Adrian Geweihte des Todes
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-8025-8447-3
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 08, 384 Seiten
Reihe: Midnight Breed
ISBN: 978-3-8025-8447-3
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lara Adrian lebt mit ihrem Mann in Neuengland. Seit ihrer Kindheit hegt sie eine besondere Vorliebe für Vampirromane, zu ihren Lieblingsautoren zählen Bram Stoker und Anne Rice.
Weitere Infos & Material
1 Leben … oder Tod? Die Worte drangen durch die Dunkelheit zu ihr, einzelne Silben ohne Zusammenhang. Das raue Kratzen einer ausdruckslosen, dumpfen Stimme, die in ihre bleierne Benommenheit drang und sie zwang, aufzuwachen, zuzuhören. Eine Wahl zu treffen. Leben? Oder Tod? Sie stöhnte auf dem kalten Holzboden unter ihrer Wange, versuchte, die Stimme und die erbarmungslose Entscheidung, die sie forderte, aus ihrem Verstand auszublenden. Es war nicht das erste Mal, dass sie diese Worte, diese Frage hörte. Nicht das erste Mal in den endlosen Stunden, dass sie in der eisigen Stille ihres Blockhauses mühsam ein Augenlid gehoben und mitten in das schreckliche Gesicht eines Monsters gestarrt hatte. Vampir. „Entscheide dich“, flüsterte die Kreatur mit einem lang gezogenen Zischen. Sie kauerte über ihr, und sie selbst lag zusammengerollt und zitternd vor Kälte auf dem Boden beim kalten Kamin. Die Fangzähne der Bestie glänzten im Mondlicht, rasierklingenscharf und tödlich, ihre Spitzen immer noch mit frischem Blut verschmiert – ihrem eigenen. Die Kreatur hatte sie erst vor wenigen Minuten in den Hals gebissen. Sie versuchte sich aufzurichten, konnte aber ihre geschwächten Muskeln nicht einmal dazu bringen, sich anzuspannen. Sie versuchte, etwas zu sagen, aber ihr gelang nur ein raues Stöhnen. Ihre Kehle fühlte sich trocken wie Asche an, ihre Zunge geschwollen und träge. Draußen tobte ein Schneesturm, der Winter Alaskas heulte ihr bitter und gnadenlos in den Ohren. Niemand konnte ihre Schreie hören, selbst wenn sie es versucht hätte. Der Vampir konnte sie immer noch sofort töten. Sie wusste nicht, warum er es nicht getan hatte. Sie wusste nicht, warum er sie drängte, auf eine Frage zu antworten, die sie sich die letzten vier Jahre lang fast täglich selbst gestellt hatte – seit dem Unfall, der ihr den Mann und ihre kleine Tochter genommen hatte. Wie oft hatte sie sich gewünscht, mit ihnen auf dieser vereisten Schnellstraße umgekommen zu sein? Dann wäre alles so viel leichter, so viel weniger schmerzhaft gewesen. Jetzt konnte sie ein stummes Urteil in diesen unverwandten, unmenschlichen Augen spüren, die in der Dunkelheit auf sie gerichtet waren, blendend hell, die Pupillen geschlitzt wie die einer Katze. Der kahle Schädel und riesenhafte Körper der Kreatur waren von kunstvoll verschlungenen Hautmustern überzogen, und als sie sie beobachtete, schienen sie in wilden Farben zu pulsieren. Die Stille dehnte sich aus, während er sie geduldig musterte wie ein unter einem Glas gefangenes Insekt. Als er jetzt wieder sprach, bewegten sich seine Lippen nicht. Die Worte drangen wie Rauch in ihren Schädel ein und sanken tief in ihren Verstand. Die Entscheidung liegt bei dir, Menschenfrau. Sag mir, was du willst: Leben oder Tod? Sie wandte den Kopf ab und schloss die Augen, weigerte sich, die Kreatur anzusehen. Weigerte sich, Teil dieses seltsamen Spiels ohne Worte zu sein, das er offenbar mit ihr spielte. Er war ein Raubtier, das mit seiner zappelnden Beute spielte, während es sich überlegte, ob es sie verschonen wollte oder nicht. Wie es endet, liegt an dir. Du entscheidest. „Zur Hölle mit dir!