E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Ashton Hagerstown
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95967-641-0
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-95967-641-0
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Virus löscht eine ganze Stadt aus - doch deine Regierung erzählt dir nicht die Wahrheit ...
Ein Video von nur wenigen Sekunden: Entsetzlich zugerichtete Leichen liegen auf den Straßen der Kleinstadt Hagerstown. Sobald das Video im Netz war, wurde es auch wieder gelöscht. Alle Suchanfragen laufen ins Leere, alle Wege in die Stadt sind gesperrt. Einer Gesellschaft, die ganz und gar auf Sicherheit ausgelegt ist, widerfährt etwas Unerklärliches. Und die Regierung schweigt. Die Angst vor dem Ungewissen droht zu Ausschreitungen zwischen den 'Unveränderten' und den gentechnisch modifizierten Eliten zu führen. Anders Jensen und seine Freunde suchen nach Antworten auf die Frage, was wirklich in Hagerstown passiert ist ...
'Darf man nicht verpassen!' - io9.com
Weitere Infos & Material
1. Anders
Ich wende mich gerade mit meinem Drink in der Hand von der Bar ab, als ich spüre, wie mir ein Glas gegen die Brust prallt. Vor mir steht ein Mädchen mit offenem Mund und einem knallblauen Fleck, der sich auf ihrer weißen Seidenbluse ausbreitet. Sie ist knapp einen Meter fünfzig groß, hat lockiges rotes Haar, Schultern wie ein Linebacker und einen Bizeps unter ihrer geisterhaft blassen Haut, der an eine kleine wütende Python erinnert. Dann schaut sie mich an, und, ja, da ist auch dieser Wulst über ihren Augen. Gleich wird’s übel.
„Scheiße!“, flucht sie. „Verdammt! Das war eine nagelneue Bluse, du Arschloch!“
Sie stemmt eine Hand gegen meine Brust und drückt mich nach hinten. Ich stoße auf Nierenhöhe gegen die Bar, und das so fest, dass ich an der Stelle bestimmt einen blauen Fleck bekomme. Das Bier schwappt auf meine Hand und läuft meinen Arm herunter. Als ich sie endlich wieder ansehe, holt sie bereits aus. Ich zucke zur Seite und lasse ihre Faust an mir vorbeisegeln. Schon greift der Barkeeper unter die Theke und der Rausschmeißer macht sich auf den Weg in unsere Richtung. Ich reiße die geöffneten Hände hoch. Falls ich sie schlagen muss, dann wird es nur eine Ohrfeige werden. Generell habe ich kein Problem damit, Frauen zu schlagen, aber diese Neandertaler haben richtige Dickschädel. Sie sieht mir in die Augen, und ich merke, dass sie ins Grübeln kommt. Ich hätte mich noch viel schneller bewegen können, aber es hat ausgereicht, um sie zu beeindrucken. Sie stellt sich gerade hin und lässt die Hände sinken.
„Ich bin Terry“, sagt sie. „Wenn du mir einen Drink ausgibst, vergessen wir das Ganze, okay?“
„Lass mich raten“, sage ich. „Dein Dad wollte einen Footballstar?“
Terry stützt die Ellbogen auf den Tisch und nippt erstaunlich geziert an ihrem Drink. Sie hat behauptet, es wäre ein Parrot, dabei sieht er aus wie dieser blaue Drano – Rohrreiniger und riecht auch so.
„So was in der Art. Aber er hatte nicht das Geld, um sich einen richtigen Fachmann leisten zu können. Die haben sogar das Geschlecht vermasselt, wie man sieht. Eigentlich sollte ich nur die Muskeln und die verbesserte Knochenstärke erhalten, aber … Tja, du siehst ja selbst, wie es gelaufen ist. Was ist mir dir? Wurdest du für die NBA geschaffen?“
„Wie kommst du denn auf die Idee?“, frage ich und leere mein Bier mit einem großen Schluck. Normalerweise trinke ich nicht viel, aber unser Zusammenprall an der Bar hat mich ganz schön aufgeregt und ich verspüre das Bedürfnis, mich auf diese Weise zu beruhigen.
