E-Book, Deutsch, 178 Seiten
Beucker / Armbruster Pazifismus - ein Irrweg?
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-043434-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 178 Seiten
ISBN: 978-3-17-043434-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Könnten wir nicht einfach Nein sagen zum Krieg? Bislang ist das offenbar nicht gelungen. Bemerkenswert spät in der Menschheitsgeschichte kommt die Idee des Pazifismus auf, die Ablehnung jeder Anwendung von Gewalt. Anstelle von Krieg setzt Pazifismus auf Verhandlungen und Diplomatie, bisweilen auch auf passiven Widerstand. Durch die Friedensbewegung der 70er und 80er Jahre wurden die Gedanken auch in einer breiteren Öffentlichkeit populär und erfreuen sich in Deutschland noch immer großer Beliebtheit. Aktuell sind im Zuge des Kriegs in der Ukraine vielfach Stimmen zu hören, die jegliche militärische Unterstützung des angegriffenen Landes ablehnen. Mehrheitsfähig ist das jedoch bislang nicht.
Pascal Beucker stellt Geschichte, Hintergründe und Erfolgsaussichten des Pazifismus vor. Kann Pazifismus mehr sein als ein blauäugiges Ideal? Kann Gewaltfreiheit tatsächlich gegen einen Aggressor wie Putin helfen? Kann es eine friedliche Welt geben?
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Einleitung
„Dass man pazifistisch oder gegen den Krieg ist, fand ich, war ganz selbstverständlich. Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind. Besonders die, die nicht hineingehen müssen.“ Erich Maria Remarque Ein Buch über Pazifismus zu schreiben, mutet in Zeiten wie diesen, in denen ein deutscher Verteidigungsminister davon spricht, Deutschland müsse wieder „kriegstüchtig“ werden, als merkwürdiges Unterfangen an. Der fürchterliche Krieg, den Russland in der Ukraine führt, hat auch in der Bundesrepublik zu gravierenden Verschiebungen im gesellschaftlichen Bewusstsein geführt. Der Ukrainekrieg hat Weltbilder und lange gehegte Sicherheiten zerstört. Die Realisierung eines friedlichen Zusammenlebens in Europa und der Welt auf der Grundlage von Kooperation und Abrüstung scheint in weite Ferne gerückt zu sein – schon die Vorstellung wird von vielen inzwischen als naiv und weltfremd begriffen. Das Denken in den Kategorien militärischer Stärke erlebt eine Renaissance. Dass kräftig aufgerüstet werden müsse, gilt als unumstößliche Tatsache. Pazifismus ist aus der Mode gekommen. Aber war er überhaupt je in der Mode? Krieg lässt Menschen verrohen. Das gilt für jede bewaffnete Auseinandersetzung, auch die in der Ukraine. Und das betrifft nicht nur Menschen, die unmittelbar von einem Krieg betroffen sind. Mehr als zwei Jahre nach Kriegsbeginn zeigt sich, wie die deutsche Gesellschaft in Muster zurückgefallen ist, die längst überwunden schienen. Der demokratische Diskurs, sich mit anderen Auffassungen nicht diffamierend, sondern wertschätzend auseinanderzusetzen, scheint plumpen Freund-Feind-Bildern gewichen zu sein. Das gefährdet, zur Freude Wladimir Putins, den innergesellschaftlichen Zusammenhalt. Wenn die einen pauschal als „Friedensschwurbler“ oder sogar „Lumpenpazifisten“ und die anderen als „Kriegstreiber“ beschimpft werden, dann ist damit jegliche konstruktive und erkenntnisfördernde Diskussion beendet. In diesem Buch soll ein anderer Weg gewählt werden. Wer einfache Antworten sucht, der oder die wird daher kein Gefallen an ihm finden. Pazifist:innen haben derzeit keinen leichten Stand. Wobei sie den noch nie hatten. Bertha von Suttner, Ludwig Quidde und Carl von Ossietzky, die hervorstechendsten Köpfe der Antikriegsbewegung vor dem Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik, waren trotz ihrer Friedensnobelpreise stets politische