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E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Biswas-Diener Positive Provokation im Coaching
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7495-0691-0
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
25 Fragen für mehr Lebendigkeit in Ihrer Coaching-Praxis Mit einem Vorwort von Daniela Blickhan
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-7495-0691-0
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
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Robert Biswas-Diener, Dr., ist ein US-amerikanischer Psychologe und geschäftsführender Direktor von Positive Acorn, ein spezielles Training für Coaches in Positiver Psychologie. Bekannt ist er für seine Arbeiten im Bereich der Positiven Psychologie. Er ist außerdem Mitglied der Redaktionen des Journal of Happiness Studies und des Journal of Positive Psychology. Sein Beitrag für die Anwendung der Positiven Psychologie im Coaching brachte ihm den Beinamen 'Indiana Jones der Positiven Psychologie' ein.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologische Theorie, Psychoanalyse Humanistische Psychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
- Wirtschaftswissenschaften Wirtschaftswissenschaften Wirtschaft: Sachbuch, Ratgeber
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Allgemeines
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Sozialpsychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Differentielle Psychologie, Persönlichkeitspsychologie
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Einführung in das Konzept der Positiven Provokation
Ich habe einmal Coaches für die Marcus Buckingham Company ausgebildet. Buckingham ist ein Vordenker auf dem Gebiet der Psychologie der Stärken, und ich gebe zu, dass ich ein wenig nervös war, als ich seine Mitarbeitenden schulen sollte. Sie waren keine Neulinge, denen ich erstmal eine Einführung in das Konzept der Stärken geben konnte. Vielmehr handelte es sich um eine Gruppe ungewöhnlich gut ausgebildeter Menschen, die bereits einige Erfahrung mit dem stärkenorientierten Coaching vorzuweisen hatten. Ich musste also herausfinden, was sie schon wussten, damit ich sie optimal fördern konnte. Und so eröffnete ich den Tag mit meinem üblichen Vortrag über den 90-Grad-Blickwinkel und darüber, wie ich die Gruppe herausfordern wollte, ohne mich mit meinem Wissen über sie zu erheben. Sofort reckte eine Frau die Hand in die Höhe und fragte: „Wie können Sie denn herausfinden, was wir schon wissen, damit Ihre Herausforderungen genau den richtigen Schwierigkeitsgrad haben?“ Das war eine großartige Frage.
Tatsächlich führte sie mich zu einer Erkenntnis: Wirksame und Positive Provokationen sind keine Einbahnstraßen. Es geht bei ihnen nicht darum, dass ich – oder irgendeine Coachin oder ein Vortragender – seine Zuhörer herausfordert. Vielmehr geht es darum, dass eine Person zwar das Publikum provoziert, dieses aber muss seinerseits auch offen für diese Herausforderung sein und sie annehmen. Wenn ich es auf eine Formel bringen müsste, würde ich sagen: „Positive Provokation = (Neuheit des Arguments + Stärke des Arguments) × Offenheit für das Argument“ (siehe Abbildung 1).
Auf der Seite des Coaches steht das „Argument“ oder, wenn man so will, die Herausforderung. Der Coach trifft eine fundierte Einschätzung darüber, wie neuartig die Herausforderung sein wird. Zum Beispiel kann ich vernünftigerweise annehmen, dass die Aussage „Coaches sollten ihre Klienten unterbrechen“ herausfordernder sein wird als „Coaches sollten ihren Klienten zuhören“. Der Coach ist außerdem aufgefordert, ein überzeugendes Argument für seine Provokation vorzubringen. Im selben Beispiel wäre es wirkungsvoller zu sagen: „Wenn man seine Klienten strategisch unterbricht, kann man sicherstellen, dass wichtige Momente nicht ungenutzt verstreichen“, als lediglich zu behaupten: „Jemanden zu unterbrechen, ist eine gute Sache.“ Der Kniff für einen Vortragenden oder die Coachin besteht also darin, vorhandenes Wissen zu berücksichtigen und in der Lage zu sein, mit gut durchdachten Argumenten darzulegen, warum dieses Wissen komplexer und vielschichtiger ist, als es auf den ersten Blick erscheint.
