Ali / Flassbeck / Mausfeld | Die extreme Mitte | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Ali / Flassbeck / Mausfeld Die extreme Mitte

Wer die westliche Welt beherrscht. Eine Warnung

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-85371-884-1
Verlag: Promedia
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 fegte ein kapitalistischer Sturm über die Welt. Was mit Ronald Reagan und Margaret Thatcher begonnen hatte, erfasste schließlich ganz Europa: das Ende des Sozialstaats, eine umfassende Privatisierungswelle und die weitgehende Selbstausschaltung parlamentarischer Opposition. Die Sozialdemokratie beging Selbstmord, indem sie sich dem neoliberalen Ansturm fügte, und die Grünen wurden zu Helfershelfern imperialistischer Kriege.
Das war die Geburtsstunde der "extremen Mitte", der Parteien an der Macht und ihrer wirtschaftlichen Antreiber. Extrem sind die Folgen ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik ebenso wie die politische Zementierung eines gesellschaftlichen Konsenses. Der bekannte britisch-pakistanische Autor und Historiker Tariq Ali schreibt dazu: "Zeitgenössischer Kapitalismus verlangt (...) Schiedsrichter, die im Streit zwischen Unternehmen und über Eigentumsrechte entscheiden, aber eine wirkliche Notwendigkeit für eine demokratische Struktur besteht nicht, außer für die Schaufenstergestaltung. Wie lange sich unsere Herrscher noch die Mühe machen werden, die Formen der Demokratie zu wahren, während sie sie eines jeden wahren Inhalts berauben, ist ein Thema für eine ernsthafte Debatte." Mit diesem Buch soll diese Debatte angestoßen werden.
Zwei Beiträge von Tariq Ali aus seinem Buch "The Extreme Centre" bilden den Rahmen des Bandes. Davon ausgehend haben vier bekannte Kritiker der gegenwärtigen Herrschafts- und Wirtschaftsordnung ihre Texte verfasst. Heiner Flassbeck ortet auf der europäischen Ebene die deutschen Staatenlenker als "extreme Mitte" in Europa und ihr Beharren auf der Austeritätspolitik als Spiel mit fatalen Folgen. Rainer Mausfeld zeigt, wie der Aufstieg der Elitenherrschaft und der Abbau von Demokratie möglich ist, indem diese von einer gewaltigen Propagandaindustrie und einer systematischen Beeinflussung des gesellschaftlichen Bewusstseins flankiert werden. Wolfgang Streeck erläutert die Verdrängung der Kosten der sogenannten Globalisierung durch die "extreme Mitte" und ihre katastrophalen Folgen am Beispiel der Maßnahmen zur Corona-Epidemie. Und Peter Wahl geht dem "Fetisch Europa" auf den Grund und stellt fest, dass eine radikale Reform der EU unausweichlich wäre, um der Herrschaft der "extremen Mitte" etwas entgegenzusetzen.
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Tariq Ali
Euroland in Schwierigkeiten
»Eine Weltkarte, in der das Land Utopia nicht verzeichnet ist, verdient keinen Blick«, schrieb Oscar Wilde einmal, »denn sie lässt die eine Küste aus, in dem die Menschheit ewig landen wird. Und wenn die Menschheit da angelangt ist, hält sie Umschau nach einem bessern Land und richtet seine Segel dahin. Der Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien.« Der Geist von Oscar Wilde ist im kollektiven Herzen der Jungen sehr lebendig, der Jungen, die auf die Straße gehen, um gegen die Formen des Kapitalismus zu demonstrieren, der die Welt seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 beherrscht. Sie schrien ihre Forderungen gegen das eine Prozent in New York, gegen die von den USA gestützte Diktatur in Kairo, gegen die Korruption der extremen Mitte in Griechenland und Spanien und für Selbstbestimmung in Schottland heraus. Die Europäische Union – eine der größten Wirtschaftseinheiten auf dem Planeten, die einen größeren Raum als das Römische Reich vor 2000 Jahren einnimmt – ist in der Klemme. Alle Verschleierungen, alle Versuche, zu suggerieren, die Situation sei unter Kontrolle, und das dicke Heftpflaster um den ganzen Körper der EU bedeute eine Rückkehr zur Normalität, überzeugen ganz und gar nicht. Die Sterne auf der EU-Fahne beginnen zu verblassen. Die Länder der zweiten Reihe, die in die Europäische Union aufgenommen wurden, waren von Anfang an schwach, während die Hauptländer überleben – aber wie lange noch? Dass es den europäischen Philosophen (da fallen einem