E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Ampuero Tod in der Atacama
12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8270-7513-0
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Cayetano Brulé ermittelt
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-8270-7513-0
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roberto Ampuero, 1953 in Valparaíso, Chile geboren, ist einer der erfolgreichsten Autoren seines Landes. Nach Aufenthalten in Kuba, der DDR und der BRD lebte er lange Jahre in den USA, wo er an der University of Iowa lehrte. Seit 2012 ist er chilenischer Botschafter in Mexiko. Sein Werk, in zahlreiche Sprachen übersetzt, wurde mehrfach ausgezeichnet. »Der letzte Tango des Salvador Allende« stand wochenlang auf Platz 1 der chilenischen Bestsellerlisten.
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Las Tacas, Sonntag, der 5. April, 11:17 Uhr
Nie zuvor in deinem Leben, mein ehrenwerter Abgeordneter Mariano Patiño, hast du eine solche Angst verspürt.
Nie zuvor.
Bis zu diesem verdammten Augenblick.
Dem Augenblick, in dem du erschrocken in der Sonntagszeitung liest, dass der Deutsche tot ist.
Der Deutsche, murmelst du fassungslos vor dich hin, der Deutsche. Eine Schlagzeile und eine aus fünf Absätzen bestehende Kolumne, verfasst in San Pedro de Atacama, informieren in knappen, aber anschaulichen Worten über den Todesfall: Am Samstagnachmittag wird er in seinem Schlafzimmer tot aufgefunden, niedergestreckt von zwei Schüssen. Jemand flieht mit einer großen Summe Bargeld.
Die Furcht lässt dich tief und schmerzhaft aufschnauben, als wollte sie dir den Atem rauben. Unruhig windest du dich im Lehnstuhl deines Penthouses in Las Tacas. In der vagen Hoffnung, dich getäuscht zu haben, liest du die Nachricht ein zweites Mal. Nein. Du hast richtig gelesen. Du weißt jetzt nicht nur, dass es sich bei dem Deutschen in der Oase um Willi Balsen handelt, dir wird auch klar, dass von nun an auch dein eigenes Leben in Gefahr ist.
Sie haben ihn aus dem Weg geräumt, daran gibt es nichts zu rütteln. Das Blut schießt dir in dein schmales Gesicht, du gerätst in Panik. Du musst auf der Stelle handeln, irgendetwas tun. Deine zitternden, schweißnassen Hände falten den Mercurio zusammen, während du überlegst, vor die Presse zu treten und alles ans Licht zu bringen. Selbst wenn du dafür deine Karriere an den Nagel hängen musst. Noch heute wirst du die Cessna nehmen, um gleich am Montag in der Früh eine Pressekonferenz einzuberufen. Durch den Tod des Deutschen verliert alles seinen Sinn, sogar das Wochenende mit deiner Sekretärin.
Du lässt die Zeitung auf den Boden fallen und richtest deinen Blick auf die kleine Bucht, die der Pazifik um diese Uhrzeit mit seinen kühlen, grauen Händen umschmeichelt. Du gehst zur Bar, wo du dir einen doppelten Hennessy einschenkst, den du hastig hinunterstürzt. Leise betrittst du das im Halbdunkel liegende Zimmer – die Fensterläden sind noch immer geschlossen –, in dem Solange Farías schläft. Man hat dich reingelegt, denkst du, während ein angenehm tröstendes Brennen durch deine Eingeweide strömt, man hat dich betrogen, und jetzt wird sich zeigen, ob der Angriff, so wie im Krieg oder in der Politik, immer noch die beste Verteidigung ist. Du beugst dich zu der Frau im Bett hinunter und küsst mit einer väterlichen Geste ihre Augenlider.
»Wohin gehst du?«, fragt sie schläfrig. Ein paar lange, dunkle Haarsträhnen sind ihr in das Gesicht mit der Adlernase gefallen, zwischen den Laken schaut ein straffer, appetitlicher Oberschenkel hervor, während sich ihr Hintern auf prächtige Weise unter der Bettdecke abzeichnet.