„Ach, jetzt hör aber auf“, erwidert sie. „Du bist doch bestimmt zwei Meter fünfzehn groß, oder nicht?“
Ich muss lachen.
„Nicht ganz“, gebe ich zu. „Es sind nur zwei Meter, und daran wurde absolut nichts verändert. Ich stamme aus einer Familie voller riesiger, schlaksiger Schweden.“
„Kann schon sein.“ Sie nimmt noch einen Schluck und lehnt sich dann auf ihrem Stuhl zurück, wobei sie nach hinten wippt, sodass nur noch zwei Stuhlbeine den Boden berühren. Nach einem Augenblick setzt sie sich wieder gerade hin, und die Stuhlbeine knallen laut auf den Boden. „Aber du wärst überrascht, wie oft ich in einer Bar schon zugeschlagen habe. Im Allgemeinen treffe ich dabei mein Ziel.“
Wieder muss ich lachen, dieses Mal sogar noch etwas heftiger. Was den Alkohol betrifft, scheine ich meinem Ziel immer näher zu kommen.
„Ach, Quatsch“, entgegne ich. „Mich überrascht das nicht. Wenn die ursprünglichen Neandertaler genauso reizbar gewesen sind, wie ihr es seid, dann ist es kein Wunder, dass sie unseretwegen ausgestorben sind.“
Sie kneift die Augen zusammen. Bestimmt überlegt sie, ob sie mich noch einmal schlagen soll, aber sie lehnt sich stattdessen zurück und grinst.
„Du weichst mir schon wieder aus, mein Freund. Ich hänge mit vielen Veränderten rum, und ich habe noch nie jemanden gesehen, der sich so schnell bewegen kann. Selbst die Exoskelette des Militärs sind eher auf Kraft als auf Schnelligkeit ausgelegt. Ich habe keine Ahnung, ob du mechanisch oder biologisch bist, aber du bist auf jeden Fall was Besonderes. Was hat man dir verpasst?“
Ich starre sie irritiert an.
„Das ist eine sehr direkte Frage.“
„Ich bin Neandertalerin. Wir sind reizbar, aber auch direkt.“
Sie grinst breit, nippt erneut an ihrem Parrot, und ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass sie eigentlich ganz niedlich ist, wenn sie nicht gerade versucht, mich zu schlagen.
„Meine Mods sind biologisch“, antworte ich schließlich. „Ich bin technisch gesehen eine genetische Schimäre. Sie haben meine DNS mit der von Mäusen verschnitten. Ich besitze um die acht Prozent Typ-C-Muskelfasern.“
Daraufhin starrt sie mich nur mit leerem Blick an. Offenbar muss ich das genauer erläutern.
„Hast du schon mal versucht, eine Maus zu fangen?“, will ich von ihr wissen. „Die haben echt winzige Beine, da sollte man sie doch schnell erwischen können, oder nicht?“
„Ich denke schon“, erwidert sie. „Aber sie sind schnell.“
Ich nicke.
„Ganz genau. Große Säugetiere haben schnell zuckende und langsam zuckende Muskeln, bei kleinen gibt es aber noch eine dritte Art. Man könnte sie als superschnell zuckend bezeichnen. Diese Muskeln sorgen dafür, dass die Maus der Katze immer einen Schritt voraus ist, und die hat man mir verpasst.“
Ihr Lächeln wird zu einem schiefen Grinsen.
„Aber du hast keinen Hofstaat, und ich habe dich noch nie in den Vids gesehen. Dann gibt es anscheinend einen Haken.“
Ich streiche mir mit einer Hand durch das Haar und seufze laut.