Habermas und Negri ein) nicht gelungen ist, das Wesen der Krise zu verstehen, weist darauf hin, dass sie selbst ein Teil des Problems sind. Europa ist keine bloße Abstraktion. Es ist eine schlechte Realität, in der bis vor Kurzem Kräfte der extremen Rechten die Debatte beherrschten. Wie ist die EU zustande gekommen? Welche Ziele hatte sie? Es ist sehr schwierig, eine einzige Antwort zu geben, denn verschiedene Länder hatten verschiedene Ideen über das, was geschah und warum es geschah. Die Vereinigten Staaten wollten, dass die europäischen Länder, die sie im Zweiten Weltkrieg gerettet und dann mit dem Marshallplan finanziert hatten, im Kalten Krieg ein Bollwerk gegen die Russen und Osteuropa bildeten. Für die Franzosen war es ein Versuch, eine Allianz mit Deutschland zu schmieden. Für die Deutschen war die EU für deutsche Exporte wichtig. Dazu kam: Der französische Führer General de Gaulle, der das abschließende Kopfnicken zu den Römischen Verträgen abgab, betrachtete die Union voller Verachtung als nicht mehr denn eine Maschine. Ihm gefiel es nicht, dass Frankreich seine Identität und Souveränität in irgendeiner Gestalt oder Form weggenommen würde. Und das ist bis vor Kurzem die Haltung Frankreichs geblieben. Der Vater der Europäischen Union war ein sehr bemerkenswerter Franzose, ein kosmopolitischer Unternehmer namens Jean Monnet, dessen Bilanz in Wirtschaft, Politik und sozialen Aktivitäten recht unterhaltsam ist. Er stand den wichtigsten Kalten Kriegern in den Vereinigten Staaten nahe – unter anderen Dean Acheson, den Brüdern John Foster und Alan Welsh Dulles und John Jay McCloy. Er war gleichzeitig ein französischer Patriot und ein Internationalist. In seiner unvergleichlichen Darstellung des modernen Europas The New Old World liefert uns Perry Anderson eine unterhaltsame Schilderung von Monnets frühen Jahren. Monnets Ehe gibt uns vielleicht den besten Einblick in sein Leben, das in der Zeit zwischen den Kriegen immer noch nur teilweise sichtbar ist. Im Jahr 1929 brachte er im Auftrag von John McCloy gerade eine Stadtanleihe in Mailand auf den Markt, als er sich in die frisch verheiratete Frau eines seiner italienischen Angestellten verliebte. Unter Mussolini gab es keine Scheidung und zwei Jahre später wurde dem Ehepaar ein Kind geboren. Der Ehemann und Vater vereitelte Versuche, die Ehe annullieren zu lassen, und der Vatikan weigerte sich. 1934 war Monnets Hauptwohnsitz in Shanghai. Dort stieg er eines Tages in die Transsibirische Eisenbahn, um sich mit seiner Geliebten in Moskau zu treffen, wohin sie aus der Schweiz angereist war. Über Nacht erwarb sie die sowjetrussische Staatsbürgerschaft, löste ihre Ehe auf und heiratete ihn trotz Verbot der UdSSR. Monnets Braut war eine fromme Katholikin und sie gab dieser ungewöhnlichen Maßnahme – so erklärte es Monnet – den Vorzug vor den erniedrigenden Ämtern in Italien. Warum Stalins Regierung ihnen das erlaubte, konnte er nie verstehen. Es war eine angespannte Zeit für eine Heirat: Vierzehn Tage später wurde Kirow ermordet. Als ihr verlassener italienischer Ehemann später versuchte, seine vierjährige Tochter aus Shanghai zurückzuholen, fand Madame Monnet im sowjetischen Konsulat – einer ziemlich berüchtigten Einrichtung in der Geschichte der Komintern – Zuflucht vor dem Entführer. Ende 1935 – sie hatte immer noch einen sowjetrussischen Pass – bekam sie eine Aufenthaltserlaubnis in den USA, als Monnet im Rahmen eines türkischen Kontingents nach New York übergesiedelt war. Monnets Abenteuer einmal beiseite: Die Einheit Westeuropas war ein Kind des Zweiten Weltkrieges und des Beginns des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion, der auf die Niederlage der Achsenmächte folgte. Im Zentrum stand – im Gegensatz zu den Schrecken, die vom Versailler Vertrag, der auf den Ersten Weltkrieg gefolgt war, ausgelöst worden waren – die Vorstellung von einer tiefen Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland als gleichberechtigten Partnern. Aber in Wirklichkeit war das Ziel, Deutschlands politische Souveränität zu beschneiden. Die Existenz der Sowjetunion und ihrer neu erworbenen osteuropäischen Satelliten machte eine kollektive Bestrafung der deutschen Elite der Kriegszeit unmöglich. Die Tatsache, dass