Der andere Teil der Gleichung gehört zum Klienten oder Publikum und dessen Aufgeschlossenheit beziehungsweise Bereitschaft, sich auf das neue Material einzulassen. Das heißt, die Zuhörenden müssen sich sicher genug fühlen, sich für Wachstum zu öffnen, und sich für ausreichend kompetent halten, um die Herausforderung auch annehmen zu können. Der Sanskrit-Begriff Adhikari-bheda, der sich in hinduistischen Schriften findet, bezeichnet im Wesentlichen den Umstand, dass eine bestimmte Person qualifiziert und bereit ist, eine Lehre zu empfangen. Krishna vermittelt Arjuna beispielsweise die Lehren der Bhagavad Gita, weil dieser zu diesem besonderen Moment einzigartig offen und bereit ist, sie anzuhören. Dies unterstreicht, wenn überhaupt, die Vorstellung, dass großartiges Coaching darauf aufbaut, eine Beziehung zu schaffen, die der Klientin Sicherheit vermittelt – nicht Sicherheit vor Herausforderungen, sondern genug Sicherheit, um Herausforderungen anzunehmen.
Abbildung 1: Das Modell der Positiven ProvokationDieses Buch ist eine positive Provokation
Zu Beginn meiner Coaching-Karriere wunderte ich mich über einer Reihe gängiger Praktiken und rätselte über einige der Coaching-„Fakten“, die mir beigebracht worden waren. Vielleicht hatte das damit zu tun, dass ich gern des Teufels Anwalt spielte, aber einige Dinge, die man mir erzählte, schienen einfach nicht zu stimmen. So hörte ich zum Beispiel oft, dass das Coaching von der Psychotherapie mit dem markigen Satz „Beim Coaching geht es um die Zukunft, bei der Therapie um die Vergangenheit“ unterschieden wurde. Das hat für mich nie wirklich Sinn ergeben, und es stellt sich nach kurzem Nachdenken wirklich als Unfug heraus. Im Coaching fragen wir tatsächlich häufig nach der Vergangenheit: „Wann haben Sie in der Vergangenheit ein ähnliches Problem erfolgreich bewältigt?“ oder „War das auch schon einmal kein Problem für Sie?“ und „Was haben Sie daraus gelernt?“. Außerdem fragen erfahrene Therapeuten auch häufig nach der Zukunft: „Wie hoffnungsvoll sind Sie?“ oder „Freuen Sie sich auf irgendetwas ganz Bestimmtes?“ oder „Was ist die kleinste Sache, die Sie zu versuchen bereit wären?“. Ich war nie richtig davon überzeugt, Fragen über die Vergangenheit oder die Zukunft zu unterscheiden, und bin tatsächlich einigermaßen erstaunt darüber, dass sich diese These so hartnäckig hält.
Für mich selbst war allerdings interessant, etwas länger über diese Binsenweisheit über Vergangenheit und Zukunft nachzudenken. Es ging mir weder darum, diese These zu verwerfen, noch wollte ich mir auf die Schulter klopfen, weil ich es danach sicherlich besser wüsste als alle anderen. Ich wollte herausfinden, was mich daran störte. Was stimmte an dem Argument nicht? Wie konnte eine bessere These lauten? Nachdem ich die grundlegende Aussage über Vergangenheit und Zukunft verworfen hatte, fühlte ich mich auch verpflichtet, eine Alternative zu entwerfen. Es lag nahe, mich zu fragen: „Wenn die Frage nach dem Blick auf die Vergangenheit oder die Zukunft kein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist, was ist es dann?“ Eine Antwort zu finden war gar nicht so einfach, weil sich Therapie und Coaching in vielen Aspekten doch sehr ähneln. Beide sind Gesprächstechniken, erfordern Einfühlungsvermögen, beruhen auf der Qualität der Beziehung zum Klienten oder zur Klientin sowie auf Vertraulichkeit. In beiden Verfahren geht man auf ihre Probleme ein und hofft darauf, dass sich ihre Situation verbessert. Der wichtigste Unterschied, den ich letztendlich ausmachen konnte, ist, dass Psychotherapie für klinisch relevante Notlagen vorgesehen ist, was auf das Coaching nicht zutrifft. Das mag nicht besonders erhellend sein, aber ich finde es besser als einen Lehrsatz, den ich für unsinnig halte.