„Ja, es gibt einen Haken. Wie sich herausgestellt hat, gibt es einen guten Grund dafür, dass nur sehr kleine Tiere Typ-C-Muskelfasern besitzen. Ich kann durch das Dach springen, allerdings nur etwa alle sechs Wochen, denn so gut wie jedes Mal, wenn ich es versuche, zerre oder breche ich mir was. Ich habe in der Highschool und im ersten Collegejahr Basketball gespielt und war der erste Veränderte, der das auf derart hohem Niveau tun konnte. Eine Zeit lang gab es ein ziemliches Drama darum, ob es fair wäre, mich zusammen mit den unmodifizierten Kids spielen zu lassen. Aber ich habe nach dem ersten Jahr auf dem College aufgehört, weil ich die dummen Sprüche der anderen Spieler nicht mehr ertragen konnte, keine Lust mehr hatte, mich ständig vorzusehen, und es mir auf die Nerven ging, ständig bei den Trainern sein zu müssen.“
Sie lehnt sich zurück und verschränkt die Finger hinter dem Kopf.
„Hast du sie je gefragt, was sie sich dabei gedacht haben?“
„Wen soll ich gefragt haben?“
„Deine Eltern. Du siehst aus, als wärst du ungefähr so alt wie ich – zwischen fünfundzwanzig und dreißig. Richtig?“
Ich nicke, obwohl ich sechsunddreißig bin, denn sie ist nah genug dran.
„Als sie uns manipuliert haben“, fährt sie fort, „waren Modifikationen auf Keimbasis an vielen Orten noch illegal. Und selbst wenn es erlaubt war, wusste man doch eigentlich gar nicht, was man da tat.“ Sie blickt mit finsterer Miene an sich herunter. „Das ist doch offensichtlich, oder? Was denkst du? Würdest du ein Auto sofort kaufen, sobald es auf den Markt kommt, oder warten, bis sie die Fehler ausgemerzt haben? Aber sie mussten gleich eine ganz neue Spezies erschaffen.“
Ich zucke mit den Achseln. Sie hat natürlich recht. Tatsache ist auch, dass ich meinen Dad wirklich mal gefragt habe, warum er es getan hat. Damals war ich neunzehn und lag mit gebrochenem Oberschenkel im Krankenhaus. Es war der Morgen nach meinem letzten Basketballspiel. Ich war verbittert, schmollte und gab Dad die Schuld daran, dass ich verletzt worden war, dass ich es nicht gut genug verheimlicht hatte und dass es mir nicht gelungen war, die Kontrolle zu behalten.
Er hätte mir eine Ohrfeige geben und aus dem Krankenzimmer gehen sollen, aber das hat er nicht getan. Stattdessen sagte er: „Ich wusste, dass wir ein Risiko eingehen, Anders, und es tut mir sehr leid, dass es nicht ganz so ausgegangen ist wie erhofft. Aber mir war damals schon klar, was kommen würde. In zwanzig Jahren wird es im Basketballteam einer Highschool und erst recht auf dem College keinen unmodifizierten Spieler mehr geben. Noch zwanzig Jahre später wird es Unmodifizierten schwerfallen, einen Job zu finden. So sieht es nun einmal aus, mein Junge, und ich dachte, es wäre besser für dich, wenn du einer der Ersten einer brandneuen Gattung und nicht einer der Letzten der aussterbenden bist.“
Das klang einleuchtend, und das tut es noch immer. Dad hatte Angst, dass ich mit dem Fortschritt der Spezies nicht mithalten kann. Vermutlich lag er damit sogar richtig, er war nur zwanzig Jahre zu früh dran.
Wenigstens besaß er genug Geld und musste meine DNS nicht von einem dämlichen Doktoranden verschneiden lassen, wie es bei meiner neuen Freundin offenbar der Fall gewesen ist. Aber trotz alledem, wie heißt es doch so schön? Der beste Plan, ob Maus, ob Mann – wie treffend, was? –, geht oftmals ganz daneben.
Terry steht auf und geht zur Bar. Ich nutze die Gelegenheit und rufe meine Nachrichten ab. Aber da sind keine. Eigentlich war ich heute hier verabredet, aber soweit ich es erkennen kann, ist sie nie aufgetaucht. Vielleicht war sie aber auch da, hat die Auseinandersetzung an der Bar mitbekommen und ist schnell wieder verschwunden. Ist auch egal. Ich kannte sie ohnehin nur übers Netz, und aus irgendeinem Grund hat es bisher bei mir nie geklappt, aus virtuellen reale...