»Schwimmen«, flüsterst du, bevor du das stille, in Dämmerlicht gehüllte Zimmer verlässt und auf die Terrasse hinaustrittst, wo du deine Glieder streckst und dein verschwommenes Spiegelbild in der Fensterscheibe betrachtest. Du siehst schlank aus, drahtig, hast etwas von einem Jagdhund. Die Angst hat noch keine Spuren in deinem Gesicht mit den hellen Augen, der geraden, fast griechisch anmutenden Nase und den zarten Lippen hinterlassen, einem Gesicht, das dein größter Trumpf bei den Frauen ist. Bedächtig lässt du den Blick über die Spuren der letzten Nacht streifen: Reste einer Pizza Marinara, zwei halbleere Gläser mit Margarita, ein Rock, der sich auf magische Weise in einen weichen Ring auf dem glänzenden Boden aus italienischem Marmor verwandelt hat. In diesem Augenblick erscheint plötzlich mit der Flüchtigkeit eines Blitzes das Bild von Solange vor deinem geistigen Auge. Solange, die mit entblößtem Busen und fest auf deine Brust gestützten Händen ungestüm auf deinen Hüften reitet und ihr spitzes Stöhnen in der Nacht erklingen lässt. Du liegst regungslos auf dem Rücken, eingeschüchtert von der pulsierenden Lebenskraft dieser Frau, unfähig, ihre hemmungslose Leidenschaft zu zähmen, während du ihren halboffenen Mund betrachtest, aus dem sich eine Zunge windet und die fülligen Lippen befeuchtet, Lippen, die nicht müde werden zu flüstern, diese Nacht möge niemals zu Ende gehen.
Der laute Schrei einer Möwe reißt dich mit einem Schlag wieder in die Wirklichkeit dieses verfluchten Sonntagmorgens zurück. Als würde deine Angst es verscheuchen, löst sich das Bild von Solange in Luft auf. Morgen wirst du vor die Presse treten müssen. Dir bleiben nur wenige Stunden, um zu entscheiden, was du deiner Partei und der Öffentlichkeit erklären wirst. Mach dir nichts vor, du weißt genau, keiner deiner Kollegen wird dir zur Seite stehen. Du kannst dir gut vorstellen, wie einige von ihnen sogar Moralpredigten halten werden, um dich von deinem Stuhl im Parlament zu stoßen.
Du verlässt die Wohnung, steigst die Treppe hinab und gehst mit eiligen Schritten an den Palmen und ockerfarbenen Gebäuden mit spanischen Ziegeldächern entlang, während du dir sagst, dass du mit allergrößter Besonnenheit vorgehen musst. Der Strand ist menschenleer. Du weißt, du bist von grenzenloser Einsamkeit umgeben. Du erreichst das Ufer, wo das sanfte Rauschen der Brandung zu hören ist, atmest den salzigen Duft ein, als wolltest du alle Luft dieses hohen, klaren und transparenten Himmels in dich einsaugen, und wirfst das Handtuch, das gerade noch deine Schultern bedeckte, in den Sand. Dann tauchst du fröstelnd in das Wasser ein, und dein Körper schaukelt sanft auf den Wellen, fern den parlamentarischen Ausschüssen, dem ständigen Zigarettenqualm und den aufdringlichen Interviews. In der Weite des Pazifiks zu treiben und zu wissen, dass Solange ganz in deiner Nähe ist, hilft dir, dich von dem Schrecken zu erholen.
Solange könnte deine Tochter sein. Du weißt nicht, warum dir dieser Gedanke gerade jetzt durch den Kopf geht. Vielleicht weil deine Eifersucht dich ständig daran denken lässt, viel zu oft in letzter Zeit. Sie ist dreißig und hat einen fröhlichen, sinnlichen Charakter, den ihre langen Aufenthalte in Medellín mit allen möglichen tropischen Zutaten gewürzt haben. Du brauchst sie. Jetzt mehr denn je. Mehr als einmal ist dir der Gedanke gekommen, dass du keine Sekunde gezögert hättest, dich von Olaya zu trennen, wenn dir Solange etwas früher begegnet wäre. Aber im Moment hast du weder Lust, dich von romantischen Gefühlsausbrüchen leiten zu lassen, noch, an die große Liebe zu glauben. Was jetzt allein zählt, ist, der Öffentlichkeit eine solide Familie zu präsentieren, die deine Karriere sichert.
