E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Andersson Sommerglück in Schweden
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-641-28461-9
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-641-28461-9
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lisa Andersson ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Autorin, die bereits zahlreiche Romane veröffentlicht hat. Sie lebt mit ihrer Familie und Hund Henry in der Nähe von Köln. Ihren Urlaub verbringt sie am liebsten in Schweden, und auch ihre Leser*innen entführt sie gerne in den Norden.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 2
Als Sofia am frühen Abend nach Hause kam, saß Rune im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Er schaute kaum auf, als sie das Zimmer betrat.
»Das Wetter ist wunderschön!«, sagte Sofia und hoffte, dass er von sich aus auf die Idee kommen würde, mit ihr auszugehen.
Am Anfang ihrer Beziehung hatten sie die Sommerabende oft in einem Restaurant am See verbracht, dessen Außenterrasse auf dem Wasser zu schweben schien und das eine herrliche Aussicht auf den Riddarfjärden bot. Es war die perfekte Umgebung für zwei verliebte Menschen gewesen.
Seit wann gab es diese schönen Momente zwischen ihnen eigentlich nicht mehr?
Sofia konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt etwas Ähnliches erlebt hatten. Offenbar war ihre Entfremdung ein schleichender Prozess gewesen. Selbst über die Zukunftspläne, die sie einmal geschmiedet hatten, sprachen sie nicht mehr: Hochzeit, Kinder, ein Haus irgendwo auf dem Land … Inzwischen hatte Rune offensichtlich andere Pläne.
Vor fünf Jahren war ihm überraschend die Leitung des Skatteverket übertragen worden, nachdem sein Vorgänger aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig hatte ausscheiden müssen. Zuerst hatte Sofia geglaubt, dass er sich veränderte, weil er sich in seinen neuen Aufgabenbereich einarbeiten musste. Schließlich hatte er als Vorgesetzter der Menschen, die vorher seine Kollegen gewesen waren, mit einem Mal weitreichende Entscheidungen treffen müssen.
Sofia hatte Verständnis für ihn gezeigt, auch als nach und nach im privaten Bereich vieles anders geworden war. Doch irgendwann hatte sie feststellen müssen, dass der Wandel keineswegs an den neuen Anforderungen lag, die Rune beschäftigten. Vielmehr hatte sich seine Perspektive verändert. Sein Beruf war zu seinem Lebensmittelpunkt geworden, hinter dem alles andere, auch Sofia, zurückstehen musste.
fragte sie sich selbst, als sie jetzt neben dem Sofa stand und ihn beobachtete.
Plötzlich schien er zu spüren, dass sie ihn unverwandt anschaute. Er drehte ihr den Kopf zu und runzelte unwillig die Stirn.
»Was ist?«, knurrte er. »Warum starrst du mich die ganze Zeit so an?«
»Hast du überhaupt gehört, was ich gesagt habe?«
Er schien nachzudenken, schüttelte aber schließlich den Kopf.
»Ich möchte das sehen«, erklärte er mit strenger Stimme und wies auf den Fernseher. »Das ist ein äußerst interessanter Bericht über das schwedische Wirtschaftssystem.«
Früher hatten sie sich gemeinsam Krimis angeschaut. Wenn es richtig spannend geworden war, hatte Sofia sich Schutz suchend an ihn gekuschelt.
»Rune …«, begann sie, doch plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie über all das nicht reden wollte.
»Was?« Er schaute ungeduldig auf und fühlte sich sichtlich gestört.
»Der Abend ist zu schön, um ihn vor dem Fernseher zu verbringen. Ich gehe noch ein bisschen raus.«
Er nickte zustimmend, und Sofia beschlich das Gefühl, dass er froh war, seine Ruhe zu haben. Sie ging zur Tür, blieb dort aber stehen und schaute noch einmal zurück. Wenn er jetzt ebenfalls den Kopf wandte, um ihr nachzusehen, würde sie noch einmal versuchen, mit ihm zu reden. Vielleicht würde dann doch noch alles gut werden. Vielleicht würden sie es dann doch schaffen, sich einander wieder anzunähern.
Doch Rune starrte unentwegt auf den Fernseher. Er schien nicht einmal zu bemerken, dass sie sich noch im Raum befand.
Traurig verließ sie die Wohnung.
Sofia hatte kein bestimmtes Ziel. Zumindest glaubte sie das, als sie losging. Doch dann wurde ihr bewusst, dass sie den Weg zum Rålambshovsparken eingeschlagen hatte. Als sie vor zehn Jahren in Stockholm angekommen war, nur mit einem Rucksack und ein paar Kronen in der Tasche, war sie auch hier gelandet. Zutiefst enttäuscht und ohne jede Perspektive hatte sie damals auf einem großen Findling am Ufer des Mälaren gesessen und auf den See gestarrt.
Der Stein war noch da, ebenso wie ihre Erinnerungen an damals.
Sie lächelte bitter, als sie an die Nacht dachte, in der sie das Haus ihrer Kindheit verlassen hatte. Das Versprechen, nie wieder nach Hause zurückzukehren, hatte sie bis heute eingehalten. Dabei hatte sie keine Ahnung, wie es ihrer Schwester ging und ob sie immer noch mit Mats zusammen war. Im Grunde genommen war es ihr auch völlig egal – zumindest sagte sie sich das immer wieder.
Heute dachte sie allerdings nicht an ihre Schwester und Mats, sondern ausschließlich an sich selbst und Rune. Sie wusste, es war an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen – und gleichzeitig hatte sie Angst davor.
