al-Aswani / Bischara / al-Charrat | Ein Paradies aus Nichts | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Arabische Welten

al-Aswani / Bischara / al-Charrat Ein Paradies aus Nichts

Geschichten vom Leben in der Wüste

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Arabische Welten

ISBN: 978-3-85787-934-0
Verlag: Lenos
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Anthologie vereint ausgewählte Texte namhafter arabischer Autoren, die die Wüste als Lebensraum in den Blick rücken. Jenseits der Perspektive des fremden Bewunderers entdecken sie die stille Weite als Schauplatz unterschiedlichster Ereignisse und bieten einen wunderbaren Einstieg in Perlen arabischer Literatur.
Nur ein schmaler Grat liegt zwischen der ursprünglichen Lebensweise der Wüstenbewohner und ihrer Vereinnahmung durch die Zivilisation. Verwöhnt durch die Schönheit der Wüste, sind ihre Menschen auch ziellose Wanderer auf der Suche nach dem Unerreichbaren, nach Gott und einer Poesie, die das Geheimnis der öden Wildnis jenseits ihrer Illusionen erfassen könnte. Einsiedler, Abenteurer und Schatzgräber sind ihr verfallen, aber auch Gotteskrieger, die sich in ihrem Schutz zum Kampf gegen die Moderne rüsten. Wo der Tod allgegenwärtig durch die Einöde streift, ist die Hoffnung auf das Paradies am nächsten.
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Weitere Infos & Material


Ibrahim?al-Koni:?Der?gescheckte?Mehri
Dschabra?Ibrahim?Dschabra:?Aufstieg?zum?Paradies
Baha?Taher:?Pater?Bischai
Ibrahim?al-Koni: Als?die?Dschinnen?die?Grossmutter?entführten
Edwar?al-Charrat:?Der?alte?Beduine
Alaa?al-Aswani:?Durst?nach?Rache
Tajjib?Salich:?Der?Ursprung?des?Feuers
Hassan?Nasr:?Fern?vom?Lärm?der?Welt
Sabri?Mussa:?Der?weisse?Berg
Muhammad?Mustagab:?Blutbrennen
Asmi?Bischara:?Im?Checkpointland
Ghassan?Kanafani:?Unterwegs
Abdalrachman?Munif: »Bringt?uns?Assâf,?tot?oder?lebendig!«
Ibrahim?al-Koni:?Nahe?beim?Tor?des?Himmels