Du schwimmst zurück und betrachtest den Küstenstreifen. Die Terrassen mit den geschlossenen Fensterläden, den grünen Teppich der Mittagsblumen rund um das Restaurant El Chiringuito, die sanft geneigten Palmen und, über allem, die kargen Hügel mit ihrer primitiven, ursprünglichen Atmosphäre – das schüchterne Vorspiel der Atacamawüste. Dir fällt auf, dass diese Landschaft eine faszinierende Ähnlichkeit mit der nordafrikanischen Küste besitzt.
Du kennst dich aus in der arabischen Welt. Ein Teil der Produktion deiner Konservenfabrik ist für den dortigen Markt bestimmt. Und auch wenn es nicht einfach ist, sich an die muslimische Mentalität zu gewöhnen, so entwickeln sich die Geschäfte doch prächtig, und die Zahlungen erfolgen, wenn auch nicht immer pünktlich. Auf Drängen deiner Frau begannen die geschäftlichen Beziehungen mit der arabischen Welt vor fünf Jahren mit einer bescheidenen Ladung getrockneter Zitronen und kandierter Früchte nach Ägypten. Für die genialen Ideen in deinem Haus war schon immer Olaya zuständig gewesen, die älteste Tochter libanesischer Einwanderer, eine Frau mit großen schwarzen Augen, fein gezeichneten Augenbrauen und dunklem Teint. Dein neuster Plan ist – immer vorausgesetzt, du kommst bei dieser ganzen Geschichte mit dem Leben davon, denkst du, während du spürst, wie dir ein eisiger Schauer über den Rücken läuft –, deine Aktivitäten in die Karibik auszuweiten, vor allem nach Kuba, die Insel, die sich in den letzten Jahren in wirtschaftlicher Hinsicht von einer einfachen Raupe in einen hübschen Schmetterling verwandelt hat.
Du breitest die Arme aus, öffnest ein wenig die Augen und lauschst dem Wellenschlag an deinen Ohren. Du musst an deine Frau denken, die um diese Uhrzeit wahrscheinlich längst wieder, auch heute, am Sonntag, in dem von ihr geleiteten Institut für politische Forschung in Santiago ihrer Arbeit nachgeht.
Olaya träumt davon, eines Tages Abgeordnete zu werden. Mit einem Abschluss an der Sorbonne und einer Promotion in Washington weist sie eine Laufbahn auf, um die sie ihre Kollegen beneiden. Vor Kurzem bot ihr der Präsident den Posten des Botschafters in irgendeinem osteuropäischen Land an, doch sie lehnte mit der Begründung ab, lieber bei ihren zwei studierenden Söhnen und ihrem Ehemann in Chile bleiben zu wollen.
»Bist du verrückt?«, rief sie, als du mit ihr über das Angebot reden wolltest. »Ich weiß doch ganz genau, wer alles davon träumt, dass ich in einem dieser trostlosen und rückständigen ehemaligen kommunistischen Länder abtauche. Mir kann keiner was vormachen!«
Womit sie recht hat. Täglich liest du in ihren hübschen, hellwachen Augen, die begierig alles zu verschlingen scheinen, was sie hinter der Versace-Brille erblicken, dass sie über deine Affäre Bescheid weiß, es aber in ihrem besessenen Streben, gewählte Abgeordnete der Republik zu werden, hinnimmt. Sie ist sich bewusst, dass es von Vorteil ist, im Land zu bleiben und ein klares Image von sich zu pflegen, fern der Vetternwirtschaft der traditionellen Politik, fern einer möglichen Scheidung, die die katholische...