Sie hatte Rune damals hier im Rålambshovsparken kennengelernt, als sie auf genau diesem Stein saß. Er hatte sie angesprochen, weil sie so traurig aussah. Dabei waren es nicht so sehr seine Worte gewesen, die sie berührt hatten, sondern vielmehr sein mitfühlendes Lächeln, das ihr zu Herzen gegangen war. Und dann schien plötzlich alles ganz einfach zu sein.
Rune hatte ihr von seiner Arbeit im Skatteverket erzählt und ihr vorgeschlagen, dort eine Ausbildung zu machen. Ja, er hatte sich sogar dafür eingesetzt, dass sie eingestellt wurde. Außerdem hatte er ihr bei der Suche nach einer Wohnung geholfen, damit sie aus dem völlig überteuerten Pensionszimmer ausziehen konnte.
Sofias Gefühle für Rune waren nie so stark gewesen wie die für Mats. Aber vielleicht war es auch einfach so, dass die erste große Liebe stärker war als alles andere, was danach folgte. Oder sie schützte ihr Herz davor, sich noch einmal so intensiven Gefühlen hinzugeben, um nicht wieder enttäuscht zu werden.
Rune war verlässlich. Er war da gewesen, wenn sie ihn gebraucht hatte, und Sofia mit ihren achtzehn Jahren zu jung, um sich davon nicht beeindrucken zu lassen.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er damals die meisten Entscheidungen für sie getroffen hatte. Doch allmählich war sie an seiner Seite erwachsen geworden, und damit hatte er nicht Schritt halten können. Es irritierte und verärgerte ihn, wenn sie selbstständig handelte.
War das der Grund dafür, dass sie sich mehr und mehr voneinander entfernten?
Ganz besonders schlimm war es geworden, seit sie sich mit Milla angefreundet hatte.
Rune selbst hatte keine Freunde. Seine Mutter lebte in Kiruna, mehr als tausendzweihundert Kilometer von Stockholm entfernt, und Rune hatte einmal durchblicken lassen, dass er sich nicht besonders gut mit seinem Stiefvater verstand. Er legte keinen Wert auf den Kontakt mit seiner Familie, was Sofia aufgrund ihrer eigenen Geschichte nur allzu gut verstehen konnte. Als sie sich kennengelernt hatten, war sie ganz froh gewesen, dass Rune nicht weiter über seine Familie hatte reden wollen – immerhin konnte sie so auch ihre eigene Geschichte für sich behalten.
»Wir brauchen niemanden außer uns«, hatte Rune damals gesagt und sie an sich gezogen.
In jenem Moment hatte Sofia zum ersten Mal ein kurzes Unbehagen empfunden. Nur weil sie ihre Schwester nicht mehr sehen wollte, hieß das schließlich nicht, dass sie keine anderen Menschen kennenlernen oder Freundschaften schließen wollte.
In diesem stillen Moment am Ufer des Sees gestand Sofia sich ein, dass es weitaus mehr gab, was zwischen ihr und Rune stand. Sie hatte es vor sich selbst noch nie in dieser Deutlichkeit zugegeben, aber sie langweilte sich an seiner Seite. Es gab in ihrem Leben keine Tiefen, aber auch keine Höhen. Selbst ihre Arbeit bereitete ihr keine Freude: weder die Mahnschreiben an säumige Steuerschuldner noch die Besuche solcher Schuldner in ihrem Büro, die zumeist sehr unerfreulich verliefen.
Bei einer solchen Gelegenheit hatte sie vor etwas mehr als einem Jahr auch Milla kennengelernt. Zuerst war ihr Name nur einer von vielen gewesen, eine Adresse, an die Sofia Mahnungen schickte. Doch dann hatte Milla plötzlich in Sofias Büro gestanden, zusammen mit dem kleinen Emil.
Der Junge war sofort um den Schreibtisch herumgekommen, hatte die Händchen in die Hüfte gestemmt und sie ärgerlich durch seine runde Brille hindurch angeschaut.
»Meine Mama hat wegen dir geweint!«
Sofia, die sich mit Kindern überhaupt nicht auskannte, hatte nicht gewusst, was sie darauf erwidern sollte.
»Emil!« Milla war ebenfalls um den Schreibtisch herumgekommen, hatte den Jungen auf den Arm genommen und war wieder zurückgegangen.
Außer ihrem eigenen Schreibtischstuhl gab es keine Stühle in Sofias Büro – eine Entscheidung, die Rune getroffen hatte. Säumige Steuerzahler sollten es nicht bequem haben, sie sollten einfach ihre Schulden bezahlen!
Sofia hatte diese Logik nie nachvollziehen können, und das konnte sie erst recht nicht, als sie sah, wie verhärmt die Frau wirkte, die vor ihrem Schreibtisch stand und offensichtlich nach Worten suchte.
Das Gesicht ihrer Freundin war blass gewesen, dunkle Schatten hatten sich unter ihren Augen abgezeichnet.
»Ich bin Milla Ivarsson«, hatte sie sich vorgestellt, und so wurde aus dem Namen auf den Mahnschreiben plötzlich eine junge Frau mit einem tragischen Schicksal.
Millas Mann war ein paar Monate zuvor tödlich verunglückt, und seitdem kam Milla finanziell kaum über die Runden. Der einzige Ausweg schien darin zu bestehen, das kleine Haus in Södermalm zu verkaufen.
Doch Milla wollte nichts davon wissen. Inständig bat sie Sofia um einen Aufschub, obwohl sie bereits die zweite Mahnung erhalten hatte.
Millas Schicksal rührte Sofia so sehr, dass sie einfach nicht anders konnte, als die Akte kurzzeitig in ihrer Schreibtischschublade zu verstecken.
Seit jenem...