Die?Autoren
Anmerkungen


Dschabra Ibrahim Dschabra
Aufstieg zum Paradies
Einige Kilometer östlich von Bethlehem erhebt sich der Dschebel Charitûn, ein markanter Berg, den man von fast jeder Stelle des Ortes aus sehen kann. Von unserem Haus aus hatte man den Eindruck, er bilde genau die geheimnisvolle dunkle Mitte des Horizonts. Seinen Namen Charitûn, der Abgeflachte, hat man ihm vielleicht wegen seiner Form gegeben: ein violetter Kegel, dessen obere Hälfte abgeschnitten ist. Aus weiter Entfernung wirkte er wie ein grosser runder Backofen, und wenn die Sonne aufging, konnte man denken, sie käme aus seinem Inneren wie ein goldenes Fladenbrot. Der Charitûn wurde auch Furdais, kleines Paradies, genannt. Ich stellte ihn mir wirklich wie das Paradies vor und bildete mir ein, dass jeder, der zu ihm käme, glücklich würde. Herr Fahîm, unser Lehrer, erklärte uns dann allerdings, dass der Berg schlicht und einfach ein erloschener Vulkan sei und dass man auf einer Seite ohne weiteres bis zu seinem Gipfel gelangen könne und von dort in sein Inneres, wo zwischen Lavagestein die Reste einer über zweitausend Jahre alten Burg zu sehen seien. Um Licht in die Angelegenheit zu bringen und das Geheimnis zu lüften, falls es überhaupt eines gab, würde er mit den Schülern der vierten Klasse am Freitag zum Charitûn wandern. An dem bewussten Freitag erwachte ich vor lauter Aufregung schon beim Morgengrauen. Mutter hatte mir ein mit gekochten Eiern belegtes Brot und einen Rest vom Abendessen eingepackt und in meinen Schulbeutel gelegt. Diesen hängte ich mir um und lief zur Schule, wo wir uns alle treffen wollten. Unter Führung des Lehrers wanderten wir, ungefähr dreissig Jungen, die Strasse entlang zuerst Richtung Bait Sâhur und dann immer weiter hinauf durch felsiges Gelände, wo es ausser ein paar Tierpfaden keinen Weg mehr gab. Und dann war es auch mit den Pfaden vorbei. Aus vereinzelt stehenden kümmerlichen Bäumen flogen hin und wieder ein, zwei Vögel auf, drehten eine Runde und landeten wieder. Zwischen den Felsen wuchsen hier und da ein paar Dornensträucher, deren Namen wir nicht kannten. Schliesslich war jegliche Vegetation verschwunden. Wir erblickten auch keinen einzigen Vogel mehr, sondern kämpften uns zwischen Geröll und Dornen vorwärts, die Sonne zunächst im Gesicht und dann mit unerbittlicher Kraft über unseren Köpfen. Herr Fahîm wurde nicht müde, uns mit seinen Kommentaren und Witzen aufzumuntern. Nur der Charitûn, das Paradies auf Erden, rückte in immer grössere Ferne, je länger wir liefen. So kam es uns zumindest vor, abgesehen vom Durst, der uns zunehmend plagte. Einige Jungen hatten Feldflaschen in Filzbeuteln mitgebracht, die sie mit ihren jeweiligen Weggefährten nach und nach leerten. Ich verspürte zwar auch Durst, redete mir aber ein, nicht eher trinken zu müssen, als bis wir unser Ziel erreicht hätten. Unser Lehrer hatte versichert, dass es auf dem Berg einen Brunnen mit eiskaltem Wasser gab. So lange würde ich es noch aushalten. Mit der Zeit wurden wir immer schweigsamer. Die Fröhlichkeit schwand. Dafür schwitzten wir immer mehr. Doch hier in dem Geröll gab es weder einen Baum noch einen Felsbrocken, der uns hätte Schatten spenden können. Unser Lehrer trieb uns zur Eile an und lief dabei unermüdlich zwischen der Spitze und dem Schluss hin und her und versuchte, uns mit seinen Spässen aufzuheitern. Mein Freund Âdil al-Asli ging neben mir. »Was hast du in deinem Beutel?« fragte er auf einmal. »Eier und Brot und …« »Hast du keine Apfelsine?« »Nein. Und du?« »Ich habe eine. Hast du Durst?« »Und wie!« »Ich auch.« Er nahm eine grosse, glänzende Apfelsine aus seinem Beutel. Unser Lehrer bemerkte es zufällig und kam herbeigeeilt. »Warte, Âdil«, meinte er. »Wir haben noch eine tüchtige Strecke vor uns. Bald kommen wir zu einer Grotte. Heb dir deine Apfelsine noch so lange auf. Siehst du diesen Hügel da?« Uns war schon das Wasser im Munde zusammengelaufen, und nun mussten wir die Apfelsine wieder verschwinden lassen. Kein Wunder, dass unser Durst nun noch schlimmer wurde. Die Jungen fingen an zu jammern: »Wir haben Durst und kein Wasser weit und breit.« Endlich erreichten wir die versprochene Grotte und setzten uns in den kühlen Schatten. Âdil holte seine Apfelsine hervor und schälte sie, während ich den belebenden Duft einsog, den die Schale verströmte. Ein paar Jungen gesellten sich in Erwartung ihres Anteils zu uns. Nachdem Âdil die Frucht zerlegt und verteilt hatte, blieb für uns beide je ein Stück übrig. Ich steckte meins in den Mund, zerquetschte es langsam zwischen den Zähnen und schluckte den Saft vorsichtig hinunter. Welch eine Köstlichkeit! Ich habe mein Lebtag keine wohlschmeckendere Frucht gegessen als dieses eine Stückchen duftende Apfelsine. Wir waren noch nicht viel weiter gelaufen, als ich begreifen musste, dass durch jene süsssaure Köstlichkeit, die ich tröpfchenweise hinuntergeschlürft hatte, mein Durst noch grösser geworden war. Während wir zwischen den Felsen umherstolperten, trockneten meine Kehle, meine Zunge und meine Lippen immer mehr aus. Auch die Hitze wurde immer unerträglicher. Drei schwarze Krähen erschienen am strahlenden Himmel, kamen auf uns zu, stiegen wieder auf und verschwanden schliesslich hinter uns. Wir liefen schneller, soweit das überhaupt möglich war. »Bald geschafft, Kinder!