Babendererde | Rain Song | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Babendererde Rain Song


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-401-80028-8
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-401-80028-8
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Sturz von den Klippen am Cap Flattery hätte leicht tödlich ausgehen können. Doch Hanna überlebt - dank dem Makah Indianer Greg. Hat der Vorfall etwas mit Hannas verzweifelter Suche nach ihrer großen Liebe Jim zu tun, der hier vor fünf Jahre spurlos verschwand? Gemeinsam mit Greg macht Hanna sich daran, den Dingen auf den Grund zu gehen. Doch während sie Greg immer näherkommt, entdeckt sie Stück für Stück Jims wahre Identität.
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1. Kapitel

Weiße Nebelfetzen hingen in den zerklüfteten Felsen vor der Steilküste von Cape Flattery und ein leichter Wind trieb die Wellen des Pazifiks sanft gegen das steinige Ufer am Kap. Die Sonne, ein milchiger Fleck am grauen Himmel, kämpfte gegen die Feuchtigkeit und Kühle der Nacht.

Hanna stand auf einer Aussichtsplattform aus Zedernplanken, die von dicken Rundhölzern begrenzt wurde. Der harzige Duft des frischen Holzes mischte sich mit der Salzluft des Meeres. Offensichtlich war die Plattform gebaut worden, damit sich neugierige Touristen nicht zu nah an die steil abfallende Felskante wagten, aber ein Trampelpfad hinter dem Geländer zeugte davon, dass sich die Neugierigen und Wagemutigen nach wie vor nicht abhalten ließen.

Hanna stützte sich auf die Brüstung und ihr Blick wanderte hinüber nach Tatoosh Island, einer kleinen, grasbewachsenen Felseninsel mit einem Leuchthaus aus Stein, als sie plötzlich in ihrem Rücken eine schattenhafte Bewegung wahrnahm. Sie drehte sich um, aber da war – niemand. Nur Büsche und ein paar verkrüppelte Kiefern, hinter dem Morgennebel der Wald. Sie war allein am Kap. Es war sechs Uhr morgens, für Touristen noch viel zu früh. Dennoch empfand Hanna so etwas wie Anwesenheit, ein unerklärbares Gefühl, das ihr Herz schneller schlagen ließ.

Schließlich schrieb sie die seltsame Wahrnehmung ihrer Müdigkeit zu. Die ungeheure Erwartung, die Hanna mit ihrer Rückkehr nach Neah Bay verband, hatte sie bis jetzt wach gehalten. Doch nun forderten der siebzehnstündige Flug und die anschließende Autofahrt durch die Nacht ihren Tribut.

Hanna wandte sich wieder dem Meer zu und betrachtete die Klippen von Tatoosh Island. Auf der kleinen Insel hatte sich nichts verändert, seit Jim Kachook sie hierhergeführt und ihr die Schönheit des Kaps gezeigt hatte. Es war ein strahlend blauer Maitag gewesen, der Duft des feuchten Waldes schwer und der Blick von der Steilküste eine Offenbarung.

Von drei Seiten das Meer.

Hanna erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen. Dabei waren inzwischen fünf Jahre vergangen. Ihr ganzes Leben hatte sich verändert, doch hier, im kleinen Reservat der Makah-Indianer, schien die Zeit stehen geblieben zu sein.

Ein Auftrag des Völkerkundemuseums, für das Hanna als Restauratorin arbeitete, hatte sie vor fünf Jahren auf die Olympic-Halbinsel im Bundesstaat Washington geführt. Die Nordwestküstenstämme waren berühmt für ihre kunstvoll geschnitzten Masken und Wappenpfähle und das Museum plante damals eine Ausstellung über diese Region. Hanna sprach gut englisch und aufgrund zweier vorangegangener Kurierreisen ins Burke Museum in Seattle kannte sie die richtigen Ansprechpartner. Sie sollte einen indianischen Schnitzkünstler ausfindig machen, der bereit war, für drei Monate nach Deutschland zu kommen und auf dem Museumsgelände einen Pfahl zu beschnitzen. Das Entstehen des Wappenpfahls sollte die Attraktion der Ausstellung sein und Besucher aus allen Teilen des Landes anlocken.

