E-Book, Deutsch, 176 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 190 mm
Begrich Vom Himmel hoch
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-374-06101-3
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichten und Lieder zu Advent und Weihnachten
E-Book, Deutsch, 176 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 190 mm
ISBN: 978-3-374-06101-3
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Vom Himmel hoch, da komm ich her …' So beginnt eines unserer bekanntesten Weihnachtslieder. Martin Luther schrieb es. Ihm war Weihnachten wichtig. Was ist Weihnachten für uns? Einfach ein Fest der Familie oder des Friedens, wie es in der DDR hieß? Oder nur 'Happy seasons' (Glückliche Jahrestage), wie es neuerdings scheinbar politisch korrekt in bestimmten Kreisen der USA heißt?
Für Christen ist Weihnachten das Fest der Geburt Jesu Christi, in dem Gott Mensch wurde. Die Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung findet hier ihren Ausdruck als Liebesgeschichte. Darum sind Weihnachtsgeschichten in der Regel froh machend und versöhnlich. Dieses Buch vereint solche Geschichten – und auch einige eher nachdenkliche Erzählungen – von neuen Autoren wie altbekannten Dichtern. Sie wollen gelesen, vorgelesen und weitererzählt werden. Tun Sie es!
Mit Erzählungen von Annemarie Albert, Zsusa Bánk, Thomas Begrich, Heinrich Böll, Wolfgang Borchert, Bertolt Brecht, Hans Fallada, Johann Wolfgang von Goethe, Dietrich Mendt, Ursula Ott, Tilman Winkler und anderen.
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RUDOLF OTTO WIEMER Wie das Stroh
in die Krippe kam
Das geschah damals, als ich noch der Räuber Kolle Kunkel war und dem Bauern Rott das Haus anzünden wollte. Ja, ich gestehe es, ich bin ein böser Kerl gewesen. Die Menschen im Land hatten Angst vor mir, und erst die Kinder! Ich sah ja auch furchterregend aus: Einen schwarzen, zottigen Bart hatte ich, die Haut war von Sonne und Frost gegerbt wie Leder, und meine Stimme klang rau, als knarre ein Stück Astholz im Wind. Meine Fäuste taten viel Böses, sie raubten, schlugen und stahlen. Bald lief die Kunde von meinen Untaten durch das Land, und wenn der Sturm an den Fensterläden rüttelte, sagten die Mütter: »Hört ihr? Der böse Kolle Kunkel geht um!« Es war damals ein harter Winter, der Schnee lag hoch in den Mulden, und das Räuberhandwerk gedieh schlecht. So oft der Hunger mich trieb, verließ ich die Höhle im Wald, stutzte den Bart, wusch Gesicht und Hände und zog einen langen, laubgrünen Mantel an, den die Frau des Bauern Rott, eine mitleidige Seele, mir vor Jahr und Tag geschenkt hatte. Ich brach einen Knotenstock ab und befestigte den Stern darauf, einen gelben, glänzenden Stern aus Blech. Ich dachte: Wer den Stern anguckt, der schaut nicht auf den Räuber Kolle Kunkel, denn das Blech glitzerte und funkelte, sobald das Sonnenlicht oder der Schein der Hauslaternen darauf fiel. So zog ich von Hof zu Hof, klopfte an den Türen und sang. Schön war meine Stimme nicht, eher heiser und rau, aber ich hatte einen guten, demütigen Augenaufschlag und wusste mich schwach und zittrig zu stellen, so dass jedermann Mitleid empfand. Alle gaben mir ein Stück Brot oder einen Zipfel Wurst, oder sie ließen mich einen Becher voll Milch trinken, nur der Bauer Rott nicht. Der war geizig und misstrauisch. Womöglich hatte ich eine Dummheit gemacht, bei Rott anzuklopfen, wo ich doch seinen langen, laubgrünen Mantel trug, den sein Weib mir geschenkt hatte. So kam es, dass Rott mich groß anstarrte und den Knechten befahl, mir den Mantel, den ich gewiss gestohlen hätte, von der Schulter zu reißen. Es half nichts, dass die Bäuerin für mich eintrat. Der Bauer schrie noch zorniger, die Knechte nahmen mir Mantel und Stern fort und hetzten die Hunde hinter mir her. Deshalb wollte ich jetzt dem Bauern das Haus anzünden. Ich tat einen Feuerbrand in den Krug, nahm ein Bündel Stroh unter den Arm und machte mich auf den Weg nach Bethlehem, wo der reiche und jähzornige Rott wohnte. Am Grenzstein, hinter den Birken, traf ich Reineke Fuchs und fragte: »Bruder Fuchs, wohin?