das Land geteilt worden war, wurde für ausreichend gehalten, die Wiedergeburt des deutschen Militarismus zu verhindern. Der deutsche Führer der Konservativen Konrad Adenauer war niemals von der Lebensfähigkeit von Ostdeutschland überzeugt und sah, schon lange bevor Gorbatschow zu einem Augenzwinkern Reagans wurde, eine Wiedervereinigung voraus. De Gaulle wollte ein dicht verwobenes Europa, einen unabhängigen bonapartistischen Block, der mit der UdSSR und den USA auf Augenhöhe verhandelte und in der Innen- und Außenpolitik eigene selbstständige Initiativen ergriff. Aus diesem Grund wollte er Großbritannien ausschließen, da er (wie auch fast alle anderen) wusste, dass es kaum mehr als ein trojanisches Pferd der Vereinigten Staaten sein würde. Die Auffassungen beider erwiesen sich als richtig. Heute ist Deutschland trotz seiner eingeschränkten Souveränität das stärkste Land in Europa und die EU, die infolge des englisch-amerikanischen Drucks außer Kontrolle geraten ist, stöhnt wie ein kranker Stier. Frühe Versuche des Franzosen Jacques Delors, ein »soziales Europa« zu schaffen, scheiterten am wiedergeborenen Fanatismus des Washington Consensus: Neoliberaler Kapitalismus sei der einzige Weg nach vorn. Die EU musste die neuen Regeln akzeptieren: Privatisierung im Inland, Kriege und Besetzungen im Ausland. Die Nordeuropäer (Großbritannien und Skandinavien) und die Osteuropäer (die entzückt waren, einen neuen Satelliten-Status annehmen zu dürfen, bei dem die USA die UdSSR ersetzten) erwiesen sich als die loyalsten und gefügigsten EU-Vasallenstaaten. Das Ergebnis ist eine Katastrophe für die EU als Ganze. Im Inneren wurde sie zu einem Europa der Bankiers mit wenig Rücksicht auf irgendetwas anderes als auf die Bedürfnisse des Finanzkapitals. Die daraus folgende Wirtschaftskrise hat bisher noch keinen wirklichen Wandel im Grundparadigma bewirkt. Auf die Wunde wurde ein in antiseptischer Flüssigkeit getränkter Verband gelegt, aber noch sieht man das Blut und es wird bald wieder hervorquellen. Über zehn Jahre nach dem Crash von 2008 steckten die amerikanischen und europäischen Wirtschaften in Arbeitslosigkeit und Stagnation fest. Die Anarchie der Kreditschöpfung wurde unter eine gewisse Kontrolle gebracht, aber ihre Grundlagen bleiben so solide wie eh und je. Bankiers, Gauner und Betrüger warteten geduldig auf die Wiederherstellung, damit sie ihre Arbeit bei geringstmöglicher Regulierung wieder aufnehmen können. Und wie zur Bestätigung beschlossen die Deutschen, Luxemburg – das Geldwäschezentrum der europäischen Reichen – zu belohnen, indem sie den Starpolitiker Jean-Claude Juncker zum Präsidenten des Europäischen Rates wählten. Die Unfähigkeit der westlichen Regierungen, das System von Grund auf zu reformieren, hatte zu einer Verschärfung der Krise geführt, die nun das Funktionieren der Demokratie an sich bedrohte. In Griechenland und Italien regierten die Bankiers das Land. Die soziale Schicht, die die Krise verursacht hat, lieferte nun Bürokraten, die sich über die Politik hinwegsetzen. Anderswo übte die extreme Mitte die Macht aus, indem sie Sparmaßnahmen förderte, die die Reichen privilegieren, und Kriege und Besetzungen im Ausland unterstützt. Wie ist es so weit gekommen? Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1991 verdarb das Geld die Politik und das große Geld verdarb sie vollkommen. In den Kernländern des Kapitals wurden wir zu Zeugen des Entstehens effektiver Koalitionen: in den Vereinigten Staaten der Republikaner und Demokraten, in Großbritannien von New Labour und den Tories, in Frankreich von...


Tariq Ali, geboren 1943 in Lahore, ist Schriftsteller, Filmemacher und einer der bekanntesten Intellektuellen Großbritanniens.
Heiner Flassbeck, geboren 1950 in Birkenfeld, ist Wirtschaftswissenschaftler.
Rainer Mausfeld, geboren 1949 in Iserlohn, hatte bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung an der Universität Kiel inne.
Wolfgang Streeck, geboren 1946 in Lengerich, war Professor für Soziologie an der Universität von Wisconsin-Madison und Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.
Peter Wahl, geboren 1948 in Worms, ist Autor und Gründungsmitglied von attac Deutschland.


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