“, murmelte sie undeutlich, ihre Stimme war belegt und heiser. Eisenstarke Finger schlossen sich hart um ihr Kinn und rissen es herum, bis sie ihm wieder ins Gesicht sah. Er legte den Kopf schief, seine bernsteingelben Katzenaugen waren völlig emotionslos, als er keuchend Atem holte und dann durch seine blutverschmierten Lippen und Fänge sprach. „Entscheide dich. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.“ Keine Ungeduld lag in der knurrenden Stimme so nahe an ihrem Gesicht, nur mattes Desinteresse. Eine Apathie, die zu besagen schien, dass es ihm wirklich völlig egal war, wie die Antwort ausfiel. Wut brandete in ihr auf. Sie wollte ihm sagen, er sollte es endlich hinter sich bringen und sie töten, wenn es das war, was er vorhatte. Er würde sie nicht dazu bringen, ihn anzubetteln, verdammt noch mal! Widerstand kochte in ihr, und ihre Wut schoss ihr die ausgedörrte Kehle hinauf und in ihre Zungenspitze. Aber die Worte wollten nicht kommen. Sie konnte ihn nicht um den Tod bitten, selbst wenn er ihr einziger Ausweg aus dem Schrecken war, der sie hier gefangen hielt. Ihr einziger Fluchtweg vor ihrem Schmerz darüber, die beiden Menschen verloren zu haben, die sie am meisten liebte, und aus der sinnlosen Existenz, die ihr seither geblieben war. Er löste seine Klauen von ihr und sah mit entnervender Ruhe zu, wie sie wieder auf den Boden sackte. Zeit verging, schien sich endlos auszudehnen. Sie kämpfte damit, ihre Stimme wiederzufinden, um das Wort auszusprechen, das sie entweder befreien oder verdammen würde. Und immer noch kauerte er neben ihr, wiegte sich auf den Fersen und schien mit schief gelegtem Kopf etwas abzuwägen. Dann, zu ihrem Entsetzen und ihrer Verwirrung, streckte er den linken Arm aus und schlitzte sich mit einem klauenartigen Fingernagel das Fleisch an seinem Handgelenk auf. Blut spritzte aus der tiefen Wunde, scharlachrote Tropfen regneten auf die hölzernen Dielenbretter unter ihm. Er fuhr mit dem Finger in den offenen Schnitt und bohrte ihn in die Muskeln und Sehnen seines Unterarms. „Oh, Scheiße! Was machst du da?“ Ekel schüttelte sie. Ihre Instinkte schrien ihr die Warnung zu, dass gleich etwas Schreckliches passieren würde – vielleicht noch schrecklicher als der Horror ihrer Gefangenschaft bei diesem albtraumhaften Wesen, das sich von ihrem Blut nährte. „Oh mein Gott, hör auf. Was zur Hölle machst du da?“ Er antwortete nicht, sah sie nicht einmal an, bis er etwas Winziges aus der Wunde in seinem Fleisch hervorgepult hatte und vorsichtig zwischen seinem blutigen Daumen und Zeigefinger hielt. Er blinzelte langsam, für einen kurzen Augenblick waren seine Augen hinter seinen Lidern verborgen, dann nagelte er sie wieder mit einem hypnotischen bernsteingelben Lichtstrahl fest. „Leben oder Tod“, zischte die Kreatur und machte ihre unbarmherzigen Augen schmal. Er beugte sich zu ihr herüber, immer noch tropfte Blut aus der Wunde in seinem Unterarm, die er sich selbst beigebracht hatte. „Du musst dich entscheiden, sofort.