« Er habe es auf Rotts Hahn abgesehen, antwortete der Fuchs, weil er ihn jedes Mal verriet, so oft er in die Nähe der Höfe schlich. »Da haben wir den gleichen Weg«, sagte ich und dachte, es könne nur von Nutzen sein, wenn der wachsame und listige Fuchs mich begleitete. Es war eine dunkle, mondlose Nacht. Als wir zu den Schafhürden kamen, sagte Reineke, wir sollten lieber einen Umweg machen, da er kein Freund von Hunden sei, am wenigsten von großen, zähnefletschenden Hirtenhunden. Wir überquerten den Bach. Auf einmal blieb Reineke stehen: »Was ist das? Es wird ja taghell!« Wahrhaftig, der Schnee glänzte wie Linnen, und das Eis des Baches strahlte, als wäre es aus Silber gemacht. Ich blickte nach Bethlehem, wo dicht über den Dächern ein mächtiger Stern stand, wie ich noch nie einen gesehen hatte. »Die Welt geht unter«, sagte der Fuchs erschrocken. »Wir müssen uns beeilen, wenn wir vorher unseren Schnitt machen wollen.« Als wir die Talsenke beim schwarzen Moorloch überquerten, blieb Reineke wiederum stehen. Er hob den Kopf und spitzte die Ohren. »Hörst du die Musik?«, fragte er, indem er sich auf die Hinterpfoten reckte, als wollte er tanzen. »Die Katzen können es nicht sein, dazu ist es zu kalt.« »Das ist Engelmusik«, behauptete ich. Ja, der Gesang war noch süßer als Honig, noch kräftiger als weißer Branntwein. Wenn man ihn hörte, zitterte das Herz im Leib vor Furcht und Freude zugleich, es ging bis in die innersten Knochen. »Marsch«, sagte der Fuchs, »wir sind gleich da. Siehst du das Haus vom Bauern Rott? Das wird eine lustige Fackel geben!« Wir pirschten uns vorsichtig näher, im Schatten der Straßenlaterne. Dann kamen die hohe Planke und das Hoftor. »Mach schon«, sagte der Fuchs, der nichts lieber sah, als wenn es lichterloh brannte. Ich tauchte das Bündel Stroh in den Krug, der mit roter Glut zur Hälfte gefüllt war. Mit dem flammenden Stroh wollte ich die Schindeln, die brüchig und trocken waren und weit herabreichten, in Brand stecken. Der Fuchs schlich inzwischen auf die Seite, um die Fenster des Hauses im Auge zu behalten. Ich starrte in den Krug. Zum Teufel, wollte das Stroh nicht Feuer fangen? »Beeil dich«, rief der Fuchs. »Ich glaube, Jochen Früh, der Trompeter, ist wach.« Damit meinte er den Hahn, der gerade jetzt zum ersten Mal krähte. Ich zog das Strohbündel aus der Glut und betrachtete entsetzt die gelben, unversehrten Halme. Hatte man so etwas in der Welt schon gesehen? Stroh, das im Feuer nicht verglühte? Der Fuchs rannte ungeduldig herbei. »Was ist? Hast du dich anders besonnen?« Ich schüttelte den Kopf und steckte das Bündel wiederum in den Krug. »Her mit dem Stroh!«, rief der Fuchs. »Wenn die Scheune erst flackert, wird das Hühnergesindel mir nicht entkommen!« »Da«, sagte ich, »hast du den Brandl.« Ich hielt Reineke Fuchs das Stroh unter die Nase. Er wich zurück, den Schwanz vor Entsetzen eingeklemmt. Nie habe ich ein dümmeres Fuchsgesicht gesehen. Wäre mir nicht selbst jämmerlich zumute gewesen, ich hätte laut gelacht und mir die Schenkel geklopft, so verstört sah Reineke aus. Da hörten wir über uns eine helle Stimme. »Gebt euch keine Mühe«, sagte die Stimme, »heute Nacht bringt ihr nichts Böses zustande.