungsprämie ohne künftigen Nutzen für das Unternehmen werde überdies die Vermögensbetreuungspflicht der Präsidiumsmitglieder verletzt.[9]
Der des BGH behandelt zudem die Frage, ob die irrtümliche Annahme der Angeklagten, ihr Handeln sei erlaubt, Tatbestands- oder Verbotsirrtum ist. Der Senat enthielt sich einer konkreten Antwort mit dem Hinweis darauf, dass [10] Welche wertenden Kriterien zur Beurteilung hinzugezogen werden sollen, ließ der Senat offen.
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Eine klare Antwort auf die Vorsatzfrage könnte sich aus der dogmatischen Ausgestaltung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals ergeben. Nicht nur das -Urteil, auch die im Zuge der EuGH-Rechtsprechung in Sachen [11], [12] und [13] immer häufiger gestellte Frage nach den Grenzen zulässiger Fremdrechtsanwendung auch im Rahmen der Untreue, etwa im Fall des Geschäftsleiters einer EU-Auslandsgesellschaft,[14] haben das Problem der dogmatischen Einordnung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals in § 266 inzwischen erheblich an Aktualität gewinnen lassen. Es erstaunt nicht, dass sich in jüngster Zeit vermehrt Äußerungen zu dessen Rechtsnatur finden lassen.[15] Das Pflichtwidrigkeitsmerkmal der Untreue wird im Kontext verschiedener Sachfragen als normatives Tatbestandsmerkmal[16], als Blankett- bzw. „blankettartiges“ Merkmal[17] oder als gesamttatbewertendes Merkmal[18] eingestuft[19] – freilich nicht selten ohne nähere Begründung.
Auch in der Rechtsprechung lässt sich bislang keine einheitliche Antwort verzeichnen. Das OLG Stuttgart identifiziert § 266 im Hinblick auf die zeitliche Geltung von Strafgesetzen (§ 2 Abs. 3) „eindeutig“[20] als Blankettstrafgesetz, der des BGH[21] und das BVerfG ordnen das Pflichtwidrigkeitsmerkmal im Zusammenhang mit Art. 103 Abs. 2 GG demgegenüber als ein („komplexes“[22]) normatives Tatbestandsmerkmal ein. Bezüglich des gesetzlichen Tatbestandes gem. § 16 Abs. 1 stehen nach wie vor kategorisierende Stellungnahmen in der Rechtsprechung aus.
Teil 1 Einführung in die Problematik › B. Die Bedeutung der dogmatischen Einordnung der Pflichtwidrigkeit
B. Die Bedeutung der dogmatischen Einordnung der Pflichtwidrigkeit
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Die Rechtsnatur des Pflichtwidrigkeitsmerkmals aus § 266 Abs. 1 wird in der vorliegenden Untersuchung in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Vorsatzes („gesetzlicher Tatbestand“, § 16 Abs. 1 S. 1) erörtert. Durch den verweisenden Charakter des Pflichtwidrigkeitsmerkmals auf Vermögensbetreuungspflichten, die ihrerseits von unterschiedlichem Bestimmtheitsgrad geprägt und von verschiedenen Rechtssubjekten begründet (Private) bzw. erlassen (nationaler oder ausländischer Gesetzgeber) sein können, erfährt seine dogmatische Kategorisierung jedoch auch unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 103 Abs. 2 GG („Garantietatbestand“) Relevanz.[23]
Teil 1 Einführung in die Problematik › B › I. § 266 als „gesetzlicher Tatbestand“ (§ 16 Abs. 1)
I. § 266 als „gesetzlicher Tatbestand“ (§ 16 Abs. 1)
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Die dogmatische Erfassung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals ist für die Funktion des Tatbestandes relevant, diejenigen Merkmale zu beschreiben, deren Unkenntnis vorsatzausschließend ist.[24] Die Pflichtwidrigkeit der untreuerelevanten Handlung muss nach § 15 vom Vorsatz des Täters umfasst sein. Unbeantwortet bleibt insoweit allerdings, was der vorsatzrechtliche Bezugspunkt – der Gegenstand – des Pflichtwidrigkeitsmerkmals ist. Im Unterschied zum normativen Tatbestandsmerkmal, bei dem der Täter den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt des Tatumstandes – hier die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht – nach Laienart richtig erfassen muss,[25] sind im Fall der Qualifizierung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals als Blankett nach h.M. geringere Anforderungen an den Vorsatz zu stellen. Ausreichend ist es, dass der Täter Kenntnis von den strafbarkeitsbegründenden bzw. pflichtwidrigkeitsbegründenden Tatsachen hat.[26] Dem entspricht nach...