“ Nein, dachte sie verzweifelt. Nein! Irgendwo tief in ihr brandete Wut auf wie eine Springflut. Sie konnte sie nicht unterdrücken, den Wutanfall nicht zurückhalten, der jetzt ihre wunde Kehle hinaufstieg und mit einem Furienschrei aus ihrem Mund explodierte. „Nein!“ Sie hob die Fäuste und schlug auf die nackten Schultern der Kreatur ein, deren harte Haut nichts Menschliches hatte. Sie schlug um sich und tobte, beschimpfte ihn mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, und genoss jeden schmerzhaften Aufprall, wenn ihre Schläge seinen Körper trafen. „Verdammt noch mal, nein! Fass mich nicht an!“ Wieder drosch sie mit den Fäusten auf ihn ein, wieder und wieder, und immer noch kroch er näher heran. „Lass mich in Ruhe, verdammt! Hau ab!“ Ihre Fäuste trafen ihn an den Schultern und seitlich am Schädel, Schlag auf Schlag fiel, selbst dann noch, als eine schwere Dunkelheit sich über sie zu senken begann und sie einhüllte wie ein schweres, nasses Leichentuch, ihre Bewegungen träge machte und ihre Gedanken verwirrte. Ihre Muskeln erschlafften und gehorchten ihr nicht mehr. Und immer noch schlug sie auf die Kreatur ein, jetzt langsam, als stünde sie bis zum Hals in einem schwarzen, teergefüllten Ozean. „Nein“, stöhnte sie und schloss die Augen vor der Dunkelheit, die sie umgab. Sie sank tiefer, immer tiefer in eine geräuschlose, schwerelose, endlose Leere hinein. „Nein … lass mich los. Verdammt … lass mich los …“ Dann, als sie schon dachte, dass die Dunkelheit, die sie einhüllte, sie nie wieder freigeben würde, spürte sie etwas Kühles und Feuchtes an ihrer Stirn, und irgendwo über ihrem Kopf erklang unverständliches Stimmengewirr. „Nein“, murmelte sie. „Nicht. Lass mich los …“ Mit allerletzter Kraft versetzte sie der Kreatur, die sie niedergedrückt hielt, einen weiteren Schlag. Harte Muskeln absorbierten ihn. Da klammerte sie sich an ihren Entführer, versuchte, ihn zu packen, zu kratzen. Verblüfft spürte sie weichen Stoff in den Händen. Nicht die klamme nackte Haut der Kreatur, die in ihr Haus eingebrochen war und sie gefangen hielt, sondern einen warmen Strickpullover. In ihrem trägen Verstand feuerte ihre Verwirrung einen Warnschuss ab. „Wer … nein, fass mich nicht an …“ „Jenna, hören Sie mich?“ Der tiefe, rollende Bariton, der so nah an ihrem Gesicht ertönte, war ihr irgendwie vertraut. Seltsam tröstlich. Diese Stimme sprach etwas tief in ihr an und gab ihr etwas zum Festhalten, jetzt, wo nichts als dieses bodenlose dunkle Meer um sie war. Sie stöhnte, immer noch verloren, doch nun spürte sie einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass sie vielleicht überleben würde. Die tiefe Stimme, nach der sie sich jetzt plötzlich verzweifelt sehnte, meldete sich wieder. „Kade, Alex. Ich glaube, sie kommt zu sich. Jetzt wacht sie endlich auf.“ Sie holte Atem, schnappte heftig nach Luft. „Lass mich los“, murmelte sie, unsicher, ob sie ihren Gefühlen trauen konnte. Unsicher, ob sie jetzt überhaupt irgendetwas trauen konnte. „Oh Gott … bitte nicht … fass mich nicht an! Nicht …“ „Jenna?“ Über ihr, ganz in der Nähe, meldete sich eine Frauenstimme zu...