Außenseiter:innen und wurden auf das Übelste angefeindet. Trotzdem oder gerade deswegen ist pazifistisches Denken wichtig, ist es doch ein Stachel gegen jene, die bereit sind, sich allzu selbstsicher wie leichtsinnig in einer Welt der Waffen und Kriege einzurichten. Nichtsdestotrotz wird in diesem Buch ein ausführlicher Blick darauf geworfen, dass der Pazifismus in seinen verschiedenen Ausprägungen auch seine Tücken und Widersprüche hat. Ist der Pazifismus ein Irrweg? Aus der Erfahrung lässt sich diese Frage nicht beantworten, denn dazu hätte es einer relevanten Zahl von Regierungen bedurft, die sich ernsthaft auf einen pazifistischen Weg begeben hätten. Doch die gab es nicht einmal in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Unter den 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen befindet sich mit Costa Rica nur ein einziges Land, das bereit ist, grundsätzlich auf eigene Streitkräfte zu verzichten. Gleichwohl lassen sich Annäherungen an eine Antwort finden. Dabei ist es wichtig zu begreifen, dass es nicht nur den einen „wahren“ Pazifismus gibt. Vielmehr versammelten sich von Anfang an unter diesem Etikett verschiedene Anschauungen, deren Gemeinsamkeit ganz allgemein nur war und ist, sich für den Frieden einzusetzen, Kriegsgefahr reduzieren und Militarisierung bekämpfen zu wollen. Gemeinsam hatten und haben die verschiedenen pazifistischen Strömungen, der Logik des Krieges eine andere Logik entgegensetzen zu wollen. Aber was bedeutet das konkret? Sicherlich haben Pazifist:innen ein kollektives Grundverständnis, Schwerter zu Pflugscharen umschmieden zu wollen. Der Auffassung, unter allen Umständen die zweite Wange hinzuhalten, folgte und folgt jedoch stets nur ein Teil von ihnen. Die Spannweite zwischen einem „absoluten“ und einem „pragmatischen“ Pazifismus ist gewaltig. Das führt in der aktuellen Situation dazu, dass es nicht nur eine einzige pazifistische Antwort gibt, wie mit der russischen Aggression umzugehen ist. Die Behauptung, Pazifist:innen wollten die Menschen in der Ukraine unisono im Stich lassen, ist denn auch ein demagogisches Zerrbild. Zur Wahrheit gehört allerdings ebenso, dass an diesem Zerrbild die Friedensbewegung, die vom Pazifismus nicht zu trennen ist, eine Mitverantwortung trägt. Auch mehr als zwei Jahre nach dem Angriff Russlands sucht sie immer noch nach einem überzeugenden Umgang mit dem Ukrainekrieg. Ist die Welt nach dem Ende der alten Ost-West-Konfrontation einfach zu kompliziert für die Friedensbewegung geworden? Oder liegt ihr Problem nicht eher darin, dass schon lange bestehende Grundkonflikte nicht mehr überdeckt werden können? Es spricht einiges dafür, dass diese ungelösten Grundkonflikte einen gehörigen Anteil daran haben, dass die Friedensbewegung in Deutschland heute so schwach ist wie schon lange nicht mehr. Der Mythos der Friedensbewegung speist sich bis heute aus der großen Mobilisierung, die ihr in der alten Bonner Republik im Zuge des NATO-Doppelbeschlusses 1979 gelungen ist. Die Bilder von den Hunderttausenden auf der Hofgartenwiese 1981 und 1983, die Millionen, die damals insgesamt für eine atomwaffenfreie Welt auf die Straße gegangen sind, haben sich nicht nur bei denen, die damals dabei waren, tief ins Gedächtnis eingegraben. Die damalige Friedensbewegung wirkte tief hinein in die Gesellschaft und war prägend für eine ganze Generation. Mit Nenas „99 Luftballons“ schaffte sie es sogar an die Spitze der Charts und mit Nicoles „Ein bisschen Frieden“ zum Sieg beim Eurovision Song Contest. Es ist die Erinnerung an diese Zeit, an der nach wie vor alle Aktivitäten der Friedensbewegung gemessen werden. Doch das ist ein historisch unscharfer