Gemeinsam zu mehr innerer Ruhe und Gelassenheit
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-440-50139-9
Verlag: Kosmos
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Autoren/Hrsg.
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DER UMGANG MIT STRESS
Nach vielen Jahren unseres Trainings mit Menschen und deren Hunden steht für uns zweifelsfrei fest: Um als sogenannter Hundetrainer erfolgreich sein zu können, muss man zunächst den Menschen erreichen und – bei gegebener Notwendigkeit – dessen Verhalten verändern. Danach erst sollten methodische Konzepte im Sinne einer Trainingsplanung erfolgen. Doch daraus ergeben sich gewisse Schwierigkeiten, denn der hinter seinem Hund stehende Mensch ist heutzutage durch einen stressproduzierenden gesellschaftlichen Wandel unverkennbar belastet und in vielen Fällen auch persönlich negativ betroffen. Und dass Stress ab einer gewissen Dosis nicht nur betroffen, sondern sogar krank machen kann, ist hinlänglich bekannt. Das Wörtchen STRESS dürfte in unserer Gesellschaft wohl innerhalb der sprachlichen Anwendung in der Häufigkeit eine Spitzenposition einnehmen. Vor allem in der Hundehaltung und im Hundetraining wird fast schon inflationär von diesem Begriff Gebrauch gemacht. Leider ist der Begriff Stress gedanklich sehr stark mit negativen Emotionen verknüpft und nur so ist das Bestreben erklärbar, Stress immer wieder aus dem Weg zu gehen. Ein falscher Gedanke! Stress ist – abhängig von dessen Dosis und Zeitdauer – nicht nur gesund, sondern sogar lebensnotwendig. Ohne Stress wären wir Menschen weder lebens- noch überlebensfähig. Stress ist ein wichtiges Lebenselixier, das uns von der Geburt bis zum Eintritt des Todes ständig begleitet. © Anna Auerbach/Kosmos Gelingt es dem Trainer, das Verhalten des Zweibeiners zu beeinflussen, sind Trainingserfolge meist nur eine Frage der Zeit. WAS IST STRESS?
Eine der einfachsten Definitionen für Stress: Ein innerer Belastungszustand des Körpers, hervorgerufen durch äußere und oder innere Einflüsse, auch Stressoren genannt. Stress kann somit durch Einflüsse aus der uns umgebenden Umwelt entstehen. Ein lauter Knall, ein aufziehendes Gewitter oder der grimmige Blick eines Mitmenschen. Stress kann aber auch und vor allem durch unsere Gedanken entstehen, ganz ohne unmittelbare Einflüsse von außen. Die Sorge um unsere Gesundheit – auch wenn wir in diesem Augenblick gesund sind. Die Gedanken an Armut oder Arbeitslosigkeit – obwohl wir in diesem Augenblick materiell gut versorgt sind und einem Beruf nachgehen. STRESS EVOLUTIONSBIOLOGISCH ERKLÄRT Verhaltens- oder evolutionsbiologisch lässt sich Stress jederzeit erklären. So war es in früheren Zeiten überlebenswichtig, dass unser Körper bei Erkennen einer Gefahr möglichst schnell eine Gegenmaßnahme ergreifen konnte – meist war dies eine Vorbereitung auf Flucht, Angriff oder Verteidigung. In der Stressreaktion stiegen durch das Ausschütten von Stresshormonen Puls und Blutdruck, die Muskeln spannten sich an und in Sekundenbruchteilen stand dem Körper dadurch wichtige zusätzliche Energie zur Verfügung. Damit war auch schon damals Stress lebens- und überlebenswichtig. DER PSYCHISCH „AUFGELADENE“ MENSCH Der moderne Mensch hat in einer mittlerweile veränderten Lebensform ein anderes Stresssystem entwickelt als seine Urahnen (siehe Info). Körperlicher Kampf, Flucht oder auch Verteidigung der eigenen Unversehrtheit sind in hochzivilisierten Gesellschaften nur noch selten notwendig. In unserer Gesellschaft wird Ausstieg mit Stillstand gleichgesetzt – und wer stehen bleibt, scheint verloren zu sein! Und dennoch empfindet der Mensch in sehr vielen Situationen des Lebens Stress. Die Verarbeitung von Stress ist dabei in unserer heutigen Zeit ein gravierendes Problem. Der psychisch „aufgeladene“ Mensch hat kein ursprüngliches Ventil mehr, der innere Druck kann nicht oder nicht ausreichend abgeleitet werden und so kommt es im Körper bzw. im Kopf zu einem dauerhaften Alarm- bzw. Belastungszustand. Wenn man dann noch weiß, dass Stress eigentlich nur im Kopf des Menschen stattfindet, wird schnell erklärbar, warum sich unsere moderne Gesellschaft so intensiv mit Themen wie Depression oder Burn-out zu beschäftigen hat. Erschreckend viele Menschen befinden sich in einem Hamsterrad oder auch Teufelskreis in Sachen Stress, aus dem sie oftmals aus eigener Kraft nicht mehr herauskommen. Seelische und auch organische Erkrankungen, deren Ursachen in einem mangelhaften Anpassungssystem für Stress zu finden sind, nehmen permanent zu. GIBT ES AUCH „GESUNDEN“ STRESS? Dass sich die Wissenschaft bis heute nicht einig ist, ob es Stress nur in negativer oder auch positiver Form geben kann, mag manche Menschen verwirren. Das liegt ganz