E-Book, Deutsch
Anderson Die Königin der Luft und der Dunkelheit
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-20263-7
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erzählung
E-Book, Deutsch
ISBN: 978-3-641-20263-7
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Planet Roland liegt am äußersten Ende der besiedelten Galaxis. Es ist eine raue Grenzwelt, die scheinbar kein intelligentes Leben hervorgebracht hat. Doch immer wieder verschwinden Kinder der Kolonisten offenbar spurlos im Hinterland. Eric Sherrinford ist Privatdetektiv und wird von einer der Mütter beauftragt, ihren Sohn zu finden. Was ihm im wilden, unzivilisierten Outback begegnet, ist schier unglaublich …
Für „Die Königin der Luft und der Dunkelheit“ wurde Poul Anderson 1972 mit dem Hugo, dem Nebula und dem Locus Award ausgezeichnet. Die Erzählung erscheint als exklusives E-Only bei Heyne und umfasst ca. 51 Seiten.
Poul Anderson (1926-2001) begann schon während seines Physikstudiums in den Vierzigerjahren mit dem Schreiben von Science-Fiction-Stories, um sich das Studium zu finanzieren. 1952 erschien dann sein erster Roman, und bis zu seinem Tod im Jahr 2001 veröffentlichte er sowohl Fantasy- als auch Science-Fiction-Texte, hielt dabei jedoch immer die Trennung der Genres aufrecht. Er gehörte zu den produktivsten SF-Schriftstellern in den USA und wurde mehrfach ausgezeichnet; unter anderem gewann er sieben Mal den Hugo Award. Vor allem seine Geschichten und Romane um die Zeitpatrouille machten ihn auch international bekannt. Anderson starb am 31. Juli 2001 in Orinda, Kalifornien.
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Das letzte Nachglühen des Sonnenuntergangs würde fast bis Mitternacht anhalten. Einen weiteren Tag würde es jedoch nicht mehr geben, und die Nordlande konnten sich freuen. Blüten öffneten sich, strahlende Pracht an Feuerdornbäumen, Stahlblüten erhoben sich blau aus dem Sumpf, und Regenpflanzen, die alle Hügel bedeckten, das scheue Weiß einer wilden Stiefmütterchenart, die »Küss-mich-nicht« hieß, drunten in den Senken und Tälern. Flatterwesen schossen auf schimmernden Flügeln zwischen ihnen herum, ein Kronenbock schüttelte sein Gehörn und brüllte. Zwischen den Horizonten vertiefte sich des Himmels Farbe von Purpur zu Dunkelgoldbraun. Beide Monde standen nahezu voll am Himmel und schienen frostig auf die Blätter herab; wie geschmolzen lag ihr Licht auf dem Wasser. Die Schatten, die sie warfen, wurden von einer Aurora verwischt. Die Aurora war ein riesiger, wehender Vorhang aus Licht, der über den halben Himmel reichte. Dahinter waren die ersten Sterne herausgekommen.
Ein Junge und ein Mädchen saßen bei Wolund's Barrow unter den Dolmen. Ihre offenen Haare fielen ihnen den halben Rücken entlang. Der Sommer hatte sie gebleicht, deshalb erschienen sie erstaunlich hell. Ihre Körper waren noch tief gebräunt von der warmen, hellen Jahreszeit und verschmolzen mit Erde und Busch und Fels, denn sie trugen außer Kränzen nichts. Er spielte auf einer Knochenflöte, und sie sang. Vor kurzem waren sie ein Liebespaar geworden. Beide mochten etwa sechzehn Jahre alt sein, doch das wussten sie nicht, denn sie hielten sich selbst für »Auslinge«. Ihnen war die Zeit gleichgültig, und sie wussten wenig oder nichts darüber, wie und dass sie einmal in den Menschenlanden gelebt hatten.
Seine Flötentöne hüpften kalt um ihre Stimme:
»Wirf einen Zauberbann,
Verweb ihn gut mit Staub und Tau,
Mit dir und mit der Nacht.«
Eine Quelle am Fuß des Grabens trug Mondlicht hinab zu einem vom Hügel versteckten Fluss, der mit dem Rauschen von Stromschnellen und Wasserfällen antwortete. Unter der Aurora flog dunkel ein Schwarm Teufelsflattern über ihnen weg.