Mit einer Liste von Namen, die man ihr im Burke Museum zusammengestellt hatte, machte Hanna sich auf den Weg, musste jedoch schon bald feststellen, dass sie mit ihrem Anliegen auf wenig Gegenliebe stieß. Keiner der Künstler, die sie auf der Olympic-Halbinsel aufsuchte, wollte sein Land und seine Familie für so lange Zeit verlassen. Schon fast am Ende ihrer Reise, verschlug es Hanna nach Neah Bay. Im kleinen Reservat der Makah-Indianer stieß sie auf Jim Kachook, einen jungen Holzschnitzer, der sich spontan bereit erklärte, den Auftrag des Völkerkundemuseums anzunehmen.

Kachook hätte seine Abreise in Ruhe vorbereiten und Hanna eine Woche später nach Deutschland folgen können, aber der Holzschnitzer wollte sofort mit ihr kommen. Einen Nachmittag lang hatte Jim sie in Neah Bay herumgeführt und unter anderem auch hierhergebracht, an diesen magischen Ort. Beinahe knöcheltief waren sie in schwarzem Schlamm versunken, um den nordwestlichsten Punkt des amerikanischen Hauptlandes zu erreichen.

Hanna hatte eine Nacht im heruntergewirtschafteten Clamshell Motel verbracht und am nächsten Morgen waren sie zusammen nach Seattle zum Flughafen gefahren

Ihr Herz zog sich zusammen. Ich bin wieder hier.

Dieses Mal hatte sie sich mit wasserabweisenden Schuhen und alten Jeans für die sumpfigen Abschnitte des rund einen Kilometer langen Wanderpfades gerüstet, war jedoch von einem stabilen Steg aus Zedernholzplanken überrascht worden.

Hatten die Makah beschlossen, Touristen zu tolerieren? War das Indianerreservat mit seinen landschaftlichen und kulturellen Attraktionen neuerdings für Fremde zugänglich, ohne dass sie bei ihren Erkundungen Gefahr liefen, sich den Hals zu brechen?

Es raschelte neben Hanna im Gesträuch und sie zuckte zusammen. Cape Flattery ist ein Ort der Geister, hatte Jim damals gesagt und sich über ihr skeptisches Gesicht amüsiert. Hanna fröstelte. Obwohl sie nicht viel von Übersinnlichem hielt, hatte sie immer noch das merkwürdige Gefühl, nicht allein zu sein. Als ob sie jemand beobachtete.

Unwillkürlich zog sie die Schultern nach oben. Die feuchtkalte Luft kroch in ihre Kleider und Hanna bereute, nicht ihre Windjacke über das Fleece gezogen zu haben. Die bleierne Stimmung am Kap schlug sich auf ihre Seele und erinnerte sie daran, warum sie hier war: Sie hatte den Ozean überquert, um nach Jim Kachook zu suchen. Denn Liebe hört nicht einfach auf, auch wenn man sich das manchmal sehnlichst wünscht. Sie hinterlässt Spuren, die einen wie unsichtbare Wegweiser durchs künftige Leben führen.

Hanna wandte ihren Blick von der Insel und verließ die Plattform. Sie lief ein paar Schritte den felsigen Pfad zurück, bis zu der Stelle, wo einige Holzstufen zu einer kleinen, von salzverkrusteten Bäumen und Sträuchern gesäumten Ausbuchtung führten, die ebenfalls mit einem neuem Geländer gesichert war. Sie stieg die Stufen hinab. Von hier aus konnte man die Felsenhöhlen von Cape Flattery sehen. Es waren tiefe Grotten im Basaltgestein, deren muschelbewachsener Boden selbst bei Ebbe noch von Wasser bedeckt war.

Vogelschreie drangen aus den großen Höhlen. Hanna lehnte sich über die Brüstung, um besser in die vordere Höhle hineinsehen zu können. Von Jim wusste sie, dass hier große Seevögel nisteten. Die Jungen schrien, wenn ihre Eltern mit Nahrung in den Schnäbeln vom Meer zurückkehrten.

Hanna seufzte. An diesem Ort drängte die Sehnsucht der letzten Jahre mit aller Macht an die Oberfläche. Tränen brannten in ihren Augen und die Kehle wurde eng. Sie nahm das leise Knarren gar nicht wahr, die kaum hörbare Warnung des Materials, bevor es unter ihrem Gewicht nachgab und wegrutschte. Das nagelneue Geländer löste sich in seine Einzelteile auf. Instinktiv drehte Hanna sich um ihre eigene Achse und versuchte, nach einem rettenden Ast zu greifen – vergeblich.