einfach daran, dass ein Teil unserer Wissenschaftler bestimmte Zustände im menschlichen Organismus erst dann als Stress bezeichnen, wenn sich dadurch negative Folgen oder gar Schädigungen ergeben. Sie bewerten Stress damit ausschließlich negativ. Für sie gibt es keine negative oder positive Bezeichnung, denn Stress wird generell als negativ angesehen. EUSTRESS UND DISSTRESS Andere wiederum teilen Stress in zwei Sparten auf: Sie sprechen über positiven Stress, der in der Fachliteratur auch Eustress genannt wird, und über negativen Stress, Disstress genannt. „Dis“ ist eine lateinische Vorsilbe und bedeutet „schlecht“. Disstress ist aufgrund der hier zu erwartenden negativen körperlichen, geistigen und seelischen Folgen für den Betroffenen in einem Übermaß belastend und kann letztlich eine schädigende Wirkung aufweisen. Eustress hingegen ist von einer griechischen Vorsilbe abgeleitet. „Eu“ ist die Bezeichnung für „gut“. Diese Art von Stress wird zunächst nicht als Belastung empfunden. Es handelt sich dabei meist um Einflüsse, die als besonders erregend empfunden und mit großer Leidenschaft ausgeführt werden. Hier kann Stress belebend wirken und die Leistungsfähigkeit sogar erhöhen. Aber übersteigt die jeweilige Erregung bzw. Erwartungshaltung ein bestimmtes Maß, kann auch aus Eustress Disstress werden. Wir müssen uns in der Praxis und damit beim täglichen Umgang mit unseren Hunden tatsächlich sowohl mit Disstress (negative Form) als auch mit Eustress (positive Form) befassen, denn – wie wir gleich noch erfahren werden – ist das eine oftmals mit dem anderen eng verbunden. Und das nicht nur bei unseren Hunden, sondern auch bei uns Menschen! © Anna Auerbach/Kosmos So schön beutebezogene Objektspiele – hier mit einem Ball – für Mensch und Hund sein mögen, … © Anna Auerbach/Kosmos … bei exzessiver und damit maßloser Anwendung sind negative Stressrisiken unbestreitbar. Wechsel von Eustress und Disstress Zunächst dürfen wir davon ausgehen, dass positiver Stress tatsächlich gesund ist. Im Fußballstadion: Ein sehr gutes Beispiel dafür ist das prall gefüllte Fußballstadion, in dem sich Tausende von Menschen unmittelbar vor Anpfiff eines Spiels in riesiger Vorfreude bzw. Erregung befinden. Im Spielverlauf kommt es bei erfolgreichen Aktionen auf dem Spielfeld zu extremen Glücksmomenten, unter deren Einflüsse Menschen aufspringen, begeistert die Arme nach oben reißen und lautstark jubeln. Dabei werden sogenannte Glückshormone ausgeschüttet, die letztlich zu einem berauschenden Zustand führen können. Wenn wir diesen Zustand im Körper nicht als Stress bezeichnen, übersehen wir auch die sehr enge Verbindung, die sich zwischen Eustress und Disstress herstellen lässt. Es fällt ein Tor, die Menschen jubeln begeistert! Das Tor wird aberkannt und Wut und Zornesröte verdrängen in Sekundenschnelle den schönen Augenblick zuvor. Aus Eustress wird Disstress. Hier wird einem schnell klar, dass es tatsächlich eine enge Verbindung zwischen beiden Stressformen gibt, denn bedingt durch den positiven Stress befindet sich der Organismus des Menschen ohnehin schon in höchster Erregung. Kommt es dann noch zusätzlich zu negativen Einflüssen, verstärkt die bereits bestehende hohe Erregung das Gefühl von Wut und Zorn ganz erheblich. Der schnelle, fast übergangslose Wechsel von Eustress zu Disstress – oder auch umgekehrt – belegt, wie eng beide Bereiche miteinander verbunden sein können. Der Lottoschein: Ein völlig anderes Beispiel kann ein Lottoschein mit sechs Richtigen sein. Die innere Erregung nach Bekanntgabe steigt ins Unermessliche, der Körper „bebt“, die Hände zittern, der Jubel kennt keine Grenzen. Doch je mehr wir den Organismus in die Erregung treiben, umso enttäuschter und verbitterter sind wir nach Bekanntwerden der Tatsache, dass wir vergessen haben, den Lottoschein abzugeben. Nehmen wir nun einmal ein typisches Beispiel aus dem Mensch-Hund-Alltag dafür, wie schnell bei einem Hund der Wechsel vom positiven zum negativen Stress im Einzelfall erfolgen kann. © Anna Auerbach/Kosmos Hier sind ruhige Phasen sehr wichtig, um die innere Balance zu halten. AUS DER PRAXIS VOM POSITIVEN ZUM NEGATIVEN STRESS
Ole ist ein sogenannter Balljunkie. Ballspielen ist seine extreme Leidenschaft. Sieht er den Ball, steigt seine Erwartungshaltung ins Unermessliche! Sein Körper ist extrem angespannt, die hinteren Gliedmaßen zittern, die Pupillen sind angesichts der Erregung geweitet. Zufällig nähert sich in diesem Augenblick ein weiterer Hund dem Geschehen an. Ole sieht dessen Annäherung und in Bruchteilen von Sekunden wird seine positive Erwartungshaltung in frustrative Energie (der andere Hund kann Konkurrent werden) umgewandelt, die zu einem aggressiven Angriff auf den...