« trieb uns der Lehrer an. »Komm, nicht aufgeben, Iljâs! Los, Schukri! Dschabra, zeig, was in dir steckt, Junge! Bald geschafft! Âdil, hast du nicht noch eine Apfelsine? Na ja, muss nicht sein. Kommt, durchhalten, Kinder! In der Ausdauer liegt die Kraft!« Âdil und ich tauschten Blicke aus. Ich stellte mir vor, wie wir dreissig Jungen in Kürze unter der Sonne Glut auf den spitzen Steinen zusammenbrechen und allmählich verdursten würden. Nirgendwo gab es eine Pflanze, nicht eine Blüte, die uns wieder etwas Mut spenden könnte. Kaum hatten wir eine Anhöhe erklommen, erhob sich schon die nächste vor uns. Felsbrocken türmten sich auf, so unwirtlich, als würden sie es darauf anlegen, dass wir hier nicht mehr herauskämen und schliesslich verdursteten. Schukri fing an zu weinen. »Ich hab Durst!« jammerte er. Ein zweiter stimmte ein und dann noch einer. Auch ich hätte am liebsten mitgeweint. Ich seufzte, während aus meinen brennenden Augen zwei Tränen rannen. Wir stolperten weiter, vollkommen erschöpft. Wir werden sterben, dachte ich, und unsere Eltern erfahren nie, was uns zugestossen ist, es sei denn, die Krähen brächten ihnen Nachricht von unserem Schicksal. Da gab der Berg zwischen dem Geröll einen Abstieg frei. Noch nicht ganz unten angelangt, erblickten wir in einiger Entfernung einen kreisrunden Brunnen aus grobem Gestein mit einem rostigen Eisendeckel. Wir rannten los, hoben den Deckel und beugten uns über den Brunnenrand. Unser Lehrer bemühte sich, uns zu bändigen, damit keiner in den Brunnen fiel. »Einen Eimer, Kinder!« rief er. »Sucht einen Eimer!« Doch da war kein Eimer, und das Wasser befand sich in einer Tiefe von fast zwei Metern. Und wir am Verdursten! Aber unser Lehrer war ein einfallsreicher Mann. Er holte aus seinem Beutel ein Kochgeschirr hervor und sagte: »Jeder, der einen Gürtel hat, macht ihn mal ab!« Er sammelte die Gürtel ein, knotete sie fest zusammen, band das eine Ende um den Henkel eines der beiden Töpfchen seines Kochgeschirrs, liess das Ganze in den Brunnen hinab und holte Wasser herauf, wie er es uns in den qualvollen Stunden versprochen hatte. Wir tranken einer nach dem anderen und bildeten uns ein, den gesamten Brunnen leeren zu können. Obwohl das Wasser eiskalt war und ziemlich schmutzig aussah, war es geniessbar. Jedenfalls behauptete das unser Lehrer. Oder war es der Durst, der uns dies glauben liess? Ringsherum erhoben sich riesige Felsen. Wir flüchteten in ihre Schatten, setzten uns auf den Erdboden und holten unseren Proviant hervor. Während wir assen und ein schwacher Windzug unsere Gesichter streifte, hatten wir endlich Gelegenheit, die Landschaft zu betrachten. Ganz in der Nähe konnte man so etwas wie einen Pfad erkennen, der im Laufe der Jahrhunderte getreten worden war und in Serpentinen bis auf den Gipfel des Charitûn führte. Die Burg hoch über unseren Köpfen war nicht weniger verlockend. Zwischen den Steinen, die, wie unser Lehrer erklärte, von der Erosion zu märchenhaften Skulpturen geformt worden waren, öffneten sich schlundartige Eingänge zu Grotten, gleichsam als Einladung, hinaufzusteigen und die dunklen Tiefen zu erforschen. Wir entdeckten einen Felsriss, durch den wir direkt bis zu einer der Öffnungen vordringen konnten. Dabei brauchten wir etwas Mut und Geschicklichkeit, weil wir über viele Spalten springen und uns beim Klettern an glattem Gestein festhalten mussten. Bei der Höhle angelangt, standen wir vor einem Eingang, der aussah wie eine in uralter Zeit von Menschenhand angelegte Arkade. Sie schien den Besucher zum Eintreten regelrecht aufzufordern. »Das ist das Tor zum Labyrinth!« verkündete einer der Jungen. »Mein Vater hat mir davon erzählt.« Wir betraten die kalte Düsternis und stiessen im Inneren der Höhle abermals auf zwei bogenförmige Eingänge. Obwohl sich die meisten fürchteten weiterzugehen, nahmen einige Jungen, zu denen auch ich gehörte, den einen Eingang, ein paar andere den zweiten daneben. Hinter jeder Öffnung waren wieder Eingänge, die zu einer Kammer oder einem Gewölbe führten, von denen wieder »Türen« abgingen. Hier war offenbar ein merkwürdiges Spiel im Gange, und wir hatten nicht übel Lust mitzuspielen. Einige Jungen drangen in die immer dunkler werdenden Verästelungen vor und entfernten sich dadurch mehr und mehr voneinander. Zum Schluss war nur noch Âdil bei mir. Ganz allein, wie wir...


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