Ihr Schrei glitt über das Wasser wie ein flacher Stein, der erst einige Male wieder aus der Oberfläche springt, bevor er in endgültigen Tiefen versinkt. Hannas Hände klammerten sich in wildes Gestrüpp, das aus einer Felsspalte wuchs, ihre Füße suchten verzweifelt nach einem Halt. Zentimeter für Zentimeter rutschte sie weiter nach unten. Die kleine Ausbuchtung war schon mehr als einen Meter über ihr, der Meeresspiegel zehn Meter unter ihr.

Ich werde sterben.

Hanna schrie nicht mehr. Keiner würde sie hören an diesem einsamen Ort – nicht zu so früher Stunde. Zwischen dem drohenden Aussetzen der Sinne und ihrer wilden Angst lag eine Welt von Bildern, die in einem wahllosen Durcheinander auftauchten. Sequenzen aus ihrer Kindheit, Lachen und Weinen. Eindrücke von Zärtlichkeit und von Einsamkeit. Das Fieber seelischer Verwundung. Dann sah sie sich selbst wie in einem Spiegel, nackt und hilflos. Verzweifelt bäumte sie sich dagegen auf.

Durch die jähe Bewegung rutschte Hanna wieder ein Stück und das holte sie in die Realität zurück. Das Gesträuch, in das sie sich klammerte, hatte biegsame Zweige und kräftige Wurzeln, aber sie würden ihr Körpergewicht nicht ewig halten. Ihr war nur eine kurze Pause vergönnt. Zeit, um sinnlos darüber nachzudenken, was aus ihrer Tochter Ola werden würde, wenn sie von dieser Reise nicht lebend nach Hause zurückkehrte.

Hanna wagte einen kurzen Blick über ihre Schulter nach unten. Sie hing direkt über muschelbewachsenen Uferfelsen, freigelegt durch die Ebbe. Der sichere Tod.

Ein unmenschlicher Laut kam aus ihrer Kehle.

Das war nicht fair. Jedenfalls nicht auf diese Weise. Gerade jetzt, wo sie dabei war, Ordnung in ihr Leben und das ihrer Tochter zu bringen.

Ich darf nicht sterben.

Wer sollte Ola von ihrem Vater erzählen – oder von diesem Ort am Ende der Welt, aus dem er stammte? Wer würde Jims Tochter von ihren indianischen Vorfahren, den Walfängern, Lachsfischern, Holzschnitzern und Korbflechtern berichten? Wer, wenn nicht sie?

Tränen liefen über ihre Wangen. Zentimeter für Zentimeter gab die Felsspalte die Wurzeln des Strauches frei und Hanna rutschte nach unten.

Plötzlich hörte sie einen Ruf. Hanna glaubte, einer Halluzination erlegen zu sein, doch die Hoffnung war wieder da und sie schrie, so laut sie konnte, um Hilfe.

»Bleiben Sie ganz ruhig«, drang eine Männerstimme von unten zu ihr herauf. »Nicht bewegen! Ich helfe Ihnen.«

Während Hanna sich panisch festkrallte, versuchte sie herauszufinden, wo der Mann stand. Doch ein paar Haarsträhnen hatten sich aus dem Gummi gelöst, sie klebten an ihrer feuchten Stirn und nahmen ihr jede Sicht.

»Beeilen Sie sich!«, brüllte sie.

Es...


Antje Babendererde, geboren 1963, wuchs in Thüringen auf und arbeitete nach dem Abi als Hortnerin, Arbeitstherapeutin und Töpferin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Viele Jahre lang galt ihr besonderes Interesse der Kultur, Geschichte und heutigen Situation der Indianer. Ihre einfühlsamen Romane zu diesem Thema für Erwachsene wie für Jugendliche fußen auf intensiven Recherchen während ihrer USA-Reisen und werden von der Kritik hoch gelobt. Mit ihren Romanen „Isegrim“ und „Der Kuss des Raben“ kehrt die Autorin zu ihren Thüringer Wurzeln zurück. www.antje-babendererde.deFoto © privat



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