« »Warum nicht?«, fragte der Fuchs. »Weil dies eine besondere Nacht ist, darum krähe ich. Und ich werde es gleich noch einmal tun, um die Bauersleute zu wecken. Sie sollen aufstehen und den Herrn der Welt anbeten, der in dieser Nacht geboren ist.« »Wecken? Das wirst du nicht tun«, sagte der Fuchs drohend. Der Hahn, der bisher auf dem Firstbalken gesessen hatte, schlug die Flügel laut klatschend gegeneinander und flatterte herab. »O gewiss werde ich krähen«, entgegnete er sanft, »und ihr beiden Räuber werdet froh sein, wenn ihr uns zum Stall begleiten dürft.« Reineke Fuchs knirschte vor Zorn: »Ehe du krähst, beiße ich dir den Hals ab!« Er warf sich mit einem schnellen Satz auf den Hahn und packte ihn an der Gurgel. Doch so groß seine Gier war, er konnte nicht zubeißen, die Zähne gehorchten ihm nicht. Verdutzt ließ er von Jochen Frühs schöner, geringelter Halskrause ab. Der Hahn bewegte wieder die Flügel. »Siehst du«, sagte er, ohne zu triumphieren, »nicht eine einzige Feder habe ich verloren.« Danach reckte er den Hals und schmetterte wie eine helle Trompete den Weckruf über den Schnee. Es hallte weit in die Gassen von Bethlehem, im Haus wurden die Lichter angesteckt. Reineke Fuchs, der bis dahin wie erstarrt gestanden hatte, machte linksum kehrt. »Warte doch, Bruder Reineke«, rief der Hahn, »wir gehen zusammen!« Der Fuchs hielt im Laufen ein, er wendete den spitzen Kopf. Womöglich dachte er das Gleiche wie ich: Wo ein großer Herr auf die Welt kommt, wird für unsereinen gewiss eine Kleinigkeit abfallen. »Wir gehen«, sagte ich kurz, »ist es weit?« »Nur ein paar Schritte«, trompetete der Hahn. Der Fuchs spitzte die Ohren. »Ich höre Gekläff«, sagte er misstrauisch. »Das sind die Hirtenhunde«, antwortete der Hahn, »die mit ihren Herren zum Stall gehen, um dem neugeborenen Kind etwas zu schenken.« »Ich habe kein Geschenk«, sagte der Fuchs kleinlaut, »Nimm das Stroh«, sagte der Hahn, »das ist besser als gar nichts.« Reineke ergriff das Strohbündel mit den Zähnen. Ich trug den Feuerkrug, so machten wir uns auf den Weg. Und ich wunderte mich, weil der Fuchs keine Angst mehr vor den Hirtenhunden hatte. Als wir zum Stall kamen, blickten wir uns ratlos um. Nirgends ein Schatten, darin man hätte verschwinden mögen. Der große Stern stand genau über dem Dach und funkelte in alle Ecken und Winkel. »Dort ist die Tür«, sagte der Hahn. Ich stolperte über die Schwelle. Fast hätte ich die Glut aus dem Krug verloren. »Wie gut, dass ihr kommt«, sagte da eine helle, zarte Stimme. Ich sah eine junge Frau auf dem Hauklotz hocken, die hatte ein Gesicht wie Milch und Blut, und wenn sie lachte, zeigten sich obendrein winzige Grübchen auf ihren Wangen. Das war ein wunderschöner Anblick, ich hätte sie unentwegt anschauen mögen, tat es aber nicht, weil ich doch ein Räuber war. Sie kraulte Reineke das Fell und bedankte sich für das schöne, trockene Stroh. »Ein sehr nützliches Geschenk«, sagte sie und breitete die Halme in die Krippe. Der Graubart, der neben ihr stand und der zuerst argwöhnisch die Eindringlinge gemustert hatte, half ihr, unwirsch brummend. Ich erschrak. Das Kind hatte wahrhaftig auf dem nackten Holz gelegen! »Komm näher«, sagte die helle Stimme wiederum, »ja, dich meine ich, Kolle Kunkel.« Ich hob die Augen und sagte, dass ich nichts zu schenken hätte, die Herrschaften möchten es nicht krummnehmen. »O doch«, sagte die junge Mutter, »du hast einen Feuerbrand im Krug.« Ich blickte auf die Glut und wunderte mich, dass jetzt Funken heraussprangen wie Sternchen. »Wenn ihr...