Über Cloudmoor kam hüpfend eine Gestalt mit zwei Armen und zwei Beinen, aber die Beine waren lang und mit Klauenfüßen versehen, und Federn bedeckten sie bis zum Ende eines Schwanzes und breiter Schwingen. Das Gesicht war halb menschlich und wurde von den Augen beherrscht. Hätte Ayoch ganz aufrecht stehen können, wäre er dem Jungen bis zur Schulter gegangen.
Das Mädchen stand auf. »Er trägt eine Last«, sagte sie. Ihre Sehkraft war nicht für das Zwielicht geschaffen wie die einer im Nordland geborenen Kreatur, doch sie hatte gelernt, jedes Zeichen zu deuten, das ihre Sinne ihr gaben. Außer der Tatsache, dass sie wusste, wie ein gewöhnlicher Pook fliegt, stellte sie bei aller Eile eine gewisse Schwere fest.
»Und er kommt aus dem Süden.« Der Junge war aufgeregt und bewegte sich wie eine grüne Flamme, die über die Konstellation Lyrth zuckt. Er rannte den Hügel hinab. »Ohoi, Ayoch!«, rief er. »Bin da! Ich bin's, Nebelheim!«
»Und Traumschatten«, sagte das Mädchen und folgte lachend.
Der Pook hielt an. Er atmete lauter als das Seufzen der Gewächse ringsum. Dort, wo er stand, duftete es nach zerquetschten Kräutern.
»Gute Begegnung zur Wintergeburt«, keuchte er pfeifend. »Ihr könnt mir helfen, dies nach Carheddin zu bringen.«
Er zeigte ihnen, was er trug. Seine Augen waren gelbe Laternen darüber. Es bewegte sich und wimmerte.
»Ah, ein Kind«, sagte Nebelheim.
»Ja, so wie du warst, mein Sohn, genauso wie du. Ho, ho, welch ein Fang!«, prahlte Ayoch. »Da waren ein paar in dem Lager bei Fallowood, bewaffnet, und außer ihren Wachmaschinen hatten sie große hässliche Hunde, die herumliefen, während sie schliefen. Aber ich kam von oben, denn ich hatte sie ausgespäht, bis ich wusste, dass eine Handvoll Schlummerstaub …«
»Das arme Ding.« Traumschatten nahm den Jungen und drückte ihn an ihre junge Brust. »Noch ganz verschlafen, was?« Blind suchte er nach einem Nippel. Sie lachte durch den Schleier ihrer Haare das Kind an. »Nein, nein, ich bin noch zu jung, und du bist schon zu alt dafür. Aber komm, wenn du in Carheddin unter dem Berg aufwachst, wirst du genug zu essen bekommen.«
»Yo-ah!«, sagte Ayoch sehr leise. »Sie ist wach und hat gesehen und gehört. Sie kommt.« Er duckte sich mit gefalteten Schwingen zusammen. Nach kurzer Zeit kniete Nebelheim nieder, dann auch Traumschatten, doch das Kind ließ sie nicht los.
Die hohe Gestalt der Königin verdeckte die Monde. Eine Weile musterte sie die drei und ihre Beute. Die Geräusche von Hügel und Moor zogen sich aus ihrem Bewusstsein zurück, und ihnen schien, als könnten sie das Zischen des Nordlichtes hören.
Dann wisperte Ayoch: »Hab' ich das gut gemacht, Sternenmutter?«
»Wenn du ein Baby aus einem Lager voller Maschinen stehlen konntest, dann müssen das Leute aus dem fernen Süden sein«, sagte sie mit ihrer schönen Stimme. »Und die lassen sich das nicht so gefallen wie die schwachen Freisassen.«
»Aber was können sie tun, Schneemacherin?«, fragte der Pook. »Wie können sie unsere Spur finden?«
Nebelheim hob den Kopf und sagte voll Stolz: »Und jetzt müssen auch sie Ehrfurcht vor uns haben.«
»Er ist ein süßes Knuddelding«, flüsterte Traumschatten liebevoll. »Himmelsdame, solche wie ihn brauchen wir doch noch viel mehr, nicht wahr?«
»Es musste im Zwielicht geschehen«, antwortete die hohe Gestalt. »Nimm ihn mit und sorge für ihn. Mit diesem Zeichen …« – sie machte ihr heiliges Zeichen –, »wird er für die Bewohner beansprucht.«
Sie gaben ihrer Freude Ausdruck. Ayoch schlug Räder über dem Boden, bis er ein Zitterlaub erreichte. Dort lief er den Stamm hoch und hinaus auf einen Ast, wo er unter dem unruhigen Laub halb versteckt aufbäumte und krähte.