Blick. Dreimal ist es in der deutschen Geschichte gelungen, über einen begrenzten Zeitraum von wenigen Jahren eine relevante Anzahl von Menschen öffentlichkeitswirksam hinter pazifistischen und antimilitaristischen Ideen zu versammeln. Das war bei der „Nie-wieder-Krieg“-Bewegung Anfang der 1920er Jahre in der Weimarer Republik so, bei der „Kampf-dem-Atomtod“-Kampagne Ende der 1950er Jahre und bei der Bewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss Anfang der 1980er Jahre. Das bedeutet, dass die Hausse der Friedensbewegung eine historische Ausnahme, die Baisse hingegen die Regel war. Trotz aller gegenteiligen Behauptungen war und ist Deutschland kein friedensbewegtes Land. Angesichts zweier entfesselter Weltkriege ist das, vorsichtig formuliert, bedauerlich. Die heutige Friedensbewegung sollte jedoch nicht den Fehler begehen, ihre aktuelle Schwäche nur auf die herrschenden Verhältnisse zu schieben, ohne ihre eigene Verantwortung zu reflektieren, warum so viele Menschen nicht mehr mit ihr demonstrieren, sondern sie nur noch als dogmatisch verknöchertes Randphänomen wahrnehmen. Es wäre arg unterkomplex, die Diskussion über Pazifismus auf die tagesaktuelle Frage zu beschränken, ob jemand für oder gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ist. Ohne die Bedeutung der militärischen Unterstützung für das angegriffene Land herunterspielen zu wollen: Darauf lässt sich diese oder jene Antwort geben, ohne dass sich daran die Relevanz des Pazifismus entscheidet. Denn die liegt in der Hauptsache in der Kriegsvermeidung, also im Vorfeld eines Konflikts. Je weiter ein Konflikt eskaliert, desto geringer werden die pazifistischen, ja überhaupt die politischen Optionen. Hat ein Krieg erst einmal begonnen, ist es zu spät für eine gewaltfreie Lösung, dann geht es nur noch um das kleinere Übel. Die Angegriffenen haben zwar immer noch die Möglichkeit gewaltfreien Handelns, sind jedoch bereits der Gewalt des Angreifers ausgesetzt. Und als nicht unmittelbar Beteiligte:r auch dann noch auf dem Prinzip der Gewaltfreiheit zu beharren, steht schnell im Verdacht des Wohlfeilen oder sogar Zynischen, weil das wie eine Aufforderung wirken kann, die angegriffene Seite solle einfach des eigenen lieben Friedens willen kapitulieren. Aber ist deswegen der Pazifismus ein Irrweg? Wer in die Geschichte schaut, kann schnell erkennen, dass es viele Menschenleben gerettet hätte, wäre auf Pazifist:innen öfters früher gehört worden. Die Gefahr in der gegenwärtigen Situation ist, dass ein von Beginn an zentrales Anliegen des Pazifismus in der allgemeinen Neo-Kalte-Krieg-Stimmung untergeht: der Versuch, Konflikte mittels zwischenstaatlicher und internationaler Vereinbarungen sowie eines verbindlichen völkerrechtlichen Regelwerks zu zivilisieren und dadurch zu entschärfen. Dass die imperiale Politik des Putin-Regimes die europäische Sicherheitsordnung empfindlich bedroht, lässt sich kaum bestreiten. Gleichzeitig wäre es ein Fehler, die Augen davor zu verschließen, dass der gegenwärtig stattfindende Rüstungswettlauf per se erhebliche Gefahren in sich birgt. Die Erosion globaler Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen befördert eine Rüstungsspirale, die fatale Folgen haben kann – und sei es nur durch ein Versehen oder einen technischen Fehler. Ebenfalls höchst bedenklich ist es, dass die offenkundige Unzulänglichkeit der bestehenden Strukturen der Vereinten Nationen nicht zu einer Diskussion führt, wie es erreicht werden kann, sie robuster zu machen, sondern dazu, ihre generelle Bedeutung infrage zu stellen. Wenn der Glauben an friedliche Konfliktlösungsstrategien verloren geht, macht das im Atomzeitalter die Welt noch...