Seit diesen Anfängen meiner Karriere habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, gängige Coaching-Praktiken und allgemeine Weisheiten infrage zu stellen, es stört mich aber auch nicht, wenn ich schließlich nichts an ihnen auszusetzen finde. Ich glaube, dass dieser Aspekt der Provokation wichtig ist und häufig übersehen wird: Bei einer Herausforderung geht es nicht darum, Dinge in die Tonne zu werfen, sondern darum, sie zu überdenken. Genau das ist meine Hoffnung für dieses Buch. Ich möchte provokante Thesen anbieten, die Sie dazu einladen, innezuhalten und über Ihre eigenen Annahmen über Coaching, Ihren persönlichen Stil und Ihre Vorlieben nachzudenken. Ich habe aus eigener Anschauung erfahren, wie effektiv diese Strategie bei den Lernenden sein kann, die ich in meiner eigenen Firma Positive Acorn ausbilde. Anstatt ihnen in Stein gemeißelte Regeln zu vermitteln, versuche ich, den Vorhang zu lüften und allgemeine Weisheiten aufzudecken, die manchmal flexibel anzuwenden sind – die aber auch Ausnahmefälle zulassen. Dies führt, so hoffe ich, dazu, Coachinnen und Coaches auszubilden, die sich ihrer Aufgabe reflektiert und flexibel annehmen.
Um es klar zu sagen: Es geht mir nicht darum, Sie oder Ihre Überzeugungen abzuwerten oder zu entkräften, Ihnen das Gefühl zu geben, sich verteidigen zu müssen, oder mich in irgendeiner Weise als überlegen darzustellen. Ich möchte, dass meine Provokationen eine positive Wirkung entfalten. Ich wünsche mir, dass Sie die Ohren spitzen und sich fragen, was ich meine, dass Sie hinterfragen, wie ich zu meinen Schlussfolgerungen gekommen bin, und dass Sie zu diesen Themen auch etwas aus der aktuellen Forschung lernen. In jedem Fall werde ich versuchen, möglichst stichhaltige Argumente vorzubringen. Ich verlange jedoch nicht, dass Sie mit meiner Denkweise übereinstimmen. Sie haben jedes Recht auf Ihre eigenen Werte, Erfahrungen und Meinungen. Ich halte es aber für möglich, dass Sie nach der Beschäftigung mit diesem Buch – unabhängig davon, ob Sie Ihre Meinung ändern oder sich in Ihren derzeitigen Überzeugungen sogar noch bestätigt fühlen – hinterher besser dastehen werden, eben weil Sie einen Prozess der Reflexion durchlaufen haben.
In diesem Sinne soll dieses Buch das Coaching-Verfahren selbst widerspiegeln. Coaching ist ein Prozess, der die Klientinnen und Klienten dazu einlädt, zunächst die Art und Weise zu reflektieren, wie sie sich selbst und ihre aktuelle Situation sehen, und dann eine wünschenswerte Zukunft zu formulieren. Positive Provokation im Coaching spricht die gleiche Einladung auch an Sie aus. Im Kern geht es hier um Fragen wie „Was sollten wir als Coaches und Coachinnen tun?“.
In Zusammenhang mit dem vorigen Satz möchte ich ein Beispiel nennen, nämlich eine Aussage, die ich in der Welt des Coachings häufig höre: „Ich glaube nicht an ‚sollte‘.“ Wer dem zustimmt, erkennt im Wesentlichen an, dass Klienten manchmal aus einem künstlichen oder irrelevanten Gefühl der Verpflichtung heraus handeln. Dagegen ist erst mal nichts zu sagen. Andererseits ist das „Sollen“ ziemlich wichtig. Die meisten Kulturen der...