Junge und Mädchen trugen das Kind nach Carheddin; sie machten lange, mühelose Sprünge, damit er pfeifen und sie singen konnte:
»Wahai, wahai!
Wayala lai!
Schwingen im Wind
Hoch in den Himmeln.
Schrille Schreie
Reisen mit den Regenspeeren,
Taumeln durch Aufruhr,
Treiben durch die Mondhaarbäume
Und die traumschweren Schatten darunter,
Sie wiegen dich, damit du eins wirst
Mit den schwatzenden Wellchen des Sees,
Wo die Sternstrahlen ertrinken.«
Als sie eintrat, fühlte sich Barbro Cullen trotz Kummer und Zorn angewidert. Der Raum sah schlimm aus. Zeitschriften, Tonbänder, Spulen, Handschriften, Ablagekörbe und bekritzelte Papiere waren auf jedem Tisch aufgehäuft. Auf Regalen und in den Ecken hatte sich Staub angesammelt. An einer Wand stand eine Laboreinrichtung mit Mikroskopen und Analysegeräten. Sie wusste, dass sie auf engstem Raum alles Nötige bot, doch in einem Büro war sie nicht zu erwarten, und es roch auch schwach nach Chemie. Der Teppich war abgetreten, die Einrichtung schäbig.
War das ihre letzte Chance?
Dann näherte sich Eric Sherrinford. »Guten Tag, Mrs. Cullen«, sagte er. Sein Ton war bestimmt, sein Händedruck fest. Sie störte es nicht, dass sein Arbeitsanzug ausgeblichen war. Auch um ihre eigene Erscheinung kümmerte sie sich nur bei ganz besonderen Anlässen. Ob sich je wieder ein solcher ergäbe, außer sie bekam Jimmy zurück? Was sie sah, war die persönliche Sauberkeit einer Katze.
Von den Krähenfüßen um seine Augen breitete sich ein Lächeln aus. »Verzeihen Sie meine Junggesellenwirtschaft. Auf Beowulf haben wir – hatten wir jedenfalls – Maschinen dafür, so dass ich niemals selbst die Gewohnheit des Aufräumens annahm. Und ich mag es nicht, dass Dienstboten mein Werkzeug durcheinanderbringen. Mir passt es besser, in der Wohnung zu arbeiten, als ein eigenes Büro zu unterhalten. Wollen Sie sich nicht setzen?«
»Nein, danke, ich könnte gar nicht«, sagte sie leise.
»Das verstehe ich sehr gut. Aber wenn Sie entschuldigen wollen – ich funktioniere am besten in entspannter Lage.«
Er ließ sich in einen Lehnsessel fallen. Ein langes Bein legte sich über das andere Knie. Er nahm eine Pfeife heraus und stopfte sie aus einem Beutel. Barbro wunderte sich, weshalb er den Tabak auf so uralte Art nahm. Konnte man denn nicht annehmen, dass man auf Beowulf überall die neuesten Geräte hatte, die man sich auf Roland noch lange nicht leisten konnte? Natürlich überlebten alte Sitten immer irgendwo und irgendwie, meistens in Kolonien, wie sie gelesen hatte. Die Menschen waren zu den Sternen gereist in der Hoffnung, so altmodische Dinge wie ihre Muttersprache, demokratische Regierungen oder eine rational-technologische Zivilisation zu erhalten.
Sherrinford holte sie heraus aus der Verwirrung ihrer Müdigkeit. »Sie müssen mir alle Einzelheiten Ihres Falles geben, Mrs. Cullen. Sie haben mir bisher nur erzählt, dass man Ihren Sohn entführt hat, und Ihre örtliche Polizei tat nichts. Sonst weiß ich nur ein paar allgemein bekannte Tatsachen, etwa dass Sie eher verwitwet als geschieden sind; dass Sie von Abweichlern im Olga Iwanoff Land abstammen, die trotz allem in enger Telekommunikation mit Christmas Landing stehen. Sie haben einen biologischen Beruf und einige Jahre Pause in der Feldarbeit hinter sich, bis Sie kürzlich wieder damit begannen.«
Sie staunte diesen Mann mit den hohen Wangenknochen, der ausgeprägten Hakennase, den schwarzen Haaren und grauen Augen an. Sein Feuerzeug machte skritt, und eine Flamme schien den Raum zu füllen. Um sein Heim hoch über der Stadt herrschte Stille, und die Winterdämmerung sickerte durch die Fenster. »Wie, beim Kosmos, können Sie das alles wissen?«, hörte sie sich selbst...




